Zeitpunkt des Eintrittes der erheblichen Behinderung (GdB von zumindest 50 %) bei Kleinkind mit "Entwicklungsstörung"
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Abweisung des Antrages v. auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe für den Zeitraum September 2020 bis November 2021, Ordnungsbegriff
xx1, zu Recht erkannt:
Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.
Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach
Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensablauf:
1. Frau A (= Beschwerdeführerin, Bf) bezieht für die Tochter B, geb. 09/2020, die Familienbeihilfe (FB).
2. Mit Antrag vom hat sie für das Kind die erhöhte Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung, nämlich "Chylothorax + Lymphdrüsenerweiterung", ab Geburt begehrt.
3. Aus dem anschließend vom Sozialministeriumservice (SMS) am 26./ erstellten ärztlichen Sachverständigengutachten "mit Untersuchung" durch DrC, Fachärztin für Kinder- und Jugendheilkunde, geht auszugsweise hervor:
" … Derzeitige Beschwerden:
Zn kongenitalem Chylothorax, ASD II …
….
Zusammenfassung relevanter Befunde …:
AB Neonatologie Ort1, stationär vom 14.9.-6.10. …
Ambulanter AB Kinderklinik Ort1 vom …
Ambulanter AB Kinderklinik Ort1 vom …
Ambulanter AB Kinderklinik Ort1 vom …
….
Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:
1 Zn kongenitalem Chylothorax (V.a. pulmonale Lymphangiektasien) mit unkompliziertem Verlauf Pos.Nr. , GdB 10 %
Gesamtgrad der Behinderung 10 v.H.
…….
Der festgestellte Grad der Behinderung wird voraussichtlich mehr als 3 Jahre andauern:
ja
GdB liegt vor seit: 09/2020
Begründung - GdB liegt rückwirkend vor: ab Geburt
X Dauerzustand
Gutachten erstellt am von Dr.in C
Gutachten vidiert am von Dr. D"
4. Der Antrag der Bf auf Gewährung des Erhöhungsbetrages wurde vom Finanzamt mit Bescheid vom für den Zeitraum ab September 2020 abgewiesen; dies mit der Begründung, der GdB müsse zumindest 50 % betragen.
5. Am wurde ein neuerlicher Antrag auf den Erhöhungsbetrag für die Tochter "ab Geburt" eingebracht, wegen "Entwicklungsverzögerung, Chylothorax, li. Auge, 6 Dioptrien ...". Die Tochter habe nach der Geburt lange auf der Intensivstation gelegen, wodurch sich nun eine Entwicklungsstörung herausgestellt habe.
6. Beim Sozialministeriumservice wurde ein weiteres Sachverständigengutachten angefordert und am / "mit Untersuchung" durch Dr. E, Allgemeinmediziner, mit ua. folgendem Inhalt erstellt:
"… Anamnese:
Es zeigt sich eine deutliche Entwicklungsverzögerung. Derzeit steht eine genetische Problematik im Raum, diese wird aber gerade an der Klinik Ort1 abgeklärt. Aus den Befunden ist ersichtlich, dass B mehrfachen Förderbedarf hat. … Zusätzlich hat sie ein offenes Foramen ovale. Außerdem hat sie auf einem Auge eine Sehstörung mit 6 Dioptrien.
….
Zusammenfassung relevanter Befunde …:
Klinik Ort1 Pädiatrie und ….
….
Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:
1 Entwicklungseinschränkungen bis zum vollendeten 18.Lebensjahr,
Entwicklungsstörung mittleren Grades,
kognitive Beeinträchtigung … Pos.Nr. , GdB 50 %
2 Defekte am Brustkorb …
Zn kongenitalem Chylothorax … Pos.Nr. , GdB 10 %
Gesamtgrad der Behinderung 50 v. H.
Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:
Das Leiden 2 erhöht wegen Geringfügigkeit nicht weiter.
…..
Stellungnahme zu Vorgutachten:
Es zeigt sich ein deutlicher Entwicklungsrückstand, der mit verschiedenen Methoden derzeit intensiv therapiert wird.
Eine Einschätzung der Entwicklung der nächsten Jahre kann derzeit nicht gegeben werden. Aus diesem Grund ist eine Nachuntersuchung bei Kindergarteneintritt sinnvoll.
