Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 03.02.2023, RV/6100182/2022

Auflösung des Gewinnfreibetrages bei Betriebsaufgabe

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter_A in der Beschwerdesache Beschwerdeführerin, Anschrift_A vertreten durch Steuerberater_A, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Einkommensteuer für das Jahr 2020, Steuernummer StNr._1, zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) zulässig.

Entscheidungsgründe

1.) Sachverhalt:
Die Beschwerdeführerin war bis zum als Ärztin in Anschrift_B tätig. Die Abgabepflichtige hielt in ihrem Betriebsvermögen die in den Jahren 2016 bis 2019 erworbenen Wertpapiere, für welche investitionsbedingte Gewinnfreibeträge geltend gemacht worden waren (siehe Jahresabschluss zum sowie das Anlagenverzeichnis Wertpapiere).

Über Vorhalt des Finanzamtes Österreich vom reichte die Abgabepflichtige am ua. den Jahresabschluss 2020 mit Anlagenverzeichnis Wertpapiere nach.

Das Finanzamt Österreich berichtigte im Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2020 (mit Ausfertigungsdatum ) den erklärten Gewinn aus selbständiger Arbeit um einen nachzuversteuernden Freibetrag sowie den Wertverlust der entnommenen Wertpapiere. Begründend führte die Abgabenbehörde in der händischen Bescheidbegründung vom hierzu aus wie folgt:
"Werden begünstigte Wirtschaftsgüter im Fall einer Betriebsaufgabe vor Ablauf der Behaltefrist ins Privatvermögen entnommen, kommt es zur Nachversteuerung. Der Nachversteuerungsbetrag ist Teil des Veräußerungsgewinnes (§ 24 EStG 1988).
Der Investitionsbedingte Gewinnfreibetrag der Jahr 2016, 2017, 2018 und 2019 wird im Zuge der
mit erfolgten Betriebsaufgabe nachversteuert, da die Behaltefrist von 4 Jahren nichteingehalten wurde.

[...]

Die Anschaffung der Wirtschaftsgüter des Jahres 2016 erfolgte am . Die 4-Jahresfristläuft von Tag zu Tag. Daher war auch hier die Behaltefrist nicht gegeben.Da es sich im gegst. Fall um ein sog. begünstigte Betriebsaufgabe gem. § 37(5) EStG handelt(Pensionsfall), erfolgt die Nachversteuerung zum 1/2 Steuersatz.
Im Zuge der Betriebsaufgabe müssen auch die Wertpapiere aus dem Betriebsvermögen
entnommen werden. Dies ist bisher nicht erfolgt. In Höhe des Unterschiedsbetrages zwischenKurswert It. Depotauszug und anteiligen Buchwert kommt es zu einer Gewinnrealisierung. DieserWert unterliegt dem Sondersteuersatz von 27,5%. Da es sich hierbei um einen Verlust handelt,sind 55% des Verlustes dem Veräußerungs/Aufgabegewinn zuzurechnen."

[...]

In der gegen den Einkommensteuerbescheid für 2020 - nach Fristverlängerung - fristgerecht erhobenen Beschwerde vom führte der steuerliche Vertreter der Beschwerdeführerin aus wie folgt:
"Frau Beschwerdeführerin hat im Zuge der Veräußerung der Ordination die im Betriebsvermögenbefindlichen Wertpapiere (invFB) nicht auf den Erwerber übertragen. Darin erblickt die Finanzbehördeeinen Nachversteuerungstatbestand. Unseres Erachtens ist ein solcher nicht gegeben und erlaubenuns diesbezüglich auf die Ausführungen von Prof. Beiser (SWK 09/2017,498) zu verweisen:
"Behält der Veräußerer eines Betriebes seine Wertpapiere für einen investitionsbedingten
Gewinnfreibetrag in seinem wirtschaftlichen Eigentum (§ 24 BAO), so bleiben die Wertpapierebeim Veräußerer notwendiges nachträgliches Betriebsvermögen. Erst mit dem Ablauf derBehaltefrist von vier Jahren erlischt die betriebliche Veranlassung durch den GFB und damit dieQualität als notwendiges Betriebsvermögen.Wird die Behaltefrist erfüllt, so unterbleibtfolgerichtig eine Nachversteuerung.Für eine solche Auslegung spricht das Ziel, durch einen GFB einen Ausgleich für dieTarifbegünstigung nach § 67 EStG zu schaffen. Eine Nachversteuerung trotz Anschaffen und Behalten der Wertpapierefür einen investitionsbedingten Gewinnfreibetrag ist sachlich (Art 7 B-VG) nicht zu rechtfertigen: Ein GFB begünstigt nicht Betriebsveräußerungen, sondern dieErtragsbesteuerung der laufenden Gewinne bis zur Betriebsveräußerung. EineNachversteuerung widerspricht der Zielsetzung, laufende Betriebsgewinne nach dem Vorbildder Sechstelbegünstigung des § 67 EStG zu begünstigen: Arbeitnehmer, die kündigen, müssennicht die nach § 67 EStG begünstigt besteuerten Bezüge der letzten vier Jahre nachversteuern."
Wir teilen diese Ansicht und beantragen wie folgt:
• die Wertpapiere aus den Jahren 2017 - 2019 und den damit verbundenen investitionsbedingten
Freibetrag in Höhe von EUR Zahl_1 nicht der Nachversteuerung zu unterwerfen, da dieseWertpapiere noch vorhanden sind. Die diesbezüglichen Depotauszüge erlauben wir unsnachzureichen.
• Die unmittelbare Vorlage dieses Antrages an das zuständige Bundesfinanzgericht unter
Übermittlung des Vorlageberichtes".

