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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 12.01.2023, RV/6100214/2022

Antrag gem. § 295 Abs. 4 BAO nach Fristablauf

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Mag. Erich Schwaiger in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Unterberger Fidas Salzburg Steuerberatung GmbH & Co KG, Linzer Bundesstraße 101, 5023 Salzburg-Gnigl, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend die Zurückweisung des Antrages vom auf Aufhebung des Einkommensteuerbescheides 1995 gemäß § 295 Abs. 4 BAO zu Recht erkannt:

I.
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

II.
Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde fällt in die Zuständigkeit des Fachgebietes FE 6 und damit in die Zuteilungsgruppe 7001. Auf Basis der gültigen Geschäftsverteilung wurde sie der Gerichtsabteilung 7013 zur Entscheidung zugewiesen.

I. Verfahrensgang und Aktenstand

Der steuerlich vertretene Beschwerdeführer (kurz Bf.) beantragte mit Schriftsatz vom die Einkommensteuerbescheide 1995, 1996, 1999 und 2000 gem. § 295 Abs. 4 BAO (ersatzlos) aufzuheben.

Das Bundesfinanzgericht habe mit RV/7102115/2004 (Beilage 1) den Einspruch der ABC****GmbH & Co KG gegen die Erledigungen des Finanzamtes für den 1. Bezirk in Wien vom betreffend die Nichtfeststellung von Einkünften aus Gewerbebetrieb für die Jahre 1995 bis 2000 mangels tauglicher Anfechtungsobjekte als unzulässig zurückgewiesen (§ 260 Abs 1 lit a iVm § 243 BAO). Die Kernaussage unten auf Seite 10 des BFG-Beschlusses laute:

"Gemäß § 260 Abs 1 lit a BAO ist eine Bescheidbeschwerde mit Beschluss zurückzuweisen, wenn sie nicht zulässig ist. Unzulässig ist eine Bescheidbeschwerde ua bei mangelnder Bescheidqualität, wenn also eine an sich Bescheidcharakter aufweisende Erledigung unwirksam ist.
Die angefochtenen Erledigungen sind nach dem Gesagten unwirksam. Die gegen diese Erledigungen gerichtete Beschwerde ist daher als unzulässig zurückzuweisen."

Der Bf. sei an dieser Personengesellschaft als Kommanditist beteiligt gewesen.

Die aufzuhebenden Einkommensteuerbescheide seien allesamt Änderungsbescheide gem. § 295 Abs. 1 BAO; die Nachforderung (insgesamt EUR 9.015,07) resultiere aus dieser Beteiligung; die Bescheide lägen bei (Beilagen 2 bis 5). Da die als Grundlagenbescheide beabsichtigten Erledigungen des damaligen Finanzamtes Wien 1 keine Bescheidqualität erlangt hätten, erweise sich die daraus abgeleitete Steuerschuld als unberechtigt und ungerecht.

Dieser Antrag sei aus den Gründen des § 295 Abs. 4 letzter Satz iVm § 304 lit. b BAO rechtzeitig, weil die dort genannte Dreijahresfrist erst mit der Zustellung des zitierten zu laufen begonnen habe. § 304 BAO sei eine Norm des Verfahrensrechts und sei ab dem Zeitpunkt seines Inkrafttretens anzuwenden, und zwar auch auf solche Rechtsvorgänge, die sich vor dessen Inkrafttreten ereignet haben (Hinweis auf ). Das gelte auch hier, da die Neufassung des § 304 BAO durch Art. 9 Z 25 und 26 JStG 2018, BGBl I 2018/62, dazu keine nähere Aussage treffe. Die Inkrafttretensregelung laute (§ 323 Abs. 56 BAO idF Art 1926 JStG 2018):

"(56) § 118 Abs. 2 Z 1 bis 3 und Z 5, § 209a Abs. 2, § 240a und § 304, jeweils in der Fassung des BGBl. I Nr. 62/2018, treten mit in Kraft."

Diese Neuregelung komme nach allgemeinem Regime auch dem Bf. Mandantin zugute.