Der festgestellte Grad der Behinderung wird voraussichtlich mehr als 3 Jahre andauern:
ja
GdB liegt vor seit: 12/2021
….
Nachuntersuchung in 5 Jahren
Anmerkung hins. Nachuntersuchung:
je nach Förderung könnte die Entwicklung schrittweise aufgeholt werden.
Gutachten erstellt am von Dr. E
Gutachten vidiert am von Dr. D"
7. Mit Bescheid v. , Ordnungsbegriff xx1, wurde der Antrag der Bf v. für den Zeitraum September 2020 bis November 2021 abgewiesen, weil der Behinderungsgrad von 50 % (erst) ab festgestellt worden sei.
8. In der dagegen rechtzeitig erhobenen Beschwerde verweist die Bf auf einen aktuellen Befund des DrE. Im Akt erliegt der diesbezügliche Befundbericht von DrE, Allgemeinmediziner, v. , gerichtet an das Sozialministeriumservice, worin dieser betr. die Tochter der Bf ausführt:
"Nach Zusammenschau der Befunde von B ist eindeutig ersichtlich, dass der Zustand bereits seit der Geburt besteht.
Mit der Bitte um neuerliche Einschätzung und rückwirkenden GdB. …"
9. Am 14.2./ wurde nochmals ein SMS-Sachverständigengutachten "aufgrund der Aktenlage" von Dr. F, Fachärztin f. Kinder- und Jugendheilkunde und Allgemeinmedizinerin, mit auszugsweise folgendem ergänzenden Inhalt erstellt:
" ….Zusammenfassung relevanter Befunde …:
Vorgutachten … am
Vorgutachten … am
Abweisungsbescheid …
Befundbericht DrE … vom
Beschwerde ….
….
Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:
1 Entwicklungseinschränkungen bis zum vollendeten 18.Lebensjahr, Entwicklungsstörung
mittleren Grades
Entwicklungsrückstand bisher noch ungeklärter Ätiologie, im Alter von 15 Monaten …
konnte B noch nicht frei stehen und richtig krabbeln … Pos.Nr. , GdB 50 %
Gesamtgrad der Behinderung 50 v. H.
…..
Stellungnahme zu Vorgutachten:
Der Gesamtgrad der Behinderung beträgt unverändert zum Vorgutachten vom 50 %. Es ergibt sich im Vergleich zum Vorgutachten vom auch keine Änderung bezüglich der rückwirkenden Einschätzung des Grades der Behinderung von 50 %, da vor dem FLAG Gutachten mit Untersuchung am keinerlei detaillierte Befunde über den Entwicklungsrückstand vorliegen und somit das Ausmaß des bestehenden Entwicklungsrückstandes erst ab der Untersuchung am (Anm.: zutreffend "") eingeschätzt werden kann. Anmerkung: Auch wenn die Veranlagung einen Entwicklungsrückstand zu entwickeln eventuell bereits ab Geburt bestanden hat - im Rahmen der Untersuchung am lagen noch keine Befunde vor, welche die Ätiologie des Entwicklungsrückstandes erklären würden, die Abklärung an der Kinderklinik Ort1 diesbezüglich damals gerade laufend - wird in der Einschätzungsverordnung nicht die Veranlagung eine Erkrankung bzw einen Entwicklungsrückstand zu entwickeln eingeschätzt, sondern die funktionellen Einschränkungen, die durch die Erkrankung bzw den Entwicklungsrückstand zu einem bestimmten Zeitpunkt bestehen … Bis auf die zwei Untersuchungen für das FLAG Gutachten liegen keine weiteren Befunde bezüglich der Entwicklung vor. Aufgrund des im Alter von knapp 15 Monaten bereits deutlichen Entwicklungsrückstandes zu Gleichaltrigen mit notwendiger Frühförderung, Physiotherapie sowie Logopädie kann ab diesem Zeitpunkt von einem Grad der Behinderung von 50 % ausgegangen werden. …
Der festgestellte Grad der Behinderung wird voraussichtlich mehr als 3 Jahre andauern:
ja
GdB liegt vor seit: 12/2021
GdB 10 % liegt vor seit: 09/2020
Begründung - GdB liegt rückwirkend vor:
Der Grad der Behinderung von 50 % ist ab der Untersuchung für das FLAG Gutachten am rückwirkend anrechenbar. Der Grad der Behinderung von 10 % ist laut Vorgutachten ab 09/2020 rückwirkend anrechenbar.
