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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 21.02.2023, RV/3100706/2019

Familienbeihilfe und Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung bei langjähriger Berufstätigkeit

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Mag. Stefan Geisler, Talstraße 4a, 6280 Zell am Ziller, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Kufstein Schwaz (nunmehr: Finanzamt Österreich) vom betreffend Abweisung von Anträgen auf Familienbeihilfe und Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung ab April 2014, Versicherungsnummer [VNR], nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung

zu Recht erkannt:

I.

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

II.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art 133 Abs 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Mit Fax vom 20. Feber 2019 langte beim Finanzamt ein durch einen Erwachsenenvertreter für die von ihm vertretene Person gestellter Antrag auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung (Beih 3) im Eigenbezug ab April 2014 ein. Sie leide unter näher ausgeführten Erkrankungen und beziehe seit November 2018 Pflegegeld.
Beigelegt waren dem Antrag
- ein Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen vom 1. Feber 2019, mit welchem die Zugehörigkeit der Antragstellerin zum Kreis der begünstigten Behinderten ab festgestellt wurde,
- das die Grundlage für diesen Bescheid bildende Sachverständigengutachten vom , mit welchem ein Grad der Behinderung von 50% und die Fähigkeit trotz der Funktionsbeeinträchtigung auf einem geschützten Arbeitsplatz oder in einem integrativen Betrieb (allenfalls unter Zuhilfenahme von Unterstützungsstrukturen) einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, attestiert wurde, sowie
- ein Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt über den Bezug von Pflegegeld ab November 2018 in der Höhe der Stufe 1.

Am wurde per Fax mit dem Formular Beih 1 die Gewährung der Familienbeihilfe ab April 2014 im Eigenbezug beantragt. Die Antragstellerin wohne in einer eigenen Wohnung, sei ledig und als Hilfsarbeiterin beschäftigt. Angaben dazu, ob sie Vollwaise oder einer Vollwaisen gleichgestellt sei wurden n icht gemacht.

Das Finanzamt ersuchte das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen die Erstellung eines ärztlichen Sachverständigengutachtens zu veranlassen und eine darauf basierende Bescheinigung zu ers tellen. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen b eauftragte den gleichen Sachverständig en, der bereits im Jänner 2019 seine Expertise abge geben hat. Dies er lud die Antragstellerin zur Untersuchung vor, welche in Begleitung einer Mitarbeiterin der Lebenshilfe erschien. Aus der Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen ergibt sich, dass ein Grad der Behinderung von 50%, rückwirkend ab Jänner 2019 und keine voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst der Unterhalt zu verschaffen, vorliegen. Im vorgelegten Verwaltungsakt sind lediglich die "Metadaten" (Ausdruck aus der Familienbeihilfendatenbank) enthalten, das ärztliche Sachverständigengutachten wurde vom Finanzamt offenbar nicht angefordert.

Mit Bescheid vom wurde der Antrag auf "Familienbeihilfe und erhöhte Familienbeihilfe" rückwirkend ab April 2014 abgewiesen. Unter Bezugnahme auf die Bestimmung des § 2 Abs 1 lit c FLAG 1967 (zutreffend wäre § 6 Abs 2 lit d FLAG 1967) und die Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen führte das Finanzamt begründend aus, die Antragstellerin wäre nicht dauernd erwerbsunfähig, es läge Selbsterhaltungsfähigkeit vor. Damit würden die Voraussetzungen für den Bezug der Familienbeihilfe und der erhöhten Familienbeihilfe nicht vorliegen.