Aus dem beiliegenden Einkommensteuerbescheid 1995 vom ist ersichtlich, dass es sich um einen Änderungsbescheid gem. § 295 Abs. 1 BAO handelt. Die Änderung fußt laut Bescheid auf den bescheidmäßigen Feststellungen des Finanzamtes Wien 1 zu Steuernummer ###/#### (Steuernummer die ABC****GmbH & Co KG) vom .

Aus dem vorgelegten , der dem zu beurteilenden Antrag gem. § 295 Abs. 4 BAO zugrunde liegt, ist ersichtlich, dass damit über eine Beschwerde der ABC****GmbH & Co KG "gegen die Erledigungen des Finanzamtes für den 1. Bezirk vom , betreffend Nichtfeststellung von Einkünften aus Gewerbebetrieb für die Jahre 1995 bis 2000" abgesprochen wurde. Diese Erledigungen wurden mit einem Hinweis auf den BP-Bericht vom begründet.

Das FA wies diesen Antrag betreffend alle vier betroffenen Jahre mit Bescheid vom zurück und begründete dies im Kern damit, er sei verspätet eingebracht worden.

Dies bekämpfte der Bf. vollinhaltlich mit Beschwerde vom und rügte die Entscheidung als rechtswidrig. Er bestritt die Verspätung - ohne weitere Begründung - energisch und hielt fest, selbst wenn das FA damit im Recht wäre, erwiese sich die Rechtsgrundlage als evident verfassungswidrig, weil der Bf. für das Prinzip Langsamkeit auf staatlicher Seite "bestraft" werde. Solcherart ziehe er einen Gang zum VfGH in Erwägung.

Das FA wies die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom als unbegründet ab. Mit dem COVID-19-Steuermaßnahmengesetz (COVID-19-StMG - BGBl I 2021/3, ausgegeben am ) bzw. in Reaktion des Gesetzgebers auf sei die gesetzliche Neufassung der verfahrensrechtlichen Norm des § 295 Abs. 4 BAO erfolgt. Die Bestimmung sehe vor, dass ein Antrag auf Aufhebung eines abgeleiteten Bescheides, der auf ein Dokument gestützt ist, das als Feststellungs- oder Nichtfeststellungsbescheid erklärt wurde, innerhalb eines Jahres ab Zurückweisung der Bescheidbeschwerde gegen den Nichtbescheid gestellt werden könne. Die Neufassung der Bestimmung durch das COVID-19-StMG knüpfe also an eine rechtskräftige Entscheidung über eine Beschwerde gegen den Grundlagenbescheid an, mit der ausgesprochen wurde, dass es sich um eine nichtige Erledigung handelt. Daran anschließend könne nun ein Bescheid, dem der nichtige Grundlagenbescheid zugrunde gelegt wurde, auf Antrag, der innerhalb eines Jahres zu stellen ist, aufgehoben werden. Der gegenständliche BFG-Beschluss sei am ergangen. Der Antrag auf Aufhebung gem. § 295 Abs. 4 BAO datiert vom sei demzufolge unter Anwendung der geltenden Rechtslage zum § 295 Abs. 4 BAO als verspätet anzusehen.

Die Verspätung des Antrags stehe in keinem Zusammenhang mit einem "Liegenbleiben bei der Behörde". Schließlich knüpfe die in § 295 Abs. 4 BAO normierte Frist an die Erledigung des Beschwerdeverfahrens hinsichtlich des vermeintlichen Grundlagenbescheids an, dh. sie beginne erst zu laufen, nachdem die Zurückweisung der Beschwerde gegen den Bescheid in formelle Rechtskraft erwachsen ist.

Bezüglich des Arguments des Bf., die Bestimmung sei verfassungswidrig, sei folgendes hinzuzufügen bzw. anzumerken. Im gegenständlichen Verfahren, wären entsprechende Mängel in der Stufe der Anwendung des materiellen Rechts, somit im Festsetzungsverfahren der damals erlassenen Einkommensteuerbescheide betreffend der Jahre 1995, 1996, 1999 und für das Jahr 2000 im Rahmen der möglichen Rechtszüge aufzuzeigen gewesen. Gegen diese abgeleiteten Einkommensteuerbescheide sei damals kein Rechtsmittel bzw. auch kein vorsorgliches Rechtsmittel ergriffen worden. In diesem Zusammenhang werde auch auf die Rechtsprechung des VwGH hingewiesen, wo die Zurückweisung des Antrags gemäß § 295 Abs. 4 BAO keine sachliche Unbilligkeit iSd § 236 BAO darstelle (vgl. ).

