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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 11.01.2023, RV/7101270/2022

Rückwirkend gestellter Eigenantrag auf den Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter R. in der Beschwerdesache
***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch NÖ Landesverein für Erwachsenenschutz - Erwachsenenvertretung, Bewohnervertretung, Zehnergasse 1 Tür E05-T1, 2700 Wiener Neustadt, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Abweisung des Antrages vom auf den Erhöhungsbetrag wegen erheblicher Behinderung ab Jänner 2016, Steuernummer ***BF1StNr1*** (SVNR ***Bf1SVNR***), zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Mit Bescheid vom wurde der Antrag des im April 1996 geborenen Beschwerdeführers (Bf.) vom auf den Erhöhungsbetrag wegen erheblicher Behinderung ab Jänner 2016 abgewiesen; dies mit folgender Begründung:
Der beantragte Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe kann nur dann zustehen, wenn ein Anspruch auf den Grundbetrag der Familienbeihilfe besteht. Da Sie trotz Aufforderung nur den Erhöhungsbetrag beantragt haben, war der Antrag abzuweisen.

Die Beschwerde wurde eingebracht wie folgt:
Es ist zwar richtig, dass es eine Aufforderung gab, Unterlagen sowie ein Formular nachzureichen, es war aber nicht klar, dass es sich dabei um den Antrag auf Familienbeihilfe handelt. Daher wurde dieses Formular nicht übermittelt.
Das Formular wird nun nachgereicht. Es wird ersucht, den Antrag weiter zu bearbeiten und den ablehnenden Bescheid zurück zu ziehen.
Der Beschwerde beigelegt war der Antrag auf Zuerkennung der Familienbeihilfe Beih 100-PDF, der u.a. folgende Eintragungen ausweist:
Für nachstehendes Kind beantrage ich die Familienbeihilfe … :
x Zuerkennung ab 01012016 Grund dauernde Erwerbsunfähigkeit
Familienname (Nachname des Bf.)
Vorname (Vorname des Bf.)

Das Finanzamt erließ eine abweisende Beschwerdevorentscheidung und begründete diese wie folgt:
[Zitierung der Bestimmungen § 6 Abs. 2 lit. d Familienlastenausgleichsgesetz 1967 und § 8 Abs. 6 FLAG 1967]
Das genannte Bundesamt hat in der im Beschwerdeverfahren angeforderten Bescheinigung aufgrund des Fach/Ärztlichen Sachverständigengutachtens vom festgestellt, dass eine voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit bei Ihnen ab vorliegt.
Die Erwerbsunfähigkeit ist daher nicht im gesetzlich festgelegten Alter eingetreten. Es besteht daher kein Anspruch auf Familienbeihilfe.

Der Vorlageantrag enthält folgende Begründung:
Bestritten wird, dass (der Bf.) erst 2020 erwerbsunfähig wurde.
Zunächst wird darauf hingewiesen, dass die Mutter (des Bf.) bereits im Jugendalter erhöhte Familienbeihilfe für ihren Sohn bezogen hat. Da kein Kontakt zur Mutter besteht und (der Bf.) keine Unterlagen dazu hat, kann leider nicht gesagt werden, in welchem Zeitraum die Mutter diese bezogen hat. Es steht aber fest, dass eine erhebliche Behinderung im Ausmaß von 50% Behinderung festgestellt wurde. Gutachten und Befunde werden beigelegt.
Desweiteren lässt sich anhand des Sozialversicherungsauszuges erkennen, dass (der Bf.) nach Abbruch der Lehre (2015), die er über das BFI begonnen hatte, keine Beschäftigungsverhältnisse eingehen konnte, die länger als 1 ½ Monate dauerten bzw. war er meistens nur geringfügig beschäftigt.
Im Gutachten gemäß § 8 AlVG wird eine originäre Invalidität angenommen, dass die Erkrankung also bereits vorlag, als (der Bf.) 2012 - 2015 seine Lehre begann.
Damit ist die dauernde Erwerbsunfähigkeit vor Vollendung des 21. Lebensjahres eingetreten und (dem Bf.) steht die erhöhte Familienbeihilfe zu.
Beigelegt waren dem Vorlageantrag
- Sozialversicherungsauszug
- Gutachten erhöhte Familienbeihilfe 2009
- Befundberichte des stationären Aufenthaltes in der Kinder- und Jugendpsychiatrie A…
(Nov. 2007)
- Arztbrief Ambulatorium A… der VKKJ (2009)
- Gutachten der PVA zur Feststellung der Erwerbsunfähigkeit

Die Beschwerdevorlage erfolgte mit nachstehendem Sachverhalt und Anträgen:
Sachverhalt:
Eigenantrag vorerst nur auf erhöhte Familienbeihilfe ohne Grundbetrag: im Zuge der Beschwerde wird Beih 100 abgegeben.
Beweismittel:
Gutachten im Akt
Stellungnahme:
Laut Gutachten des Sozialministeriumservice vom besteht ein Behinderungsgrad von 50 % erst ab 1/2020. Der Antragsteller hat das 21. Lebensjahr im 4/2017 erreicht. Daher war der Antrag auf erhöhte Familienbeihilfe abzuweisen.
(Der Antragsteller bezog von 2/2006 - 12/2010 erhöhte Familienbeihilfe, von 1/2011 - 9/2015 den Grundbetrag von Familienbeihilfe).