Das Finanzamt Österreich legte dem Bundesfinanzgericht die Beschwerde mit Vorlagebericht vom fristgerecht zur Entscheidung vor.

2.) Beweiswürdigung:
Der streitgegenständliche Sachverhalt ergibt sich im Wesentlichen aus der vorliegenden unstrittigen Aktenlage, insbesondere aus den oben näher bezeichneten Unterlagen.

3.) Rechtslage:
Bei natürlichen Personen kann gemäß § 10 Abs. 1 EStG 1988 bei der Gewinnermittlung eines Betriebes ein Gewinnfreibetrag gewinnmindernd geltend gemacht werden.
Übersteigt die Bemessungsgrundlage 30 000 Euro, steht nach § 10 Abs. 1 Z 4 EStG ein investitionsbedingter Gewinnfreibetrag insoweit zu, als er durch Anschaffungs- oder Herstellungskosten begünstigter Wirtschaftsgüter gemäß Abs. 3 gedeckt ist.
Der investitionsbedingte Gewinnfreibetrag kann gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 EStG für das Wirtschaftsjahr der Anschaffung oder Herstellung begünstigter Wirtschaftsgüter (Abs. 3) geltend gemacht werden. Er ist mit den Anschaffungs- oder Herstellungskosten begrenzt.

Scheiden Wirtschaftsgüter, für die der investitionsbedingte Gewinnfreibetrag geltend gemacht worden ist, vor Ablauf der Frist von vier Jahren aus dem Betriebsvermögen aus oder werden sie ins Ausland - ausgenommen im Falle der entgeltlichen Überlassung in einen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einen Staat des Europäischen Wirtschaftsraumes - verbracht, gilt nach § 10 Abs. 5 EStG Folgendes:
1. Der investitionsbedingte Gewinnfreibetrag ist insoweit gewinnerhöhend anzusetzen. Der gewinnerhöhende Ansatz hat im Jahr des Ausscheidens oder des Verbringens zu erfolgen.
2. ….
Im Falle des Ausscheidens eines Wirtschaftsgutes infolge höherer Gewalt oder behördlichen Eingriffs unterbleibt der gewinnerhöhende Ansatz.

4.) Erwägungen:
4.a) Strittig ist, ob der für die Anschaffung von Wertpapieren im Rahmen eines Betriebes geltend gemachte Gewinnfreibetrag gemäß § 10 EStG 1988 anlässlich der Aufgabe des Betriebes im Jahr 2020 aufzulösen ist.
Unbestritten ist, dass die Wertpapiere Teil des Betriebsvermögens des Betriebs als Ärztin (§ 22 Z 1 lit. b EStG 1988) waren und die von § 10 Abs. 5 EStG 1988 geforderte Mindesthaltedauer von 4 Jahren zum Zeitpunkt der Betriebsaufgabe am noch nicht abgelaufen war.

Das Finanzamt vertritt die Auffassung, dass mit der Betriebsaufgabe die Wertpapiere aus dem Betriebsvermögen ausgeschieden seien und ab diesem Zeitpunkt notwendiges Privatvermögen darstellen. Es liege daher der Nachversteuerungstatbestand des § 10 Abs. 5 EStG 1988 vor.

