Geltendmachung der Haftung trotz Arbeitsunfähigkeit
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf***, ***Bf-Adr***, vertreten durch Sluka Hammerer Tevini Rechtsanwälte GmbH, Alpenstraße 26, 5020 Salzburg, über die Beschwerden vom gegen die Haftungsbescheide des Finanzamtes Salzburg-Land (nun Finanzamt Österreich) vom , Steuernummern: ***StNr1*** und ***StNr2***, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung im Beisein der Schriftführerin ***RR*** zu Recht erkannt:
I. Die Beschwerden werden gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
***Bf*** (nachstehend mit "Bf" bezeichnet) war ab Geschäftsführerin der ***GmbH1*** und ab Geschäftsführerin der ***GmbH2***, beide mit Sitz in ***SL***.
Laut MItteilung des Insolvenzgerichtes vom Dezember 2019 bzw vom Jänner 2020 wurden diese Gesellschaften infolge rechtskräftiger Nichteröffnung eines Insolvenzverfahrens mangels kostendeckenden Vermögens und Zahlungsunfähigkeit aufgelöst. Die Firmen sind im Mai 2020 amtswegig gelöscht worden.
Mit Schreiben vom hat das Finanzamt Salzburg-Land der Bf mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, sie gemäß §§ 9 iVm 80 BAO für Rückstände der Unternehmen im Ausmaß von EUR 96.644,89 (***GmbH2***) und EUR 18.771,61 (***GmbH1***) zur Haftung heranzuziehen und um Stellungnahme bzw Beantwortung diverser Fragen ersucht.
Mit Schreiben vom hat die Bf durch ihre Vertreterin folgende Stellungnahme abgegeben:
"Vorauszuschicken ist, dass sich Frau ***Bf*** zu ***GZ***, ***BG*** derzeit in einem Schuldenregulierungsverfahren befindet.
Als ehemalige Geschäftsführerin der ***GmbH1*** sowie der ***GmbH2*** trifft Frau ***Bf*** kein Verschulden an der Nichtentrichtung der von Ihnen in Ihren beiden Schreiben vom angeführten Abgabenschulden.
Frau ***Bf*** war ca. 20 Jahre lang bei einem Salzburger Bauträgerunternehmen angestellt und hat dabei Erfahrungen betreffend Immobilien gesammelt. Sie hat sich im Jahr 2008 mit einem Immobilienbüro selbstständig gemacht und provisionspflichtig Immobilien vermittelt. Sie kaufte damals von ihren Eltern das Haus in ***SL***, dieses wurde umgebaut und durch Steigerung der Nutzfläche eine höhere Rendite erzielt (dies wurde fremdfinanziert über die ***Bank***, ***Filiale***). Frau ***Bf*** hat dort auch privat gewohnt. Sie hatte dort ihr Immobilienbüro, die übrigen Einheiten waren vermietet. Das Projekt hat sich gut gerechnet, es wurde mit der erzielten Rendite vertragsgemäß die Kreditrückzahlung getilgt.
Im Jahr 2012 wurde Frau ***Bf*** eine Immobilie in ***OÖ*** angeboten. Sie hat sich dazu entschlossen, dieses Grundstück nicht zu vermitteln, viel mehr hat sie sich dazu entschlossen, diese Liegenschaft selbst zu entwickeln. Die Projektidee war, das dort bestehende Haus abzureißen und ein völlig neues Geschäft und Wohngebäude zu richten.
Damals schien die Welt noch in Ordnung, in ***SL*** ist die Vermietung gut gelaufen, in ***OÖ*** war ein erfolgversprechendes Projekt im Entstehen. Daneben hat Frau ***Bf*** auch noch weitere Vermittlungsgeschäfte getätigt.