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Am (der Bf. war knapp 10-jährig) wandte sich Dr. …, Klin. Psychologin und Psychoanalytikerin, an Mag. S., Klin. Psychologin und Psychotherapeutin:
Fragestellung: Verhaltensauffälligkeit, erb. ICD 10 Diagnostik, Indikation für Psychotherapie?
Die Ergebnisse der Leistungsuntersuchung ergeben das Bild eines durchschnittlichen und homogenen Intelligenzprofils. Es ergibt sich kein Hinweis auf eine psychogen bedingte Leistungsbeeinträchtigung. Die förderungsunabhängigen Intelligenzanteile entsprechen den förderungsabhängigen. Es ist hier anzumerken, dass sich dadurch, dass Deutsch nicht die Muttersprache ist, kein signifikantes Leistungsdefizit abbildet.
Die Persönlichkeitsuntersuchung liefert durchgehend erhöhte Marker betreffs des Bereichs der Impulsivität. Der Bereich der Affektivität und der Aggressivität wird Gleichaltrigen gegenüber impulsiv nach außen gerichtet ausgedrückt, Erwachsenen gegenüber zeigt sich angepasstes Verhalten. Die emotionale Erregbarkeit ist erhöht, bei gleichzeitig unterdurchschnittlicher Fröhlichkeit und erhöhter Zurückhaltung vor sozialen Kontakten.
Die Phantasietätigkeit ist rege, der psychische Apparat altersentsprechend gut strukturiert, es stellt sich nicht das typische Bild einer Persönlichkeitsstörung dar.
Diagnostisch lässt sich die Problematik als emotionale Störung des Kindesalter (F 93.8) beschreiben.
Es ergibt sich eine Indikation für Psychotherapie um die eigene Innenwelt besser verbalisieren, verstehen und kontrollieren zu können.

Im September 2007 wurde der Bf. (11-jährig) in einer Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie in eine vierwöchige stationäre Behandlung aufgenommen:
Diagnose:
F43.25 Anpassungsstörung mit gemischter Störung von Gefühlen (depressive Reaktion) und sozialem Verhalten.
F98.0 Enuresis nocturna
Z60.8 Ambivalenz bezüglich kultureller Zugehörigkeit
Verdacht auf Alpha-Thalassaemie
Therapieempfehlung:
Trittico 75 mg 0-0-0-1
Ambulante Maltherapie im Landeskl. …
Weitere Betreuung inkl. Ergotherapie im Entwicklungsambulatorium …
Psychotherapie
Regelmäßige Kontrolle beim niedergelassenen Facharzt

