Vorbereitungsphase auf den Medizin-Aufnahmetest im Selbststudium unter dem familienbeihilfenrechtlichen Aspekt
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***Ri*** in der Beschwerdesache der ***Bf1***, ***Bf1-Adr***,
betreffend die Beschwerde gegen den Bescheid des ***FA*** vom
hinsichtlich Rückforderung von Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag für den Zeitraum 04/2021 bis 10/2021 für ***1***
zu Recht erkannt:
I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
Verfahrensgang
Im angefochtenen Bescheid wurde u. a. begründend ausgeführt, ***1***, die Tochter der Beschwerdeführerin, habe die Reifeprüfung am abgelegt. Aufgrund § 15 FLAG 1967 ergebe sich ein Familienbeihilfen-Anspruchsende mit März 2021. Da ***1*** nicht zum frühestmöglichen Zeitpunkt, nämlich Herbst 2020, ein Studium begonnen habe, bestehe ab April 2021 kein Anspruch mehr auf Familienbeihilfe.
In ihrer dagegen erhobenen Beschwerde führte die Beschwerdeführerin aus:
Es sei Ihrer Tochter ***1*** aufgrund der verschiedenen Corona-Lockdowns und der insofern immer wieder geschlossenen Universitäten nicht möglich gewesen, zum frühestmöglichen Zeitpunkt ein Studium ihrer Wahl aufzunehmen. Sie habe sich jedoch in dieser Zeit auf die Aufnahmeprüfung für ein medizinisches Studium vorbereitet und am in ***2*** sowie am in ***3*** an Aufnahmetests teilgenommen. Danach habe sie längere Zeit auf das Testergebnis warten müssen und in dieser Zeit natürlich nicht einfach ein anderes Studium begonnen bzw. wäre dies gar nicht möglich gewesen. Alle von der Beschwerdeführerin im Zuge des Verfahrens abverlangten Nachweise seien erbracht worden. Deshalb könne nicht nachträglich von einer "zu Unrecht bezogenen Familienbeihilfe" gesprochen werden.
Von Seiten des Finanzamtes wurde eine abweisende Beschwerdevorentscheidung mit nachstehender Begründung erlassen:
Für ein volljähriges Kind stehe die Familienbeihilfe während einer Berufsaus- bzw. -fortbildung zu. Um eine Berufsausbildung handle es sich dann, wenn das Kind seine überwiegende Zeit dazu verwende, praktisches und theoretisches Fachwissen zu erlernen und diese Ausbildung mit einer Abschlussprüfung beende. Die Ausbildung umfasse eine angemessene Unterrichtsdauer und sei nicht auf Allgemeinbildung, wie z.B. Sprachkurse, ausgerichtet. Die Tochter der Beschwerdeführerin habe sich seit April 2021 in keiner Berufsausbildung im Sinne des FLAG befunden, weshalb die Beschwerde als unbegründet abzuweisen sei.
Daraufhin brachte die Beschwerdeführerin einen Schriftsatz ein, der als Antrag auf Vorlage ihrer Beschwerde an das Bundesfinanzgericht gewertet wurde. Sie führte in diesem Schreiben aus, bisher nur einen Nachweis betreffend einen medizinischen Aufnahmetest übermittelt zu haben. Mit diesem Schreiben reiche sie die Anwesenheitsbestätigung zum MedAT nach. Sie sei im Übrigen der Meinung, dass eine Ausbildung erst beginnen könne, wenn man einen Aufnahmetest bestanden habe. Ihre Tochter habe es zweimal mit dem Studiengang Medizin versucht und am in ***4***, die Aufnahmeprüfung für den Bachelorstudiengang ***5*** absolviert. Nun warte sie auf das Ergebnis.
Die Beschwerdeführerin widersprach erneut dem Rückforderungsbescheid betreffend einen Betrag von € 1.806,70.
An eingereichten Unterlagen befinden sich im Akt:
Einladung zur Eignungsabklärung für den Bachelorstudiengang ***5*** vom ,
Benachrichtigung über das Testergebnis betreffend das Studium der Humanmedizin an der Universität ***2*** (kein Studienplatz zugeteilt) vom August 2021,
Verfügung der Universität ***2*** vom betreffend Nicht-Zuteilung eines Studienplatzes für Humanmedizin,
MedAT- Anwesenheitsbestätigung der medizinischen Universität ***3*** mit dem Inhalt, dass die Tochter der Beschwerdeführerin am am Aufnahmetest für das Studium der Humanmedizin teilgenommen hat,
Bestätigungen über die Anmeldung zum medizinischen Aufnahmetest vom März 2021,
Reifeprüfungszeugnis der Tochter der Beschwerdeführerin über die am erfolgreich abgelegte Reifeprüfung.
Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
Sachverhalt
***1***, die Tochter der Beschwerdeführerin, wurde am 11223333 geboren.
Sie bestand am die Matura am Abendgymnasium ***6***.
Sie überlegte in der Folge verschiedene Ausbildungsvarianten und strebte schließlich ein Medizinstudium an.