….
Nachuntersuchung: 12/2024
Anmerkung hins. Nachuntersuchung:
Der Grad der Behinderung der Entwicklungsstörung kann unter Therapie unter 50 % abfallen, aktuell liegen keine Befunde zur Ätiologie des Entwicklungsrückstandes vor, aufgrund des Alters war auch noch keine Testung der kognitiven Fähigkeiten möglich. Es liegen auch keine Befunde über die bereits erzielten Fortschritte unter der laufenden Therapie vor. Insgesamt hält der Grad der Behinderung von 50 % ab 12/2021 mindestens 3 Jahre an.
Gutachten erstellt am von Dr.in F
Gutachten vidiert am von Dr. D"
10. Mit Beschwerdevorentscheidung vom hat das Finanzamt die Beschwerde als unbegründet abgewiesen. In der Begründung wird unter Verweis auf bezughabende gesetzlichen Bestimmung ausgeführt, dass laut erstellten SMS-Bescheinigungen, woran das Finanzamt gebunden sei, der GdB von 50 % ab festgestellt worden sei und daher bis November 2021 kein Anspruch auf den FB-Erhöhungsbetrag bestehe.
11. Mit dem am eingebrachten Vorlageantrag, worin die Bf neuere Befunde der Tochter avisiert, wurde eine Vielzahl weiterer Unterlagen, zB Ambulanzkarten und mehrere, bisher nicht vorgelegene Arztbriefe/Befunde der Uni-Klink Ort1, beigebracht.
12. Nach Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht (BFG) wurden von der Bf im Juni und September 2022 zwei weitere Arztbriefe übermittelt.
13. Das BFG hat mit Schreiben vom - samt Übermittlung ua. der Vorgutachten, des Befundberichtes DrE sowie aller bisher den Gutachtern nicht als relevante Befunde zur Kenntnis gelangten Arztbriefe/Befunde etc. - beim Sozialministeriumservice ergänzend ein nochmaliges Gutachten wie folgt angefordert:
"In og. Beschwerdesache hat die Beschwerdeführerin (Bf) A für die Tochter B, geb. ...9.2020, den Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe wg. erheblicher Behinderung (Chylothorax, Lymphdrüsenerweiterung, Entwicklungsstörung) "ab Geburt" beantragt. Voraussetzung ist nach § 8 Abs. 5 FLAG 1967 ein GdB von zumindest 50 %. Im Verfahren ist der Zeitpunkt, ab wann dieser GdB eingetreten ist, strittig:
Im Akt erliegt zunächst ein Vorgutachten des Sozialministeriumservice (SMS) v. (Blge. A), SV DrC, demnach aufgrund "Zn kongenitalem Chylothorax" der GdB mit 10 % seit Geburt bescheinigt worden war; dies ua. auf Grundlage der Arztberichte (AB) der Neonatologie Uni Klinik Ort1 v. und der Kinderklinik Ort1 v. 23.10., 29.10. und .
Zu einem neuerlichen Antrag der Bf wurde am / das SMS-Gutachten, SV Dr. E, gestützt auf neuere Befunde der Pädiatrie Uni Klinik Ort1 v. 14.10. und , erstellt (Blge. B), wonach wg. zusätzlicher kombinierter Entwicklungsstörungen nunmehr ein Gesamtgrad der Behinderung von 50 % seit 12/2021 vorliege.
Festzuhalten ist:
- dass trotz zugrunde gelegter relevanter Befunde aus 10/2021 und 11/2021 der Eintritt
des GdB von 50 % ohne jede Begründung des Gutachters erst mit 12/2021 festgestellt
wurde;
- dass derselbe Arzt, Dr. E, in seinem Befundbericht v.
(siehe Blge. D) folgende Aussage trifft:
"Nach Zusammenschau der Befunde von B ist eindeutig ersichtlich, dass der
Zustand bereits seit der Geburt besteht.