Zudem wies das FA darauf hin, dass für die Neufassung des § 295 Abs. 4 BAO kein ausdrückliches Inkrafttreten zu einem bestimmten Datum vorgesehen sei. Die Kundmachung des COVID-19-StMG im BGBl sei am erfolgt. Bei § 295 Abs. 4 BAO handle es sich um eine verfahrensrechtliche Norm. Über vorliegende Anträge sei dementsprechend jene Fassung anzuwenden und abzusprechen, die im Zeitpunkt der Erlassung der Entscheidung gilt. Im beschwerdegegenständlichen Fall sei die gesetzliche Frist von einem Jahr ab Rechtskraft des Beschwerdeverfahrens bezüglich Grundlagenbescheid () ohne Einbringung eines rechtzeitigen Antrags durch den Bf. bereits abgelaufen.

Dies bekämpfte der Bf. mit Vorlageantrag vom via FinanzOnline. Dieser bezog sich auf die folgenden Daten:

[...]

Der Bf. betonte, er halte an seinem Vorbringen fest. Eine Aktualisierung und Vervollständigung seines Vorbringens erfolge erst nach Vorlage des Aktes an das BFG. Der Bf. beantragte der Beschwerde nach durchgeführter mündlicher Verhandlung vor dem/der Einzelrichterln (kein voller Senat) stattzugeben.

Das FA legte in der Folge am die Beschwerde vom gegen die Zurückweisung des Antrages bezüglich Einkommensteuer 1995 an das Bundesfinanzgericht vor.

Nach Rücksprache des zuständigen Richters mit dem FA erklärte dieses, dass sich der Vorlageantrag seiner Ansicht nach nur auf das Jahr 1995 bezog und es deshalb die Beschwerde bezüglich der anderen Jahre (1996, 1999, 2000) nicht an das Bundesfinanzgericht vorlegen werde. Das Verwaltungsgericht teilte dies dem Bf. mit Mail vom mit und wies ihn darauf hin, dass es sich deshalb für diese drei Jahre nicht als zuständig erachtet. Um Missverständnissen vorzubeugen wies es auf § 264 Abs. 6 BAO und darauf hin, dass damit die Zuständigkeit des Bundesfinanzgerichts direkt erwirkt werden könne. Erst danach könne von diesem eigenständig beurteilt werden, ob sich der Vorlageantrag auch auf die nicht vorgelegten Jahre 1996, 1999 und 2000 bezog.

Das Bundesfinanzgericht lud in der Folge am zur mündlichen Verhandlung am und stellte in der Ladung den unten angeführten Sachverhalt dar. Der steuerlich vertretene Bf. zog in der Folge mit Fax vom seinen Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung zurück und ergänzte:

"Wir erachten die gesetzliche Regelung auf Basis des vom Finanzamt in der BVE ins Treffen geführten Arguments für verfassungswidrig, dass wir unseren Antrag auf Basis der aktuellen - und damit anwendbaren - Rechtslage verspätet gestellt hätten. Eine (Neu-)Regelung, die in einem Fall wie diesem ein Fristende normiert, dass bereits vor ihrem Inkrafttreten eingetreten ist, ist nicht sachgerecht. Dazu sei auf die Entscheidungen des VfGH zur Aufhebung des § 304 BAO durch VfSlg 20.218/2017 und des § 295 Abs. 4 BAO durch das Erkenntnis des ua Zahlen verwiesen."