Die Schwierigkeiten begannen, als Frau ***Bf*** einem Mieter in ***SL*** den Wohnungsmietvertrag wegen Mietzinsrückstandes nicht verlängert hat. Dieser Mieter drohte Frau ***Bf***, dass sie noch lange an ihn denken werde. Frau ***Bf*** hat dies anfangs nicht ernst genommen, bis sie über einen Kollegen über einen Internetblog informiert wurde, mit dem sie und deren Sohn mit Fotos gezeigt wurden, samt den Vorwürfen "Betrug und Abzocke bei ***Bf*** Immobilien":
In diesem Internetblog heißt es wörtlich:
"Bereits in mehreren Fällen wird gegen ***Bf***, Geschäftsführerin und Gesellschafterin von ***Bf*** Immobilien ermittelt. Schwerpunkte in den Ermittlungsverfahren sind Immobilienbetrug, arglistige Verschleierung von Mängeln, Unterschlagung von Kautionen, Urkundenfälschung, Verstöße gegen UWG-Richtlinien, Steuerhinterziehung, Rufmord und Hausfriedensbruch sowie weitere Delikte.
***Bf*** ist bereits seit Jahren für ihre undurchsichtigen Geschäfte bekannt. Achten Sie bei Geschäftsanbahnungen speziell darauf, dass versucht wird Mängel zu verschleiern, hohe Mieten für mangelhafte Objekt zu kassieren und/oder Kunden mit diversen Mitteln abzuzocken. Ziehen Sie in jedem Fall einen Anwalt hinzu, sollten Sie geschädigt werden sein. Mindestens 8 Fälle liegen der Redaktion vor, wo es gesamt um Schadenfälle von mindestens € 800.000,00 geht."
Frau ***Bf*** hat dies zu bekämpfen versucht, was aber nicht möglich war, weil der Urheber nicht ausgeforscht werden konnte, und zwar auch nicht über die eingeschaltete Staatsanwaltschaft Salzburg, die zu ***X*** ein Ermittlungsverfahren gestartet hat. Nachdem selbst die Staatsanwaltschaft Salzburg nicht herausfinden konnte, wer der Urheber war, wurde dies von der Sluka Hammerer Tevini Rechtsanwälte GmbH der österreichischen Rechtsanwaltskammer zur Kenntnis gebracht, welche der genannten Rechtsanwaltskanzlei zugestimmt hat, dass die bestehende Rechtschutzlücke diesbezüglich geschlossen werden muss (Schreiben des ÖRAK an RA Dr. Wilhelm Sluka vom ).
Dieser Interneteintrag hat bewirkt, dass es kaum Anfragen gab und der Verkauf der mittlerweile fertiggestellten Wohnungen in ***OÖ*** äußerst schleppend erfolgt ist.
Der "unbekannte Täter", bei dem es sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit um den damaligen Mieter von Frau ***Bf*** handelt, hat diesen Eintrag mit so vielen Begriffen hinterlegt, dass jeder, der mit der Frau ***Bf*** oder deren Gesellschaft zu tun hatte, auf der Google-Suchmaschine sofort an oberster Stelle auf den angeblichen Betrug und Abzocke von ***Bf*** Immobilien hingewiesen wurde.
Da heutzutage Immobilien überwiegend über das Internet angeboten werden, war diese Verleumdung für Frau ***Bf*** eine wirtschaftliche Katastrophe. Der Verkauf der fertiggestellten Wohnungen im ***OÖ*** wurde immer schwieriger, die Zinsbelastung lief weiter.
Der negative Interneteintrag hat auch dazu geführt, dass die Schuldnerin nicht mehr wie früher Provisionsumsätze aus der Vermittlung von Immobilien verdient hat.
Dazu kam, dass es im Objekt ***SL*** Mietzinsausfälle gab, weshalb die Frau ***Bf*** Überlegungen angestellt hat, die Immobilie im ***SL*** auf wirtschaftlich andere Beine zu stellen. Diese Pläne scheiterten schlussendlich jedoch.
In weiterer Folge kam es zur Fälligstellung der Kredite bezüglich der Immobilie in ***OÖ*** und ebenso zur Fälligstellung der Kredite durch die ***Bank*** hinsichtlich des Objektes in ***SL***. Die wirtschaftlichen Probleme wurden dadurch verstärkt, als Frau ***Bf*** für die Verbindlichkeiten ihrer beiden Firmen, der ***GmbH1*** sowie der ***GmbH2*** persönliche Haftungen übernommen hat. Die durch die Fälligstellung entstehenden Verzugszinsen wuchsen der Antragstellerin in kurzer Zeit über den Kopf.
