Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter ***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf.***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom , Ordnungsbegriff: ***OB***, betreffend erhöhte Familienbeihilfe für das Kind ***K.***, VNR: ***000***, für die Zeiträume Juni 2019 bis Juni 2021 zu Recht erkannt:
I. Der Beschwerde wird teilweise Folge gegeben.
Der angefochtene Bescheid wird gemäß § 279 Bundesabgabenordnung (BAO) dahingehend geändert, dass der Antrag vom (eingelangt beim Finanzamt am ) auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung für die Zeiträume Juni 2019 bis Jänner 2020 abgewiesen wird.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
Verfahrensgang
Mit dem angefochtenen Bescheid vom wies das Finanzamt den Antrag der Beschwerdeführerin (Bf.) vom auf Zuerkennung der erhöhten Familienbeihilfe hinsichtlich der Zeiträume "Juni 2019 bis Juni 2021" ab, weil bei ihrem Sohn ***K.*** erst ab Juli 2021 eine erhebliche Behinderung von 70 % festgestellt worden sei. Es wurde auf die Bestimmung der §§ 8 Abs. 5 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) sowie auf das im Wege des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen (Sozialministeriumservice) erstellte ärztliche Sachverständigengutachten vom , VOB: ***GA1***, verwiesen.
Die dagegen erhobene Beschwerde vom wurde mit Beschwerdevorentscheidung vom als unbegründet abgewiesen.
Dies mit der Begründung, dass einem weiteren Gutachten des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen (Aktengutachten vom , VOB: ***GA2***) zufolge das Vorgutachten vom bestätigt worden sei. Ein Grad der Behinderung von 70% für das Kind ***K.*** bestehe erst ab Juli 2021. Für den Zeitraum Juni 2019 bis Juni 2021 sei wieder nur ein Grad der Behinderung von 30% festgestellt worden.
Dagegen richtet sich der fristgerecht erhobene Vorlageantrag vom .
Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
Sachverhalt
Das Bundesfinanzgericht sieht es als erwiesen an, dass beim Kind ***K.***, VNR: ***000***, für die beschwerderelevanten Zeiträume Juni 2019 bis Jänner 2020 ein Grad der Behinderung von 30 v.H. und für die Zeiträume Februar 2020 bis Juni 2021 ein Grad der Behinderung von mindestens 50 v.H. festgestellt werden konnte.
Rechtslage
Gemäß § 2 Abs. 1 lit. a Familienlastenausgleichsgesetz 1967 - FLAG 1967 haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, Anspruch auf Familienbeihilfe für minderjährige Kinder.
Der einer Person zustehende Betrag an Familienbeihilfe bestimmt sich gemäß § 8 Abs. 1 FLAG 1967 nach der Anzahl und dem Alter der Kinder, für die ihr Familienbeihilfe gewährt wird, und wird danach abgestuft im § 8 Abs. 2 FLAG 1967 näher festgelegt.
Gemäß § 8 Abs. 4 FLAG 1967 erhöht sich die Familienbeihilfe für jedes Kind, das erheblich behindert ist, ab um 155,90 €.
Als erheblich behindert gilt ein Kind, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muss mindestens 50 vH betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind § 14 Abs. 3 des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, in der jeweils geltenden Fassung, und die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) vom , BGBl. II Nr. 261/2010, in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens nach fünf Jahren neu festzustellen, soweit nicht Art und Umfang eine Änderung ausschließen (§ 8 Abs. 5 FLAG 1967).
Der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, ist durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen. Die diesbezüglichen Kosten sind aus Mitteln des Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen zu ersetzen (§ 8 Abs. 6 FLAG 1967).
Gemäß § 10 Abs. 1 FLAG 1967 wird die Familienbeihilfe nur auf Antrag gewährt und ist die Erhöhung der Familienbeihilfe für ein erheblich behindertes Kind (§ 8 Abs. 4 leg. cit.) besonders zu beantragen.