Gegen diesen Bescheid wurde durch den Erwachsenenvertreter fristgerecht Beschwerde erhoben. Der bekämpfte Bescheid sei sowohl inhaltlich rechtswidrig als auch mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet. Auch das Sachverständigengutachten vom wäre nicht richtig bzw in sich unschlüssig und widerspreche den tatsächlichen Gegebenheiten. Es sei nicht richtig, dass die Antragstellerin in einer Wäscherei in einem Hotel in Vollzeit arbeite. Tatsächlich wäre sie dort lediglich für 30 Stunden in der Woche angestellt. Darüber hinaus habe der gegenständliche Arbeitsplatz auch nur durch Mithilfe der Arbeitsassistenz sowie des Erwachsenenvertreters erlangt werden können. Zudem sei der Arbeitgeber äußerst sozial eingestellt und erbringe die Antragstellerin keinesfalls die üblicherweise geforderte Arbeitsleistung. Der Sachverständige habe in seinem Gutachten die Frage "in Bezug auf die Erwerbsfähigkeit" der Antragstellerin "auch nicht nur ansatzweise begründet, sondern sich schlichtweg mit der Verneinung der Arbeitsunfähigkeit begnügt". Damit entspreche das Gutachten aber keinesfalls den Anforderungen der Rechtsprechung, wonach ein ärztliches Gutachten, "wenn damit eine Behinderung im Sinne des FLAG dargetan werden" solle, Feststellungen über Art und Ausmaß des Leidens, sowie auch der konkreten Auswirkungen der Behinderung auf die Erwerbsfähigkeit in schlüssiger und damit nachvollziehbarer Weise zu enthalten habe. Aus dem vorliegenden Gutachten sei insbesondere nicht in schlüssiger und nachvollziehbarer Weise zu entnehmen, welche konkreten Auswirkungen die Behinderung auf die Erwerbsfähigkeit habe. Auf die sich in einem medizinischen Befund aus dem Jahr 2018 festgestellte deutlich unterdurchschnittlich ausgeprägte intellektuelle Leistungs- und Aufmerksamkeitsfähigkeit sowie die ruppige und direkte kommunikative Haltung werde ebenso hingewiesen, wie auf den Umstand, dass die Antragstellerin dem Kreis der begünstigten Behinderten angehöre (Bescheid vom 1. Feber 2019).
Weiters sei zu berücksichtigen, dass der Antragstellerin bereits bis März 2014 die Familienbeihilfe und die erhöhte Familienbeihilfe zuerkannt worden sei. Seither habe sich an der gesundheitlichen Situation und damit einhergehend auch an der beruflichen Lage nichts geändert bzw sei keinesfalls eine Verbesserung eingetreten.
Ob eine dauernde Erwerbsunfähigkeit vorliege sei auch keinesfalls danach zu beurteilen, ob derzeit eine Erwerbstätigkeit ausgeübt werde bzw in einem bestimmten Zeitraum ein entsprechendes Einkommen erzielt werde, sondern nur unter Berücksichtigung von Art und Grad der Behinderung bzw der medizinischen Gesamtsituation der betroffenen Person. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass gerade von behinderten Personen oftmals - auch mit Unterstützung durch Erwachsenenvertreter bzw geeignete Institutionen - Versuche unternommen werden, sich in das Erwerbsleben einzugliedern, bei denen jedoch die hohe Wahrscheinlichkeit bestehe, dass sie aus medizinischen Gründen auf längere Sicht zum Scheitern verurteilt sein würden.
Insofern sei daher davon auszugehen, dass bei der Antragstellerin trotz der derzeit ausgeübten Beschäftigung dauernde Erwerbsunfähigkeit vorliege und keine Selbsterhaltungsfähigkeit bestehe.

Auf Grund der Beschwerdeerhebung wurde vom Finanzamt neuerlich das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen kontaktiert und diesem die Beschwerde samt Beilagen übermittelt. Der leitende Arzt des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen teilte dem Finanzamt daraufhin mit, dass das im April 2019 erstellte Gutachten schlüssig und nachvollziehbar sei und keine neuerliche Begutachtung erforderlich wäre.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Wiederum wurde (fälschlich) auf § 2 Abs 1 lit c FLAG 1967 verwiesen und ausgeführt, dass keine Erwerbsunfähigkeit bestehe, weshalb die gesetzlichen Vorgaben für die Gewährung der Familienbeihilfe sowie der erhöhten Familienbeihilfe nicht gegeben wären.

Daraufhin beantragte die Antragstellerin durch ihren Sachwalter die Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht. Zusätzliche Angaben oder Sachverhaltsvorbringen wurden nicht gemacht.

Das Finanzamt legte dem Bundesfinanzgericht die Beschwerde samt den im Vorlagebericht angeführten Akten(teilen) vor und beantragte die Abweisung der Beschwerde.