Aufgrund der eben geschilderten Vorgänge geriet Frau ***Bf*** neben der wirtschaftlichen auch in eine schwere persönliche Krise. Sie erlitt ein Burnout-Syndromund befand sich über längeren Zeitraum in Krankenstand. Sie konnte sich in ihrerdamaligen gesundheitlichen Verfassung auch nicht mehr ordnungsgemäß um ihreGeschäfte kümmern.
Hinzu kam, dass der ehemalige Steuerberater von Frau ***Bf*** die Zusammenarbeit mit ihr beendete. Die notwendigen Unterlagen wurden nicht rechtzeitigherausgegeben, da dies von der Bezahlung des offenen Honorars abhängig gemachtwurde, wozu sie wirtschaftlich nicht in der Lage war. Es wäre Frau ***Bf*** jedoch ohnehin aufgrund Ihrer persönlichen Ausnahmesituation nicht möglich gewesen, Bilanzen bzw. Jahresabschlüsse selbst vorzulegen.
Im Zuge der Zwangsversteigerung der Liegenschaft in ***SL*** musste Frau ***Bf*** ihr dort gelegenes Büro kurzfristig räumen. Da sie sonst keinen anderen Lagerplatz zur Verfügung hatte, deponierte sie sämtliche Unterlagen in Kartons unter der Stiege in dem dort befindlichen Stiegenhaus. Eine unbekannte dritte Person hat leider in weiterer Folge diese Kartons entweder verbracht oder gestohlen, sodass Frau ***Bf*** keine Möglichkeit mehr hat, auf irgendwelche Unterlagen zurückzugreifen. Es ist ihr daher schlichtweg nicht mehr möglich, die in Ihrem Schreiben angeführten Fragen zu beantworten bzw. diese durch Vorlage geeigneter Unterlagen zu belegen.
Es ist zusammengefasst Frau ***Bf*** im Zusammenhang mit den nicht entrichteten Abgaben der Firma ***GmbH1*** sowie der Firma ***GmbH2*** kein Verschulden zur Last zu legen. Sie hat sich aufgrund des oben dargestellten Sachverhaltes über Jahre hinweg in einer nachvollziehbaren absoluten persönlichen Ausnahmesituation befunden, welche sie selbst nicht verschuldet hat. Auswirkung waren wie bereits erwähnt auf persönlicher Ebene ein Burnout sowie ein langwieriger Krankenstand. Auf beruflicher Ebene bedeutete dies für sie das Ende ihrer wirtschaftlichen Existenz als Unternehmerin, den Verlust ihres Eigenheims sowie die Anhäufung offener Forderungen aufgrund offener Kredite sowie abgelaufener Zinsen aufgrund Fälligstellung in Höhe von ca. € 1,4 Mio. Wie bereits erwähnt befindet sich Frau ***Bf*** in einem laufenden Schuldenregulierungsverfahren. Ein Vermögensverzeichnis wurde abgelegt und auch bereits ein Zahlungsplan (mit Quote von 4,3401%) vorgelegt, welcher in der bevorstehenden Tagsatzung von den Gläubigern noch angenommen werden muss.
Es wird daher angeregt, vom Ausspruch der Haftung für die in den beiden Schreiben vom genannten Abgabenbeträge abzusehen."
Mit Haftungsbescheiden vom ist die Bf vom Finanzamt als Haftungspflichtige für die aushaftenden Abgabenschuldigkeiten der ***GmbH2*** im Ausmaß von EUR 96.644,89 sowie der ***GmbH1*** im Ausmaß von EUR 18.771,61 in Anspruch genommen und zur Entrichtung dieser Beträge innerhalb eines Monats ab Zustellung der Bescheide aufgefordert worden.
Die der Haftung zugrundeliegenden Bescheide sind den Haftungsbescheiden beigelegt, soweit die betreffenden Abgaben nicht aufgrund von Selbstberechnung und/oder laufender Anlastung auf den Gebarungskonten gebucht wurden.
In der Begründung führt die Abgabenbehörde im Wesentlichen aus, man sei nicht in der Lage zu prüfen, inwieweit das Finanzamt als Gläubiger benachteiligt worden sei, nachdem die gegenständlichen Abgaben nicht entrichtet wurden und der Nachweis der Mittelverwendung - aus welchen Gründen auch immer - nicht erbracht werden könne. Die Haftung bestehe somit zur Gänze, denn es habe nicht die Abgabenbehörde das Ausreichen der Mittel zur Abgabenentrichtung nachzuweisen, sondern der zur Haftung herangezogene Geschäftsführer das Fehlen ausreichender Mittel.