In der Folge zitierte der Bf. den Rechtssatz zu ua (VfSlg 20.218/2017) und führte aus, er habe seinen Berichtigungsantrag aus Behördensicht verspätet gestellt, weil die dafür vorgesehene Frist angesichts der überlangen Dauer des Rechtsmittelverfahrens abgelaufen sei, bevor er aktiv werden konnte bzw. wurde. Dieses Argument sei zugleich auch einer der Gründe für die Aufhebung des § 295 Abs. 4 BAO als verfassungswidrig. In der Folge zitierte er das Erkenntnis ua und betonte, die dortige Problematik treffe auch hier zu. Solcherart hafte die vom VfGH konstatierte Unsachlichkeit auch dem in diesem Beschwerdeverfahren zu beurteilenden Anfechtungsobjekt samt den ihm zugrundeliegenden Rechtsvorschriften an. Aus diesem Grund erscheine es nicht nur sinnvoll und zweckmäßig, sondern geradezu geboten, dass sich das Bundesfinanzgericht von sich aus an den VfGH wendet, um solcherart die Bestätigung der Verfassungswidrigkeit der hier maßgeblichen Rechtslage amtswegig zu erhalten (Hinweis auf Art. 89 iVm 135 Abs. 4 B-VG). In diesem Zusammenhang erinnerte der Bf. an den zu G 226/2019 protokollierten Antrag des VwGH, der sich als zur Nachahmung empfohlenes Beispiel erweise.

Das Bundesfinanzgericht leitete diese Ergänzung an das zuständige FA weiter, das auf eine Stellungnahme verzichtete.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Außer in den Fällen des § 278 BAO hat das Verwaltungsgericht immer in der Sache selbst zu entscheiden. Es ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung seine Anschauung an die Stelle jener der Abgabenbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern, aufzuheben oder die Bescheidbeschwerde als unbegründet abzuweisen (§ 279 Abs. 1 BAO).

1. Rechtsgrundlagen

Am Tag der Einbringung des Antrages gem. § 295 Abs. 4 BAO () war diese Bestimmung mit folgendem Wortlaut in Kraft:

"Wird eine Bescheidbeschwerde, die gegen ein Dokument, das Form und Inhalt eines
- Feststellungsbescheides (§ 188) oder eines
- Bescheides, wonach eine solche Feststellung zu unterbleiben hat,
gerichtet ist, als nicht zulässig zurückgewiesen, weil das Dokument kein Bescheid ist, so sind auf das Dokument gestützte Änderungsbescheide (Abs. 1) auf Antrag der Partei (§ 78) aufzuheben.
Der Antrag ist vor Ablauf der für Wiederaufnahmsanträge nach § 304 maßgeblichen Frist zu stellen."

§ 304 BAO lautet idgF:

"Nach Eintritt der Verjährung ist eine Wiederaufnahme des Verfahrens nur zulässig, wenn sie
a) vor Eintritt der Verjährungsfrist beantragt wird, oder
b) innerhalb von drei Jahren ab Eintritt der Rechtskraft des das Verfahren abschließenden Bescheides beantragt oder durchgeführt wird."

Im Erkenntnis , wurde vom Höchstgericht - auch unter Hinweis auf die Beurteilung durch den Verwaltungsgerichtshof in dessen Antrag auf Aufhebung des letzten Satzes des § 295 Abs. 4 BAO - festgehalten, dass ein Antrag gemäß § 295 Abs. 4 BAO faktisch nur dann zur Anpassung eines von einer als Feststellungsbescheid intendierten Enunziation abgeleiteten Bescheides führen konnte, wenn der Umstand, dass die als Feststellungsbescheid intendierte Enunziation kein Bescheid ist, vor Ablauf der durch § 304 BAO bestimmten Frist (für den abgeleiteten Bescheid) hervorkam. Endete das Beschwerdeverfahren betreffend die als Feststellungsbescheid intendierte Enunziation dagegen nach Ablauf der in § 304 BAO geregelten Frist durch Zurückweisung der Beschwerde mangels Vorliegens eines Feststellungsbescheides, war ein nach Abschluss des Feststellungsbescheid-Beschwerdeverfahrens gestellter Antrag auf Abänderung des abgeleiteten Bescheides als verspätet zurückzuweisen. Durch das Anknüpfen an dieRechtskraft des abgeleiteten Bescheides berücksichtigte der Gesetzgeber nach dem Erkenntnis des Höchstgerichtes in unsachlicher Weise nicht, dass das Antragsrecht seine rechtserhebliche Bedeutung im Zeitpunkt der Zurückweisung der Beschwerde betreffend die als Grundlagenbescheid intendierte Enunziation erlangte.

