Keine Kleinunternehmerbefreiung mangels Sitz im Inland
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter***Ri*** in der Beschwerdesache ***1*** über die Beschwerde vom ***D1*** gegen den Bescheid des Finanzamtes ***FA*** (jetzt Finanzamt Österreich) vom ***D2*** betreffend Umsatzsteuer 2014 (Steuernummer ***2*** ) zu Recht erkannt:
I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
Verfahrensgang
Am ***D9*** haben die an der Beschwerdeführerin beteiligten Personen beim Finanzamt jeweils den ausgefüllten Fragebogen für natürliche Personen (Formular Verf24) eingereicht. Bei beiden Formularen war in dem Feld für Wohnanschrift/Sitz "***Str1***, ***Ort1***, ***L1***" und in dem Feld für die Anschrift des vermieteten Objektes "***Str3***, ***Ort2***" eingetragen. In dem Feld für Ort der Berufsausübung/Ort der Geschäftsleitung war bei dem von ***Ges1*** eingereichten Formular "***Ort3***, ***L1***" und bei dem von ***Ges2*** eingereichten Formular "***Ort4***" eingetragen.
Am ***D3*** ist beim Finanzamt die Erklärung der Beschwerdeführer zur Umsatzsteuer 2014 eingelangt. Es war unter der Kennzahl 016 für Kleinunternehmer ein Betrag in Höhe von ***Z1*** Euro eingetragen.
Mit Schreiben vom ***D4*** ersuchte das Finanzamt die Beschwerdeführerin um die Einreichung einer berichtigten Umsatzsteuererklärung und um Bekanntgabe der angefallenen Vorsteuerbeträge. Begründend schrieb das Finanzamt, die Beschwerdeführerin als ausländische Vermieterin verfüge weder über einen Wohnsitz noch einen Sitz im Inland und ihre Vermietungsumsätze unterlägen nicht der Steuerbefreiung für Kleinunternehmer.
In der Ergänzung vom ***D5*** teilte die Beschwerdeführerin dem Finanzamt mit, die Grundstücksgemeinschaft habe ihren Sitz in Österreich, da sich ihre unternehmerische Tätigkeit auf die Vermietung des in ***Ort5*** gelegenen Objektes beschränke.
Das Finanzamt wandte im Umsatzsteuerbescheid 2014 die Steuerbefreiung des § 6 Abs. 1 Zif. 27 Umsatzsteuergesetz (UStG) 1994 nicht an, sondern behandelte die Umsätze aus der Vermietung als umsatzsteuerpflichtig. Zur Begründung schrieb es unter Hinweis auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom , RS C-97/09 (Schmelz), die Unternehmerin könne die Kleinunternehmerregelung nicht in Anspruch nehmen, da in Österreich keine Ansässigkeit vorliege.
In der gegen den Umsatzsteuerbescheid 2014 gerichteten Beschwerde brachte die Beschwerdeführerin vor, die Grundstücksgemeinschaft habe die Verwaltung der in Österreich gelegenen Immobilie als Geschäftszweck und sei somit österreichische Unternehmerin. Der Sitz der Gemeinschaft liege in Österreich. Sollte unterstellt werden, dass der Sitz nicht in Österreich wäre, würde gegen das Diskriminierungsverbot der Artikel 12, 48, 49 und 90 des EG-Vertrages verstoßen. Beide Beteiligten befänden sich im nichtunternehmerischen Angestelltenverhältnis in ***L1***, hätten keine weiteren inländischen oder ausländischen Beziehungen und würden von den deutschen Steuerbehörden dementsprechend veranlagt.
Mit Beschwerdevorentscheidung vom ***D10*** wies das Finanzamt die Beschwerde als unbegründet ab. Zur Begründung schrieb es, der Grundstücksgemeinschaft komme zwar Unternehmereigenschaft zu. Es liege jedoch kein Sitz der wirtschaftlichen Tätigkeit in Österreich vor, da die wesentlichen Entscheidungen zur allgemeinen Leitung des Unternehmens in ***L1*** getroffen würden. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes sei der Ausschluss nichtansässiger Kleinunternehmer von der Mehrwertsteuerbefreiung gerechtfertigt.