In der mündlichen Verhandlung am 21. Feber 2023 verwies die Vertreterin der Beschwerdeführerin auf die Ausführungen in der Beschwerde und führt zudem aus, dass die Beschwerdeführerin bereits vor Vollendung des 21. Lebensjahres voraussichtlich dauernd außerstande war, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Allfällige berufliche Tätigkeiten würden nur durch äußerstes Entgegenkommen der jeweiligen Arbeitgeber möglich sein. Am freien Arbeitsmarkt bestünde keine Chance auf eine berufliche Tätigkeit.
Seitens des Finanzamtes wird auf die Bindungswirkung der Gutachten des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen verwiesen. Das Vorliegen einer erheblichen Behinderung wird nicht in Abrede gestellt, allerdings wird die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, bereits in einem Gutachten aus dem Jahr 2014 nicht festgestellt und aus diesem Grund steht der Grundbetrag an Familienbeihilfe nicht zu.
Über Rückfrage des Richters bestätigt die Vertreterin der Beschwerdeführerin die Vollständigkeit der in Rede stehenden Gutachten. Hinsichtlich der Schlüssigkeit wird bezüglich des Gutachtens aus dem Jahr 2014 kein Einwand erhoben, hinsichtlich des Gutachtens aus dem Jahr 2019 auf die Beschwerdeausführungen verwiesen.

Die Niederschrift über die mündliche Verhandlung liegt diesem Erkenntnis bei.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

a) Die Beschwerdeführerin wurde am [GebDat] geboren und vollendete das 21. Lebensjahr somit am [GebDat+21]. Seit dem Jahr der Volljährigkeit steht die Beschwerdeführerin unter Sachwalterschaft.

b) Die Beschwerdeführerin stand,
- von September 2008 bis August 2011 in einem Dienstverhältnis als Angestelltenlehrling (integrative Berufsausbildung gem § 8b Abs 2 BAG zur Teilqualifikation zur Einzelhandelskauffrau),
- an den erfolgreichen Abschluss der Lehrausbildung mit August 2011 unmittelbar schließend bis Dezember 2015 in einem Dienstverhältnis als Angestellte beim vormaligen Lehrbetrieb;
- im Jahr 2016 über zwei (kürzere) Zeiträume in einem Dienstverhältnis zur jeweils gleichen Arbeitgeberin,
- ab Jänner bis Mitte Dezember 2017 in einem weiteren Dienstverhältnis, gefolgt von einem bis April 2018 andauernden Dienstverhältnis zur gleichen Arbeitgeberin wie 2016, und letztlich
- (mit einer kurzen Unterbrechung im Mai 2019) ab Dezember 2018 durchgängig in einem weiteren Dienstverhältnis (vorerst bei der [AG] GmbH, folgend bei der [AG] KG und dann wieder bei der [AG] GmbH).
Zwischenzeitlich wurde Arbeitslosengeld bzw Notstandshilfe bezogen.
Im Jahr 2011 erzielte sie Einkünfte von knapp mehr als € 10.000,00, in den Jahren 2012 bis 2015, 2017 und 2019 erzielte sie Einkünfte von (weit) über € 10.000,00 jährlich. Erst ab dem Jahr 2015 (mit Ausnahme des Jahres 2018) wurden Arbeitnehmerveranlagungen durchgeführt. Das Einkommen lt diesen Einkommensteuerbescheiden betrug in den Jahren 2015 und 2019 über € 10.000,00, 2016 und 2017 unter € 10.000,00, im Jahr 2020 und 2021 unter € 15.000,00. Hinsichtlich des Jahres 2021 wurde im Zuge der Veranlagung lediglich ein Lohnzettel für das zweite Halbjahr 2021 veranlagt; ein übermittelter Lohnzettel für das erste Halbjahr wurde storniert. Dennoch war die Beschwerdeführerin im Jahr 2021 durchgehend beschäftigt.

c) Der Grad der Behinderung der Beschwerdeführerin beträgt 50%. Sie war und ist nicht voraussichtlich dauernd außer Stande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

d) Laut Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt vom bestand ab November 2018 Anspruch auf Pflegegeld in der Höhe der Stufe 1.

e) Mit Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen vom 1. Feber 2019 wurde festgestellt, dass die Beschwerdeführerin ab zum Kreis der begünstigten Behinderten gehört.

f) Die Beschwerdeführerin lebte seit August 2012 in einem eigenen Haushalt (zuerst in [Wohnort1], sodann in [Wohnort2]).

2. Beweiswürdigung

Der oben angeführte Sachverhalt ergibt sich, soweit dieser nicht unstrittig ist, auf Grund folgender Beweismittel und Würdigungen:

Die Dienstverhältnisse, Bezüge und Veranlagungen der Beschwerdeführerin ergeben sich aus dem Versicherungsdatenauszug und dem Abgabeninformationssystem des Bundes. Dass die Beschwerdeführerin auch im Jahr 2021 durchgehend beschäftigt war, wurde seitens ihrer Vertreterin in der mündlichen Verhandlung bestätigt.