Am 29. November 2007 wurde der Bf. - 11 ½ jährig - im Bundessozialamt …, Dr. T., Arzt für Allgemeinmedizin, untersucht:
Anamnese:
(Der Bf.) ist sehr ungeduldig und zeigt schnell aggressives Verhalten. Es werden starke Konflikte mit der Mutter angegeben, die sich auch in Gewalttätigkeiten gegen sie ausdrücken. Im Umgang mit den Mitschülern treten oft schwere Konflikte auf. Er wurde psychologisch untersucht und es wurde die Diagnose Anpassungsstörung, emotionale Störung des Kindesalters gestellt. Er erhält Psychotherapie und wurde medikamentös auf Trittico eingestellt.
Kontrollen werden im Kinderambulatorium … durchgeführt. Er verbrachte ein Monat stationär im KH … . Eine Betreuung über Rat und Hilfe ist geplant. Im Mai soll er an einer Gruppentherapie teilnehmen. Er besucht die 2. Klasse …hauptschule in der 3. Leistungsgruppe. Zeitweise tritt Enuresis auf. Eine Allergie auf Pollen wurde diagnostiziert.
Behandlung / Therapie (Medikamente, Therapien - Frequenz):
Psychotherapie; Trittico
Untersuchungsbefund: Über 11 jähriger Bub, …
Status psychicus / Entwicklungsstand:
ist bei der Untersuchung sehr zurückhaltend, antwortet nur in knappen Sätzen,
kooperativ bei der Untersuchung
Diagnose(n):
g. z. Anpassungsstörung
Richtsatzposition: 585 GdB: 050% ICD: F32.-
Rahmensatzbegründung:
5 Stufen über unterem Rahmensatz, da emotionale Störung mit Aggressionsdurchbrüchen und Enuresis nocturna
Gesamtgrad der Behinderung: 50 v.H. voraussichtlich mehr als 3 Jahre anhaltend
Eine Nachuntersuchung in 3 Jahren ist erforderlich.
Die rückwirkende Anerkennung der Einschätzung des Grades d. Behinderung ist ab 2006-02-01 aufgrund der vorgelegten relevanten Befunde möglich.
Der Untersuchte ist voraussichtlich nicht dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Die am seitens der PVA durchgeführten Untersuchungen des Bf. ergaben Folgendes (Ärztliche Gutachten gemäß § 8 AlVG):
Dr. …, Ärztin für Allgemeinmedizin:
Diagnosen:
Hauptdiagnose: ICD-10: F432 Anpassungsstörung
Weitere Diagnosen: Skoliose, Knicksenkfüße
Ärztliche Beurteilung der Leistungsfähigkeit: Der (Bf.) ist cardiopulmonal kompensiert und stabil, von Seiten des Stütz- und Bewegungsapparates bestehen keine kalkülsrelevanten Einschränkungen.
Aus allgemeinmedizinischer Sicht sind Arbeiten lt LK zumutbar
Psychisch siehe FGA
Sind weitere Facharztgutachten erforderlich? Ja
Welche? Psychiatrie
Dr. …, Facharzt für Psychiatrie:
Diagnosen:
Hauptdiagnose: ICD-10: F205 Schizophrenes Residuum bei paranoider Schizophrenie
Ärztliche Beurteilung der Leistungsfähigkeit: Klinisch/psychiatrisch zeigt sich bei der heutigen Untersuchung ein sehr zurückhaltender, in seiner Grundstimmung gedrückter, im Affekt verflachter, in beiden Skalenbereichen vermindert affizierbarer, im Antrieb reduzierter AS, dessen Denken durch formale Denkstörungen im Sinne einer erhöhten Antwortlatenz bzw. Gedankendurcheinanderkommen auffällig ist und dessen noopsychischen Leistungen, bis auf eine mittelgradig herabgesetzte Aufmerksamkeit, mittelgradige Konzentrationsstörung, mittelgradig herabgesetztes Langzeitgedächtnis (Zeitgitterstörung) sowie funktionell psychotische Abbauzeichen, intakt sind. An Wahnphänomenen zeigt sich eine leichte Wahnstimmung, ein sensitiver Beziehungswahn mit weitem System lässt sich anamnestisch explorieren, Sinnestäuschungen sind in Form von Geruchs- und Geschmackshalluzinationen explorierbar, Ich-Störungen sind in Form von Fremdbeeinflussungsphänomenen explorierbar. Es bestehen keine Biorhythmusstörungen. Die Persönlichkeit erscheint funktionell vergröbert.
Bei der heutigen Untersuchung zeigt sich das Bild eines schizophrenen Residuums mit sozialem Rückzug, Affektverflachung, verminderter Affizierbarkeit, parathymen Affekten sowie chronisch psychotischem Erleben mit sensitivem Beziehungswahn mit weitem System. Ein völliger beruflicher Leistungsknick lässt sich ab dem 17. Lebensjahr verfolgen.
Aufgrund der reduzierten Antriebslage sowie chronisch psychotischem Erleben ist keine geregelte Tätigkeit zumutbar.
In Anbetracht des Längsschnittes ist eine leistungskalkülsrelevante Verbesserung des Zustandes auszuschließen.

Der Chefarzt der PVA gelangte am zur Beurteilung:
Das Gesamtleistungskalkül reicht für Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vorübergehend mehr als 6 Monate nicht aus ab Antragstellung .
Originäre Invalidität gemäß § 255 Abs. 7 liegt vor.
Der Versicherte (der Bf.) war infolge des Leidenszustandes bereits vor der erstmaligen Aufnahme einer Beschäftigung außerstande, einem geregelten Erwerb nachzugehen.
Invalidität gemäß § 255 Abs. 7 besteht auf Dauer.
Der Versicherungsfall ist vor dem 27. Lebensjahr eingetreten.
Eine Besserung des Gesundheitszustandes ist ausgeschlossen.
Invalidität besteht auf Dauer.

Der beschwerdegegenständliche Zeitraum erstreckt sich (rückwirkend) ab dem Monat Jänner 2016.

Jahre 2014 [18. Jahre alt] bis 2021 - Abgabeninformationssystem- und Sozialversicherungsdaten (Abfragen):

Jahr 2014:
- Arbeiterlehrling Berufsförderungsinstitut NÖ
(begonnen am - beendet am )

Jahr 2015:
- Arbeiterlehrling Berufsförderungsinstitut NÖ
- Arbeitslosengeldbezug (mit kurzen Unterbrechungen)

Jahr 2016:
- Notstandshilfe, Überbrückungshilfe
- Zivildienst Arbeiter-Samariter-Bund