Mit der Bitte um neuerliche Einschätzung und rückwirkenden GdB".
Gegen den Abweisungsbescheid des FA betr. den (vorhergehenden) Zeitraum 09/2020 bis 11/2021 wurde Beschwerde erhoben, worin die Bf darauf beharrt, dass die erhebliche Behinderung seit Geburt bestehe.
Daraufhin wurde am 14.2./ nochmals ein SMS-Gutachten erstellt (Blge. C). Laut SV Dr. F, gestützt ua. auf die Vorgutachten und den Befundbericht des Dr. E v. , betrage der GdB unverändert 50 % ab 12/2021, da vor dem Gutachten mit Untersuchung am keine Befunde über den Entwicklungsrückstand vorlägen. In der dortigen Stellungnahme wird allerdings eingeräumt, dass "die Veranlagung, einen Entwicklungsrückstand zu entwickeln, eventuell bereits ab Geburt bestanden hat".
Mit dem erhobenen Vorlageantrag (siehe Blge. E) und nach Vorlage an das Bundesfinanzgericht wurde nunmehr von der Bf eine Vielzahl weiterer ärztlicher Befunde/Berichte etc. beigebracht. Ein Konvolut dieser - bisher nicht vorgelegenen - Unterlagen aus dem Zeitraum 2020 und 2021 wird beiliegend übermittelt (siehe Blgen. F - N).
Das BFG erachtet die bisherige Begutachtung insofern als unvollständig, als die nun erstmals beigebrachten Unterlagen bislang nicht als "relevante Befunde" berücksichtigt werden konnten.
Hinzu kommt, dass - wie oben dargelegt - der Gutachter Dr. E zunächst im SMS-Gutachten v. / ohne nähere Begründung feststellt, dass der GdB von 50 % (erst) ab 12/2021 vorliege und demgegenüber in seinem Befundbericht v. - also nur ganz kurz danach - an das SMS mitteilt, es sei eindeutig ersichtlich, dass der Zustand des Kindes "seit Geburt besteht".
Aufgrund dieser widersprüchlichen Angaben des DrE erscheint dem BFG sowohl dessen Gutachten v. wie auch das nachfolgende Gutachten v. , welches sich ua. auf dieses Vorgutachten und zugleich auf den Befundbericht des DrE als "relevante Befunde" stützt, als unschlüssig und insoweit nicht nachvollziehbar.
Aus diesen Gründen bedarf es daher nach Ansicht des BFG eines weiteren abschließenden SMS-Gutachtens.
Das Sozialministeriumservice wird daher ehestmöglich um Erstellung eines nochmaligen Gutachtens unter Berücksichtigung aller neu beigebrachten Befunde etc. sowie insbesondere um Aufklärung der vorbezeichneten widersprüchlichen Angaben ersucht. …"
14. Aus dem neuerlichen SV-Gutachten des SMS vom 27./ "aufgrund der Aktenlage" geht nun auszugsweise hervor:
" … Zusammenfassung relevanter Befunde …:
Folgende Befunde liegen zur Begutachtung vor …:
Arztbrief Kinderklinik Ort1 vom stationären Aufenthalt am : …
Arztbrief Kinderklinik Ort1 von der ambulanten Kontrolle am : …
FLAG Gutachten Untersuchung am : …
Arztbrief Kinderklinik Ort1 über die ambulante Vorstellung am : …
Kinderklinik Ort1 vom : …
Auszug aus der Ambulanzkarte der Augenklinik Ort1 vom : …
Arztbrief Kinderklinik Ort1 von der ambulanten Vorstellung am (entwicklungsneurologische Untersuchung): …
Neuropädiatrischer Befund Kinderklinik von Untersuchung am : …
Auszug aus der Ambulanzkarte der Augenklinik Ort1 vom : …
Arztbrief Kinderklinik Ort1 Stoffwechselambulanz über die Untersuchung am : …
FLAG Gutachten mit Untersuchung am : …
Auszug aus der Ambulanzkarte der Augenklinik vom : …
Arztbrief Neuropädiatrie Kinderklinik Ort1 von der Untersuchung am : …
Befund DrE, Arzt für Allgemeinmedizin, vom : …
FLAG Gutachten aufgrund der Aktenlage vom : …
Entwicklungsneurologische Untersuchung Kinderklinik Ort1 am …
Arztbrief Kinderklinik Ort1 über den stationären Aufenthalt am …
…..
Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:
… Entwicklungseinschränkungen bis zum vollendeten 18. Lebensjahr, Entwicklungsstörung mittleren Grades
Kombinierter Entwicklungsrückstand unklarer Ätiologie, im Alter von 20 Monaten entsprach die sozialmental-kognitive Entwicklung inhomogen dem 9. bis 10. Lebensmonat, Krabbeln war ohne pathologische Muster, die Patientin konnte sich zum Stehen hochziehen und an Möbeln entlang sowie an der Hand geführt gehen, freies Stehen und Gehen war noch nicht möglich, bei Sprachentwicklungsstörung hat die Patientin laut vorliegenden Unterlagen mit 14 Monaten ein gezieltes Wort ("Ma" für Mama) geäußert, die Worte Oma und Papa sprach sie nur ungezielt aus, das Verständnis für Worte schien damals vorhanden zu sein. Aktuell besteht daher ein ca. 1-jähriger Entwicklungsstand. Unterster RS.
Pos.Nr. GdB 50 %
Gesamtgrad der Behinderung 50 v. H.
……
Stellungnahme zu Vorgutachten:
Der Grad der Behinderung beträgt unverändert zum Vorgutachten 50 % und der Grad der Behinderung von 50 % ist rückwirkend wie bereits im Vorgutachten festgestellt ab 12/2021 anrechenbar. Aufgrund der neu eingereichten Befunde, in denen ein Entwicklungsrückstand mit nötigem Förderbedarf erstmalig im Arztbrief vom dokumentiert wurde, wird ein Grad der Behinderung von 30 % ab 08/2021 angerechnet.
Der festgestellte Grad der Behinderung wird voraussichtlich mehr als 3 Jahre andauern: ja
GdB liegt vor seit: 12/2021
GdB 30 liegt vor seit: 08/2021
GdB 10 liegt vor seit: 09/2020
Begründung - GdB liegt rückwirkend vor:
Aufgrund er vorliegenden Befunde ist der Grad der Behinderung von 50 % ab 12/2021, von 30 % ab 08/2021 sowie von 10 % ab 09/2020 rückwirkend anrechenbar.
…
Nachuntersuchung 12/2024
Anmerkung hins. Nachuntersuchung:
Unter Therapie kann der Gesamtgrad der Behinderung unter 50 % abfallen.
Gutachten erstellt am von Dr.in F
Gutachten vidiert am von Dr. D".
15. Mit Schreiben vom (= zweiter Zustellversuch) hat das BFG den Inhalt seiner Gutachtensanforderung an das SMS sowie obiges SV-Gutachten vom 27./ der Bf zur Kenntnis und zur allfälligen Äußerung bis übermittelt.
16. Am hat die Bf dem BFG telefonisch mitgeteilt, dass keine Stellungnahme erfolgen wird.
II. Sachverhalt:
Aufgrund der Anträge der Bf auf Zuerkennung des FB-Erhöhungsbetrages für die Tochter, geb. 09/2020, wegen erheblicher Behinderung "ab Geburt" wurden mehrere ärztliche Sachverständigengutachten beim Sozialministeriumservice angefordert und teils mit Untersuchung, teils aufgrund der Aktenlage am , , und am erstellt.
Unter Berücksichtigung der jeweils vorliegenden relevanten ärztlichen Befunde, zuletzt auch einer Vielzahl von durch die Bf im Verfahren nachgereichten ärztlichen Unterlagen, wurde von den Gutachtern übereinstimmend ein Gesamtgrad der Behinderung (GdB) von 10 % ab der Geburt des Kindes (ab September 2020) wegen zunächst "Zn kongenitalem Chylothorax" sowie ein GdB von 50 % ab Dezember 2021 wegen einer ab dieser Zeit hervorgekommenen bzw. erstmals anhand gutachterlicher Untersuchung am festgestellten "Entwicklungsstörung mittleren Grades" bescheinigt.