Sie bereitete sich im Zeitraum Jänner bis Juli 2021 im Selbststudium sowohl für den österreichischen (MedAT) als auch für den ***7*** Humanmedizin-Aufnahmetest vor.
In diesem Rahmen lernte sie mit ihrem Freund ca. 20 Stunden pro Woche.
Sie ging in dieser Zeit keiner anderen Ausbildung nach.
Sie trat zum Eignungstest in ***2*** am , zum MedAT in ***3*** am an.
***1*** bestand die Aufnahmeprüfungen nicht.
Im Februar 2022 absolvierte sie in ***4***, erfolgreich die Eignungsprüfung für den Bachelorstudiengang ***5***.
Die Feststellungen zum Sachverhalt beruhen auf unstrittigem Akteninhalt.
Gesetzliche Grundlagen und rechtliche Beurteilung
Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)
Strittig ist: Wurden Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag für ***1*** für den Zeitraum April 2021 bis Oktober 2021 zu Recht zurückgefordert?
Gemäß § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 haben Personen Anspruch auf Familienbeihilfe für volljährige Kinder, die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und die für einen Beruf ausgebildet werden.
Gemäß § 2 Abs. 1 lit. d FLAG 1967 haben Personen Anspruch auf Familienbeihilfe für volljährige Kinder, die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, für die Zeit zwischen dem Abschluss der Schulausbildung und dem Beginn einer weiteren Berufsausbildung, wenn die weitere Berufsausbildung zum frühestmöglichen Zeitpunkt nach Abschluss der Schulausbildung begonnen wird.
Gemäß § 33 Abs. 3 EStG 1988 steht Steuerpflichtigen, denen aufgrund des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 Familienbeihilfe gewährt wird, im Wege der gemeinsamen Auszahlung mit der Familienbeihilfe ein Kinderabsetzbetrag von monatlich € 58,40 für jedes Kind zu.
Gemäß § 15 Abs. 1 FLAG 1967 idF BGBl I 2021/58, finden für Personen, die im Zeitraum von einschließlich März 2020 bis einschließlich Februar 2021 für zumindest einen Monat Anspruch auf Familienbeihilfe für ein Kind haben, die während dieses Zeitraumes vorliegenden Anspruchsvoraussetzungen im unmittelbaren Anschluss an den Anspruchszeitraum bis März 2021 in Bezug auf dieses Kind weiter Anwendung, solange während dieses Zeitraumes keine andere Person anspruchsberechtigt wird (Anm.: Begünstigende Bestimmung infolge pandemiebedingter Einschränkungen).
Gemäß § 26 Abs. 1 FLAG 1967 hat, wer Familienbeihilfe zu Unrecht bezogen hat, die entsprechenden Beträge zurückzuzahlen.
Nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH fallen unter den im Gesetz nicht definierten Begriff der Berufsausbildung im Sinne des § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 jedenfalls alle Arten schulischer oder kursmäßiger Ausbildungen, in deren Rahmen noch nicht berufstätigen Personen ohne Bezugnahme auf die spezifischen Tätigkeiten an einem konkreten Arbeitsplatz das für das künftige Berufsleben erforderliche Wissen vermittelt wird. Zur Qualifikation als Berufsausbildung im Sinne des § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 kommt es überdies nicht nur auf das ernstliche und zielstrebige Bemühen um den Studienfortgang an, sondern die Berufsausbildung muss auch in quantitativer Hinsicht die volle Zeit des Kindes in Anspruch nehmen. Diese der Rechtsprechung des VwGH entnehmbare Definition der Berufsausbildung trifft nur auf die Fälle zu, welche außerhalb des im § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 besonders geregelten Bereichs des Besuchs einer Einrichtung im Sinne des § 3 des StudFG liegen.
Der Besuch einer solchen Einrichtung beginnt bei Studien wie dem Studium der Humanmedizin mit der Zulassung zum Studium (§ 60 Abs. 4 des Universitätsgesetzes 2002-UG). Damit ist zur Antwort auf die Frage einer Berufsausbildung eines Studienwerbers für vor der Zulassung liegende Zeiträume eines Aufnahmeverfahrens zur Zulassungsbeschränkung die erwähnte Rechtsprechung maßgeblich. Der VwGH ist auch im Falle einer nicht kursmäßigen oder in einer Lehrveranstaltung erfolgten Vorbereitung auf die Aufnahmeprüfung für den physiotherapeutischen Dienst von diesem Begriffsinhalt der Berufsausbildung ausgegangen. Dabei kommt es für die Qualifikation als Berufsausbildung auch darauf an, dass die Berufsausbildung in quantitativer Hinsicht die volle Zeit des Kindes in Anspruch nehmen muss ( mit weiteren Hinweisen auf die höchstgerichtliche Judikatur).
