Bescheidbeschwerde – Einzel – Beschluss, BFG vom 16.01.2023, RV/3100081/2022

unterlassene Ermittlungen wegen fehlender Auseinandersetzung mit dem Beschwerdevorbringen

Entscheidungstext

BESCHLUSS

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Dr. Lechner & MMag. Niedrist Rechtsanwälte KG, Bürgerstraße 2, 6020 Innsbruck, betreffend die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Abweisung eines Antrages auf erhöhte Familienbeihilfe ab September 2015, Versicherungsnummer [VNR],

beschlossen:

I.

Der angefochtene Bescheid vom 4. Feber 2021 und die diesbezügliche Beschwerdevorentscheidung vom werden gemäß § 278 Abs 1 BAO aufgehoben. Die Sache wird an das Finanzamt zurückverwiesen.

II.

Gegen diesen Beschluss ist gemäß Art 133 Abs 9 B-VG iVm Art 133 Abs 4 B-VG und § 25a VwGG eine (ordentliche) Revision nicht zulässig.

Begründung

Mit (nicht im vorgelegten Verwaltungsakt befindlichem) Antrag vom (lt bekämpften Bescheid) begehrte die Beihilfenbezieherin die Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung ihres Kindes [NameKind], geb am [GebDat], rückwirkend ab September 2015.

Nach Zitierung von Gesetzesstellen des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 führte das Finanzamt mit Abweisungsbescheid vom 4. Feber 2021 aus:
"Laut Bescheinigung des Sozialministeriumservice vom liegt bei [NameKind] ab ein Grad der Behinderung von 30% vor. Da die erhöhte Familienbeihilfe erst ab einem Grad der Behinderung von mindestens 50% gewährt werden kann, muss Ihr Antrag abgewiesen werden."

Gegen diesen Bescheid wurde innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben. In dieser wurden die inhaltliche Rechtswidrigkeit des Bescheides sowie Rechtswidrigkeit in Folge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht. Der Beschwerde beigelegt wurden der Abweisungsbescheid, ein klinisch-psychologisches Gutachten vom , ein Sachverständigengutachten für das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vom (vidiert am ), ein Auszug aus der Gerichtssachverständigenliste (Stand ), ein Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt vom über den Anspruch auf Pflegegeld und ein Behandlungsplan für Ergotherapie.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Das Finanzamt bezog sich auf das für das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen erstellte Sachverständigengutachten vom (nunmehr richtig) und hielt fest, dass in der Beschwerde "die Glaubwürdigkeit des erstellten Gutachtens angezweifelt und ein Antrag auf Einholung eines Gutachtens eines Kinder- und Jugendpsychologen beantragt" werde. Die Abgabenbehörde wäre "an die erstellten Gutachten des Sozialministeriumservice gebunden" und habe diese nur insoweit zu prüfen, ob diese schlüssig und vollständig seien. Dazu wäre die Beschwerdeschrift an das Sozialministeriumservice zur nochmaligen Prüfung übermittelt worden. Laut der zuständigen Behörde wären jedoch keine weiteren fallrelevanten Befunde, die eine nochmalige Prüfung notwendig machen würden, vorgelegt worden. Somit sei die Abgabenbehörde an das im November 2020 erstellte Gutachten gebunden.

Daraufhin beantragte die Einschreiterin durch ihren rechtsfreundlichen Vertreter die Entscheidung durch das Bundesfinanzgericht. Gerügt wurde unter Aufrechthaltung aller bisherigen Beschwerdeausführungen und -gründe, dass die nunmehrige Vorgangsweise der Abgabenbehörde eine weitere Rechtswidrigkeit in Folge Verletzung von Verfahrensvorschriften darstelle. Der Beschwerdeführerin sei die Stellungnahme des Sozialministeriumservice nicht bekannt und habe sie auch keine Möglichkeit zur Äußerung zur Stellungnahme gehabt. Es bleibe auch gänzlich unerfindlich, welche Befunde vorgelegt worden wären. Jedenfalls fehle nach wie vor jede Auseinandersetzung mit dem von der Beschwerdeführerin vorgelegten Gutachten.

Im vorgelegten Verwaltungsakt befindet sich noch ein (undatierter) Ausdruck aus der Datenbank, mit welcher die Abgabenbehörde mit dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen kommuniziert. Daraus lässt sich erkennen, dass auf eine (möglicherweise) erneute Anforderung auf Erstellung einer Bescheinigung seitens des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, welche im vorgelegten Verwaltungsakt nicht enthalten ist, mitgeteilt worden ist, dass mangels neuer Befunde eine neuerliche Einschätzung des Grades der Behinderung zum gleichen Ergebnis führen würde, weshalb diese nicht durchgeführt werde.

Das Finanzamt legte die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht vor.