Aus diesem Grund hob der Verfassungsgerichtshof den letzten Satz des § 295 Abs. 4 BAO mit Ablauf des als verfassungswidrig auf, woraufhin diese Bestimmung mit dem COVID-19-Steuermaßnahmengesetz (COVID-19-StMG; BGBl. I Nr. 3/2021) neu gefasst wurde.

Die Verlautbarung dieser Entscheidung in BGBl. I Nr. 2/2020 lautete:

"Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom , G 159/2019-13, G 226/2019-11, G 248/2019-8 der Bundeskanzlerin zugestellt am , zu Recht erkannt:
"I. 1. Der Satz "Der Antrag ist vor Ablauf der für Wiederaufnahmsanträge nach § 304 maßgeblichen Frist zu stellen." in § 295 Abs. 4 Bundesgesetz über allgemeine Bestimmungen und das Verfahren für die von den Abgabenbehörden des Bundes, der Länder und Gemeinden verwalteten Abgaben (Bundesabgabenordnung - BAO), BGBl. Nr. 194/1961, idF BGBl. I Nr. 70/2013 wird als verfassungswidrig aufgehoben.
2. Der Satz "Der Antrag ist vor Ablauf der für Wiederaufnahmsanträge nach § 304 maßgeblichen Frist zu stellen." in § 295 Abs. 4 Bundesgesetz über allgemeine Bestimmungen und das Verfahren für die von den Abgabenbehörden des Bundes, der Länder und Gemeinden verwalteten Abgaben (Bundesabgabenordnung - BAO), BGBl. Nr. 194/1961, idF BGBl. I Nr. 76/2011 war verfassungswidrig.
II. Die Aufhebung tritt mit Ablauf des in Kraft.
III. Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft."

Der Verfassungsgerichtshof sprach damit zwar aus, dass die im Zeitpunkt der Einbringung des Antrages gültige Norm verfassungswidrig war, er bestimmte dabei aber wie in Art. 140 Abs. 5 B-VG vorgesehen eine Frist.

Art. 140 Abs. 7 B-VG lautet dazu:

"Ist ein Gesetz wegen Verfassungswidrigkeit aufgehoben worden oder hat der Verfassungsgerichtshof gemäß Abs. 4 ausgesprochen, dass ein Gesetz verfassungswidrig war, so sind alle Gerichte und Verwaltungsbehörden an den Spruch des Verfassungsgerichtshofes gebunden. Auf die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände mit Ausnahme des Anlassfalles ist jedoch das Gesetz weiterhin anzuwenden, sofern der Verfassungsgerichtshof nicht in seinem aufhebenden Erkenntnis anderes ausspricht. Hat der Verfassungsgerichtshof in seinem aufhebenden Erkenntnis eine Frist gemäß Abs. 5 gesetzt, so ist das Gesetz auf alle bis zum Ablauf dieser Frist verwirklichten Tatbestände mit Ausnahme des Anlassfalles anzuwenden."

Damit war die verfassungswidrige Bestimmung weiterhin bis in der bestehenden Fassung anzuwenden.

Ab und damit im Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag durch das FA () lautete § 295 Abs. 4 BAO:

"Wird eine Bescheidbeschwerde, die gegen ein Dokument, das Form und Inhalt
- eines Feststellungsbescheides (§ 188) oder
- eines Bescheides, wonach eine solche Feststellung zu unterbleiben hat,
gerichtet ist, als unzulässig zurückgewiesen, weil das Dokument kein Bescheid ist, sind auf das Dokument gestützte Bescheide auf Antrag der Partei aufzuheben.
Der Antrag ist innerhalb eines Jahres ab Rechtskraft der Zurückweisung zu stellen. Der an die Stelle des aufgehobenen Bescheides tretenden Abgabenfestsetzung steht, soweit sie im das Dokument ersetzenden Bescheid enthaltene Feststellungen übernimmt, der Eintritt der Verjährung nicht entgegen, wenn die Festsetzung innerhalb eines Jahres ab Aufhebung erfolgt. § 209a Abs. 2 erster Satz gilt sinngemäß, wenn gegen den das Dokument ersetzenden Bescheid fristgerecht Beschwerde erhoben wird."