Die Heranziehung des Haftungspflichtigen bilde für die Abgabengläubiger die einzige gesetzlich vorgezeichnete Möglichkeit, noch aushaftende Abgaben einbringlich zu machen, weshalb grundsätzlich die Heranziehung zur Haftung gemäß § 9 BAO dem öffentlichen Interesse an einem gesicherten Abgabenaufkommen entspreche und daher im Fall der Uneinbringlichkeit beim Primärschuldner ermessenskonform sei.
Gegen die Haftungsbescheide wurde mit Schreiben vom Bescheidbeschwerde wegen Rechtswidrigkeit erhoben und gleichzeitig ein Antrag auf Nachsicht gemäß § 236 BAO gestellt.
Die bloß objektive Feststellung einer Pflichtverletzung sei keine Begründung für ein schuldhaftes Verhalten. Die Bf habe ausführlich, glaubhaft und nachvollziehbar dargetan, weshalb ihr die Erfüllung ihrer abgabenrechtlichen Verpflichtungen nicht möglich gewesen sei.
Die Uneinbringlichkeit der Abgabenforderung gründe in der Zahlungsunfähigkeit der Primärschuldner. Das Finanzamt sei als Gläubiger nicht schlechter gestellt, da im gegenständlichen Zeitraum so gut wie sämtliche Gläubiger nicht mehr bezahlt worden wären.
Fehlen dem Abgabenschuldner die zur Begleichung der Abgabenschulden notwendigen Mittel, schließe dies eine schuldhafte Verletzung der den Vertreter auferlegten Pflichten aus.
Zum Beweis wird die Einvernahme der Bf, des ehemaligen Geschäftsführers ***Gf*** und des ehemaligen Steuerberaters der Bf sowie der GmbH beantragt und wird auf E-Mail-Korrespondenz und OP-Listen der ***GmbH2*** verwiesen (weitere Beweise ausdrücklich vorbehalten).
Der Antrag der Bf vom um Bewilligung einer Nachsicht gemäß § 236 BAO wurde vom Finanzamt mit Bescheiden vom abgewiesen.
Mit Beschwerdevorentscheidungen vom sind die Beschwerden gegen die Haftungsbescheide als unbegründet abgewiesen worden.
Für das Haftungsverfahren sei es ohne Belang, aus welchen Gründen es zur Insolvenz der Gesellschaften gekommen sei.
Der Bf oblag es als Vertreterin, entsprechende Beweisvorsorge zu treffen. Unterlagen in einem zwangszuversteigernden Wohnhaus völlig frei zugänglich aufzubewahren, müsse als Verletzung der Verpflichtung zur Beweisvorsorge beurteilt werden.
Es seien von der Bf keine wie auch immer gearteten Argumente zur Haftungsbeschränkung dargetan worden.
Man habe die Bf deutlich auf die Beweislastumkehr hingewiesen. Die Bf habe darzutun, weshalb sie nicht dafür sorgen konnte, dass die Vertretenen die anfallenden Abgaben rechtzeitig entrichtet haben, widrigenfalls von der Abgabenbehörde eine schuldhafte Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten des Vertreters angenommen werden dürfe. Der Bf obliege der Nachweis, welcher Betrag bei Gleichbehandlung sämtlicher Gläubiger der Gesellschaften - bezogen auf den jeweiligen Fälligkeitszeitpunkt einerseits und das Vorhandensein liquider Mittel andererseits - an den Abgabengläubiger zu entrichten gewesen wäre; anderenfalls könne die Vertreterin für die uneinbringlichen Abgabenschulden der Vertretenen in voller Höhe zur Haftung herangezogen werden.
Es werde zudem darauf hingewiesen, dass nach der Rechtsprechung des VwGH bereits das Eingehen eines (Mantel-) Zessionsvertrages gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoße.
Das anhängige Schuldenregulierungsverfahren stehe in keinem erkennbaren Zusammenhang mit der Geltendmachung der Haftung.