Strittig ist im vorliegenden Fall, ob der Grad der Behinderung des Kindes ein Ausmaß von (zumindest) 50% erreicht und damit die Voraussetzungen zum Bezug des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung des § 8 Abs 3ff FLAG 1967 erfüllt sind. Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind nach § 8 Abs 5 FLAG 1967 § 14 Abs 3 des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl Nr 22/1970, in der jeweils geltenden Fassung, und die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) vom , BGBl II Nr 261/2010, in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden.

Der Grad der Behinderung ist nach § 8 Abs 6 FLAG 1967 ist der Grad der Behinderung durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.

Gemäß § 2 lit a BAO ist die Bundesabgabenordnung sinngemäß in Angelegenheiten der Familienbeihilfe anzuwenden.

§ 115 BAO lautet:
Abs 1: Die Abgabenbehörden haben die abgabepflichtigen Fälle zu erforschen und von Amts wegen die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zu ermitteln die für die Abgabepflicht und die Erhebung der Abgaben wesentlich sind.
Abs 2: Den Parteien ist Gelegenheit zur Geltendmachung ihrer Rechte und rechtlichen Interessen zu geben.
Abs 3: Die Abgabenbehörden haben Angaben der Abgabepflichtigen und amtsbekannte Umstände auch zugunsten der Abgabepflichtigen zu prüfen und zu würdigen.
Abs 4: Solange die Abgabenbehörde nicht entschieden hat, hat sie auch die nach Ablauf einer Frist vorgebrachten Angaben über tatsächliche oder rechtliche Verhältnisse zu prüfen und zu würdigen.

Nach § 166 BAO kommt als Beweismittel im Abgabenverfahren alles in Betracht, was zur Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes geeignet und nach Lage des einzelnen Falles zweckdienlich ist.

§ 167 BAO normiert:
Abs 1: Tatsachen, die bei der Abgabenbehörde offenkundig sind, und solche, für deren Vorhandensein das Gesetz eine Vermutung aufstellt, bedürfen keines Beweises.
Abs 2: Im übrigen hat die Abgabenbehörde unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Abgabenverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht.

Wird die Aufnahme eines Beweises durch Sachverständige notwendig, so sind gemäß § 177 Abs 1 BAO die für Gutachten der erforderlichen Art öffentlich bestellten Sachverständigen beizuziehen.

Nach § 183 Abs 1 BAO sind Beweise von Amts wegen oder auf Antrag aufzunehmen.
Gemäß Abs 2 der zitierten Gesetzesbestimmung kann die Abgabenbehörde die Beweisaufnahme auch im Wege der Amtshilfe durch andere Abgabenbehörden vornehmen lassen.
Von den Parteien beantragte Beweise sind nach Abs 3 leg cit aufzunehmen, soweit nicht eine Beweiserhebung gemäß § 167 Abs 1 BAO zu entfallen hat. Von der Aufnahme beantragter Beweise ist abzusehen, wenn die unter Beweis zu stellenden Tatsachen als richtig anerkannt werden oder unerheblich sind, wenn die Beweisaufnahme mit unverhältnismäßigem Kostenaufwand verbunden wäre, es sei denn, dass die Partei sich zur Tragung der Kosten bereit erklärt und für diese Sicherheit leistet, oder wenn aus den Umständen erhellt, dass die Beweise in der offenbaren Absicht, das Verfahren zu verschleppen, angeboten worden sind. Gegen die Ablehnung der von den Parteien angebotenen Beweise ist ein abgesondertes Rechtsmittel nicht zulässig.
Nach § 183 Abs 4 BAO ist den Parteien vor Erlassung des abschließenden Sachbescheides Gelegenheit zu geben, von den durchgeführten Beweisen und vom Ergebnis der Beweisaufnahme Kenntnis zu nehmen und sich dazu zu äußern.

Die Beweisregelung des § 8 Abs 6 FLAG 1967 geht als Spezialnorm den allgemeinen Bestimmungen des § 166 BAO betreffend Beweismittel und des § 177 BAO betreffend den Sachverständigenbeweis vor (vgl Lenneis in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG2 § 8 Rz 12 mwN), schließt deren ergänzende Anwendung aber nicht aus (vgl ).

Bei der Antwort auf die Frage, ob das Kind erheblich behindert war bzw ist (oder dauernd außerstande war bzw ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen), ist die Behörde bzw das Bundesfinanzgericht an die der Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen zugrunde liegenden Gutachten grundsätzlich gebunden und darf diese nur insoweit prüfen, ob sie schlüssig und vollständig und - im Falle mehrerer Gutachten - nicht einander widersprechend sind (vgl ; , und die bei Lenneis in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG2 § 8 Rz 29 zitierte Rechtsprechung).