Aktuell und damit im Zeitpunkt der Entscheidung durch das Bundesfinanzgericht lautet § 295 Abs. 4 BAO:

"Wird eine Bescheidbeschwerde, die gegen ein Dokument, das Form und Inhalt
-eines Feststellungsbescheides (§ 188) oder
- eines Bescheides, wonach eine solche Feststellung zu unterbleiben hat,
gerichtet ist, als unzulässig zurückgewiesen, weil das Dokument kein Bescheid ist, sind auf das Dokument gestützte Bescheide auf Antrag der Partei aufzuheben oder insoweit abzuändern, als sie sich auf das Dokument stützen.
Der Antrag ist innerhalb eines Jahres ab Rechtskraft der Zurückweisung zu stellen. Der an die Stelle des aufgehobenen Bescheides tretenden Abgabenfestsetzung steht, soweit sie im das Dokument ersetzenden Bescheid enthaltene Feststellungen übernimmt, der Eintritt der Verjährung nicht entgegen, wenn die Festsetzung innerhalb eines Jahres ab Aufhebung erfolgt. § 209a Abs. 2 erster Satz gilt sinngemäß, wenn gegen den das Dokument ersetzenden Bescheid fristgerecht Beschwerde erhoben wird. Der Antrag hat folgendes zu enthalten:
1. die Bezeichnung des Bescheides, der abgeändert oder aufgehoben werden soll;
2. die Bezeichnung des Bescheides oder Beschlusses, mit dem die Bescheidbeschwerde im Feststellungsverfahren zurückgewiesen wurde;
3. die Angaben, die zur Beurteilung der Rechtzeitigkeit des Antrages erforderlich sind."

Daraus folgt für den hier zu beurteilenden Antrag:

2. Sachverhalt

Fest steht, dass hier die Beschwerde über die Zurückweisung des Antrages gem. § 295 Abs. 4 BAO vom auf

  1. Aufhebung des Einkommensteuerbescheides 1995 vom

  2. aufgrund des im Antrag angeführten Beschlusses RV/7102115/2004 zu beurteilen ist.

Der Einkommensteuerbescheid vom basierte auf einer Änderung gem. § 295 Abs. 1 BAO, die mit "bescheidmäßigen Feststellungen des Finanzamtes f.d.1.Bez. in Wien zu Steuernummer ###/#### vom " begründet wurde. Die angegebene Steuernummer ist das Ordnungsmerkmal der ABC****GmbH & Co KG.

Das FA gab über Nachfrage des Bundesfinanzgerichts mit Mail vom an, die im Antrag vom angekündigte Vorlage des Einkommensteuerbescheides 1995 sei durch den Bf. nicht erfolgt. Es legte mit Mail vom elektronisch einen Ausdruck des von ihm am ausgedruckten Einkommensteuerbescheides 1995 vom vor. Die Änderung gem. § 295 Abs. 1 BAO habe damals auf einer elektronischen Mitteilung basiert, die folgendes Aussehen gehabt habe:

[...]

Diesen Verweis auf eine Mitteilung vom konnte sich das FA nur so erklären, dass die Ergebnismitteilungen (Tangenten) den Finanzämtern bereits vor der bescheidmäßigen Endgültigkeitserklärung des Feststellungsbescheides 1995 vom mitgeteilt wurden. Beim Feststellungsakt St.Nr. 01-###/#### seien ab 1995 keine Unterlagen vorhanden, aus denen dies nachvollziehbar sei. Der Akt sei gelöscht.

Dazu legte das FA den Ausdruck eines mit datierten und an die ABC****GmbH & Co KG z.H. FINANZAMT F.D.1.BEZ. IN WIEN adressierten Schriftstückes mit der Bezeichnung "BESCHEID ÜBER DIE FESTSTELLUNG VON EINKÜNFTEN GEM. § 188 BAO 1995, Gem. § 200 (2) BAO endgültiger Bescheid" vor. Darin wird ausgesprochen, dass "der vorläufige Bescheid vom für das Jahr 1995, mit dem die Einkünfte gem. § 188 BAO festgestellt worden sind, gem. § 200 (2) BAO für endgültig erklärt" wird.