Die Beschwerdeführerin hält dem entgegen, dass die Wertpapiere nicht übertragen worden wären und sich weiterhin in ihrem Eigentum befänden. Sie würden "somit notwendiges nachträgliches Betriebsvermögen darstellen." Weiters wird auf die Meinung Beisers verwiesen, wonach es im gegenständlichen Fall zu einer nicht systematisch konsistenten und somit nach Art. 7 B-VG gleichheitswidrigen Auslegung der Rechtslage durch die Finanzverwaltung komme (siehe Beiser in SWK 2017, 498ff).

Beiser führt aus, dass es systematisch konsistent und sachlich geboten (Art. 7 B-VG) wäre, bei der Behaltefrist und einer etwaigen Nachversteuerungspflicht nach § 10 EStG 1988 auf das wirtschaftliche Eigentum abzustellen. Wer die Wertpapiere für einen investitionsbedingten GFB in seinem wirtschaftlichen Eigentum (§ 24 BAO) hält, kann nach seiner eigenen Disposition die Behaltefrist erfüllen oder nicht erfüllen. Es wäre sachlich (Art 7 B-VG) nicht zu rechtfertigen, die Nachversteuerungspflicht vom wirtschaftlichen Eigentum und der damit verbundenen Disposition über die Erfüllung der Behaltedauer künstlich (ohne Not) abzuspalten (Beiser in SWK 2017, 499).

Für den Fall der Betriebsaufgabe sieht Beiser folgende Lösung vor: Wird ein Betrieb aufgegeben, so bleiben die Wertpapiere für einen investitionsbedingten Gewinnfreibetrag notwendiges nachträgliches Betriebsvermögen, soweit sie bis zum Ablauf der Behaltefrist gehalten werden: Anschaffen und Halten sind durch den betrieblichen GFB verursacht (veranlasst/bedingt). Erst mit dem Ablauf der Behaltefrist von vier Jahren erlischt diese betriebliche Veranlassung und damit auch die Qualität als notwendiges Betriebsvermögen (Beiser in SWK 2017, 499).

Die Auffassung der Beschwerdeführerin vermag nicht zu überzeugen. Wie das Bundesfinanzgericht zu dieser Frage bereits in verschiedenen Entscheidungen (vgl. ua. ; ; ; ) ausgeführt hat, müssen Wertpapiere, für die eine Inanspruchnahme des Gewinnfreibetrages nach § 10 EStG 1988 begehrt wurde, ab dem Anschaffungszeitpunkt mindestens vier Jahre dem Anlagevermögen des Betriebes gewidmet sein. Eine Betriebsaufgabe führt hinsichtlich der nicht veräußerten Wertpapiere dazu, dass diese aus dem Betriebsvermögen ausgeschieden und nunmehr dem Privatvermögen des ehemaligen Betriebsinhabers zuzurechnen sind. Auf ein nachträgliches Halten der Wertpapiere nach erfolgter Betriebsaufgabe kommt es nicht mehr an.

Die unstrittige gegenständliche Betriebsaufgabe führte damit zwangsläufig dazu, dass die gegenständlichen Wertpapiere aus dem Betriebsvermögen ausgeschieden sind und nunmehr dem Privatvermögen der Beschwerdeführerin angehören. Mit der Betriebsaufgabe erlosch demnach die betriebliche Sphäre und die Wertpapiere gingen in die private Sphäre der Beschwerdeführerin über.

4.b) Der Ansicht Beisers, wonach es geboten erscheint, im Falle der gegenständlichen Wertpapiere von einem "notwendigen nachträglichen Betriebsvermögen" auszugehen, widerspricht Atzmüller in SWK 2017, S 656 ff. Atzmüller führt aus, dass der wertpapiergedeckte Gewinnfreibetrag den Charakter einer Begünstigung zur Stärkung des Betriebskapitals habe. Das setze natürlich die Existenz eines Betriebes voraus, damit diese Zielsetzung erreicht werden könne. Nach Betriebsveräußerung oder -aufgabe könnten vom bisherigen Betriebsinhaber keine betrieblichen Investitionen mehr getätigt werden; Betriebskapital sei dafür naturgemäß nicht mehr erforderlich. Der Einhaltung der Behaltefrist nach erfolgter Betriebsaufgabe fehle somit jeder Sinn, wenn es einen Betrieb, dessen Kapital gestärkt werden könnte, nicht mehr gebe. Es sei auch sachlich (Art 7 B-VG) keineswegs geboten, eine Dispositionsbefugnis weiter einzuräumen. Mit der Betriebsaufgabe oder -veräußerung habe der Steuerpflichtige den betrieblichen Zusammenhang in Bezug auf die Wertpapiere gelöst und eine Disposition getroffen, für die das Gesetz die Konsequenz der Nachversteuerung vorsiehe. Es sei nach Art 7 B-VG nicht geboten, ihn davon zu entbinden.