Die Beweisanträge würden abgelehnt, weil die Einvernahmen der genannten Personen die unbedingt erforderliche rechnerische Darstellung der Gläubigergleichbehandlung nicht ersetzen könne. Für die übermittelte Korrespondenz würden die Ausführungen zur Zession gelten. Was mit den OP-Listen 2016 bewiesen werden soll, wurde nicht erläutert, weshalb diese keine Beweiskraft entfalten könnten.
Am hat die Bf beantragt, ihre Beschwerden vom dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vorzulegen.
Mit Schreiben vom hat die Bf ergänzend eine Krankenstandsbescheinigung der Gebietskrankenkasse vorgelegt, mit der die Arbeitsunfähigkeit der Bf ab aufgrund einer Erschöpfungsdepression bestätigt wird.
Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses des Bundesfinanzgerichts vom sind die gegenständlichen Rechtssachen der Gerichtsabteilung GA 7009 wegen Verhinderung abgenommen worden und wurden in der Folge der Gerichtsabteilung GA 7007 zugeteilt.
Die in den Bescheidbeschwerden beantragte mündliche Verhandlung ist am durchgeführt worden.
Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
§ 9 Abs 1 BAO bestimmt, dass die in den §§ 80 ff bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit haften, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.
Gemäß § 80 Abs 1 BAO haben die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen, und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.
Für die Frage der Haftung des Geschäftsführers kommt es darauf an, dass der Geschäftsführer die einzelnen Abgabenschuldigkeiten zu deren Fälligkeitszeitpunkten nicht entrichtet hat.
Bei Abgaben, für die die Abgabenvorschriften die Selbstberechnung vorsehen, ist maßgeblich, wann die Abgaben bei ordnungsgemäßer Selbstberechnung zu entrichten bzw abzuführen gewesen wären; maßgebend ist daher der Zeitpunkt ihrer (gesetzlichen) Fälligkeit, unabhängig davon, ob die Abgabe bescheidmäßig festgesetzt wird ().
Es trifft zu, dass nur schuldhafte Verletzungen abgabenrechtlicher Pflichten zur Haftungsinanspruchnahme berechtigen, eine bestimmte Schuldform ist jedoch nicht gefordert, weshalb bereits leichte Fahrlässigkeit genügt (zB , 91/13/0038; , 95/15/0137).
Nach ständiger Rechtsprechung hat der Vertreter darzutun, aus welchen Gründen ihm die Erfüllung abgabenrechtlicher Pflichten unmöglich war, widrigenfalls angenommen wird, dass die Pflichtverletzung schuldhaft war (zB ; , 2011/16/0184; , 2013/16/0166; , 2013/16/0208; , 2013/16/0016).
Wenn die Bf vorbringt, ihr sei kein Verschulden im Zusammenhang mit den nicht entrichteten Abgaben der ***GmbH2*** und der ***GmbH1*** zur Last zu legen, da sie sich in einer persönlichen Ausnahmesituation befunden hätte, welche sie selbst nicht verschuldet habe, ist festzuhalten, dass die Frage, ob den Geschäftsführer ein Verschulden am Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der GmbH trifft, für die Haftung gemäß § 9 BAO nicht von Bedeutung ist (zB ).
Nicht die Abgabenbehörde hat das Ausreichen der Mittel zur Abgabenentrichtung nachzuweisen, sondern der zur Haftung herangezogene Vertreter das Fehlen ausreichender Mittel ().
Als Folge des vom Vertreter im Haftungsverfahren darzutuenden Fehlens ausreichender Mittel zur Befriedigung der Abgabenverbindlichkeiten ergibt sich das Erfordernis der Gleichbehandlung aller Gläubiger der Gesellschaft.
Bei der Frage der Gleichbehandlung der Gläubiger kommt es darauf an, ob der Abgabengläubiger im Hinblick auf die vorhandenen Mittel des Abgabenschuldners dadurch benachteiligt wurde, dass die erfolgten Zahlungen an den Abgabengläubiger geringer ausgefallen sind, als sie bei Verwendung der liquiden Mittel und anteiliger Befriedigung des Abgabengläubigers ausgefallen wären ().