Hinsichtlich des Grades der Behinderung und der Fähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, liegen dem Bundesfinanzgericht zwei Bescheinigungen des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen vor, welche auf ärztlichen Sachverständigengutachten beruhen.
Sowohl aus der Bescheinigung aus dem Jahr 2014, als auch jener des Jahres 2019 wurde ein Grad der Behinderung von 50%, nicht aber die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, festgestellt.
Hinsichtlich des Grades der Behinderung erfolgte in beiden Bescheinigungen eine Einstufung unter die Positionsnummer , welche mit "Intelligenzminderung mit maßgeblichen Anpassungsstörungen" umschrieben ist. Diesbezüglich wurden in den Eingaben der Beschwerdeführerin keine Einwendungen erhoben.
Zum Nichtvorliegen einer voraussichtlich dauernden Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, ergibt sich aus der Bescheinigung des Jahres 2014, dass die Beschwerdeführerin als "Verkäuferbeihilfe" in einem 40 Std.-Dienstverhältnis stand.
Auch aus der aus Anlass der gegenständlichen Anträge erstellten Bescheinigung (vidiert am ) auf Basis eines ärztlichen Sachverständigengutachtens (erstellt am ) geht hervor, dass die Beschwerdeführerin voraussichtlich nicht dauernd außer Stande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Der medizinische Sachverständige begründet letztgenannten Umstand damit, dass die Beschwerdeführerin "vollschichtig" am ersten Arbeitsmarkt arbeite und selbsterhaltungsfähig sei. Dazu ist auch aus der Anamnese zu entnehmen, dass die Beschwerdeführerin eine Teilqualifikation bei einer Supermarktkette abgeschlossen habe und eine berufliche Tätigkeit ungeschützt am allgemeinen Arbeitsmarkt ausübe.
Nach der Rechtsprechung (vgl für viele , oder , mwN) sind die Abgabenbehörden (und in der Folge auch das Bundesfinanzgericht) an die Bescheinigungen des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen gebunden und dürfen diese nur insoweit prüfen, ob sie schlüssig und vollständig und im Falle mehrerer Gutachten nicht einander widersprechend sind. Im vorliegenden Fall stimmen die Gutachten aus dem Jahr 2014 und dem Jahr 2019 überein, sind also widerspruchsfrei.