Nach Absatz 2 der bezeichneten Gesetzesstelle wird die Familienbeihilfe vom Beginn des Monats gewährt, in dem die Voraussetzungen für den Anspruch erfüllt werden. Der Anspruch auf Familienbeihilfe erlischt mit Ablauf des Monats, in dem eine Anspruchsvoraussetzung wegfällt oder ein Ausschließungsgrund hinzukommt.
Die Familienbeihilfe und die erhöhte Familienbeihilfe für ein erheblich behindertes Kind (§ 8 Abs. 4) werden höchstens für fünf Jahre rückwirkend vom Beginn des Monats der Antragstellung gewährt. In Bezug auf geltend gemachte Ansprüche ist § 209 Abs. 3 der Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961, anzuwenden.
Für einen Monat gebührt Familienbeihilfe nur einmal (§ 10 Abs. 3 und 4 FLAG 1967).
Unter Behinderung im Sinne der Einschätzungsverordnung, BGBl. II Nr. 261/2010, ist nach deren § 1 die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft, insbesondere am allgemeinen Erwerbsleben, zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.
Gemäß § 2 Abs. 1 der Einschätzungsverordnung sind die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen als Grad der Behinderung zu beurteilen. Der Grad der Behinderung wird nach Art und Schwere der Funktionsbeeinträchtigung in festen Sätzen oder Rahmensätzen in der Anlage dieser Verordnung festgelegt.
Die Abgabenbehörde und auch das Bundesfinanzgericht haben gemäß § 167 Abs. 2 Bundesabgabenordnung (BAO) unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Abgabenverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa ) ist von mehreren Möglichkeiten jene als erwiesen anzunehmen, die gegenüber allen anderen Möglichkeiten eine überragende Wahrscheinlichkeit für sich hat und alle anderen Möglichkeiten ausschließt oder zumindest weniger wahrscheinlich erscheinen lässt.
Beweiswürdigung und rechtliche Beurteilung
Der Verfahrensgang und der dargestellte Sachverhalt ergeben sich aus den vom Finanzamt vorgelegten Verwaltungsakten, aus den nachstehend angeführten ärztlichen Sachverständigengutachten sowie aus den Angaben und Vorbringen der beschwerdeführenden Partei.
Der Grad der Behinderung ist vor der Beschwerdevorlage an das Bundesfinanzgericht durch folgende ärztliche Gutachten des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, BASB Landesstelle OÖ (Sozialministeriumservice) festgestellt worden:
, VOB: ***GA1***; GdB 30 v. H. ab 06/2019, GdB 70 v. H. ab 07/2021, und
, VOB: ***GA2***; GdB 30 v. H. ab 06/2019, GdB 70 v. H. ab 07/2021
Im zuletzt angeführte Sachverständigengutachten (Aktengutachten) vom heißt es (auszugsweise):
"[…]
Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):
Uni-Klinikum ***UK***, Kinder- und Jugendheilkunde :
Hochgradige Aortenklappenstenose bei dysplastischer, i.e.L. bikuspider Klappe (max. Gradient 55mmHg, MPG 30mmHg), Z.n. Ballonvalvuloplastie 28.6.
ASD II 7mm
Z.n. PDA härhodyn. relevant mit PDA Ligatur am Bett am - Z.n. ANV mit Oligo
Anurie sowie metabolischer Azidose bei PDA und Sepsis, Hypervolämie mit 33% Zunahme
KG und entsprechender Dialyse Indikation am 3.7.
Z.n. fulminanter E.coii Sepsis (ESBL)
V.a. Recurrens Parese
Uni-Klinikum ***UK***, Kinder- und Jugendheilkunde vom : Verlaufskontrolle bei
Hochgradige Aortenklappenstenose bei dysplastischer, i.e.L. bikuspider Klappe, Z.n. Ballonvalvuloplastie .
Aktuell: keine kardialen Beschwerden, lediglich bei Schreiattacken zeigt sich eine Marmorierung der Haut, sonst keine Auffälligkeiten.
Uniklinikum ***UK***, HNO vom : Lähmung Stimmlippen und Kehlkopf onA links.
Schreien während der Untersuchung, linke Stimmlippe paramedian stillstehend, ansonsten unauffälliger kindlicher Larynx.