Die Bf bringt vor, das Finanzamt sei als Gläubiger nicht schlechter gestellt worden, da im betreffenden Zeitraum so gut wie sämtliche Gläubiger nicht mehr bezahlt worden seien. Nach eigenen Angaben könne sie einen entsprechenden Nachweis der Gläubigergleichbehandlung nicht antreten, da sie im Zuge der Zwangsversteigerung der Liegenschaft in ***SL*** ihr dort gelegenes Büro kurzfristig räumen musste und die von ihr im Stiegenhaus deponierten Unterlagen von einer unbekannten Person verbracht oder gestohlen wurden. Sie habe daher keine Möglichkeit mehr, auf irgendwelche Unterlagen zurückzugreifen.
In die angeforderten Liquiditätsrechnungen wären nach der VwGH-Rechtsprechung jedenfalls einzubeziehen:
• die gesamte Einnahmensituation,
• die gesamte Liquiditätssituation,
• die freiwillig geleisteten Zahlungen, die im Wege der Exekution entrichteten Beträge,
• die Zahlungen, die zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebes erforderlich sind,
• die von den Gesellschaften getätigten "systemerhaltenden" Ausgaben, zB Barzahlung neuer Materialien.
Eine Liquiditätsrechnung muss die in den Fälligkeitszeitpunkten der Abgaben der Gesellschaften zur Verfügung gestandenen Mittel, ihre offenen Verbindlichkeiten und die von ihr geleisteten Zahlungen enthalten ().
Die Bf hatte laut Aktenlage Kreditverträge abgeschlossen und die Mieteinnahmen gemäß Zessionsvereinbarung an die Banken zediert, welche diese einbehalten haben.
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (zB ) kann im Abschluss eines (globalen) Mantelzessionsvertrages, durch den einerseits die Bank als andrängender Gläubiger begünstigt, andererseits andere andrängende Gläubiger - insbesondere der Bund als Abgabengläubiger - benachteiligt werden, eine der Geschäftsführerin vorzuwerfende Pflichtverletzung liegen. Der Abschluss eines Mantelzessionsvertrages ist dem Vertreter dann vorzuwerfen, wenn er es unterlassen hat - insbesondere durch entsprechende Vertragsgestaltung - vorzusorgen, dass auch im Falle einer Änderung der Verhältnisse, wenn diese bei Aufwendung entsprechender Sorgfalt als nicht unvorhersehbar zu werten ist, die Bedienung der anderen Schulden, insbesondere der Abgabenschulden, nicht durch diesen Vertrag beeinträchtigt wird.
Der Geschäftsführerin, die für die künftige Abgabenentrichtung bei Abschluss des Zessionsvertrages keine Vorsorge getroffen hat, ist vorzuwerfen, keine Vorsorge gegen die bedingt durch den Zessionsvertrag eingetretene Benachteiligung des Abgabengläubigers getroffen zu haben, kann doch eine Erkrankung der Geschäftsführerin nicht als grundsätzlich unvorhersehbares Ereignis gewertet werden.
Die obigen Feststellungen sprechen demnach gegen eine Gleichbehandlung aller Gläubiger.
Nur wenn der Vertreter nachzuweisen vermag, welcher Betrag bei anteilsmäßiger Befriedigung der Forderungen an die Abgabenbehörde abzuführen gewesen wäre, haftet er nur für die Differenz zwischen diesem und der tatsächlich erfolgten Zahlung (vgl ).
Der Vertreter erfährt nur dann eine Einschränkung der Haftung, wenn er den Nachweis erbringt, welcher konkreter Abgabenbetrag auch bei einer gleichmäßigen Befriedigung der Gläubiger uneinbringlich gewesen wäre ().
Wie bereits ausgeführt ist es der Bf nicht gelungen, fälligkeitstagbezogen das Ausmaß der vorhandenen liquiden Mittel und den Betrag darzustellen, der bei Gleichbehandlung aller Gläubiger an die Abgabenbehörde zu entrichten gewesen wäre.
Die Bf wurde daher zu Recht uneingeschränkt zur Haftung herangezogen.
Wenn sich die Bf damit rechtfertigt, eine auf bestimmte Fälligkeitszeitpunkte abgestellte Liquiditätsrechnung habe sie schon deshalb nicht erbringen können, weil die Unterlagen aus ihrem Büro abhanden gekommen seien bzw der ehemalige Steuerberater die Zusammenarbeit beendet habe und die Herausgabe notwendiger Unterlagen von der Bezahlung des offenen Honorars abhängig gemacht worden sei, räumt sie damit selbst ein, den vom Finanzamt geforderten Nachweis nicht erbracht zu haben.
