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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 14.02.2023, RV/1100156/2021

1) Verjährung der Einkommensteuerfestsetzung im Falle zu Unrecht gemäß § 200 Abs. 1 BAO vorläufig erlassener Feststellungsbescheide 2) Bekämpfung abgeleiteter Einkommensteuerbescheide mit ausschließlich gegen die Feststellungsbescheide gerichteten Einwendungen

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Dr. Peter Steurer in der Beschwerdesache ***Bf***, ***Bf-Adr*** vertreten durch die RTG Dr. Rümmele Steuerberatung und Wirtschaftsprüfung GmbH & Co KG, Marktstraße 30, 6850 Dornbirn, gegen die Bescheide des Finanzamtes Österreich vom betreffend Einkommensteuer für die Jahre 2011 bis 2018, Steuernummer ***Bf-StNr***, zu Recht erkannt:


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1.
Den Beschwerden gegen die Einkommensteuerbescheide 2011 und 2012 wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben; die Bescheide vom werden aufgehoben.
2.
Die Beschwerden gegen die Einkommensteuerbescheide 2013 bis 2018 werden gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen; die Bescheide vom bleiben unverändert.
3.
Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG ) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

1. Die Beschwerdeführerin war als Kommanditistin mit 45% am Vermögen an der mit Gesellschaftsvertrag vom ***Datum*** gegründeten, zwischenzeitlich aufgelösten und am ***Datum*** im Firmenbuch gelöschten ***A*** KG beteiligt. Mit 55% beteiligter Komplementär der Gesellschaft war ihr Ehegatte. In den Jahren 2011 bis 2018 erzielte die KG Einkünfte aus der Verpachtung eines Beherbergungsbetriebes sowie aus einem Getränkehandel. Aufgrund der hohen Verluste aus der Verpachtungstätigkeit wurden insgesamt negative Einkünfte aus Gewerbebetrieb erklärt.

2. Aufgrund der negativen Einkünfte erließ das Finanzamt für die Jahre 2011 bis 2016 zunächst gemäß § 200 BAO vorläufige Feststellungsbescheide.

3. Am erließ das Finanzamt gemäß § 200 Abs. 2 BAO endgültige Feststellungsbescheide für die Jahre 2011 bis 2016 sowie (erste) Feststellungsbescheide gemäß § 188 BAO für die Jahre 2017 und 2018, in denen lediglich die Einkünfte aus dem seit 2013 betriebenen Getränkehandel, nicht jedoch die im Zusammenhang mit der Verpachtung des Hotels ***H*** stehenden Verluste Berücksichtigung fanden.

4. Aufgrund entsprechender Mitteilungen über die gesonderte Feststellung setzte das Finanzamt die Einkommensteuer der Beschwerdeführerin hinsichtlich der Jahre 2011 bis 2017 mit gemäß § 295 Abs. 1 BAO geänderten Bescheiden und hinsichtlich des Jahres 2018 mit Erstbescheid fest.

5. Mit am über FinanzOnline eingebrachten Fristverlängerungsanträgen ersuchte die Beschwerdeführerin jeweils um Verlängerung der Frist für die Einbringung einer Beschwerde bis zum .

6. Mit Schriftsatz vom erhob die steuerliche Vertretung Beschwerden sowohl gegen die Bescheide betreffend die Feststellung der Einkünfte für die Jahre 2011 bis 2018 gemäß § 188 BAO als auch gegen die an die Gesellschafter ergangenen abgeleiteten Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2011 bis 2018.

Die Feststellungsbescheide gemäß § 188 BAO wurden formal- und materiellrechtlich in Streit gezogen. Formalrechtlich wurde vorgebracht, die vorläufigen Bescheide über die Feststellung von Einkünften für die Jahre 2011 bis 2016 seien mangels Vorliegens einer Ungewissheit im Sinne des § 200 BAO rechtswidrig erlassen worden. Bezüglich des materiellrechtlichen Vorbringens wird auf die Ausführungen in dem die Kommanditgesellschaft betreffenden Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom , RV/1100157/2021, verwiesen.

Hinsichtlich der abgeleiteten Einkommensteuerbescheide wurde weiters eingewandt, die an die Beschwerdeführerin ergangenen Einkommensteuerbescheide 2011 und 2012 seien infolge Verjährung rechtswidrig und ersatzlos aufzuheben. Begründend wurde ausgeführt, die Vorläufigkeit von Feststellungsbescheiden schlage auf die abgeleiteten Bescheide durch, was auch für die Frage gelte, ob die Vorläufigkeit überhaupt zulässig gewesen sei (Hinweis auf ). Habe, wie im Beschwerdefall, bei der Erlassung vorläufiger Feststellungsbescheide keine Ungewissheit bestanden, beginne die fünfjährige Verjährungsfrist gemäß § 207 BAO für die Erlassung endgültiger Einkommensteuerbescheide nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bereits mit Ablauf des Jahres der vorläufigen Bescheiderlassung und somit deutlich früher als bei zu Recht vorläufig erlassenen Bescheiden (Hinweis auf ).