Uni-Klinikum ***UK***, Kinder- und Jugendheilkunde : Verlaufskontrolle bei Kritische valvuläre Aortenstenose, St.p. Ballonvalvuloplastie
Z.n. Ligatur (am Bett) eines hämodynamisch relevanten PDA am ,
Z.n. akutem Nierenversagen und Dialyse 7/2019,
Z.n. fulminanter E.coli-Sepsis (ESBL)
aktuell: geringgradige Rest-Aortenklappenstenose mit einem max. CW-Dopplergradienten von 30 - 35 mmHg (mittlerer Gradient um 17 mmHg), geringgradige AI, geringe Dilatation
der Aorta ascendens -> bei bikuspider Aortenklappe, gute biventrikuläre Funktion, Stimmlippenlähmung II.
globaler Entwicklungsrückstand
Über die neuropädiatrische Ambulanz wurden Fördermaßnahmen wie mobile Frühförderung und ambulante Physiotherapie empfohlen.
MUKI-Pass:
1. LW - hochgradige Aortenstenose; kongenitaler Herzfehler - AST + Ballonvalvuloplastie
28.6., PDA + chir. Ligatur
10.-14. LM: unleserlich
22.-26. LM: Verhaltensauffälligkeiten JA; auffällig - Allgemeinzustand, motorische Entwicklung, psychische Entwicklung, Sozialentwicklung. Entwicklungsverzögerung
Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel:
Keine Dauermedikation
Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:
Tabelle in neuem Fenster öffnen
Lfd. Nr. | Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Rahmensätze: | Pos.Nr. | GdB % |
1 | Generalisierter Entwicklungsrückstand keine Sprache - Lautieren, deutlicher motorischer Entwicklungsrückstand; Einstufung wie Vorgutachten | 70 | |
2 | Herzklappenstenosen, Aortenklappenstenose - erfolgreich operiertes Vitium, angeborener Herzfehler Z.n. ASD und Ballonvalvuloplastie bei kongenitalem Herzfehler am , aktuell keine Dauermedikation , keine Therapie, klinisch unauffällig; Einstufung wie Vorgutachten | 30 |
Gesamtgrad der Behinderung: 70 v. H.
Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:
Das Leiden Nummer 1 bestimmt den Gesamtgrad der Behinderung mit 70%. Leiden Nummer 2 steigert wegen Geringfügigkeit nicht weiter.
Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung:
keine
Stellungnahme zu Vorgutachten:
Das Vorgutachten bleibt vollinhaltlich aufrecht. Die angeborene Herzerkrankung war in allen Befunden stabil. Eine Entwicklungsverzögerung wurden in den früheren Befunden nicht beurteilt und nicht erwähnt, sodass der Entwicklungsrückstand, wie im Letztgutachten angegeben, erst seit der Untersuchung 07/2021 ***Dr.1*** bestätigt werden kann. Es gibt davor keine Befunde.
Der festgestellte Grad der Behinderung wird voraussichtlich mehr als 3 Jahre andauern:
ja
GdB liegt vor seit: 07/2021
GdB 30 liegt vor seit: 06/2019
Begründung - GdB liegt rückwirkend vor:
wie Vorgutachten
Nachuntersuchung in 3 Jahren
[…]
Gutachten erstellt am von ***Dr.2***
Gutachten vidiert am von ***Dr.3***"
Im ärztlichen Vorgutachten (Erstgutachten) des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen vom , VOB: ***GA1***, heißt es (auszugsweise):
"[…]
Anamnese:
Neuantrag bei angeborener Herzerkrankung
Vorgelegt wird im Rahmen der Begutachtung der Mutter Kind Pass, Z.n. Spontangeburt nach Einleitung in der 40+1. Schwangerschaftswoche, APGAR 9-10-10, Geburtsgewicht 2700g, Länge 49cm. Unmittelbar nach Geburt wurde ein hochgradige Aortenstenose festgestellt, Z.n. ASD und Ballonvalvuloplastie bei kongenitalem Herzfehler am ,
PDA und chirurgische Ligatur am .