Die Beihilfenbehörden haben somit bei ihrer Entscheidung grundsätzlich von der durch ärztliche Gutachten untermauerten Bescheinigung auszugehen (vgl ; ).
Es besteht nach der Rechtsprechung beider Gerichtshöfe öffentlichen Rechts zu § 8 Abs 6 FLAG 1967 jedoch keine absolute und unbedingte Bindung an die Bescheinigungen des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes obliegt die Entscheidung darüber, ob ein Gutachten im Sinne des § 8 Abs 6 FLAG 1967 unschlüssig oder ergänzungsbedürftig ist, in jedem Fall der Beihilfenbehörde. Eine Gutachtensergänzung oder ein neues Gutachten stellen (neue) Beweismittel dar (vgl ).
Nach dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes , kann von solchen Gutachten nach "entsprechend qualifizierter Auseinandersetzung" auch abgegangen werden (vgl ). In ständiger Rechtsprechung wird diese Ansicht auch vom Verwaltungsgerichtshof vertreten (vgl ; ; ; ). Mit dieser Aussage wird klar aufgezeigt, dass im Falle von Unschlüssigkeiten, Unvollständigkeiten oder Widersprüchlichkeiten eine "entsprechend qualifizierte Auseinandersetzung" mit dem bzw den Gutachten zu erfolgen hat, welche regelmäßig darin bestehen wird, das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen mit den durch die Abgabenbehörde (vermeintlich) erkannten Unschlüssigkeiten, Unvollständigkeiten bzw Widersprüchen zu konfrontieren und auf eine Ergänzung bzw Aufklärung hinzuwirken. Gegebenenfalls kann auch die Erstellung eines zweiten bzw weiteren Gutachtens notwendig und zweckmäßig sein.

Nach ständiger Rechtsprechung (vgl etwa , mwN) muss ein Sachverständigengutachten, das von einer Behörde - oder einem Verwaltungsgericht (vgl , mwN) - der jeweiligen Entscheidung zu Grunde gelegt wird, einen Befund und das Gutachten im engeren Sinn enthalten sowie ausreichend begründet sein (vgl ; ).
Der Befund besteht in der Angabe der tatsächlichen Grundlagen, auf denen das Gutachten (im engeren Sinn) aufbaut, und der Art, wie sie beschafft wurden. Während somit der Befund die vom Sachverständigen vorgenommenen Tatsachenfeststellungen enthält, bilden die Schlussfolgerungen des Sachverständigen aus dem Befund, zu deren Gewinnung er seine besonderen Fachkenntnisse und Fähigkeiten benötigt, das Gutachten im engeren Sinn (vgl , mwN; ).
Ein Gutachten ist die begründete Darstellung von Erfahrungssätzen und die Ableitung von Schlussfolgerungen für die tatsächliche Beurteilung eines Geschehens oder Zustands auf der Basis des objektiv feststellbaren Sachverhalts durch einen oder mehrere Sachverständige. Sachverständige haben dabei fundierte und wissenschaftlich belegbare konkrete Aussagen zu treffen und dürfen ihre Beurteilungen und Feststellungen nicht auf Spekulationen, sondern ausschließlich auf die festgestellten Tatsachen verbunden mit ihrem fachspezifischen Wissen stützen (vgl für viele ; ).
Die Behörde hat - im Rahmen ihrer Pflicht zur amtswegigen Ermittlung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes (§ 115 BAO) - ein Gutachten eines Sachverständigen auf seine Richtigkeit, Widerspruchsfreiheit, Vollständigkeit und Schlüssigkeit hin zu prüfen und ist dabei auch gehalten, sich im Rahmen der Begründung des Bescheides mit dem Gutachten auseinander zu setzen und es entsprechend zu würdigen (vgl etwa oder , mwN; ).
Auch die Gutachten der Ärzte des Sozialministeriumservice haben den an ärztliche Sachverständigengutachten zu stellenden Anforderungen an ihre Nachvollziehbarkeit zu entsprechen. Sie dürfen sich daher insbesondere nicht widersprechen oder in bloßen Behauptungen erschöpfen (vgl etwa ; ).

Die Behörden des Verwaltungsverfahrens sind verpflichtet, die Beweiskraft der Gutachten des Sozialministeriumservice zu prüfen und erforderlichenfalls für deren Ergänzung zu sorgen (vgl etwa , mwN; ). Dies setzt voraus, dass sich Behörde vor Erlassung ihre Entscheidung Kenntnis vom gesamten Inhalt des jeweiligen Gutachtens verschafft.

Die Parteien haben die Möglichkeit, Unvollständigkeiten und Unschlüssigkeiten eines Gutachtens im Rahmen des Verfahrens der Behörde aufzuzeigen oder einem Gutachten (etwa durch Beibringung eines eigenen Gutachtens) auf gleicher fachlicher Ebene entgegenzutreten (vgl /0057, mwN). Die Behörde hat sich dann mit dem Inhalt dieses Gegengutachtens auseinanderzusetzen (vgl ).

Abschließend ist noch auf die von der Beschwerdeführerin in der Beschwerde angeführte Judikatur zu verweisen.