Die rechtswidrigen vorläufigen Feststellungsbescheide der ***A*** KG für die Jahre 2011 und 2012 seien im Jahr 2013 zugestellt worden, weshalb die Verjährungsfrist für die Erlassung endgültiger Einkommensteuerbescheide an den Komplementär und die Beschwerdeführerin bereits mit Ablauf des Jahres 2013 begonnen habe. Demgemäß habe die fünfjährige Verjährungsfrist für die Einkommensteuerfestsetzung für die Jahre 2011 und 2012 mit Ablauf des geendet.

Da hinsichtlich Einkommensteuer 2011 und 2012 bis zum offensichtlich auch keine verjährungsfristverlängernden Handlungen gemäß § 209 BAO gesetzt worden seien, seien die an die Beschwerdeführerin ergangenen Einkommensteuerbescheide 2011 und 2012 vom nach eingetretener Verjährung und damit rechtswidrig erlassen worden.

7. Infolge eines Antrages gemäß § 262 Abs. 2 lit. a BAO auf das Unterbleiben einer Beschwerdevorentscheidung wurde die Beschwerde direkt dem Bundesfinanzgericht vorgelegt.

8. Mit Schreiben vom wurden die Anträge auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung und auf Entscheidung durch den gesamten Senat zurückgezogen.

9. Mit Erkenntnis vom , RV/1100157/2021, hat das Bundesfinanzgericht den Beschwerden gegen die Feststellungsbescheide gemäß § 188 BAO für die Jahre 2011 bis 2018 Folge gegeben. Eine entsprechende Abänderung der jeweiligen Einkommensteuerbescheide der Beschwerdeführerin gemäß § 295 Abs. 1 BAO ist bis dato nicht erfolgt.

II. Rechtliche Würdigung

Gemäß § 188 Abs. 1 BAO werden ua. Einkünfte aus Gewerbebetrieb einheitlich und gesondert festgestellt, wenn an den Einkünften mehrere Personen beteiligt sind.

Gemäß § 192 BAO werden in einem Feststellungsbescheid enthaltene Feststellungen, die ua. für Abgabenbescheide von Bedeutung sind, diesen Bescheiden zugrunde gelegt, auch wenn der Feststellungsbescheid noch nicht rechtskräftig geworden ist.

Ist ein Bescheid von einem Feststellungsbescheid abzuleiten, so ist er nach § 295 Abs. 1 erster Satz BAO ohne Rücksicht darauf, ob die Rechtskraft eingetreten ist, im Fall der nachträglichen Abänderung, Aufhebung oder Erlassung des Feststellungsbescheides von Amts wegen durch einen neuen Bescheid zu ersetzen oder, wenn die Voraussetzungen für die Erlassung des abgeleiteten Bescheides nicht mehr vorliegen, aufzuheben.

Nach § 252 Abs. 1 BAO kann ein Bescheid, dem Entscheidungen zugrunde liegen, die in einem Feststellungsbescheid getroffen worden sind, nicht mit der Begründung angefochten werden, dass die im Feststellungsbescheid getroffenen Entscheidungen unzutreffend sind.

Das Beschwerderecht gegen abgeleitete Bescheide ist somit insoweit eingeschränkt, als Einwendungen gegen im zugrundeliegenden Grundlagenbescheid getroffene Feststellungen im Hinblick auf die diesbezüglich bestehende Bindungswirkung (vgl. Ritz/Koran, BAO7, § 192 Tz 3, mwN) mit Erfolg nur in dem den Grundlagenbescheid betreffenden Verfahren vorgebracht werden können. Die Anfechtung eines Steuerbescheides, welche lediglich mit Einwendungen gegen die Rechtmäßigkeit eines dem Steuerbescheid zugrundeliegenden Feststellungsbescheides begründet ist, ist daher in der Sache abzuweisen (vgl. , mwN, , mwN, sowie , mwN).

Wurde ein Feststellungsbescheid aufgrund einer Ungewissheit gemäß § 200 Abs. 1 BAO vorläufig erlassen, schlägt die Vorläufigkeit jedoch auf den abgeleiteten Abgabenbescheid - selbst wenn er endgültig erlassen wurde - durch (vgl. ) und ist daher unter diesem Gesichtspunkt zu prüfen, ob der Erlassung der angefochtenen Einkommensteuerbescheide die bereits eingetretene Festsetzungsverjährung entgegenstand.

Gemäß § 207 Abs. 1 BAO unterliegt das Recht, eine Abgabe festzusetzen, der Verjährung. Die Verjährungsfrist beträgt nach § 207 Abs. 2 BAO grundsätzlich fünf Jahre.