Jahr 2017 - [im April dieses Jahres vollendete der Bf. das 21. Lebensjahr]:
- Zivildienst Arbeiter-Samariter-Bund
- Arbeiter
- Notstandshilfe, Überbrückungshilfe
- geringfügig beschäftigter Angestellter
- geringfügig beschäftigter Arbeiter
- mehrfach geringfügig beschäftigter Arbeiter
- Angestellter Österreichische P… AG
- Notstandshilfe, Überbrückungshilfe
- Freier Dienstvertrag B. GmbH

Jahr 2018:
- Freier Dienstvertrag B. GmbH
- Freier Dienstvertrag E. GmbH
- Arbeitslosengeldbezug
- Arbeiter
- Arbeitslosengeldbezug

Jahr 2019:
- Arbeitslosengeldbezug
- Krankengeldbezug, Sonderfall
- Arbeitslosengeldbezug
- Arbeitslosengeldbezug
- geringfügig beschäftigter Arbeiter M. GmbH
- Notstandshilfe, Überbrückungshilfe

Jahr 2020:
- geringfügig beschäftigter Arbeiter M. GmbH
- Notstandshilfe, Überbrückungshilfe
- Krankengeldbezug, Sonderfall
- Notstandshilfe, Überbrückungshilfe
- geringfügig beschäftigter Arbeiter M. GmbH
- geringfügig beschäftigter Arbeiter R. GmbH

Am 05. November 2021 wurde der Bf. - 25 ½ - jährig - im Bundessozialamt Wien, Dr. H., Fachärztin für Neurologie, untersucht:
Begutachtung durchgeführt am:
Anamnese:
In einem Vorgutachten 12/2010 wurde eine soziale Anpassungsstörung mit 30% und eine Haltungsschwäche mit 20% GdB
Gesamtgrad der Behinderung: 30% GdB bewertet.
Derzeitige Beschwerden:
Er habe eine Gemeinschaft von Hindus gefunden, einen Tempel, und er lebe allein aber in der Nähe der Mönche. Er lebe die täglichen Zeremonien mit ihnen gemeinsam. Er war selbst schon auch einmal in dem Kloster aber momentan sei er geistig nicht dafür geeignet. Sein Ziel ist zu Hause einen gewissen Rhythmus zu finden. Die Wäsche wasche er mit der Hand, essen gehe er beim Tempel, seine sozialen Kontakte sind nur die Mönche. Er war in der Lehre zum Schlosser, habe sie aber nicht abgeschlossen, dann habe er immer nur kurz verschiedene Berufe ausprobiert. Die Lehre war in einer Behindertenwerkstätte. Es sei in der Arbeitszeit losgegangen. Das soziale Leben habe ihn fertig gemacht. Er habe sehr viel als unnatürlich empfunden. Bis auf den Tempel und die Erwachsenenvertreterin habe er keine Familie.
Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel:
Ein Medikament zum Schlafen, den Namen wisse er nicht; Psychotherapie
Sozialanamnese:
Erwachsenenvertretung für Behörden und Finanzen, lebt allein
Zusammenfassung relevante Befunde (inkl. Datumsangabe):
Übermittelt am per mail Mag. … Erwachsenenvertretung:
Chefärztliche Stellungnahme Pensionsversicherungsanstalt : Schizophrenes Residuum bei paranoider Schizophrenie, Gesamtkalkül reicht für Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht aus
Pflegschaftssache Dr. T…, FA für Psychiatrie und Neurologie, : hebephrene Schizophrenie darin enthalten psychologisches Gutachten Dr. P…, :
kein Hinweis auf psychogen bedingte Leistungsbeeinträchtigung Kinder- und Jugendpsychiatrie LK … : stationär … 09. - … 10. 2007: Anpassungsstörung mit gemischter Störung von Gefühlen und sozialem Verhalten
Untersuchungsbefund:
Allgemeinzustand: unauffällig
Ernährungszustand: gut
Größe: … Gewicht: …
Status (Kopf / Fußschema) - Fachstatus:
25 Jahre
Cor: reine rhythmische Herzaktion

Psycho(patho)logischer Status:
Bewusstseinsklar, örtlich, zeitlich und zur Person orientiert,
Allgemeintempo verlangsamt
Konzentration, Aufmerksamkeit und Auffassungsvermögen reduziert
Alt- und Kurzgedächtnis sind ungestört
Stimmungslage ausgeglichen, akustische und optische (vor allem nachts)Halluzinationen
die Affektlage ist ausgeglichen, ausreichende Affizierbarkeit
Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Lfd. Nr.
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:
Begründung der Rahmensätze:
Pos.Nr.
GdB %
1
Schizophrenes Residuum bei paranoider hebephrener Schizophrenie
Unterer Rahmensatz, da psychotische Symptome im Status
50