Aus den beiden Gutachten ergibt sich auch übereinstimmend, dass die Beschwerdeführerin (seit Jahren) alleine wohnt. Nach dem Untersuchungsbefund bestehen keine körperlichen Auffälligkeiten, die Beschwerdeführerin zeigt jedoch ein naives Verhalten bei einer Intelligenzminderung bzw eine Grenzbegabung mit leichten Auffälligkeiten. Aus dem Bericht der Lebenshilfe vom , welchem ein Antrag auf mobile Betreuung zugrunde liegt, ist zu entnehmen, dass Kontakt mit ARBAS aufgenommen wurde, um der Beschwerdeführerin wieder die Möglichkeit zu geben, am "1. Arbeitsmarkt" Fuß zu fassen. Weiters wird in diesem Bericht ein monatlicher Betreuungsbedarf von 20 Stunden festgestellt, was ein selbständiges Wohnen und eine individuelle Gestaltung des Lebens (weiterhin) ermöglichen und zur Bewältigung der alltäglichen Lebensführung, zur Beziehungsgestaltung und zur Ermöglichung von Teilhabe an der Gesellschaft beitragen soll.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis , zu Recht erkannte, ist es auch durchaus zulässig, dass sich der fachärztliche Sachverständige zur Feststellung des Vorliegens der "Erwerbsfähigkeit" bei lange zurückliegenden Sachverhalten auch auf eine langjährige Berufstätigkeit beruft. Umso mehr muss dies für Sachverhalte gelten, die aktuell gegeben sind.
Nun ergibt sich aus dem Gutachten des Jahres 2014, dass die Beschwerdeführerin in den Jahren nach Abschluss der Lehrausbildung von 2011 bis Ende 2015 tatsächlich über mehrere Jahre in einem Vollzeitdienstverhältnis gestanden ist. In der Anamnese (=professionelle Erfragung von potenziell medizinisch relevanten Informationen) des Gutachtens 2019 wird ausgeführt, dass auch im Jahr 2019 ein Vollzeitdienstverhältnis bestanden habe. Diese Aussage wurde offenbar entweder von der Beschwerdeführerin selbst oder der sie bei der Begutachtung begleitenden Betreuerin im Zuge der Befragung getroffen und vom begutachtenden Arzt so als Ergebnis der Anamnese so festgehalten.
Letztlich ist es aber nicht entscheidend, ob und aus welchen Gründen in den Jahren 2016 und den Folgejahren (abgesehen von den Zeiten mit Bezug von Arbeitslosengeld und Notstandshilfe) Dienstverhältnisse mit einer herabgesetzten Arbeitszeit (bei der [AG] GmbH lt vorgelegtem Dienstvertrag mit 30 Wochenstunden, bei den anderen Dienstgebern lt Lohnzettel nicht näher quantifizierte "Teilbeschäftigung") ausgeübt wurden, da es im gegenständlichen Fall ausschließlich entscheidend ist, ob die Beschwerdeführerin (auf Grund des Zeitpunktes der Beendigung der Lehre) bereits zum voraussichtlich dauernd außer Stande war, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen (vgl Lenneis in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG2 § 8 Rz 19ff).
In diesem Zusammenhang ist auch darauf zu verweisen, dass - nach den von der Beschwerdeführerin vorgelegten Beweismitteln - der Anspruch auf Pflegegeld erst ab November 2018 bestand, die Zugehörigkeit der Beschwerdeführerin zum Kreis der begünstigten Behinderten erst mit Bescheid vom 1. Feber 2019 festgestellt wurde.
Daraus folgt, dass sämtliche Dienstverhältnisse, in denen die Beschwerdeführerin davor gestanden ist, im nicht "geschützten" Bereich, somit am "1. Arbeitsmarkt", absolviert wurden. Auch ist offensichtlich, dass es sich bei diesen nicht um kurzfristige "Arbeitsversuche" (iS , oder ) handelte. Im für den vorliegenden Fall zeitlich relevanten Zeitpunkt im Jahr 2011 bestand ein Dienstverhältnis, welches über mehrere Jahre andauerte. Danach bestand ein Dienstverhältnis über elf Monate und folgend wieder über mehrere Jahre. Dass dabei ein gewisses Entgegenkommen der Arbeitgeber an den Tag gelegt worden sein mag bzw ein Bemühen der vormaligen Erwachsenenvertreterin bzw des derzeitigen Erwachsenenvertreters um die Beschäftigung vorgelegen ist, was im Zuge dieses Verfahrens behauptet wird, ändert nichts an der Tatsache, dass die Beschwerdeführerin durch ihre eigene Arbeitsleistung über viele Jahre am "1. Arbeitsmarkt" ein entsprechendes Einkommen lukrieren konnte.
Bei diesem Sachverhalt ist es daher absolut schlüssig, wenn durch ärztliche Sachverständige daraus abgeleitet wird, dass die Beschwerdeführerin nicht voraussichtlich dauernd außer Stande war und ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.
Damit ist aber auch der Vorwurf der Beschwerdeführerin, die "Erwerbsfähigkeit" wäre durch den ärztlichen Sachverständigen nicht begründet, entkräftet.
Letztlich dienen Maßnahmen, wie zB jene einer integrativen Ausbildung nach § 8b BAG oder die - für das Jahr 2011 nach dem Akteninhalt ohnehin nicht erfolgte - Förderung von Arbeitgebern, welche Menschen mit Behinderung beschäftigen, dazu, diesen Menschen ein weitestgehend selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen und sie dabei zu unterstützen, mit ihrer Arbeitsleistung ein entsprechendes Einkommen zu erzielen und weitere Ansprüche (zB Pensionsanspruch) zu erwerben, wodurch ihr Lebensunterhalt nachhaltig gesichert wird. Es kann also nicht davon ausgegangen werden, dass gleichsam zwingend in jedem Fall eines "geförderten" Beschäftigungsverhältnisses die Voraussetzungen des § 2 Abs 1 lit c bzw § 6 Abs 2 lit d FLAG 1967 hinsichtlich der "Erwerbsunfähigkeit" erfüllt sind.

Die Feststellungen zur Wohnsitznahme ergeben sich aus den Aussagen der Beschwerdeführerin in der Vorhaltsbeantwortung vom18. Mai 2020 sowie dem Zentralen Melderegister.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I.

Die folgend zitierten gesetzlichen Bestimmungen beziehen sich auf die Monate April 2014 bis Mai 2019 (Datum der Bescheiderlassung) jeweils gültige Fassung.

Nach § 6 Abs 1 FLAG 1967 haben auch minderjährige Vollwaisen Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn
a) sie im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben,
b) ihnen nicht Unterhalt von ihrem Ehegatten oder ihrem früheren Ehegatten zu leisten ist und
c) für sie keiner anderen Person Familienbeihilfe zu gewähren ist.