Gemäß § 208 Abs. 1 lit. a BAO beginnt die Verjährung mit Ablauf des Jahres, in dem der Abgabenanspruch entstanden ist.

In den Fällen des § 200 BAO beginnt die Verjährung nach § 208 Abs. 1 lit. d BAO mit Ablauf des Jahres, in dem die Ungewissheit beseitigt wurde.

Nach § 209 Abs. 1 BAO verlängert sich die Verjährungsfrist um ein Jahr, wenn von der Abgabenbehörde innerhalb der Verjährungsfrist (§ 207 BAO) nach außen erkennbare Amtshandlungen zur Geltendmachung des Abgabenanspruches oder zur Feststellung des Abgabepflichtigen (§ 77 BAO) unternommen werden. Die Verjährungsfrist verlängert sich jeweils um ein weiteres Jahr, wenn solche Amtshandlungen in einem Jahr unternommen werden, bis zu dessen Ablauf die Verjährungsfrist verlängert ist.

Die Änderung eines abgeleiteten Abgabenbescheides ist der Regelung des § 302 Abs. 1 BAO zufolge - sofern nicht der Ausnahmefall des § 209a Abs. 2 BAO vorliegt - nur bis zum Ablauf der Verjährungsfrist zulässig (vgl. , mwN).

Entscheidend für den - nach der Regelung des § 208 Abs. 1 lit. d BAO zu bestimmenden - Beginn der Verjährung ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, ob zum Zeitpunkt der Erlassung vorläufiger Bescheide - objektiv gesehen - eine Ungewissheit bestanden hat und wann diese Ungewissheit weggefallen ist; hat tatsächlich keine Ungewissheit bestanden, beginnt die Verjährung mit Ablauf des Jahres, in dem der vorläufige Bescheid erlassen wurde (vgl. , mwN).

Nachdem die an die KG ergangenen Feststellungsbescheide für die Jahre 2011 bis 2016, wie von der steuerlichen Vertretung eingewendet und vom Bundesfinanzgericht im Erkenntnis vom , RV/1100157/2021, bestätigt, mangels Vorliegen einer Ungewissheit im Sinne des § 200 Abs. 1 BAO tatsächlich zu Unrecht vorläufig erlassen wurden, hat die fünfjährige Festsetzungsverjährung für die Einkommensteuer im Beschwerdefall somit bereits mit Ablauf des Jahres begonnen, in dem die vorläufigen Bescheide ergangen sind.

Die vorläufigen Feststellungsbescheide 2011 bis 2016 sind am (für das Jahr 2011), am (für das Jahr 2012), am (für das Jahr 2013), am (für das Jahr 2014), am (für das Jahr 2015) und am (für das Jahr 2016) ergangen.

Die Verjährungsfrist für die Festsetzung der Einkommensteuer für die Jahre 2011 und 2012 endete, nachdem im Verjährungszeitraum gesetzte, nach außen erkennbaren Amtshandlungen, welche die Verjährungsfristen hinsichtlich der genannten Abgaben verlängert hätten, nicht aktenkundig sind, daher mit Ablauf des . Die angefochtenen Einkommensteuerbescheide vom sind somit erst nach Ablauf der Verjährungsfrist ergangen und waren daher aufzuheben.

Hinsichtlich der weiteren Streitjahre endete die Verjährungsfrist für die Abgabenfestsetzung aufgrund in den Jahren 2019 und 2020 unbestritten unternommener Verlängerungshandlungen im Sinne des § 209 Abs. 1 BAO hingegen frühestens mit Ablauf des . Die Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2013 bis 2018 sind somit innerhalb der Verjährungsfrist ergangen und waren die dagegen erhobenen Beschwerden daher, nachdem sich die Ausführungen im Beschwerdeschriftsatz im Ergebnis ausschließlich gegen die Höhe der in den Bescheiden gemäß § 188 BAO festgestellten Einkünfte richteten, diese Einwände, wie oben ausgeführt, aber nur im Beschwerdeverfahren gegen die Feststellungsbescheide Berücksichtigung finden konnten (siehe dazu ), als unbegründet abzuweisen.

Gesamthaft gesehen war somit spruchgemäß zu entscheiden.

III. Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die im Beschwerdefall strittigen Fragen wurden auf Grundlage der im Erkenntnis angeführten höchstgerichtlichen Rechtsprechung sowie von nicht über den Einzelfall hinaus bedeutsamen Sachverhaltsfeststellungen beurteilt. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Artikel 133 Abs. 4 B-VG wird durch das vorliegende Erkenntnis somit nicht berührt. Eine (ordentliche) Revision ist daher nicht zulässig.

Feldkirch, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 207 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 208 Abs. 1 lit. d BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 252 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2023:RV.1100156.2021

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at