Gesamtgrad der Behinderung 50 v. H.
Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:
[blank, da nur 1 lfd. Nr.]
Stellungnahme zu Vorgutachten:
Im Vergleich zum Vorgutachten wurden Befunde vorgelegt, die eine hebephrene Schizophrenie bestätigen, daher Erhöhung auf 50% GdB. Die Haltungsschwäche ohne diesbezügliche Einschränkungen erreicht keinen GdB mehr.
Der festgestellte Grad der Behinderung wird voraussichtlich mehr als 3 Jahre andauern:
x ja … nein
GdB liegt vor seit: 10/2020
GdB 30 liegt vor seit: 12/2010
Begründung - GdB liegt rückwirkend vor:
Anhand der vorgelegten Befunde kann ein GdB von 50% ab 10/2020 bestätigt werden. Für den Zeitraum zwischen 2010 und 2020 liegen keine Befunde vor.
(Der Bf.) ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen:
JA
Dies besteht seit: 10/2020
Anmerkung bzw. Begründung betreffend die Fähigkeit bzw. voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen:
Aufgrund der psychischen Erkrankung ist keine Selbsterhaltungsfähigkeit gegeben.
[blank] Dauerzustand
x Nachuntersuchung: in 3 Jahren
Anmerkung hins. Nachuntersuchung:
Beurteilung der weiteren Entwicklung des Leidens.

2. Rechtliche Beurteilung

2.1. Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)

Auf Grund dieser Sachverhaltsfeststellungen, die auf den jeweils angeführten Unterlagen beruhen und unstrittig sind, ist in rechtlicher Hinsicht auszuführen:

§ 6 Abs. 1, 2 und 5 Familienlastenausgleichsgesetz (FLAG) 1967 bestimmt:
Abs. 1: Anspruch auf Familienbeihilfe haben auch minderjährige Vollwaisen, wenn
a) sie im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben,
b) ihnen nicht Unterhalt von ihrem Ehegatten oder ihrem früheren Ehegatten zu leisten ist und
c) für sie keiner anderen Person Familienbeihilfe zu gewähren ist.
Abs. 2: Volljährige Vollwaisen haben Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn auf sie die Voraussetzungen des Abs. 1 lit. a bis c zutreffen und wenn sie
d) wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, und deren Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wird, sofern die Vollwaise nicht einen eigenständigen Haushalt führt; dies gilt nicht für Vollwaisen, die Personen im Sinne des § 1 Z 3 und Z 4 des Strafvollzugsgesetzes, BGBl. Nr. 144/1969, sind, sofern die Bestimmungen des Strafvollzugsgesetzes, BGBl. Nr. 144/1969, auf sie Anwendung finden,…
Abs. 5: Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und deren Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wird, haben unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 bis 3). Erheblich behinderte Kinder im Sinne des § 2 Abs. 1 lit. c, deren Eltern ihnen nicht überwiegend den Unterhalt leisten und die einen eigenständigen Haushalt führen, haben unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 und 3).

Gemäß § 8 Abs. 4 FLAG 1967 erhöht sich die Familienbeihilfe für jedes erheblich behinderte Kind.

§ 8 Abs. 5 und 6 FLAG 1967 bestimmt:
Abs. 5: Als erheblich behindert gilt ein Kind, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muss mindestens 50 vH betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind § 14 Abs. 3 des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, in der jeweils geltenden Fassung, und die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) vom , BGBl. II Nr. 261/2010, in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens nach fünf Jahren neu festzustellen, soweit nicht Art und Umfang eine Änderung ausschließen.
Abs. 6: Der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, ist durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.
Die diesbezüglichen Kosten sind aus Mitteln des Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen zu ersetzen.

§ 10 Abs. 1 und 2 FLAG 1967 lauten:
Abs. 1: Die Familienbeihilfe wird, abgesehen von den Fällen des § 10a, nur auf Antrag gewährt; die Erhöhung der Familienbeihilfe für ein erheblich behindertes Kind (§ 8 Abs. 4) ist besonders zu beantragen.
Abs. 2: Die Familienbeihilfe wird vom Beginn des Monats gewährt, in dem die Voraussetzungen für den Anspruch erfüllt werden. Der Anspruch auf Familienbeihilfe erlischt mit Ablauf des Monats, in dem eine Anspruchsvoraussetzung wegfällt oder ein Ausschließungsgrund hinzukommt.

Nach § 7 des Arbeitslosenversicherungsgesetzes (AlVG), BGBl 609/1977, besteht Anspruch auf Arbeitslosengeld unter anderem unter der Voraussetzung, dass die betroffene Person arbeitsfähig und arbeitswillig ist.
Nach § 8 Abs. 1 AlVG ist arbeitsfähig, wer nicht invalid beziehungsweise nicht berufsunfähig im Sinne der für ihn in Betracht kommenden Vorschriften des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes ist.
Diese Voraussetzungen müssen auch für den Bezug von Notstandshilfe vorliegen (§ 33 Abs. 2 AlVG).

Gemäß § 2 lit. a BAO (Bundesabgabenordnung) ist die Bundesabgabenordnung sinngemäß in Angelegenheiten der Familienbeihilfe anzuwenden.