Am ***D6*** brachte die Beschwerdeführerin einen Antrag auf Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht ein. Zur Begründung führte sie aus, bei einem Abstellen auf den Sitz der wirtschaftlichen Tätigkeit, somit dem Ort, an dem die wesentlichen Entscheidungen zur allgemeinen Leitung des Unternehmens getroffen würden, nämlich ***L1***, sehe schon das Doppelbesteuerungsabkommen das alleinige Besteuerungsrecht ***L1***s vor. Das Finanzamt habe nicht ermittelt, ob es sich bei der Grundstücksgemeinschaft um eine EU-weite Kleinunternehmerschaft handeln könnte.
Am ***D7*** legte des Finanzamt die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor. Dem Vorlagebericht des Finanzamtes zufolge sei die Grundstücksgemeinschaft aufgrund der Vermietungseinkünfte zwar österreichische Unternehmerin, der Sitz der wirtschaftlichen Tätigkeit liege jedoch in ***L1***. Die wesentlichen Entscheidungen würden am Wohnsitz der Miteigentümer, der sich nicht in Österreich befinde, getroffen.
Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
Sachverhalt
Die Beschwerdeführerin war im Jahr 2014 eine Miteigentumsgemeinschaft von ***Ges1*** und ***Ges2***. Im gemeinsamen Eigentum der Miteigentümer stand eine durch Kaufvertrag vom ***D8*** erworbene Wohnung mit der Nummer ***Nr1*** an der Andresse ***Str4*** in ***Ort2***. Die unternehmerische Tätigkeit der Miteigentumsgemein-schaft umfasste ausschließlich die Vermietung dieser Wohnung. Beide Beteiligten wohnten im betreffenden Besteuerungszeitraum in ***L1*** und hatten weder einen Wohnsitz noch Geschäftsräumlichkeiten in Österreich. Der einzige im Inland gelegene örtliche Anknüpfungs-punkt für die unternehmerische Tätigkeit der Beschwerdeführerin war die vermietete Wohnung. Die wesentlichen Entscheidungen zur allgemeinen Leitung des Unternehmens wurden in ***L1*** getroffen. Für die Leistungserbringung beschäftigte die Beschwerdeführerin kein eigenes Personal. Das im Jahr 2014 aus der Vermietung der Wohnung erzielte Entgelt betrug ***Z2*** Euro.
Beweiswürdigung
Der Wohnsitz der an der Beschwerdeführerin beteiligten Personen, deren Miteigentum an der in ***Ort5*** gelegenen Wohnung und der Umfang der wirtschaftlichen Tätigkeit der Beschwerdeführerin ergibt sich zunächst aus den Eintragungen in den beim Finanzamt durch die Beteiligten eingereichten Fragebögen für natürliche Personen (Formular Verf24).
Im Zentralen Melderegister scheinen zu den an der Beschwerdeführerin beteiligten Personen betreffend das Jahr 2014 keine Daten auf. Daraus lässt sich in Zusammenschau mit den vor der Abgabenbehörde gemachten Angaben ableiten, dass die an der Beschwerdeführerin beteiligten Personen über keinen Wohnsitz im Inland verfügten.
Das gemeinsame Eigentum an der vermieteten Wohnung und der Rechtsgrund für dessen Erwerb ist dem Grundbuch zu entnehmen.
