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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 10.01.2023, RV/3100658/2022

Pendlerpauschale und Verlegung des Familienwohnsitzes

Rechtssätze


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Stammrechtssätze
RV/3100658/2022-RS1
Ob die Verlegung des Familienwohnsitzes zumutbar wäre, spielt hinsichtlich des Anspruchs auf das Pendlerpauschale keine Rolle. Für eine Prüfung der Zumutbarkeit der Verlegung des Familienwohnsitzes besteht in diesem Zusammenhang keine Rechtsgrundlage (vgl. ).

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Mag. David Hell LL.B. LL.M. in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Villacher Treuhand Dr. Nehsl & Partner Steuerberatungsgesellschaft mbH, Nikolaigasse 39, 9500 Villach, über die Beschwerden vom und gegen die Bescheide des Finanzamtes Österreich vom betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2019 und 2020 zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird Folge gegeben und die angefochtenen Bescheide wie folgt abgeändert:

a. Die Einkommensteuer 2019 wird mit -438,00 Euro festgesetzt.

b. Die Einkommensteuer 2020 wird mit -752,00 Euro festgesetzt.

Die Bemessungsgrundlagen sind dem als Beilage angeschlossenen Berechnungsblatt zu entnehmen und bilden einen Bestandteil des Spruches dieses Erkenntnisses.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

1. Verfahrensgang

Die Beschwerdeführerin (Bf.) brachte am über FinanzOnline Anträge auf Arbeitnehmerveranlagung für die Jahre 2019 und 2020 ein. Am erließ die belangte Behörde antragsgemäß die angefochtenen Einkommensteuerbescheide 2019 und 2020.

Am und brachte die Bf. die gegenständlichen Beschwerden ein. Diese enthielten zwar weder ein ausdrückliches Beschwerdebegehren noch eine Begründung, doch aus den übermittelten Beilagen (jeweils ein Ausdruck des Pendlerrechners) schloss die belangte Behörde, dass die Bf. die nachträgliche Berücksichtigung des Pendlerpauschales und des Pendlereuros beantragte, was die Bf. im nachfolgenden Vorhalteverfahren bestätigte und dahingehend konkretisierte, dass sie ein Drittel des großen Pendlerpauschales für die Fahrtstrecke von ihrem Familienwohnsitz zum Beschäftigungsort beantrage.

Mit zwei gleichlautenden Beschwerdevorentscheidungen vom wies die belangte Behörde die gegenständlichen Beschwerden als unbegründet ab, weil die Verlegung des Familienwohnsitzes an den Beschäftigungsort zumutbar sei und somit keine Kosten der doppelten Haushaltsführung bzw. Familienheimfahrten geltend gemacht werden können. Alternativ könne (offenbar gemeint: nur im Falle der Verlegung des Familienwohnsitzes) anstatt der Familienheimfahrten ein aliquotes Pendlerpauschale für die Fahrten zwischen Familienwohnsitz und Arbeitsstätte berücksichtigt werden.

Nach zwei jeweils rechtzeitig eingebrachten Fristverlängerungsanträgen vom und brachte der steuerliche Vertreter der Bf. am innerhalb offener Frist einen Vorlageantrag hinsichtlich der gegenständlichen Beschwerden ein. Am legte die belangte Behörde die gegenständliche Beschwerde dem Bundesfinanzgericht vor und beantragte, den Beschwerden stattzugeben. Mit Fax vom nahm der steuerliche Vertreter seinen im Vorlageantrag gestellten Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung zurück.