Im vorliegenden Fall hat das Finanzamt den bekämpften Bescheid offensichtlich ohne Kenntnis des Inhaltes der Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen alleine auf Grund der sogenannten elektronisch übermittelten "Metadaten" erlassen. Eine Kenntnis des Finanzamtes über den Inhalt des Gutachtens ergibt sich jedenfalls weder aus dem vorgelegten Verwaltungsakt, noch der Begründung des bekämpften Erstbescheides (welcher zudem hinsichtlich der Bescheinigung ein falsches Datum anführt) und entspricht diese Vorgangsweise auch der dem Bundesfinanzgericht bekannten Verwaltungspraxis. Die vom Gesetz (insbes § 115 Abs 1 BAO) und der Rechtsprechung (vgl die oben angeführten Erkenntnisse) geforderte Feststellung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes hat damit offensichtlich nicht stattgefunden. Ebenfalls liegt ein Verstoß gegen § 183 Abs 4 BAO vor, da seitens des Finanzamtes nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden kann, dass das vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen veranlasste ärztliche Sachverständigengutachten der Antragstellerin auch tatsächlich zugekommen ist. Sollte dieses nämlich zB am Postweg in Verlust geraten sein, würde sogar nicht einmal die Möglichkeit bestehen, sich vor Erlassung des Bescheides eigeninitiativ dazu zu äußern.
Diese Praxis wird auch in der Literatur stark kritisiert ("Die derzeitige Vorgangsweise, den vollständigen Gutachtenstext erst im Beschwerdeverfahren abzuverlangen, ist rechtswidrig." - Lenneis in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG2 § 8 Rz 30).

Nun ergibt sich aus der höchstgerichtlichen Rechtsprechung aber, dass allfällige (bezogen wohl primär auf unbewusst unterlaufene) Verfahrensfehler im Beschwerdeverfahren sanierbar sind.
Die Beschwerdeführerin hat unter Anschluss des ihr übermittelten ärztlichen Gutachtens in ihrer Beschwerde umfassende Ausführungen zu den von ihr behaupteten Unzulänglichkeiten des der Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen zu Grunde liegenden ärztlichen Sachverständigengutachtens erstattet.

Wie nunmehr aus der Begründung der Beschwerdevorentscheidung hervorgeht, vertritt das Finanzamt offenbar die Rechtsansicht, dass es jedenfalls an die Bescheinigung gebunden sei und ein Abweichen davon grundsätzlich nicht möglich wäre. Diese Rechtsansicht widerspricht der oben zitierten Rechtsprechung. Das Finanzamt hat demnach selbst eine Prüfung der Schlüssigkeit und Vollständigkeit des der Bescheinigung zu Grunde liegenden ärztlichen Gutachtens vorzunehmen. Entstehen Zweifel, besteht die Verpflichtung, diese Zweifel durch entsprechende (ergänzende) Ermittlungen aufzuklären. Dies umso mehr, wenn in der Beschwerde konkrete (behauptete) Unrichtigkeiten aufgezeigt werden, die seitens der Abgabenbehörde offenbar nicht als haltlose Behauptungen qualifiziert werden. Wäre letzteres nämlich der Fall, wäre eine neuerliche Befassung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen durch das Finanzamt nicht notwendig und hätte das Finanzamt in der Begründung seines Bescheides (lediglich) darzustellen, weshalb den Vorbringen der Beschwerdeführerin nicht gefolgt werden kann.
Die (bloße) Übermittlung der Beschwerde an das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen stellt gegenständlich keine (ausreichende und zielgerichtete) Ermittlungstätigkeit dar, zumal es nicht Aufgabe des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen sein kann, die von der Abgabenbehörde gehegten Zweifel an der Vollständigkeit und Schlüssigkeit des der Bescheinigung zu Grunde liegenden Gutachtens zu erahnen. Mangels Kenntnis über die konkreten Fragen, die sich der Abgabenbehörde für die Erledigung des Falles stellten, konnte in der Reaktion des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf diese auch nicht eingegangen werden. Es mag zwar zutreffen, dass bei einem schlüssigen und vollständigen Sachverständigengutachten die bloße Behauptung der Unrichtigkeit (ohne Vorlage zusätzlicher Befunde) zu keiner Änderung der gutachterlichen Feststellungen führen wird können. Dies gilt aber nicht für Gutachten, deren Schlüssigkeit anhand konkreter Vorbringen angezweifelt wird. In einem derartigen Fall hat das Finanzamt dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen die festgestellten Unschlüssigkeiten anhand konkreter Vorhaltungen darzulegen und Feststellungen zur Aufklärung zu treffen.