Die an der Beschwerdeführerin beteiligten Personen haben zwar in dem beim Finanzamt eingereichten Formular (Verf24) unterschiedliche Orte der Geschäftsleitung eingetragen. Beide Beteiligten waren in ***L1*** wohnhaft und haben nicht weit voneinander gelegene Adressen in ***L1*** als Orte der Geschäftsleitung angeführt. Aus den vorliegenden Unterlagen ergibt sich kein im Inland gelegener Ort, der als jener der Geschäftsleitung in Frage käme. Daher ist davon auszugehen, dass die wesentlichen Entscheidungen zur allgemeinen Leitung des Unternehmens in ***L1*** getroffen wurden. Die diesbezüglichen Feststellungen des Finanzamtes wurden in den Anbringen der Beschwerdeführerin zudem nicht in Zweifel gezogen.
Rechtliche Beurteilung
Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)
§ 6 Abs. 1 Zif. 27 Umsatzsteuergesetz (UStG) 1994 in der für das Jahr 2014 gültigen Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 112/2012 lautete auszugsweise:
"Steuerbefreiungen
§ 6. (1) Von den unter § 1 Abs. 1 Z 1 fallenden Umsätzen sind steuerfrei:
[…]
27. die Umsätze der Kleinunternehmer. Kleinunternehmer ist ein Unternehmer, der im Inland einen Wohnsitz oder Sitz hat und dessen Umsätze nach § 1 Abs. 1 Z 1 und 2 im Veranlagungs-zeitraum 30.000 Euro nicht übersteigen. […]"
Die Grundlage für § 6 Abs. 1 Zif. 27 UStG 1994 auf Ebene des Rechtes der Europäischen Union findet sich in den nachstehenden Bestimmungen der Richtlinie 2006/112/EG des Rates über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL).
Nach Art. 272 Abs. 1 Buchst. d MwStSystRL können die Mitgliedstaaten Steuerpflichtige, die die Steuerbefreiung für Kleinunternehmen nach den Artikeln 282 bis 292 in Anspruch nehmen, von bestimmten oder allen Pflichten nach den Kapiteln 2 bis 6 befreien.
Nach Art. 281 MwStSystRL können Mitgliedstaaten, in denen die normale Besteuerung von Kleinunternehmen wegen deren Tätigkeit oder Struktur auf Schwierigkeiten stoßen würde, unter den von ihnen festgelegten Beschränkungen und Voraussetzungen nach Konsultation des Mehrwertsteuerausschusses vereinfachte Modalitäten für die Besteuerung und Steuererhebung, insbesondere Pauschalregelungen, anwenden, die jedoch nicht zu einer Steuerermäßigung führen dürfen.
Nach Art. 282 MwStSystRL gelten die Steuerbefreiungen und -ermäßigungen nach Abschnitt 2 für Lieferungen von Gegenständen und für Dienstleistungen, die von Kleinunternehmen bewirkt werden.
Nach Art. 283 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL gilt Abschnitt 2 nicht für die Lieferungen von Gegenständen und Erbringung von Dienstleistungen durch einen Steuerpflichtigen, der nicht in dem Mitgliedstaat ansässig ist, in dem die Mehrwertsteuer geschuldet wird.
Nach Art. 287 MwStSystRL können Mitgliedstaaten, die nach dem beigetreten sind, Steuerpflichtigen eine Steuerbefreiung gewähren, wenn ihr Jahresumsatz den in Landeswährung ausgedrückten Gegenwert bestimmter Beträge nicht übersteigt, wobei der Umrechnungskurs am Tag des Beitritts zugrunde zu legen ist. Für die Republik Österreich wurde dieser Betrag auf 35 000 Euro festgesetzt.
Bei der Interpretation der in Umsetzung der Richtlinienbestimmung ergangenen nationalen Regelung des § 6 Abs. 1 Z 27 UStG 1994 ist der Inhalt von Art. 283 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL zu beachten (vgl. ).
Als Anknüpfungstatbestände für die unionsrechtliche Ansässigkeit im Inland zählen in erster Linie der Sitz der wirtschaftlichen Tätigkeit und das Vorhandensein einer festen Niederlassung, von der aus die Umsätze bewirkt werden (vgl. , Stoppelkamp, Randnr. 26). Diese Begriffe haben eine voneinander unabhängige Bedeutung (vgl. , Planzer Luxembourg Sàrl, Randnr. 58).