Unter Bedachtnahme auf die von der Bf "neu eingereichten Befunde" aus den Jahren 2020 und 2021 konnte im abschließenden SV-Gutachten v. zudem aufgrund des Arztbriefes v. , worin ein Entwicklungsrückstand mit Förderbedarf erstmals dokumentiert ist, ein GdB von 30 % ab August 2021 rückwirkend angerechnet werden.
Laut Gutachtern zeigt sich ein deutlicher Entwicklungsrückstand, der mit verschiedenen Behandlungsmethoden/Förderungen intensiv therapiert wird, demzufolge die Entwicklung des Kindes voraussichtlich schrittweise aufgeholt werden und der GdB unter 50 % abfallen kann.
III. Beweiswürdigung:
Obiger Sachverhalt ergibt sich aus dem Akteninhalt, dh. im Wesentlichen aus den eingangs dargestellten insgesamt vier SMS-Sachverständigengutachten.
IV. Rechtslage:
1.) Gesetzliche Bestimmungen:
Gemäß § 2 Abs. 1Familienlastenausgleichsgesetz (FLAG), BGBl 1967/376 idgF., haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, Anspruch auf Familienbeihilfe (Anm.: auf den Grundbetrag an Familienbeihilfe)
lit a) für minderjährige Kinder, ….
Nach § 8 Abs. 4 FLAG 1967 erhöht sich die Familienbeihilfe für jedes Kind, das erheblich behindert ist, ab um € € 155,90.
Gemäß § 8 Abs. 5 FLAG 1967 gilt als erheblich behindert ein Kind, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung mussmindestens 50 v.H. betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind § 14 Abs. 3 des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, in der jeweils geltenden Fassung, und die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) vom , BGBl. II Nr. 261/2010, in der jeweils geltenden Fassung, anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens nach fünf Jahren neu festzustellen, soweit nicht Art und Umfang eine Änderung ausschließen.
Nach § 8 Abs. 6 FLAG 1967 ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.
Die EinschätzungsVO (EVO) idF BGBl II 2012/151 lautet auszugsweise:
"Behinderung
§ 1. Unter Behinderung im Sinne dieser Verordnung ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft, insbesondere am allgemeinen Erwerbsleben, zu erschweren. …
Grad der Behinderung
§ 2. (1) Die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen sind als Grad der Behinderung zu beurteilen. Der Grad der Behinderung wird nach Art und Schwere der funktionellen Einschränkungen in festen Sätzen oder Rahmensätzen in der Anlage dieser Verordnung festgelegt. …
….
Grundlage der Einschätzung
§ 4. (1) Die Grundlage für die Einschätzung des Grades der Behinderung bildet die Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen, psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung in Form eines ärztlichen Sachverständigengutachtens. …"
In der Anlage zur EVO werden unter Abschnitt "03 Psychische Störungen" unter Pos. Nr. 03.02 "Entwicklungseinschränkungen bis zum vollendeten 18. Lebensjahr", nämlich des Sprechens und der Sprache, des Kommunikationsvermögens, schulischer Fertigkeiten, motorischer Funktionen sowie kombinierte umschriebene Entwicklungseinschränkungen und typische Begleiterscheinungen wie emotionale Störungen, Störungen des Sozialverhaltens erfasst.
Eine Entwicklungsstörung mittleren Grades, Pos. Nr. , mit einem GdB von 50 - 80 % liegt vor bei: ernsthafter und durchgängiger sozialer Beeinträchtigung in 1 bis 2 Bereichen; globalem Unterstützungsbedarf beim Lernen; kombinierter umschriebener Entwicklungsstörung.
2.) Bescheinigung; Judikatur:
Zum Nachweis obgenannter Voraussetzungen ist eine Bescheinigung des Bundessozialamtes iSd § 8 Abs. 6 FLAG zwingend erforderlich.
Die Abgabenbehörden sowie der UFS (nunmehr das Bundesfinanzgericht) sind an die Feststellungen der im Wege des Bundessozialamtes (ab Juni 2014 des "Sozialministeriumservice"/SMS) erstellten Gutachten gebunden (vgl. ; ; u.a.).