Zum ärztlichen Sachverständigengutachten vom

Die gutachterliche Einschätzung erfolgte auf Grund einer Untersuchung des Kindes am 20. Okt6ober 2020 und folgender relevanter Befunde:
- Psychotherapeutischer Kurzbefund vom 17. Feber 2012 Mag. Christine Kruselberger-Hye.
- Neuropädiatrischer Befundbericht vom Dr.in Baumgartner Sigl, nach welchem lt zusammenfassender Darstellung im ärztlichen Sachverständigengutachten beim Kind eine tiefgreifende Entwicklungsstörung (Aspergersyndrom) vorliegt.
- Klinisch psychologisches Gutachten vom Mag. Draxl, der ebenfalls vom Vorliegen eines Aspergersyndroms ausgeht.

Festgehalten ist auch, dass sich das Kind in den Jahren 2015 bis 2018 "wegen Anpassungsstörung - Störung des Sozialverhaltens" in integrativer psychotherapeutischer Behandlung befunden hat und ab Jänner 2021 eine Ergotherapie geplant sei.

Unter dem Punkt "Untersuchungsbefund" wird festgehalten, dass eine wechselseitige Konversation mit dem Kind möglich ist, es eine gestellte Frage detailreich beantwortet, sich Inhalte und Sichtweisen nicht immer mit der Wahrnehmung der Umgebung decken, Mimik und Gestik unauffällig vorhanden sind, keine Manirismen und keine Stereotypien vorliegen, die Sprachgeschwindigkeit teilweise erhöht und die Ausdrucksweise altersentsprechend ist und kein auffälliger Sprachstil vorliegt. Das Kind gebe an, dass es von anderen Kindern genervt sei. Es ist teilweise einsichtig und fühlt sich rasch provoziert. Die Kommunikation in einer 1 : 1 Situation mit einem erwachsenen Gegenüber ist interaktiv und wechselseitig angepasst.
Motorische Unsicherheiten liegen vor, eine neurologische Störung nicht.

Im ärztlichen Sachverständigengutachten erfolgte eine Einstufung der Funktionsbeeinträchtigungen des Sohnes der Beschwerdeführerin unter die Pos Nr der Anlage zur Einschätzungsverordnung vom , BGBl II Nr 261/2010 idgF. Dabei handelt es sich um Entwicklungseinschränkung bis zum vollendeten 18. Lebensjahr, wobei unter dieser Positionsnummer umschriebene Entwicklungseinschränkungen des Sprechens und der Sprache, des Kommunikationsvermögens, schulische Fertigkeiten, motorische Funktionen sowie kombinierte umschriebene Entwicklungseinschränkungen und typische Begleiterscheinungen wie emotionale Störungen, Störungen des Sozialverhaltens, ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit und Hyperaktivitätsstörung) erfasst werden.

Die gewählte Positionsnummer ist in der Anlage zur Richtsatzverordnung wie folgt umschrieben:

Nach fachkundiger Einschätzung der ärztlichen Sachverständigen liegt eine Entwicklungsstörung "V.a. Aspergersyndrom V.a. Anpassungsstörung, Störung des Sozialverhaltens" leichten Grades vor. Die Wahl des "mittleren RS" erfolge wegen einer leicht bis mäßigen sozialen Beeinträchtigung. Daraus resultiere ein Gesamtgrad der Behinderung von 30%.
Ergänzend begründete die Sachverständige zum Gesamtgrad der Behinderung:
"In der Beurteilung der psychischen Störung wurde eine stark verkürzte Untersuchung von Mag. Draxl durchgeführt. Mit Beobachtung des Buben und eines Screeningtests (MBAS) Interview der Mutter, KomplementäreTestungen z.B. ADOS/ADI-R fehlen. Es besteht daher ein deutlicher Bias zugunsten der subjektiven Einschätzung und dem Gesamtbild der psychosozialen Störung. TOM Auffälligkeiten konnten in der 1 : 1 Situation der Untersuchung für das Gutachten nicht in dem Ausmaß beobachtet werden. Eine gewisse Empathiefähigkeit und Einsicht kann nicht abgesprochen werden. Die Kriterien für einen Asperger-Autismus sind anhand der vorliegenden Untersuchung nicht in ausreichend belegt."