2. Sachverhalt

Die Bf. war in den Jahren 2019 und 2020 hauptwohnsitzlich in ***Wohnort*** (Osttirol) gemeldet und war in diesem Zeitraum durchgehend bei ***Arbeitgeber*** in ***Arbeitsort*** (Kärnten) beschäftigt. Die Entfernung zwischen Hauptwohnsitz und Arbeitsstätte beträgt 131 km. Es verkehren keine Massenbeförderungsmittel, mit welchen diese Strecke innerhalb von 120 Minuten bewältigbar ist. Die Bf. pendelte im gegenständlichen Zeitraum wöchentlich, wobei sie jeweils am Montag in der Früh zur Arbeitsstätte und am Donnerstag oder Freitag nach Arbeitsende zurück fuhr. Dies entspricht 4 oder 5 Fahrten zur Arbeitsstätte pro Monat. Ihr wurde für diese Fahrten kein arbeitgebereigenes Kraftfahrzeug zur Verfügung gestellt.

Im gegenständlichen Zeitraum wurden das Pendlerpauschale und der Pendlereuro nicht von der Arbeitgeberin berücksichtigt. Die Bf. machte in ihren Arbeitnehmerveranlagungen keine Werbungskosten für Familienheimfahrten oder doppelte Haushaltsführung geltend.

Die Wohnung, in welcher die Bf. hauptwohnsitzlich gemeldet ist, steht in ihrem Eigentum. Ihre Mutter bewohnt eine Wohnung im selben Gebäude, das im Eigentum einer Schwester der Bf. steht. Beide Schwestern der Bf. wohnen ebenfalls in Osttirol. Am Arbeitsort kann sie eine Schlafmöglichkeit benutzen, ohne deren Eigentümerin oder Mieterin zu sein.

3. Beweiswürdigung

Der Sachverhalt, der zwischen den Parteien nicht strittig ist, ergibt sich widerspruchsfrei aus den vorgelegten Aktenteilen, insbesondere den der Beschwerde beigelegten Ausdrucken des Pendlerrechners, dem Grundbuchsauszug (***EZ***) vom , dem Übergabs- und Wohnungseigentumsvertrag vom sowie der Vorhaltsbeantwortung durch die Bf. vom .

Ferner wurde vom Bundesfinanzgericht Einsicht in das Zentrale Melderegister sowie die Lohnzettel der Bf. genommen. Die Angaben der Bf. wurden vom Bundesfinanzgericht mittels dem Pendlerrechner und durch Personenabfrage im Grundbuch überprüft. Insgesamt bestehen für das Bundesfinanzgericht daher keine Zweifel an der Richtigkeit des Vorbringens der Bf.

4. Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchpunkt I. (Stattgabe)

Ausgaben eines Steuerpflichtigen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte sind grundsätzlich gemäß § 16 Abs. 1 Z 6 lit a EStG 1988 durch den Verkehrsabsetzbetrag abgegolten. Die Bestimmungen über das Pendlerpauschale (§ 16 Abs. 1 Z 6 lit b bis j EStG 1988) und über den Pendlereuro (§ 33 Abs. 5 Z 4 EStG 1988) sind als Ausnahmen von diesem Grundsatz anzusehen.

Ob und in welchem Ausmaß das Pendlerpauschale zusteht, richtet sich nach der Zumutbarkeit der Benützung eines Massenbeförderungsmittels sowie der Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte. Fraglich ist im vorliegenden Fall insbesondere, welche Wohnung für die Berechnung der Entfernung zur Arbeitsstätte heranzuziehen ist und ob allenfalls die Zumutbarkeit der Verlegung des Familienwohnsitzes dafür von Bedeutung ist.

Einen Wohnsitz hat jemand gemäß § 26 BAO dort, wo er "eine Wohnung innehat unter Umständen, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird". Die Eigentumswohnung in ***Wohnort*** stellt jedenfalls einen Wohnsitz in diesem Sinne dar, da sie von der Bf. unzweifelhaft zumindest am Wochenende tatsächlich zu Wohnzwecken genutzt wird. Sie ist überdies als Familienwohnsitz im Sinne des § 16 Abs. 1 Z 6 lit f EStG 1988 iVm § 4 Pendlerverordnung (BGBl II 2013/276 idgF) anzusehen, weil die Bf. dort ihre engsten persönlichen Beziehungen (nämlich zu ihrer Mutter und ihren Schwestern) sowie einen eigenen Hausstand hat.