§ 167 BAO lautet:
Abs. 1: Tatsachen, die bei der Abgabenbehörde offenkundig sind, und solche, für deren Vorhandensein das Gesetz eine Vermutung aufstellt, bedürfen keines Beweises.
Abs. 2: Im Übrigen hat die Abgabenbehörde unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Abgabenverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht.

Der Gesetzgeber hat mit der Regelung des § 8 Abs. 6 FLAG 1967 die Kompetenz für die Beurteilung des Grades der Behinderung und der Unfähigkeit sich selbst den Unterhalt zu verschaffen ausdrücklich an eine dafür qualifizierte Institution übertragen. Die Feststellung des Behindertengrades eines Kindes, für das erhöhte Familienbeihilfe nach § 8 Abs. 4 FLAG beantragt wurde, hat auf dem Wege der Würdigung ärztlicher Sachverständigengutachten zu erfolgen. Daraus folgt, dass der Entscheidungsfindung durch die Behörde weder Bekundungen der Eltern über den Gesundheitszustand ihres Kindes noch anderer Personen, mögen sie auch über fachärztliche Kenntnisse verfügen, zu Grunde zu legen sind ().

Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind § 14 Abs. 3 des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, in der jeweils geltenden Fassung, und die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) vom , BGBl. II Nr. 261/2010, in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens nach fünf Jahren neu festzustellen, soweit nicht Art und Umfang eine Änderung ausschließen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Behörde an die der Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen zugrundeliegenden Gutachten gebunden (vgl. , ) und darf diese nur insoweit prüfen, ob sie schlüssig und vollständig sind und - im Falle mehrerer Gutachten - nicht einander widersprechen (vgl. , , , Erkenntnisse VwGH jeweils vom , 2009/16/0307 und 2009/16/0310, , vgl. auch die bei Lenneis in Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG, § 8 Rz 29 zitierte Rechtsprechung).

Eine andere Form der Beweisführung ist nicht zugelassen (vgl. ).

Der Verfassungsgerichtshof äußerte in seinem Erkenntnis vom , keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Einschränkung der Beweisführung des Grades der Behinderung oder der voraussichtlichen dauerhaften Unfähigkeit, sich selbst den Erwerb zu verschaffen. Von Gutachten könne nur nach "entsprechend qualifizierter Auseinandersetzung" abgegangen werden, wenn diese nicht schlüssig seien (vgl. hierzu auch auch ; , ).

Für die Abgabenbehörden und auch das Bundesfinanzgericht besteht - wie bereits vorstehend ausgeführt - eine Bindung an die im vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen erstellten Gutachten, sofern sie schlüssig sind.

Was ein ärztliches Zeugnis betreffend das Vorliegen einer Behinderung im Sinne des FLAG anlangt, so hat ein solches - nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - Feststellungen über Art und Ausmaß des Leidens sowie auch der konkreten Auswirkungen der Behinderung auf die Erwerbsfähigkeit in schlüssiger und damit nachvollziehbarer Weise zu enthalten ().

Ein Gutachten ist
- vollständig, wenn es die von der Behörde oder dem Gericht gestellten Fragen beantwortet (sofern diese zulässig waren)
- nachvollziehbar, wenn das Gutachten von der Beihilfenstelle und vom Gericht verstanden werden kann und diese die Gedankengänge des Gutachters, die vom Befund zum Gutachten führten, prüfen und beurteilen kann und
- schlüssig, wenn es nach der Prüfung auf Vollständigkeit und Nachvollziehbarkeit immer noch überzeugend und widerspruchsfrei erscheint.

Die Sachverständigen im Sozialministeriumservice ziehen bei ihrer Diagnoseerstellung bzw. um den Zeitpunkt des Eintrittes der Erwerbsunfähigkeit feststellen zu können, neben den Untersuchungsergebnissen und ihrem Fachwissen regelmäßig die von den Antragstellern vorgelegten Befunde heran ( mit Verweis auf ).

Die (erhöhte) Familienbeihilfe wird nur auf Antrag gewährt. Im antragsgebundenen Verfahren ist es Sache des Antragstellers, das Vorliegen der anspruchsbegründenden Umstände zu behaupten (vgl. ).

Der Grundsatz der Amtswegigkeit tritt bei Begünstigungsbestimmungen in den Hintergrund ().

Der Antragsteller hat die Möglichkeit, Unvollständigkeiten und Unschlüssigkeiten eines Gutachtens im Rahmen des Verfahrens der Behörde aufzuzeigen oder einem Gutachten (etwa durch Beibringung eines eigenen Gutachtens) auf gleicher fachlicher Ebene entgegenzutreten (vgl. , ).
Die Behörde hat sich dann mit dem Inhalt dieses Gegengutachtens auseinanderzusetzen (vgl. ).