In der Beschwerde gegen den Abweisungsbescheid wird hingegen behauptet, dass sich aus dem Gutachten Mag. Draxl ergebe, dass der Sohn der Beschwerdeführerin unter dem Asperger-Syndrom leide, was eine tiefgreifende Entwicklungsstörung mit allen typischen Symptomen darstelle. Zur Erstellung des Gutachtens wären diverse Untersuchungen durchgeführt worden und ergebe sich aus diesen das Vorliegen einer tiefgreifenden Entwicklungsstörung schweren Grades, welche unter die Positionsnummer der Anlage zur Richtsatzverordnung einzuordnen wäre.
Kritisiert wurde sodann, dass die Sachverständige, die vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen zur Begutachtung herangezogen worden sei, aus dem Fachgebiet der Kinder- und Jugendheilkunde stamme, welches die Fachgebiete der Psychologie bzw Psychiatrie nicht umfasse. Somit reiche das Fachgebiet der Sachverständigen nicht für die Beurteilung einer tiefgreifenden Entwicklungsstörung und der Abklärung eines Asperger-Syndroms nicht hin. Aus diesem Grund sehe § 4 der Einschätzungsverordnung auch vor, dass erforderlichenfalls für die ganzheitliche Beurteilung Experten aus anderen Fachbereichen, beispielsweise Psychologen, heranzuziehen sind.
Weiters wäre von der Sachverständigen unterstellt worden, dass es sich beim Gutachten von Mag. Draxl um ein "Gefälligkeitsgutachten" handeln würde und wären die behaupteten Unzulänglichkeiten des Gutachtens Mag. Draxl offenkundig unrichtig.
Entgegen der Behauptung der Sachverständigen habe Mag. Draxl die komplementären Testungen ADOS/ADI-R sehr wohl durchgeführt.
Die Sachverständige habe im Rahmen ihrer Untersuchung offensichtlich TOM Auffälligkeiten beobachtet. In welchem Ausmaß dies der Fall gewesen sei, könne ihrem Gutachten jedoch nicht entnommen werden, vielmehr würde sie sich der "Leerformel" bedienen, dass diese "nicht in dem Ausmaß" beobachtet hätten werden können.
Hinsichtlich der Empathiefähigkeit und der Einsicht setzte sich dies fort, indem lediglich festgehalten werde, dass eine "gewisse Empathiefähigkeit und Einsicht" vorliegen würden. Auch zu diesem Punkt würden Aussagen zum Ausmaß fehlen.
Nicht nachvollziehbar sei weiters, dass die Sachverständige zum Ergebnis komme, dass die Kriterien für einen Asperger-Autismus (was aus der Sicht der Beschwerdeführerin eine nicht korrekte Bezeichnung darstelle) nicht ausreichend belegt wären. In diesem Kontext sei es befremdlich, dass die Sachverständige auf das Fehlen komplementärer Testungen verweise und diese dann nicht selbst durchführe bzw es aus dem Gutachten nicht hervorgehe, welche (konkreten) Untersuchungen die Sachverständige tatsächlich durchgeführt habe. Es wäre an der Sachverständigen gelegen, eine entsprechende Grundlage zu schaffen, auf welcher das Asperger-Syndrom ausgeschlossen oder bestätigt werden könne.
Letztlich habe sich die Sachverständige trotz Vorliegens mehrerer Funktionsbeeinträchtigungen (sowohl emotionale als auch soziale Entwicklungsstörungen) nicht mit der wechselseitigen Beeinflussung beschäftigt, sodass auch im Lichte des § 3 Einstufungsverordnung das Gutachten unschlüssig sei.

Damit zeigt bereits die Beschwerde konkrete Punkte auf, deren Bestätigung oder Entkräftung mangels entsprechender einschlägiger Fachkenntnisse weder dem Finanzamt, noch dem Bundesfinanzgericht möglich ist, sodass zu diesen Punkten das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen jedenfalls konkret um ergänzende Stellungnahme zu ersuchen ist.

Darüber hinaus zeigt sich nach der Aktenlage zusätzlicher Ermittlungs- und Abklärungsbedarf beispielsweise zu folgenden Punkten:

Unstrittig erfolgte die Einstufung zur Feststellung des Grades der Behinderung unter Positionsnummer 03.02 der Einschätzungsverordnung. Unter dieser sind Entwicklungseinschränkung bis zum vollendeten 18. Lebensjahr umschrieben und können diese zu einem Grad der Behinderung zwischen 10% und 100% führen. Der Grad der Behinderung ist damit offenbar nicht (primär) von der Bezeichnung der gesundheitlichen Einschränkung abhängig, sondern ausschließlich nach Art und Schwere der durch diese verursachten Funktionseinschränkungen (§ 2 Einschätzungsverordnung).
Trifft diese Aussage zu?

Im Gutachten der Sachverständigen wird ausgeführt, dass Mag. Draxl eine "stark verkürzte Untersuchung" durchgeführt habe. Dies wird offenbar mit dem Fehlen von zwei "z.B." angeführten komplementären Testungen begründet, welche nach den Beschwerdeausführungen tatsächlich doch durchgeführt worden seien.
Ergibt sich aus dem Gutachten Mag. Draxl, dass die von der Sachverständigen angeführten Testungen durchgeführt wurden? Fehlen allenfalls andere erforderliche Testungen?

Unter Punkt "Ergebnis der durchgeführten Begutachtung" wurde seitens der Sachverständigen "… V.a. Aspergersyndrom V.a. Anpassungsstörung, Störung des Sozialverhaltens". Andererseits wird unter Punkt "Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung" ausgeführt, dass die Kriterien für einen Asperger-Autismus nicht ausreichend belegt sind.
Stehen diese Aussagen nicht in Widerspruch zueinander? Was ist unter "mittlerem RS" zu verstehen, enthält die Pos.Nr. doch nur die Unterteilung in GdB 10-20% und 30-40%?