Derzeitige Beschwerden:
Klinisch auffallend im Rahmen der Begutachtung bei muskulärem Hypotonus freies Laufen nicht möglich, zielgerichtetes Greifen möglich, spricht nicht, Lautieren. Keine Lippenzyanose.
Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel:
Zurzeit keine orale Dauermedikation.
Keine Nahrungsmittelunverträglichkeiten.
Sozialanamnese:
[…]
Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):
In den Mutter Kind Pass wird Einsicht genommen.
Arztbrief Kardiologie Universitätsklinikum ***UK*** ambulante Verlaufskontrolle vom
bei
hochgradiger Aortenklappenstenose
bei dysplastischer Bikuspidalklappe und
Z.n. Ballonvalvuloplastie am
Aktuell keine fixen Verlaufskontrollen kardiologisch vorgesehen. Im Rahmen der Mutter Kind Pass Verlaufskontrolle auskultatorisch unauffälliger Befund. Die letzte Verlaufskontrolle erfolgte am , Entwicklungsverzögerung wird angemerkt im Rahmen der Untersuchung Mutter Kind Pass 22.-26. Lebensmonat.
Ambulanz für Phoniatrie und Logopädie HNO Uniklinikum ***UK*** vom .
Stimmlippe paramedian stillstehend
Lähmung der Stimmlippen und Kehlkopf ohne nähere Angabe links;
Untersuchungsbefund:
[…]
Status (Kopf / Fußschema) - Fachstatus:
Klinisch auffällig bei motorisch deutlichem Entwicklungsrückstand und muskulärem Hypotonus bei ausreichend vorhandener Rumpfstabilität. Blickkontakt möglich. Lautieren.
Zielgerichtetes Greifen.
Caput: Pupillen isocor, mittelweit, rund; Lichtreaktion bds. prompt;
Bulbusmotilität beidseits unauffällig,
Gesicht symmetrisch innerviert,
keine Lippenzyanose,
Collum: unauffällig
Cardiopulmonal: unauffällig
Thorax: symmetrisch
Abdomen unauffällig
Wirbelsäule: gerade, relativ gute Rumpfstabilität;
Obere Extremitäten: muskulärer Hyptotonus - zielgerichtetes Greifen möglich;
Untere Extremitäten: muskulärer Hypotonus
Haut unauffällig, bland;
Gesamtmobilität-Gangbild:
intermittierend Stehbereitschaft, kein freies Stehen, kein Laufen, Krabbeln möglich;
Psycho(patho)logischer Status:
Kontaktfähig, Blickkontakt wird kurz gehalten, freundlich
Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:
Tabelle in neuem Fenster öffnen
Lfd. Nr. | Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Rahmensätze: | Pos.Nr. | GdB % |
1 | Generalisierter Entwicklungsrückstand keine Sprache - Lautieren, deutlicher motorischer Entwicklungsrückstand; | 70 | |
2 | Herzklappenstenosen, Aortenklappenstenose - erfolgreich operiertes Vitium, angeborener Herzfehler Z.n. ASD und Ballonvalvuloplastie bei kongenitalem Herzfehler am , aktuell keine Dauermedikation , keine Therapie, klinisch unauffällig; | 30 |
Gesamtgrad der Behinderung: 70 v. H.
Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:
Das Leiden Nummer 1 bestimmt den Gesamtgrad der Behinderung mit 70%. Leiden Nummer 2 steigert wegen Geringfügigkeit nicht weiter.
Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung:
keine
Stellungnahme zu Vorgutachten:
Erstgutachten
Der festgestellte Grad der Behinderung wird voraussichtlich mehr als 3 Jahre andauern:
ja
GdB liegt vor seit: 07/2021
GdB 30 liegt vor seit: 06/2019
Begründung - GdB liegt rückwirkend vor:
GdB 70% vorliegend ab Untersuchungsdatum , da klinisch ein deutlicher Entwicklungsrückstand - eine rückwirkende Anerkennung vor diesem Zeitpunkt ist aufgrund fehlender Fachbefunde dazu nicht möglich.
rückwirkende Anerkennung GdB 30% bei erfolgreich operiertem Herzfehler aufgrund der vorliegenden Fachbefunde ab Geburt möglich;
[…]
Gutachten erstellt am von ***Dr.1***
Gutachten vidiert am von ***Dr.3***"
Der gesetzlich festgelegte Anspruchszeitraum für die Familienbeihilfe ist, wie sich dies den Regelungen des § 10 Abs. 2 und 4 FLAG 1967 entnehmen lässt, der Monat.