Im Erkenntnis vom , RV/3100671/2020, erwog das Bundesfinanzgericht iZm den Bestimmungen des AlVG:
Es ist nicht davon auszugehen, dass die zuständigen Stellen in völliger Missachtung der gesetzlichen Vorgaben Arbeitslosengeld, Notstandshilfe oder Rehabilitationsgeld gewähren würden, wenn zu den damaligen (nach Vollendung des 21. Lebensjahres gelegenen) Zeitpunkten tatsächlich (schon) eine voraussichtlich dauernde Arbeitsunfähigkeit bestanden hätte.
Um Arbeitslosengeld beziehen zu dürfen, muss der Anspruchswerbende (unter anderem) der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stehen, das heißt insbesondere auch, überhaupt arbeitsfähig zu sein (vgl. §§ 7 und 8 des Arbeitslosenversicherungsgesetzes - AlVG -, BGBl. Nr. 609/1977 idF BGBl. I Nr. 3/2013).

Im Erkenntnis vom , RV/5100697/2019, erwog das Bundesfinanzgericht:
Dazu kommt, dass die Beschwerdeführerin laut den im Abgabeninformationssystem gespeicherten Einkommensteuerbescheiden für die Jahre 1999, 2000 und 2001 (somit nach Vollendung ihres 21. Lebensjahres) in diesen Jahren sehr wohl erwerbstätig war. So war sie unter anderem vom bis bei der Fa. Z GmbH in X beschäftigt. … Zwar kann aus diesen Umständen nach der jüngeren Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes durch die Beihilfenbehörde nicht außerhalb des in § 8 Abs. 6 FLAG geregelten Nachweisverfahrens abgeleitet werden, dass die Beschwerdeführerin in den genannten Zeiträumen erwerbsfähig war, da diese Feststellung allein dem Sozialministeriumservice bzw. dem untersuchenden und das Gutachten erstellenden Arzt zukommt. Gleichwohl sprechen diese Umstände aber nicht gegen, sondern für die Schlüssigkeit der vorliegenden Gutachten, in denen ein Eintritt der dauernden Erwerbsunfähigkeit vor dem 21. Lebensjahr nicht festgestellt wurde.

Der unabhängige Finanzsenat entschied am , RV/0615-W/13:
In der ergänzenden Stellungnahme wird zur weiteren Untermauerung, dass die Unfähigkeit sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, im Februar 1991 eingetreten ist, auf das bis September 1990 bestehende Arbeitsverhältnis und die Tauglichkeit zur Ableistung des Präsenzdienstes (vom bis ) hingewiesen. Das Bundessozialamt hat daher in schlüssiger und nachvollziehbarer Weise dargestellt, warum der Zeitpunkt des Eintritts der Behinderung und der Unfähigkeit sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, nicht vor Februar 1991 anzusetzen ist.

Das Bundesfinanzgericht entschied wiederholt: In die Richtung, dass jemand vor dem 21. Lebensjahr nicht dauernd unfähig gewesen wäre, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, weisen die Umstände, dass er Arbeitslosengeld bezog (; ).

Es trifft zu, dass die Erkrankung des Bf. bereits vor seinem 21. Lebensjahr vorgelegen ist (vgl. bspw. die am durchgeführte Untersuchung); hinzuweisen ist aber in diesem Zusammenhang auf das Erkenntnis des , in dem der Gerichtshof Folgendes ausführt:
§ 6 Abs. 2 lit. d FLAG stellt darauf ab, dass der Vollwaise auf Grund einer zu einem bestimmten Zeitpunkt eingetretenen Behinderung außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Eine derartige geistige oder körperliche Behinderung kann durchaus die Folge einer Krankheit sein, die schon seit Längerem vorliegt (bei angeborenen Krankheiten oder genetischen Anomalien etwa seit Geburt), sich jedoch erst zu einem späteren Zeitpunkt manifestiert. Erst wenn diese Krankheit zu einer derart erheblichen Behinderung führt, welche die Erwerbsunfähigkeit bewirkt, ist der Tatbestand des § 6 Abs. 2 lit. d FLAG erfüllt. Mithin kommt es weder auf den Zeitpunkt an, zu dem sich eine Krankheit als solche äußert, noch auf den Zeitpunkt, zu welchem diese Krankheit zu (irgend) einer Behinderung führt. Maßgeblich ist der Zeitpunkt, zu dem diejenige Behinderung (als Folge der allenfalls schon länger bestehenden Krankheit) eintritt, welche die Erwerbsunfähigkeit bewirkt.

Entscheidungswesentlich ist jedoch, ob und zutreffendenfalls wann die bereits vor
dem 21. Lebensjahr bestehende Erkrankung des Bf. ein Ausmaß erreichte, das zu
einer voraussichtlich dauernden Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen,
führte.