Wenn es sich um eine Gesellschaft handelt, bezieht sich der Begriff "Sitz der wirtschaftlichen Tätigkeit" auf den Ort, an dem die wesentlichen Entscheidungen zur allgemeinen Leitung dieser Gesellschaft getroffen und die Handlungen zu deren zentraler Verwaltung vorgenommen werden (vgl. , Planzer Luxembourg Sàrl, Randnr. 60 und 61).
Der Ort der Unternehmensleitung ist unabhängig vom Ort der vom Unternehmer ausgeführten sonstigen Leistungen im Sinne des § 3a UStG 1994. Die Ansässigkeit im Sinne des Art. 283 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL stellt nicht auf den Mittelpunkt der Lebensinteressen des Unternehmers ab (vgl. mit Verweis auf ).
Der Begriff "feste Niederlassung" verlangt nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes einen durch das ständige Zusammenwirken der für die Erbringung bestimmter Dienstleistungen erforderlichen Personal- und Sachmittel gebildeten Mindestbestand. Daher setzt er einen hinreichenden Grad an Beständigkeit sowie eine Struktur voraus, die von der personellen und technischen Ausstattung her eine autonome Erbringung der betreffenden Dienstleistungen ermöglicht (vgl. , Titanium Ltd, Randnr. 42 und 43).
Nach den getroffenen Feststellungen wurden im Jahr 2014 die wesentlichen Entscheidungen zur allgemeinen Leitung des Unternehmens der Beschwerdeführerin außerhalb des Bundesgebietes der Republik Österreich getroffen. Der Sitz der wirtschaftlichen Tätigkeit war daher nicht im Inland. Die Wohnung in ***Ort5*** war vermietet und stand der Beschwerde-führerin nicht zur Unterbringung ihrer personellen und technischen Ausstattung für die autonome Erbringung ihrer Dienstleistungen zur Verfügung. Sie erfüllte nicht die Voraus-setzungen für die Einstufung als feste Niederlassung.
Die Beschwerdeführerin hatte damit insgesamt keinen Sitz im Inland und erfüllte nicht die Voraussetzungen für Kleinunternehmer im Sinne des § 6 Abs. 1 Zif. 27 UStG 1994.
In der Beschwerde wurde für den Fall, dass der Sitz der Grundstücksgemeinschaft nicht in Österreich festgestellt würde, ein Verstoß gegen die Diskriminierungsverbote nach den Artikeln 12, 48, 49 und 90 des EG-Vertrages vorgebracht. Die Einschränkung der Umsatzsteuerbefreiung für Kleinunternehmer auf Unternehmen, die im Inland einen Wohnsitz oder Sitz haben, bewirkt eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs und fällt in den Anwendungsbereich von Art. 56 (zuvor Art. 49) des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union. Sie ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes gerechtfertigt (vgl. , Schmelz, Randnr. 51 und 72). Die in der Beschwerde enthaltenen EU-rechtlichen Bedenken werden nicht geteilt.
Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Die in der Beschwerdesache aufgetretenen Rechtsfragen wurden anhand der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gelöst. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung war nicht zu lösen.
Innsbruck, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | Art. 48 EGV, EG-Vertrag, ABl. Nr. C 241 vom S. 1 Art. 49 EGV, EG-Vertrag, ABl. Nr. C 241 vom S. 1 Art. 90 EGV, EG-Vertrag, ABl. Nr. C 241 vom S. 1 § 6 Abs. 1 Z 27 UStG 1994, Umsatzsteuergesetz 1994, BGBl. Nr. 663/1994 RL 2006/112/EG, ABl. Nr. L 347 vom S. 1 § 3a UStG 1994, Umsatzsteuergesetz 1994, BGBl. Nr. 663/1994 EGV, EG-Vertrag, ABl. Nr. C 241 vom S. 1 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2022:RV.3100802.2016 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at
Fundstelle(n):
RAAAC-32427