Dem Vertreter obliegt es nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, entsprechende Beweisvorsorgen - etwa durch das Erstellen und Aufbewahren von Ausdrucken - zu treffen. Dem Vertreter, der fällige Abgaben der Gesellschaft nicht (oder nicht zur Gänze) entrichten kann, ist schon im Hinblick auf seine mögliche Inanspruchnahme als Haftungspflichtiger zumutbar, sich jene Informationen zu sichern, die ihm im Fall der Inanspruchnahme als Haftungspflichtiger die Erfüllung der Darlegungspflicht im oben beschriebenen Sinn ermöglichen (; ).
Wenn Geschäftsunterlagen unter einer Treppe im Stiegenhaus eines Hauses gelagert werden, das zwangsversteigert werden soll, und in der Folge verschwinden, ist dies als fahrlässiges Verhalten einzustufen.
Im Sinne dieser Ausführungen ist die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid daher zu Recht von einer schuldhaften Pflichtverletzung der Bf ausgegangen.
Wie ausgeführt war die Bf im maßgeblichen Zeitraum alleinige Geschäftsführerin der ***GmbH2*** und der ***GmbH1***. Unstrittig ist die Stellung der Bf als für die Wahrnehmung der abgabenrechtlichen Pflichten im haftungsrelevanten Zeitraum verantwortlichen Vertreterin der Gesellschaften.
Die Uneinbringlichkeit der haftungsgegenständlichen Abgabenschuldigkeiten bei den Primärschuldnern, die wegen Vermögenslosigkeit amtswegig im Firmenbuch gelöscht worden sind, steht fest und konnte die Bf ihr Verschulden an der Nichtentrichtung dieser Abgaben nicht entkräften.
Die Inanspruchnahme zur Haftung liegt im Ermessen der Abgabenbehörde, wobei die Ermessensentscheidung im Sinne des § 20 BAO innerhalb der vom Gesetz gezogenen Grenzen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen ist.
Im Falle des Vorliegens einer schuldhaften Pflichtverletzung spricht eine Vermutung für die Verursachung der Uneinbringlichkeit der Abgaben durch die Pflichtverletzung und den Rechtswidrigkeitszusammenhang (). Es wurden keiner tauglichen Gründe vorgebracht, die Anhaltspunkte für einen Ausschluss des Kausal- bzw. des Rechtswidrigkeitszusammenhanges bieten würden; solche sind auch nicht aktenkundig. Die Haftung war daher im Interesse des Abgabengläubigers an der Einbringung der Abgaben geltend zu machen.
Nach ständiger Rechtsprechung stehen die von der Bf geltend gemachten "Billigkeitsgründe", nämlich das (damals) anhängige Schuldenregulierungsverfahren bzw ihre Arbeitsunfähigkeit in keinem erkennbaren Zusammenhang mit der Geltendmachung der Haftung und können die Ermessensübung somit nicht beeinflussen (vgl ).
Zur vorgelegten Krankmeldung bzw Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit ab ist festzustellen, dass die Bf aus Sicht des Bundesfinanzgerichtes trotz der bestätigten Erschöpfungsdepression weiterhin geschäftsfähig gewesen ist.
Dafür spricht insbesondere, dass sie im Dezember 2018 einen Liegenschaftsverkauf an die ***Käuferin*** geschäftsfähig ausverhandelt und rechtsgültig abgewickelt hat bzw der betreffende Kaufvertrag von ihr als selbständig zeichnungsberechtigte Geschäftsführerin der ***GmbH2*** notariell unterfertigt wurde.
Aus den genannten Gründen erweisen sich die angefochtenen Haftungsbescheide vom nicht als rechtswidrig und war wie im Spruch ausgeführt zu entscheiden.
Zur Zulässigkeit der Revision
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Diese Voraussetzungen sind - insbesondere im Hinblick auf die zitierte Rechtsprechung des VwGH - nicht erfüllt.
Salzburg, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 9 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 9 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 80 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2022:RV.6100021.2021 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at