Der Spruch des angefochtenen Bescheides umfasst die Anspruchszeiträume Juni 2019 bis Juni 2021. Damit ist auch die Entscheidungsbefugnis des Bundesfinanzgerichtes auf diese Zeiträume beschränkt.
Strittig ist im Beschwerdefall, ob für die Bf. in den vom angefochtenen Bescheid umfassten Zeiträumen ein Anspruch auf erhöhte Familienbeihilfe (§ 8 Abs. 4 FLAG 1967) besteht, weil ihr Sohn erheblich behindert im Sinne des § 8 Abs. 5 FLAG 1967 ist.
Durch die Bestimmung des § 8 Abs. 6 FLAG 1967 hat der Gesetzgeber die Feststellung des Grades der Behinderung der eigenständigen Beurteilung der Familienbeihilfenbehörden entzogen und dafür ein qualifiziertes Nachweisverfahren eingeführt, bei dem eine für diese Aufgabenstellung besonders geeignete Institution eingeschaltet wird und der ärztliche Sachverstand die ausschlaggebende Rolle spielt. Die Beihilfenbehörden haben bei ihrer Entscheidung jedenfalls von dieser durch ärztliche Gutachten untermauerten Bescheinigung auszugehen und können von ihr nur nach entsprechend qualifizierter Auseinandersetzung abgehen (). Daraus folgt, dass de facto eine Bindung an die Feststellungen der im Wege des Bundessozialamtes (Sozialministeriumservice) erstellten Gutachten gegeben ist. Die Tätigkeit der Behörden hat sich daher im Wesentlichen auf die Frage zu beschränken, ob die Gutachten als schlüssig, vollständig und nicht einander widersprechend anzusehen sind (z.B. mit Hinweis auf , und ; Lenneis in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG2, § 8 Rz 29).
Auch das Bundesfinanzgericht hat somit für seine Entscheidung die ärztlichen Sachverständigengutachten heranzuziehen, sofern diese als vollständig und schlüssig anzusehen sind. Es ist also im Rahmen dieses Beschwerdeverfahrens festzustellen, ob die oben angeführten im Wege des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen (Sozialministeriumservice) erstellten medizinischen Gutachten diesen Kriterien entsprechen.
Im ärztlichen Erstgutachten vom stellte die Gutachterin beim Sohn der Bf. als Ergebnis der durchgeführten Begutachtung die dort näher angeführten Funktionseinschränkungen (generalisierter Entwicklungsrückstand, keine Sprache - Lautieren, deutlicher motorischer Entwicklungsrückstand) fest. Der Grad der Behinderung wurde ab Juli 2021 mit 70 % bestimmt. Dass es sich beim Sohn der Bf. um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, wurde im erwähnten Gutachten nicht festgestellt.
Die medizinische Sachverständige hat ihre im Gutachten getroffenen Feststellungen ausreichend begründet und die von der Bf. vorgelegten Befunde und Unterlagen berücksichtigt.
Sie stellte fest, dass eine rückwirkende Anerkennung eines Grades der Behinderung von 70 v.H. vor dem Zeitpunkt der Untersuchung im Rahmen des Erstgutachtens am aufgrund fehlender Fachbefunde nicht möglich ist.
Nach den Ausführungen im Zweitgutachten (Aktengutachten) sei beim Kind der Bf. das Vorliegen einer erheblichen Behinderung im Sinne des § 8 Abs. 5 FLAG 1967 in den hier strittigen Zeiträumen Juni 2019 bis Juni 2021 aufgrund fehlender Fachbefunde nicht möglich gewesen. Die angeborene Herzerkrankung sei demnach in allen Befunden stabil gewesen. Eine Entwicklungsverzögerung sei in den früheren Befunden nicht beurteilt und erwähnt worden, sodass der Entwicklungsrückstand erst seit der Erstbegutachtung durch das BASB - Sozialministeriumservice am bestätigt werden könne.
