Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 30.01.2023, RV/1100165/2022

Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens als Mittel, um vergessene, einkommensmindernde Aufwendungen nachträglich geltend zu machen

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***Ri***

in der Beschwerdesache des ***Bf1***, ***Bf1-Adr***,

betreffend die Bescheide des ***FA*** vom

hinsichtlich Abweisung von Anträgen auf Wiederaufnahme § 303 BAO / ESt 2018 und ESt 2019 Steuernummer, ***BF1StNr1***,

zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerden werden gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Der Beschwerdeführer brachte gegen die rechtskräftigen Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre mit der Begründung, er habe vergessen, als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigende Kosten geltend zu machen, Anträge auf Abänderung gemäß § 295a BAO ein. Sie wurden durch die Abgabenbehörde als Anträge auf Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 Abs. 1 BAO umgedeutet.

Mit den gegenständlich angefochtenen Bescheiden wurden seine Anträge seitens der Abgabenbehörde abgewiesen und begründend ausgeführt:

Zweck einer Wiederaufnahme wegen Neuerungen im Sinne des § 303 Abs. 1 lit. b BAO sei die Berücksichtigung von bisher unbekannten, aber entscheidungswesentlichen Sachverhaltselementen. Gemeint seien also Tatsachen, die zwar im Zeitpunkt der Bescheiderlassung bereits existierten, aber erst danach hervorgekommen seien. Bei einem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens sei das neue Hervorkommen von Tatsachen aus der Sicht des Antragstellers zu beurteilen. Für den Antragsteller altbekannte Tatsachen reichten dazu nicht aus, d. h., die nachträgliche Geltendmachung vergessener Absetzbeträge, Freibeträge, Werbungskosten, Sonderausgaben oder außergewöhnlicher Belastungen könne nicht zu einer Wiederaufnahme des Verfahrens führen.

Der Beschwerdeführer brachte Beschwerden gegen die abweisenden Bescheide ein und erläuterte:

Das Finanzamt habe ihm mitgeteilt, eine Wiederaufnahme des Verfahrens diene nicht dazu, vergessene Sonderausgaben und Absetzbeträge nachträglich, nach Rechtskraft der Bescheide, geltend zu machen. Leider habe er bei den ursprünglichen Eingaben für seinen Sohn eine auswärtige Ausbildung angegeben, jedoch nicht die Anzahl der Monate, weiters unrichtig, die Kosten einer Kinderbetreuung. Zudem habe er die Darlehenstilgung für das neu errichtete Eigenheim nicht beantragt, die schon in den Vorjahren berücksichtigt worden sei. Seiner Meinung nach hätten diese Punkte der Abgabenbehörde auffallen müssen und eine Rückfrage hätte zur Klärung der unrichtigen Angaben beigetragen.

Was das Verfahren mit FinanzOnline und die damit verbundene elektronische Zustellung betreffe, begründe er das Versäumen der Rechtsmittelfrist damit, dass er nicht tagtäglich den Bearbeitungsstand seiner eingebrachten Erklärungen verfolge, sondern lediglich in Zeitabständen von mehreren Wochen. Deshalb habe er diese rasche Erledigung durch die Finanzbehörde nicht bemerkt. Zwecks Richtigstellung habe er die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragt.

Es habe in dieser Sache auch das Finanzamt Fehler gemacht, schließlich müsse es die Angaben der Steuerbürgerinnen und Steuerbürger und amtsbekannte Umstände, wie z.B. Darlehensrückzahlungen aus Vorjahren, auch zugunsten der Steuerpflichtigen prüfen und würdigen. Er ersuche daher um Wiederaufnahme des Verfahrens unter Berücksichtigung der nachträglich geltend gemachten Punkte.

Es ergingen abweisende Beschwerdevorentscheidungen, die wie nachstehend begründet wurden:

In den angefochtenen Bescheiden sei ausgeführt worden, dass gegenständlich neu hervorgekommene Tatsachen nicht vorlägen. Für den Antragsteller altbekannte Tatsachen rechtfertigten nämlich nicht eine Wiederaufnahme des Verfahrens. Dazu zählten auch in der Erklärung zur Arbeitnehmerveranlagung vergessene Freibeträge, weil die einem Freibetrag zugrundeliegenden Ausgaben bezahlt worden seien und damit dem Antragsteller sehr wohl bekannt seien. Das in den Beschwerden angesprochene Ermessen komme nicht in Betracht, da diese Bestimmung das Vorliegen einer neuen Tatsache voraussetze. Die Abweisung der als Wiederaufnahmeanträge gewerteten Eingaben sei somit zu Recht erfolgt.

Der Beschwerdeführer brachte in der Folge Anträge auf Vorlage seiner Beschwerden an das Bundesfinanzgericht ein verwies auf das bereits in den Beschwerden Vorgebrachte.