Auch die "Schlafmöglichkeit" am Arbeitsort kann unter Umständen einen Wohnsitz in Sinne des § 26 BAO begründen (vgl. ). Ob diese im vorliegenden Fall tatsächlich einen Wohnsitz darstellt, kann allerdings dahingestellt bleiben, weil nach § 16 Abs. 1 Z 6 lit f EStG 1988 selbst in diesem Fall die Entfernung zum Familienwohnsitz maßgeblich ist, sofern die Fahrten tatsächlich von diesem angetreten wurden. Nach den parlamentarischen Materialien soll der Abgabepflichtige die Wahl haben, ob er die Fahrten vom Familienwohnsitz oder von seinem näher gelegenen Zweitwohnsitz antritt, und in beiden Fällen Anspruch auf das Pendlerpauschale haben (siehe mit weiteren Ausführungen).

Ob die Verlegung des Familienwohnsitzes zumutbar wäre, spielt hinsichtlich des Anspruchs auf das Pendlerpauschale keine Rolle. Lehre und Rechtsprechung zur Zumutbarkeit der Verlegung des Familienwohnsitzes im Zusammenhang mit Aufwendungen für die doppelte Haushaltsführung sowie Familienheimfahrten gründen auf den Abzugsverboten gemäß § 20 Abs. 1 Z 1 und Z 2 lit a EStG 1988, wonach Aufwendungen für den Haushalt und die Lebensführung des Steuerpflichtigen grundsätzlich nicht abzugsfähig sind. Aufwendungen für Fahrten zwischen Arbeitsstätte und Familienwohnsitz sind hingegen gemäß § 20 Abs. 1 Z 2 lit e EStG 1988 ausdrücklich abzugsfähig, soweit sie das höchstmögliche Pendlerpauschale nicht übersteigen. Für eine Prüfung der Zumutbarkeit der Verlegung des Familienwohnsitzes besteht somit keine Rechtsgrundlage (vgl. ).

Beim festgestellten Sachverhalt kommt ein Anspruch auf das "große Pendlerpauschale" gemäß § 16 Abs. 1 Z 6 lit d EStG 1988 in Betracht, weil die Benützung eines Massenbeförderungsmittels unter den vorliegenden Umständen gemäß § 2 Abs. 1 Z 1 lit a oder Z 2 lit b Pendlerverordnung jedenfalls unzumutbar ist, weil auf der gegenständlichen Strecke kein bzw. kein hinreichend schnelles Massenbeförderungsmittel verkehrt. Das "große Pendlerpauschale" für Strecken von mehr als 60 km beträgt gemäß § 16 Abs. 1 Z 6 lit d EStG 1988 pro Jahr € 3.672. Da die Bf. monatlich 4- bis 5-mal im Monat zur Arbeitsstätte fuhr, hat sie gemäß § 16 Abs. 1 Z 6 lit e EStG 1988 Anspruch auf ein Drittel dieses Betrages, sohin € 1.224 jährlich.

Gesetzliche Ausschlussgründe für Zuerkennung des Pendlerpauschales (Zurverfügungstellung eines arbeitgebereigenen Kraftfahrzeuges oder Geltendmachung von Aufwendungen für Familienheimfahrten) liegen nicht vor.

Infolge des Anspruchs auf das Pendlerpauschale hat die Bf. auch Anspruch auf den Pendlereuro gemäß § 33 Abs. 5 Z 4 EStG 1988 in Höhe von einem Drittel von € 2 x 131 km, sohin € 87,33 jährlich.

Insgesamt war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Da das gegenständliche Erkenntnis nicht von der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, war die Revision gegen dieses Erkenntnis nicht zuzulassen.

Innsbruck, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2023:RV.3100658.2022

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at