Die Anlage zur Einschätzungsverordnung enthält, soweit entscheidungsrelevant, Folgendes:
03.07 Schizophrene Störungen
Schizophrenie, schizoide Persönlichkeitsstörung, schizoaffektive Erkrankungen, akut psychotische Zustandsbilder
Leichte Verlaufsform 10 - 40 %
10 - 20 %:
Psychopathologisch stabil, Medikation im Schub, Akut psychotisches Zustandsbild in der Anamnese (z.B. drogeninduzierte Psychose)
30 %:
Psychopathologisch stabil, Intervalltherapien, Residualzustand mit geringen Auffälligkeiten, im Alltagsleben voll integriert
40 %:
Psychopathologisch auffällig (beginnende Störung des formalen Denken, gelegentlich Wahninhalt und Negativsymptomatik) trotz Dauertherapie
Mäßige soziale Beeinträchtigung im Alltag gering eingeschränkt
Mittelschwere Verlaufsform 50 - 70 %
50 %:
Mindestens zwei psychotische Zustandsbilder in den letzten 1,5 Jahren, Psychotische Symptome im Status, psychopathologisch instabil (Störung des formalen Denken, Wahninhalte und Negativsymptomatik) trotz Dauertherapie. Soziale Integration im Alltag deutlich herabgesetzt
60 %:
Durchgängig geringe Belastbarkeit in allen Lebensbereichen, soziale Isolation, sozialer Abstieg
70 %:
Langjährige Anamnese, hochdosierte Therapie, affektive Zusatzerkrankungen, kognitiv höhergradig beeinträchtigt (Orientierung, Merkfähigkeit), schwere und durchgängig soziale Beeinträchtigung
. Schwere Verlaufsform 80 - 100 %
80 - 90 %:
Betreuung in allen Lebensbereichen notwendig
Trotz Ausschöpfung aller Therapiereserven psychotische Episoden
100 %:
Psychopathologisch hoch auffällig
Cerebraler Abbau einer hochgradigen Demenz entsprechend
Ständige Aufsicht und Betreuung

Der von der Erwachsenenvertretung namens des Bf. gestellte Eigenantrag geht offensichtlich von der Anwendbarkeit der oben zitierten Bestimmung des § 6 Abs. 5 FLAG aus, wonach Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und deren Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wird, unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe haben, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 bis 3).

Der vom Sachverständigen erhobene psycho(patho)logische Status - beginnend mit "Bewusstseinsklar, örtlich, zeitlich und zur Person orientiert; Allgemeintempo reduziert" und endend mit "akustische und optische (vor allem nachts)Halluzinationen, die Affektlage ist ausgeglichen, ausreichende Affizierbarkeit" - führte in Verbindung mit dem Umstand, dass "für den Zeitraum zwischen 2010 und 2020 … keine Befunde vor(liegen)", zum Ergebnis, dass der Grad der Behinderung rückwirkend bis Oktober 2020, dem Zeitpunkt der Untersuchungen seitens der Pensionsversicherungsanstalt, einschätzbar ist. Das angesprochene (10 Jahre zurückliegende) Vorgutachten beinhaltete, wie in der Anamnese des Gutachtens vom angeführt, erheblich abweichende Behinderungen (soziale Anpassungsstörung mit einem Grad der Behinderung von 30% sowie eine Haltungsschwäche mit einem Grad der Behinderung von 20% und einen Gesamtgrad der Behinderung von 30%.

Die Beurteilung des Sachverständigen ist damit in Einklang zu bringen, dass der Bf. in den Jahren bis zum Jahr 2020, also mehrere Jahre nach seinem 21. Lebensjahr, im oben angeführten Ausmaß entweder arbeitsuchend war und Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe, Überbrückungshilfe bezog oder nichtselbständig tätig war; im Übrigen war er auch imstande, den Zivildienst zu leisten, den er knapp vor seinem 21. Lebensjahr absolvierte.

Weiters sei bemerkt: Nahtlos fügt sich zudem der Umstand ein, dass erhöhte Familienbeihilfe nur von 2/2006 bis 12/2010 bezogen worden war, während von 1/2011 bis 9/2015 nur der Grundbetrag von Familienbeihilfe gewährt wurde (vgl. Beschwerdevorlage).

Somit ist festzuhalten, dass für den beantragten Zeitraum (ab Jänner 2016) vom Bf. keinerlei Beweismittel angeboten oder vorgelegt wurden, welche einen fundierten Rückschluss auf eine behinderungsbedingte voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit bereits im Jahr 2016 ermöglichen würden oder die geeignet wären, Zweifel an der Schlüssigkeit des Sachverständigengutachtens in die Richtung zu erwecken, dass bereits im Jahr 2016 eine voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit vorgelegen wäre (vorgelegt wurden, wie schon gesagt, lediglich Unterlagen vor dem Jahr 2010).

2.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Mit gegenständlichem Erkenntnis wurde nicht über eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung entschieden. Feststellungen auf der Sachverhaltsebene betreffen keine Rechtsfragen und sind daher keiner Revision zugängig.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
FLAG
betroffene Normen
ECLI
ECLI:AT:BFG:2023:RV.7101270.2022

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at