Das Bundesfinanzgericht schließt aus den Angaben in der Anlage zur Richtsatzverordnung, dass die Einstufung anhand der Prüfung des Vorliegens und der Schwere mehrerer unterschiedlicher Funktionseinschränkungen zu erfolgen hat. Um welche Bereiche von Funktionseinschränkungen handelt es sich? Sind diese Bereiche durch Aussagen in den im vorliegenden Fall vorliegenden Beweismittel angesprochen?
Ein Gutachten zur Feststellung des Grades der Behinderung hat Aussagen zu allen diesen Bereichen zu enthalten.

Für den Sohn der Beschwerdeführerin wurde nach dem im Beschwerdeverfahren vorgelegten Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt ab Dezember 2020 (zumindest bis Dezember 2021) Pflegegeld bezogen. In diesem Zusammenhang wurde - wovon auszugehen ist -eine entsprechende Begutachtung nach dem BPGG erstellt. Können aus dieser Begutachtung Ableitungen auch für das gegenständliche Verfahren getroffen werden?

Was ist unter der Aussage im Gutachten "Es besteht daher ein deutlicher Bias zugunsten der subjektiven Einschätzung und dem Gesamtbild der psychosozialen Störung.", aus der die Beschwerdeführerin eine Befangenheit der Sachverständigen ableitet, zu verstehen?
Der Begriff "Bias" umschreibt nach dem Kenntnisstand des Bundesfinanzgerichtes einen systematischen Fehler, der zur Verzerrung von Resultaten führt. Wurde der Begriff von der Sachverständigen in diesem Sinn verwendet? Wenn ja: Worin besteht nach Ansicht der Sachverständigen dieser Fehler?

Trifft es tatsächlich zu, dass, wie von der Beschwerdeführerin behauptet, das Fachgebiet Kinder- und Jugendheilkunde die Fachgebiete der Psychologie bzw Psychiatrie nicht umfasst und aus diesem Grund die vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen mit der Gutachtenserstellung beauftragte Sachverständige für die Beurteilung des gegenständlichen Falles über kein ausreichendes Fachwissen verfügt?

All diese Ermittlungen und Sachverhaltsabklärungen wurden seitens des Finanzamtes nicht durchgeführt.

Gemäß § 278 BAO kann das Verwaltungsgericht bei unterlassenen Ermittlungen mit Beschluss die Beschwerde durch Aufhebung des angefochtenen Bescheides und allfälliger Beschwerdevorentscheidungen unter Zurückverweisung der Sache an die Abgabenbehörde erledigen.

Die Aufhebung und Zurückverweisung gemäß § 278 Abs 1 BAO steht im Ermessen des Gerichtes (vgl etwa - zur Rechtslage nach § 278 Abs 1 BAO idF FVwGG 2012 - ). Zulässig ist sie nach dem Gesetz erstens, wenn Ermittlungen unterlassen wurden, bei deren Durchführung ein anders lautender Bescheid hätte erlassen werden oder eine Bescheiderteilung hätte unterbleiben können (§ 278 Abs 1 erster Satz BAO). Die Aufhebung und Zurückverweisung ist dann unzulässig, wenn die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (§ 278 Abs 1 zweiter Satz BAO). Diese im Rahmen der sodann zu fällenden Ermessensentscheidung zu berücksichtigenden positiven und negativen Voraussetzungen sind in rechtlicher Gebundenheit zu prüfen. Das Gericht hat die von ihm vermissten und ins Auge gefassten Ermittlungsschritte zu bezeichnen und zu beurteilen und auch die Frage zu beantworten, ob die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Gericht selbst nicht im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wäre (vgl. ; ; ; ; ; ).

Der , 66 5002/6-VI/6/02, Anforderung einer ärztlichen Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, sieht ebenso wie die Richtlinie des BMF-280000/0222-IV/2/2013, Organisationshandbuch - zur verwaltungsökonomischen Abwicklung des Verfahrens - ausschließlich den elektronischen Verkehr mit dem Sozialministeriumservice durch die Finanzämter vor.

Hier erweist sich eine sofortige Aufhebung des angefochtenen Bescheides unter Zurückverweisung der Sache an die Abgabenbehörde als weitaus verwaltungsökonomischer (vgl ; ; ; ; ; ; ; ; ; ; ; ; ; ).

Die Veranlassung einer Gutachtensergänzung oder der Erstellung eines neuen Gutachtens erfolgt im elektronischen Verkehr der Finanzämter mit dem Sozialministeriumservice; das Bundesfinanzgericht ist in dieses elektronische Verfahren nicht eingebunden.

Bereits im Hinblick auf das für die Einholung und Ergänzung von Gutachten des Sozialministeriumservice vorgesehene elektronische Verfahren erweist sich die Zurückverweisung der Sache als zweckmäßiger (rascher und kostengünstiger) als die Führung dieser Ermittlungen durch das Bundesfinanzgericht selbst.