Die Tätigkeit der Behörden hat sich daher im Wesentlichen auf die Frage zu beschränken, ob die Gutachten als schlüssig und vollständig anzusehen sind (vgl. ; und 2009/16/0310; , mwN).
Das BFG hat die Beweiskraft - insbesondere Nachvollziehbarkeit bzw. Schlüssigkeit - der Gutachten zu prüfen und erforderlichenfalls für deren Ergänzung zu sorgen ().
Auch ein "reines Aktengutachten" kann dabei ausreichend sein. Der Sachverständige hat sich bei der Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes jener Hilfsmittel zu bedienen, die seine Wissenschaft entwickelt hat, um ein verlässliches Gutachten abzugeben. Die vom Sachverständigen bei der Aufnahme des Befundes anzuwendende Methode hängt ausschließlich von objektiven fachlichen Gesichtspunkten ab (s. ).
Insgesamt ist zu bedenken, dass auch der Sachverständige aufgrund seines medizinischen Fachwissens ohne Probleme nur den aktuellen Gesundheitszustand des Erkrankten beurteilen kann, worauf es ua. nur bei der Feststellung eines derzeitigen Behinderungsgrades ankommt. In allen übrigen Fällen - also bei Sachverhalten, die länger oder teils sogar schon Jahrzehnte zurückliegen - kann der Sachverständige nur aufgrund von Indizien, insbesondere anhand von vorliegenden Befunden, Rückschlüsse darauf ziehen, zu welchem oder ab welchem Zeitpunkt eine "erhebliche" Behinderung eingetreten ist. Dies ist zB bei psychischen Krankheiten problematisch, da diese häufig einen schleichenden Verlauf nehmen (vgl. zB ).
Die Beurteilung des Behinderungsgrades eines Kindes hängt bei gleichbleibendem Krankheitsbild auch vom Alter des Kindes ab. Das Ausmaß eines Entwicklungsrückstandes etwa stellt sich je nach Alter - zB Kindergartenalter oder Schulalter - verschieden dar, da die jeweils zu beherrschenden und erwarteten Fähigkeiten des Kindes sich wesentlich voneinander unterscheiden. Das Ausmaß eines Entwicklungsrückstandes ist daher immer im Vergleich zum Entwicklungsstand gleichaltriger gesunder Kinder zu sehen. So kann schon im Kindergartenalter ein gewisser Entwicklungsrückstand vorliegen, der sich bis zum Schulalter vergrößern und einen höheren Behinderungsgrad herbeiführen kann (vgl. ).
(siehe zu vor in: Lenneis/Wanke, FLAG-Kommentar, 2. Aufl., Rzn. 11, 29, 31, 32 zu § 8)
V. Erwägungen:
Im Gegenstandsfall ist der Zeitpunkt strittig, ab wann eine erhebliche Behinderung (GdB von zumindest 50 %) eingetreten ist.
Nach dem eindeutigen Wortlaut der gesetzlichen Bestimmung in § 8 Abs. 5 FLAG ist eine "erhebliche Behinderung" nicht nach der zugrunde liegenden Ursache, sondern nach der vorhandenen Funktionsbeeinträchtigung zu beurteilen, worauf auch in den Gutachten teilweise ausdrücklich hingewiesen wird. Auch nach § 1 der anzuwendenden EinschätzungsVO ist unter Behinderung die "Auswirkung" der Funktionsbeeinträchtigung zu verstehen und ist das Ausmaß dieser Auswirkungen als Grad der Behinderung zu beurteilen.
Selbst wenn die Sachverständige Dr. F in ihrem Gutachten vom anmerkt, dass "die Veranlagung, einen Entwicklungsrückstand zu entwickeln, eventuell bereits ab Geburt bestanden hat", worauf offenkundig auch DrE in seinem Befundbericht vom Bezug nimmt, ändert dies jedoch nichts daran, dass sich der Grad der Behinderung auch hinsichtlich seiner zeitlichen Festlegung, also ab wann der jeweilige GdB vorliegt, keinesfalls nach der ursprünglichen Ursache oder allfälligen "Veranlagung" sondern nur nach der jeweils (je nach Alter) vorhandenen Beeinträchtigung richten kann. Eine eventuelle "Veranlagung ab Geburt" für eine Entwicklungsstörung ist sohin in obigem Sinne nicht bereits dem Eintritt einer erheblichen Behinderung gleichzuhalten.