Abs 2 lit d leg cit normiert, dass volljährige Vollwaisen Anspruch auf Familienbeihilfe haben, wenn auf sie die Voraussetzungen des Abs 1 lit a bis c zutreffen und wenn sie wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, und sich in keiner Anstaltspflege befinden.
Ab lautet die lit d:
"d) wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, und deren Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wird, sofern die Vollwaise nicht einen eigenständigen Haushalt führt; dies gilt nicht für Vollwaisen, die Personen im Sinne des § 1 Z 3 und Z 4 des Strafvollzugsgesetzes, BGBl. Nr. 144/1969, sind, sofern die Bestimmungen des Strafvollzugsgesetzes, BGBl. Nr. 144/1969, auf sie Anwendung finden"

Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und die sich nicht auf Kosten der Jugendwohlfahrtspflege oder der Sozialhilfe in Heimerziehung befinden, haben nach § 6 Abs 5 FLAG 1967 unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs 1 bis 3).

Als erheblich behindert gilt nach § 8 Abs 5 FLAG 1967 ein Kind, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muss mindestens 50 vH betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind § 14 Abs 3 des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl Nr 22/1970, in der jeweils geltenden Fassung, und die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) vom , BGBl II Nr 261/2010, in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens nach fünf Jahren neu festzustellen, soweit nicht Art und Umfang eine Änderung ausschließen.

Der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, ist nach § 8 Abs 6 FLAG 1967 durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.

Nach § 8 Abs 7 FLAG 1967 gelten die Abs 4 bis 6 sinngemäß für Vollwaisen, die gemäß § 6 FLAG 1967 Anspruch auf Familienbeihilfe haben.

Im vorliegenden Fall ist seitens der Beschwerdeführerin unbestritten, dass ihr Antrag ausschließlich auf der Bestimmung des § 6 Abs 2 lit d FLAG 1967 basiert.
Wie sich aus oben zitiertem Gesetzestext ergibt, besteht - bezogen auf den vorliegenden Fall - nach dieser Bestimmung ein Anspruch auf Familienbeihilfe unter der Voraussetzung, dass die Beschwerdeführerin bereits vor (spätestens mit Ende der Lehrausbildung) voraussichtlich ständig außer Stande gewesen ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Dieser Umstand ist durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen nachzuweisen, welche auf einem ärztlichen Sachverständigengutachten zu basieren hat.

Die dem Bundesfinanzgericht vorliegenden Bescheinigungen aus dem Jahr 2014 und dem Jahr 2019 treffen beide die Aussage, dass die Beschwerdeführerin nicht außer Stande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Diese sind insgesamt schlüssig und vollständig, weshalb - wie bereits oben ausgeführt - eine Bindung der Abgabenbehörde und auch des Bundesfinanzgerichtes an diese Bescheinigungen besteht.
Daran ändert auch nichts, dass (offenbar der Mutter der Beschwerdeführerin) in den Jahren bis März 2014 die Familienbeihilfe samt Erhöhungsbetrag gewährt wurde. Inwieweit diese auf Grund eines schlüssigen Sachverständigengutachtens aus dem Jahr 2011 und des Umstandes, dass die Beschwerdeführerin seit August 2012 in einem eigenen Haushalt lebte und Einkünfte über der Grenze des § 5 Abs 1 FLAG 1967 erzielte, zu Recht bezogen wurde, ist nicht Gegenstand dieses Verfahrens. Aus dem Umstand, dass nach drei Jahren eine Nachuntersuchung erfolgte ergibt sich jedenfalls schlüssig, dass die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit sich selbst den Unterhalt zu verschaffen nicht als Dauerzustand bescheinigt worden sein kann.

Der Anspruch auf den Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe setzt den Anspruch auf den Grundbetrag an Familienbeihilfe voraus (vgl Lenneis in Lenneis/Wanke (Hrsg) § 8 Rz 18). Nachdem der Grundbetrag gegenständlich nicht zu gewähren war, konnte auch der Erhöhungsbetrag nicht zugesprochen werden.

Es war daher wie im Spruch ausgeführt zu entscheiden.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Das Bundesfinanzgericht hat auf Grund des in freier Beweiswürdigung festgestellten Sachverhaltes in Übereinstimmung mit der einheitlichen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entschieden. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung war nicht zu lösen.

Innsbruck, am

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