Die Aufhebung unter Zurückverweisung dient zudem der Verfahrensbeschleunigung und entspricht dem Gebot der möglichst angemessenen Verfahrensdauer. Dem Bundesfinanzgericht fehlen zumindest für umfangreichere Ermittlungen die erforderlichen Ressourcen (das BFG hat eine verglichen mit allen anderen Gerichten signifikant zu niedrige Ausstattung mit nichtrichterlichen Mitarbeitern vgl Wanke/Unger, BFGG § 18 Anm 6). Die erforderlichen Erhebungen sind daher jedenfalls vom Finanzamt (sei es nach § 278 BAO, sei es bei Nichtaufhebung nach § 269 Abs 2 BAO) durchzuführen (vgl etwa , , oder ).

Weiters ist zu berücksichtigen, dass - bei einer weiteren Verfahrensführung durch das Bundesfinanzgericht - alleine wegen des wechselseitig und gegebenenfalls mehrfach zu gewährenden Parteiengehörs keinesfalls eine Beschleunigung des Verfahrens, sondern vielmehr zusätzliche Verzögerungen in Kauf genommen werden müssten. Der Beschwerdeführerin entstehen durch die Aufhebung keine Mehrkosten gegenüber einer weiteren Verfahrensführung durch das Bundesfinanzgericht und wäre eine erhebliche Kosteneinsparung ebenfalls nicht zu erzielen.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs kann von der Möglichkeit der Zurückverweisung bei krassen bzw besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden (vgl zB ). Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird demnach insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht, vgl Holoubek, Kognitionsbefugnis, Beschwerdelegitimation und Beschwerdegegenstand, in Holoubek/Lang (Hrsg), Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, erster Instanz, 2013, Seite 127, Seite 137; siehe schon Merli, Die Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte erster Instanz, in Holoubek/Lang (Hrsg), Die Schaffung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz, 2008, Seite 65, Seite 73f).

Die Erledigung des Rechtsmittels durch Aufhebung und Zurückverweisung ist daher zulässig und zweckmäßig.

Dieser Beschluss war gemäß § 274 Abs 3 Z 3 BAO iVm § 274 Abs 5 BAO und § 278 Abs 1 BAO ohne Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung zu treffen, da sich bereits nach der Aktenlage ergibt, dass seitens des Gerichts mittels Kassation vorzugehen ist.

Das Finanzamt wird im weiteren Verfahren zu beurteilen haben, inwieweit die Einwendungen der Beschwerdeführerin zur (vermeintlich fehlenden) Qualifikation der Sachverständigen und zu deren (vermeintlicher) Befangenheit zu Recht erhoben wurden. Abhängig davon wird es sodann die Ergänzung des Gutachtens durch das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Sozialministeriumservice) bzw die Erstellung eines neuen Gutachtens im Sinne der vorstehenden Ausführungen zu veranlassen haben.
Im weiteren Verfahren hat das Finanzamt Parteiengehör zu einer allfälligen Ergänzung bzw zum vollständigen (nicht bloß "Meta-Daten") neuen Gutachten vor einer allfälligen Bescheiderlassung (falls weiterhin vom Nichtbestehen eines Anspruches auszugehen und nicht mit Auszahlung vorzugehen ist) zu gewähren.

Die notwendigenfalls neuerliche abweisende Entscheidung des Finanzamts wird sich dann mit dem Inhalt des ergänzten bzw neuen Gutachtens unter Bezugnahme auf die anderen aktenkundigen Gutachten und sonstigen Urkunden sowie allfälligen neuen Vorbringen der Beschwerdeführerin dazu auseinandersetzen zu haben.

Abschließend darf noch festgehalten werden, dass es in einem Verfahren, in dem die Zuerkennung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung eines Kindes beantragt wird, primär Aufgabe der Antragstellerin ist, die für die (auch rückwirkende) Feststellung des Grades der Behinderung erforderlichen Nachweise beizubringen (vgl Lenneis in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG2 § 8 Rz 32). In diesem Sinne ist die Beschwerdeführerin gehalten ärztliche Unterlagen (insbes klinische Berichte, Befunde etc), welche zwischenzeitlich erstellt wurden (s dazu die im Zuge des Vorlageantrages erstellte Bestätigung über die Aufnahme des Kindes auf die Warteliste) beizubringen, da diese möglicherweise geeignet sind dazu beizutragen, dass die beim Kind bestehenden Funktionseinschränkungen - speziell auch unter Berücksichtigung der rückwirkenden Antragstellung - besser beurteilt werden können.

Zulässigkeit einer Revision

Gegen einen Beschluss des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Das Bundesfinanzgericht folgt gegenständlich der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, Tatfragen sind einer Revision nicht zugänglich.

Innsbruck, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
FLAG
betroffene Normen
§ 278 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 8 Abs. 3ff FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
Verweise














ECLI
ECLI:AT:BFG:2023:RV.3100081.2022

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at