Dieses Schriftstück dürfte in Wahrheit niemals die Sphäre des Finanzamtes für den 1. Bezirk verlassen haben, da es zu dessen Handen zugestellt wurde. Aus dem dem Bundesfinanzgericht vorliegenden Beschluss des Bundesfinanzgerichts () ergibt sich vielmehr, dass im dortigen Verfahren - soweit hier relevant - über eine "Erledigung des Finanzamtes für den 1. Bezirk vom , betreffend Nichtfeststellung von Einkünften aus Gewerbebetrieb für 1995" abgesprochen wurde. Diese Angabe im Spruch des BFG-Beschlusses deckt sich mit der Darstellung des Sachverhaltes in dessen Begründung. Das Verwaltungsgericht beurteilte darin ein als Bescheid intendiertes Schriftstück vom . Dessen Spruch wird im BFG-Beschluss wie wörtlich wie folgt wiedergegeben:

"Endgültiger BESCHEID gem. § 200 Abs. 2 BAO für 1995

Eine einheitliche und gesonderte Feststellung von Einkünften für 1995 findet nicht statt.

Der Bescheid hat Wirkung gegenüber allen Beteiligten (§ 191 Abs. 3 lit b BAO). Mit der Zustellung dieses Bescheides an eine nach § 81 BAO vertretungsbefugte Person gilt die Zustellung an alle Beteiligten als vollzogen (§ 101 Abs. 3 BAO).

Begründung: siehe hiezu BP - Bericht vom

Rechtsmittelbeiehrung:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb eines Monats nach Zustellung bei dem vorbezeichneten Amt das Rechtsmittel der Berufung schriftlich odertelegrafisch eingebracht werden. Die Berufung ist zu begründen. Durch die Einbringung einer Berufung wird die Wirksamkeit des angefochtenen Bescheides gern. § 254 BAO nicht gehemmt, insbesondere die Einhebung und zwangsweise Einbringung einer Abgabe nicht aufgehalten.

Zur Einbringung der Berufung gegen diesen Bescheid ist die Personenvereinigung (Personengemeinschaft), an die der Bescheid ergangen ist, sowie jeder befugt, gegen den dieser Bescheid wirkt (§191 Abs 3 lit b BAO)."

Der Bf. reagierte auf die Darstellung dieses Sachverhaltes in der Ladung zur mündlichen Verhandlung nicht, widersprach ihr aber auch nicht.

2.1 Konnex zum Änderungsgrund gem. § 295 Abs. 1 BAO

Der hier relevante Antrag bezog sich damit auf die Beurteilung eines Nichtbescheides vom durch das Bundesfinanzgericht, obwohl sich die Änderung gem. § 295 Abs. 1 BAO im Bescheid, dessen Aufhebung begehrt wird, auf einen Feststellungsbescheid vom stützte. Damit war dieser Antrag von vornherein unzulässig.

Es mag dahingestellt bleiben, ob ein mit datiertes Schriftstück überhaupt jemals existiert hat, steht es doch außer Zweifel, dass sich die Beschwerde, die mit zurückgewiesen wurde, nicht gegen einen Feststellungsbescheid vom , sondern gegen einen solchen vom richtete. Damit sprach das Bundesfinanzgericht nicht über den Grundlagenbescheid ab, der im Jahr 2003 als Begründung für den Änderungsbescheid herangezogen wurde.

Es deutet hier vieles darauf hin, dass das FA sich bei der Änderung im Jahr 2003 auf ein Schriftstück bezog, das überhaupt nicht existierte. Das leuchtet auch daraus hervor, dass das Datum des genannten "Bescheides" sogar vor dem , an dem der Bericht über die Außenprüfung erstellt wurde, liegt. Welches Schriftstück hier wirklich gemeint war, konnte auch das FA nicht mehr aufklären.
Verfahrensrechtlich wäre es hier damit notwendig gewesen, schon die Bescheidänderung gem. § 295 Abs. 1 BAO im Jahr 2003 mangels eines gültigen Änderungsgrundes sofort zu bekämpften. Das Instrument des § 295 Abs. 4 BAO ist nur dafür gedacht, die Folgen der ursprünglichen Fehlbeurteilung der Bescheidqualität eines existierenden Dokumentes zu beseitigen, nicht aber dafür, eine rechtswidrige Änderung gem. § 295 Abs. 1 BAO zu beseitigen, die sich auf ein nicht existentes Dokument stützte.