Diese Ausführungen decken sich auch mit der Ansicht von Mayer in BFG journal 2020, 240: "Werden zur Inanspruchnahme eines investitionsbedingten Gewinnfreibetrags gemäß § 10 EStG Wertpapiere angeschafft, sind diese, unter Beachtung der Bestimmungen über Ersatzbeschaffungen gemäß § 10 Abs. 5 Z 2 iVm Abs. 3 Z 1 EStG, für die Dauer von mindestens vier Jahren dem Betriebsvermögen zu widmen. Wird diese Behaltefrist nicht erfüllt, hat gemäß § 10 Abs. 5 Z 1 EStG eine Nachversteuerung durch gewinnerhöhenden Ansatz des geltend gemachten Gewinnfreibetrags im Jahr des Ausscheidens der Wertpapiere aus dem Betriebsvermögen zu erfolgen. Durch eine Betriebsaufgabe bzw. -veräußerung ohne Übertragung der Gewinnfreibetragswertpapiere gehen diese nach Ansicht des BFG ins Privatvermögen des ehemaligen Betriebsinhabers über. Erfolgt dies innerhalb der Behaltefrist, hat eine entsprechende Nachversteuerung zu erfolgen. Die Möglichkeit, für die Anschaffung von Wertpapieren den investitionsbedingten Gewinnfreibetrag steuerlich geltend zu machen, zeigt insbesondere iZm den Regelungen über die Ersatzbeschaffung mMn die klare Absicht des Gesetzgebers, dadurch das Kapital des Betriebs für zukünftige Investitionen zu stärken. Erlischt die Verbindung zum Betriebsvermögen, kann dieser Zweck durch das Halten der Wertpapiere nicht mehr verfolgt werden. Daher ist die Entscheidung des BFG mE die Folge der richtigen teleologischen Auslegung des Gesetzes."

Werden begünstigte Wirtschaftsgüter im Zuge der Betriebsveräußerung vor Ablauf der Behaltefrist entnommen, erhöht der Nachversteuerungsbetrag den Veräußerungsgewinn (Jakom/Kanduth-Kristen, EStG, 2022, § 10 Rz 29). Im Falle einer Betriebsaufgabe gelangen die Wirtschaftsgüter ins Privatvermögen, was die Nachversteuerung auslöst (Mühlehner in Hofstätter/Reichel, EStG 1988 Kommentar, § 10 Rz 8.2).

4.c) Auch im vorliegenden Fall schließt sich das Bundesfinanzgericht der bisherigen einheitlichen Rechtsprechung des Bundesfinanzgerichtes und den überwiegend gleichlautenden Literaturmeinungen an.

Die streitgegenständlichen Wertpapiere, die in den Jahren 2016 bis 2019 für den Betrieb angeschafft wurden, sind somit mit der erfolgten Betriebsaufgabe der Beschwerdeführerin am vorzeitig aus dem Betriebsvermögen ausgeschieden. Da weiters unbestritten ist, dass die Wertpapiere weder infolge höherer Gewalt noch infolge behördlichen Eingriffs aus dem Betriebsvermögen ausgeschieden sind, ist der entsprechende Gewinnfreibetrag nach § 10 Abs. 5 EStG 1988 nachzuversteuern.

Das Bundesfinanzgericht hat auf Grund der obigen Ausführungen auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Nachversteuerung des mit den Wertpapieren gedeckten Gewinnfreibetrages.

5.) Zulässigkeit einer Revision:
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Zur Frage der Nachversteuerung von mit Wertpapieren gedeckten Gewinnfreibeträgen bei einer Betriebsaufgabe existiert zwar eine Rechtsprechung des Bundesfinanzgerichtes und gibt es auch eine nahezu einhellige Lehrmeinung, aber eine einschlägige Rechtsprechung des VwGH fehlt. Die Revision war daher als zulässig anzusehen

Innsbruck, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2023:RV.6100182.2022

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at