In der Stellungnahme zum Vorlagebericht wurde seitens der Abgabenbehörde angemerkt, dass die Anträge des steuerlich nicht vertretenen Beschwerdeführers zu seinem weitestgehenden Vorteil als Anträge auf Wiederaufnahme gemäß § 303 BAO gedeutet worden seien. Anträgen gemäß § 295a BAO wäre kein Erfolg beschieden gewesen, weil das Unterlassen der Geltendmachung von Aufwendungen kein rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 295a BAO darstelle. Einer Vorgangsweise gemäß § 299 BAO wäre wegen bereits abgelaufener Jahresfrist der Boden entzogen gewesen.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

  1. Der Einkommensteuerbescheid 2018 stammt vom , der Einkommensteuerbescheid 2019 vom .

  2. Am brachte der Beschwerdeführer im Hinblick auf diese Bescheide Anträge auf Änderung gemäß § 295a BAO ein, mit der Begründung, er habe vergessen außergewöhnliche Belastungen geltend zu machen.

  3. Zum Vorteil des Beschwerdeführers interpretierte die Abgabenbehörde die Anträge gemäß § 295a BAO als Anträge auf Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 Abs. 1 BAO.

  4. Die Anträge auf Wiederaufnahme des Verfahrens wurden in der Folge mangels aus Sicht des Antragstellers neu hervorgekommener Tatsachen mit Bescheiden vom abgewiesen.

  5. Der Beschwerdeführer brachte rechtzeitig Beschwerden ein, in denen er die Abgabenbehörde im Wesentlichen um eine nachsichtige und kulante Lösung ersuchte.

  6. Am ergingen abweisende Beschwerdevorentscheidungen, am wurden Vorlageanträge eingebracht.

2. Gesetzliche Grundlagen und rechtliche Würdigung:

2.1. Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)

Gemäß § 303 Abs. 1 lit. b BAO kann ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind (Neuerungstatbestand) und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anderslautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

Strittig ist: Rechtfertigen die seitens des Beschwerdeführers vorerst vergessenen, in den Bereich der Sonderausgaben und außergewöhnlichen Belastungen fallenden Aufwendungen, eine Wiederaufnahme des Verfahrens auf Antrag?

Zweck der Wiederaufnahme wegen Neuerungen ist die Berücksichtigung von bisher unbekannten, aber entscheidungswesentlichen Sachverhaltselementen. Gemeint sind Tatsachen, die zwar im Zeitpunkt der Bescheiderlassung im abgeschlossenen Verfahren bereits existiert haben, aber erst danach hervorgekommen sind ().

Bei einem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens ist das Neuhervorkommen von Tatsachen aus der Sicht des Antragstellers, d. h. im gegenständlichen Fall des Beschwerdeführers, nicht aber aus jener der Abgabenbehörde zu beurteilen.

Für die Erfolgschance des eingebrachten Antrages auf Wiederaufnahme des Verfahrens bedeutet dies, dass dem Beschwerdeführer die Tatsache der ihm erwachsenen Sonderausgaben und außergewöhnlichen Belastungen gar nicht bekannt gewesen sein hätte dürfen. Gerade dies ist aber denkunmöglich, zumal der Beschwerdeführer die entsprechenden Aufwendungen bewusst getätigt und ihren Abfluss aus seiner Vermögenssphäre offenkundig realisiert hat.

Soweit er in der Folge die einkommensmindernde Geltendmachung seiner Aufwendungen aus Unachtsamkeit verabsäumt hat, gibt ihm dies keinen Rechtstitel für die Durchführung einer Wiederaufnahme des Verfahrens auf seinen Antrag hin. Nach herrschender Lehre und Judikatur ist es nämlich nicht Sinn und Zweck einer Verfahrenswiederaufnahme, Versäumnisse einer Partei durch beliebigen Eingriff in rechtskräftige Bescheide auf diesem Wege nachträglich zu sanieren (vgl. ).

Dass der Beschwerdeführer schon a priori hinsichtlich der via FinanzOnline in die Databox zugestellten Bescheide die gesetzesgemäße Rechtsmittelfrist ungenützt verstreichen ließ, fällt ebenso in die von ihm zu verantwortende Sphäre.

Auch eine - wie von Seiten des Beschwerdeführers festgestellte, allenfalls vorliegende, fehlende Sorgfalt der Abgabenbehörde - verwirklicht keinen Tatbestand, der zum Eingriff in den Bestand von rechtskräftigen Bescheiden berechtigen würde (vgl. ). Eine insoweit seitens des Beschwerdeführers angeregte "kulante" Lösung würde überdies dem in einem Rechtsstaat geltenden Legalitätsprinzip (Art. 18 Abs. 1 B-VG) und - daraus abgeleitet - dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung widersprechen.

Auf die Ausführungen in der Beschwerdevorentscheidung wird verwiesen.

Insgesamt war wie im Spruch zu entscheiden.

2.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die Lösung der in Streit stehenden Rechtsfrage findet Deckung in der höchstgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. etwa ).

Feldkirch, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 303 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 303 Abs. 1 lit. b BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 295a BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2023:RV.1100165.2022

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at