Damit konnte der Beschwerde schon aus diesem Grund kein Erfolg beschieden sein.

2.2 Beurteilung der Verspätung

Dazu kommt, dass der Antrag auch verspätet eingebracht wurde.

Er bezieht sich auf die am gültige Fassung des § 295 Abs. 4 BAO, behauptet nicht, dass die Verjährung der Einkommensteuer 1995 zu diesem Zeitpunkt noch nicht eingetreten gewesen wäre, geht aber davon aus, dass die damals relevante Dreijahresfrist erst mit der Zustellung des zu laufen begonnen hat.

Mit diesem Argument vermag der Bf. nicht durchzudringen, wurde doch mehrfach durch VwGH und VfGH klargestellt, dass die Dreijahresfrist nicht an die Wirksamkeit des Grundlagenbescheides anknüpft, sondern an die Rechtskraft des abgeleiteten Bescheides. Unbestritten ist, dass diese bereits 2003 und damit etwa 16 Jahre vor der Antragstellung eintrat. Auch die Tatsache, dass die Einkommensteuer 1995 im Jahr 2019 schon lange (absolut) verjährt war steht außer Frage. Damit war der Antrag aus der Sicht seiner Antragstellung verspätet.

Diese Verspätung liegt aber auch aus der Sicht des Zeitpunktes der Erledigung des Antrages durch das FA und in der Folge der Entscheidung über die Beschwerde durch das Verwaltungsgericht vor, steht es doch außer Zweifel, dass die Zurückweisung der Beschwerde gegen den Grundlagenbescheid schon 2017 und damit mehr als ein Jahr vor der Antragstellung im September 2019 erfolgte. Auch aus dieser Sicht, liegt eine Verspätung des Antrages vor.

Damit konnte der Entscheidung des FA auch aus den von diesem ins Treffen geführten Gründen nicht mit Erfolg entgegengetreten werden.

Auf die Beurteilung der Verfassungskonformität der aktuellen Fassung des § 295 Abs. 4 BAO war hier schon deshalb nicht weiter einzugehen, weil die Zurückweisung auch aus einem weiteren Grund zu Recht erfolgte.
Dazu kommt, dass der Antrag gem. § 295 Abs. 4 BAO hier erst mit gestellt wurde, obwohl das Bundesfinanzgericht die Beschwerde gegen das als Feststellungsbescheid intendierte Schriftstück bereits am zurückgewiesen hatte. Der Bf. ließ also - ohne jede Beeinflussung durch die Abgabenbehörden - mehr als zweieinhalb Jahre verstreichen, ehe er aktiv wurde. Das Bundesfinanzgericht vermag deshalb jedenfalls für diesen konkreten Fall keine Gründe für eine Verfassungswidrigkeit des § 295 Abs. 4 BAO zu erkennen, was einer Maßnahme gem. Art. 89 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 135 Abs. 4 B-VG entgegen steht.

3. Revision

Das Verwaltungsgericht hat im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen (§ 25a Abs. 1 VwGG).

Gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes ist eine Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird (Art. 133 Abs. 4 B-VG).

Dies trifft nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht zu, wenn die in Betracht kommenden Normen klar und eindeutig sind (vgl. mit vielen weiteren Nachweisen).

Soweit Rechtsfragen für die hier zu klärenden Fragen entscheidungserheblich sind, sind sie durch höchstgerichtliche Rechtsprechung ausreichend geklärt (siehe oben), nicht von grundsätzlicher Bedeutung oder die anzuwendenden Normen sind klar und eindeutig.

Damit liegt hier kein Grund vor, eine Revision zuzulassen.

Salzburg, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 295 Abs. 4 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
ECLI
ECLI:AT:BFG:2023:RV.6100214.2022

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at