Da bei Kindern der GdB bzw. die Funktionsbeeinträchtigung bei gleichbleibendem Krankheitsbild insbesondere altersbedingt sehr wohl fortschreitend variieren kann, wobei der Entwicklungsrückstand immer im Vergleich zum Entwicklungsstand gleichaltriger gesunder Kinder zu sehen sein wird (siehe ), ist es als durchaus schlüssig und nachvollziehbar zu erachten, wenn aufgrund der in ihrer Stärke altersbedingt jeweils hervorkommenden Auswirkungen der Beeinträchtigung nunmehr im abschließenden Gutachten ein GdB von 30 % ab 08/2021 und - in allen Gutachten übereinstimmend - ein GdB von 50 % ab Dezember 2021 festgestellt wird.
Wie oben dargelegt, kann bei Feststellung von zurückliegenden Sachverhalten (hier bezogen auf die Antragstellung der Bf "ab Geburt" der Tochter) der oder die Sachverständige jedenfalls nur aufgrund von Indizien, insbesondere anhand der vorliegenden bisherigen Befunde und Untersuchungsergebnisse, Rückschlüsse darauf ziehen, zu welchem oder ab welchem Zeitpunkt eine "erhebliche" Behinderung eingetreten ist (vgl. zB ).
Nach obiger VwGH-Judikatur hat sich die Tätigkeit der Behörden im Wesentlichen auf die Frage zu beschränken, ob die Gutachten als schlüssig und vollständig anzusehen sind und erforderlichenfalls für deren Ergänzung zu sorgen.
In gegenständlichem Beschwerdefall wurden seitens der Fachärzte/-innen des Sozialministeriumservice zunächst drei ärztliche Sachverständigen-Gutachten (samt Vidierung und sohin Zustimmung durch den leitenden Arzt) sowie - auf Veranlassung durch das BFG zur nochmaligen Überprüfung und Vervollständigung - ein ergänzendes und abschließendes Gutachten erstellt. Unter Berücksichtigung aller vorliegenden relevanten Befunde inklusive auch der von der Bf nachgereichten Unterlagen wurde von den ärztlichen Gutachtern - übereinstimmend und näher begründet - ein GdB im Ausmaß von 50 % (erst) ab dem Dezember 2021 festgestellt. Eine Unschlüssigkeit der Gutachten ist insofern für das BFG nicht erkennbar.
VI. Ergebnis:
Wie oben ausgeführt, ist das Bundesfinanzgericht an die Feststellungen der im Wege des Sozialministeriumservice erstellten Gutachten gebunden.
Wenn daher zufolge dieser Begutachtung nach nochmaliger Überprüfung mehrfach festgestellt wurde, dass der GdB erst ab 50 % beträgt, dann liegt bei der Tochter der Bf das in § 8 Abs. 5 FLAG bestimmte Kriterium für eine "erhebliche Behinderung", das ist ein relevanter GdB von zumindest 50 %, erst ab Dezember 2021 vor.
In Anbetracht obiger Sach- und Rechtslage konnte daher der Beschwerde kein Erfolg beschieden sein und war spruchgemäß zu entscheiden.
Unzulässigkeit einer Revision:
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Die Voraussetzungen, unter welchen der Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe zusteht, ergeben sich aus den bezughabenden Gesetzesbestimmungen.
Der Gesamtgrad der Behinderung sowie der Zeitpunkt, ab wann dieser vorliegt, ist seitens des Sozialministeriumservice festzustellen; das BFG ist an die diesbezüglich erstellten ärztlichen Gutachten grundsätzlich gebunden. Eine allfällige "Unschlüssigkeit" der Gutachten ist gegenständlich für das BFG nicht erkennbar. Da es sich dabei um eine Tatfrage handelt, liegt gegenständlich keine Rechtsfrage von "grundsätzlicher Bedeutung" vor. Eine Revision ist daher nicht zulässig.
Innsbruck, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer FLAG |
betroffene Normen | § 8 Abs. 4 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 § 8 Abs. 5 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 § 8 Abs. 6 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2023:RV.3100173.2022 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at