Die Parteien haben die Möglichkeit, Unvollständigkeiten und Unschlüssigkeiten eines Gutachtens im Rahmen des Verfahrens der Behörde oder dem Verwaltungsgericht aufzuzeigen oder einem Gutachten (etwa durch Beibringung eines eigenen Gutachtens) auf gleicher fachlicher Ebene entgegenzutreten (vgl. ). Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des VwGH, dass durch die Vorlage von Privatgutachten oder weiterer Befunde die Schlüssigkeit der vom Sozialministeriumservice eingeholten Gutachten widerlegt werden könnte (z.B. ; ).
Die Bf. legte zusammen mit der Beschwerde u.a. einen Bericht (Befunderhebung/Abklärung/Fallreflexion) des LKH - Uniklinikums ***UK*** vom vor. Darin wird auf Seite 10 u.a. angeführt, dass für den um 11:00 Uhr in der Neuropädiatrie Ambulanz eine neuropädiatrische Entwicklungskontrolle für den am ***xx.06.2019*** geborenen ***K.*** vereinbart worden war.
Im Verfahren vor dem Bundesfinanzgericht wurde daher der Bf. die Möglichkeit gegeben, sämtliche im bisherigen Verfahren noch nicht vorgelegten medizinischen Unterlagen und Befunde mit Relevanz für den Zeitraum Juni 2019 bis Juni 2021, insbesondere auch das erwähnte Ergebnis der neuropädiatrischen Entwicklungskontrolle vom vorzulegen.
Die Bf. ist dieser Einladung jedoch nicht nachgekommen.
Im Aktengutachten (Zweitgutachten) vom ist allerdings unter dem Punkt "Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe)" u.a. auch Folgendes angeführt:
"…
Uni-Klinikum ***UK***, Kinder- und Jugendheilkunde : Verlaufskontrolle bei Kritische valvuläre Aortenstenose, St.p. Ballonvalvuloplastie
… Stimmlippenlähmung Ii.
globaler Entwicklungsrückstand
Über die neuropädiatrische Ambulanz wurden Fördermaßnahmen wie mobile Frühförderung und ambulante Physiotherapie empfohlen.
…"
Das Bundesfinanzgericht ersuchte daher in der Folge das Sozialministeriumservice um eine Stellungnahme zur Frage, ob nicht bereits mit dem Arztbrief Kardiologie des Uniklinikums ***UK*** vom , in dem neben einer Stimmlippenlähmung auch ein globalisierter Entwicklungsrückstand mit einem Bedarf an mobiler Frühförderung sowie ambulanter Physiotherapie festgestellt wurde, ein Grad der Behinderung von zumindest 50 v.H. angenommen werden kann.
In einer Stellungnahme vom des Ärztlichen Dienstes beim Sozialministeriumservice zum Aktengutachten vom (Zweitgutachten) heißt es, dass aufgrund des erwähnten Ambulanten Arztbriefes ein Gesamtgrad der Behinderung von 50% nunmehr rückwirkend ab 2/2020 angenommen werden könne.
Nach dem eindeutigen Wortlaut der gesetzlichen Bestimmung in § 8 Abs. 5 FLAG ist eine "erhebliche Behinderung" nicht nach der zugrundeliegenden Ursache, sondern nach der vorhandenen Funktionsbeeinträchtigung zu beurteilen. Auch nach § 1 der Einschätzungsverordnung ist unter Behinderung die "Auswirkung" der Funktionsbeeinträchtigung zu verstehen und ist das Ausmaß dieser Auswirkungen als Grad der Behinderung zu beurteilen.
Im Beschwerdefall steht außer Streit, dass beim Sohn der Bf. von Geburt an eine schwere Herzerkrankung vorlag und er bereits nach der Geburt bereits mehrfach operiert werden musste. Dies ändert jedoch nichts daran, dass sich der Grad der Behinderung auch hinsichtlich seiner zeitlichen Festlegung, also ab wann der jeweilige Grad der Behinderung vorliegt, nicht nach der ursprünglichen Ursache, sondern nach der jeweils (je nach Alter) vorhandenen Beeinträchtigung richtet. Die angeborene schwere Herzerkrankung ist daher nicht - wie in der Beschwerde und im Vorlageantrag sinngemäß vorgebracht wurde - dem Eintritt einer bereits erheblichen Behinderung gleichzuhalten (vgl. auch ).
Liegen keine aussagekräftigen Befunde für bestimmte vergangene Zeiträume vor, ist es einem Gutachter in der Regel nicht möglich, für solche Zeiträume das Vorliegen einer erheblichen Behinderung festzustellen. Ein Sachverständiger kann in derartigen Fällen lediglich auf Grund von Indizien in Verbindung mit seinem spezifischen Fachwissen Rückschlüsse ziehen, zu welchem Zeitpunkt eine erhebliche Behinderung im Sinne des § 8 Abs. 5 FLAG 1967 eingetreten ist.
Das Ausmaß eines Entwicklungsrückstandes kann sich abhängig vom Alter des Kindes verschieden darstellen, da die jeweils zu beherrschenden und erwarteten Fähigkeiten des Kindes sich altersbedingt wesentlich voneinander unterscheiden.
Vor diesem Hintergrund ist es jedoch nicht als unschlüssig anzusehen, dass sich die medizinische Sachverständige des Sozialministeriumservice auf die von der Bf. vorgelegten Befunde stützte und in der ergänzenden Stellungnahme vom zum Aktengutachten vom eine rückwirkende Anerkennung des Gesamtgrades der Behinderung von mindestens 50 v.H. nicht erst mit der Erstbegutachtung im Juli 2021 annahm, sondern bereits mit dem vorliegenden "Ambulanten Arztbrief Kardiologie" des Universitätsklinikums ***UK*** vom .
Die ärztlichen Sachverständigen im Sozialministeriumservice bezogen bei ihrer Diagnoseerstellung bzw. für die Feststellung der erheblichen Behinderung neben ihrem Fachwissen nunmehr auch alle vorgelegten Befunde ein.
Auch das Bundesfinanzgericht sieht es daher als erwiesen an, dass beim Sohn der Bf. für die Zeiträume ab Februar 2020 ein Grad der Behinderung von mindestens 50 v.H. und somit das Vorliegen einer erheblichen Behinderung im Sinne des § 8 Abs. 5 FLAG 1967 festgestellt werden konnte.
Aus den dargelegten Gründen war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Zulässigkeit einer Revision
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Das Revisionsmodell soll sich nach dem Willen des Verfassungsgesetzgebers an der Revision nach den §§ 500 ff ZPO orientieren (vgl. RV 1618 BlgNR 24. GP, 16). Ausgehend davon ist der Verwaltungsgerichtshof als Rechtsinstanz tätig, zur Überprüfung der Beweiswürdigung ist er im Allgemeinen nicht berufen. Auch kann einer Rechtsfrage nur dann grundsätzliche Bedeutung zukommen, wenn sie über den konkreten Einzelfall hinaus Bedeutung besitzt ().
Das vorliegende Erkenntnis beruht im Wesentlichen auf der Beweiswürdigung, ob und in welchen Zeiträumen beim Sohn der Bf. eine erhebliche Behinderung im Sinne des § 8 Abs. 5 FLAG 1967 vorliegt.
Weder die im Rahmen der freien Beweiswürdigung getroffenen Feststellungen noch die einzelfallbezogene rechtliche Beurteilung weisen eine Bedeutung auf, die über den Beschwerdefall hinausgeht.
Die Revision ist daher gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt.
Linz, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer FLAG |
betroffene Normen | § 8 Abs. 4 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 § 8 Abs. 5 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 § 8 Abs. 6 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2023:RV.5100058.2022 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at