Im Falle des Unterbleibens der Ausbildung, weil der Bewerber nicht aufgenommen wurde, wobei es unerheblich ist, ob mangels hinreichender Qualifikation etwa aufgrund eines negativen Testergebnisses bei der Bewerbung oder lediglich infolge "Platzmangels", wird eine Berufsausbildung nicht im Sinne des § 2 Abs. 1 lit. e FL AG 1967 (analog wohl auch: lit d) - dh zum frühestmöglichen Zeitpunkt nach Beendigung des Präsenz-, Ausbildungs-oder Zivildienstes bzw. nach Abschluss der Schulausbildung - begonnen (Lenneis aaO, § 2 Rz 45).
Der laut Fachliteratur für die Annahme einer Berufsausbildung erforderliche wöchentliche Zeitaufwand für Kurse und Vorbereitungszeit muss mindestens 30 Stunden umfassen. Eine entsprechende zeitliche Intensität ist auch dann vorauszusetzen, wenn keine kursmäßige, sondern eine im Selbststudium angelegte Vorbereitung auf eine Prüfung stattfindet (Lenneis in Lenneis/Wanke (Hrsg.), FLAG2 § 2 Rz 40 ff).
Umgelegt auf den Streitfall ist aus dem vorstehend Ausgeführten abzuleiten:
Die von der Beschwerdeführerin mit 20 Stunden Selbststudium angegebene wöchentliche Vorbereitungszeit ihrer Tochter auf die medizinischen Aufnahmeprüfungen erreicht das oben angegebene Mindestmaß von 30 Stunden nicht und hat insofern nicht die volle Zeit des Kindes in Anspruch genommen. Fraglich bleibt ohnehin, wie eine im Selbststudium und nicht durch Absolvierung von Kursen durchgeführte Vorbereitung grundsätzlich dokumentiert werden sollte. Zu bedenken ist hiebei auch, dass der zeitliche Umfang von Monat zu Monat schwanken und ein Nachweis für den nötigen Lernaufwand insofern kaum gelingen kann (vgl. Lenneis aaO, Rz 42).
Bereits die mangelnde zeitliche Intensität steht daher im Streitfall nach herrschender Lehre und Rechtsprechung einer Interpretation der Vorbereitungshandlungen der Tochter als Teil einer den Anspruch auf Familienbeihilfe vermittelnden Berufsausbildung entgegen.
Es bedarf insofern keines weiteren Eingehens darauf, dass ***1*** die Aufnahmeprüfungen nicht bestand und damit auch ein frühestmöglicher Beginnzeitpunkt der angestrebten Berufsausbildung im Sinne des § 2 Abs. 1 lit. d FLAG 1967 vereitelt war ().
Soweit die Beschwerdeführerin auf die in den Jahren 2020 und 2021 durch die Covid- 19-Pandemie verursachten, erschwerten schulischen und universitären Rahmenbedingungen hingewiesen hat, ist ihr übrigens zu entgegnen:
Ein Gesetzesentwurf, der den durch die Covid-19-Krise bedingten Einschränkungen Rechnung trägt, löst bei Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen für die Familienbeihilfe in zumindest einem Monat in der Zeit von März 2020 bis Februar 2021 einen fiktiven Anspruch für die Zeit von März 2020 bis März 2021 aus (§ 15 Abs. 1 FLAG 1967 idF BGBl I 2021/58).
So musste die Beschwerdeführerin für ihre Tochter ***1***, die bereits im Juni 2020 ihre Schulausbildung mit der Reifeprüfung beendet hat, die Anspruchsvoraussetzungen ab diesem Zeitpunkt nicht nachweisen, vielmehr erhielt sie für ***1*** ohne weitere Überprüfung die Familienbeihilfe plus Kinderabsetzbetrag bis März 2021.
In zusammenfassender Würdigung wurden nach allem oben Ausgeführten die Familienbeihilfe und der mit ihr gemeinsam ausbezahlte Kinderabsetzbetrag (§ 33 Abs. 3 EStG 1988) im Streitzeitraum April 2021 bis Oktober 2021 zu Unrecht bezogen. Sie sind daher gemäß § 26 Abs. 1 FLAG zurückzuzahlen.
Eine Rückforderung ist auch dann zulässig, wenn der entscheidungswesentliche Sachverhalt gegenüber der Behörde vollständig offengelegt und von dieser allenfalls zunächst unrichtig beurteilt wurde. Der Umstand, dass die Behörde nach Prüfung des Sachverhalts Familienbeihilfe ausbezahlt hat, steht daher einer Rückforderung nach § 26 nicht entgegen. Die Rückzahlungspflicht gemäß § 26 Abs. 1 FLAG ist eine rein objektive, d. h., es kommt nur auf die objektive Rechtswidrigkeit des Bezuges der Familienbeihilfe an, also auf das Fehlen der Anspruchsvoraussetzungen für den Leistungsbezug (Wanke in Lenneis/Wanke, FLAG2 § 26 Rz 3 sowie Rz 12 ff. mit Hinweisen auf die höchstgerichtliche Judikatur).
Die Rückzahlung von zu Unrecht bezogener Familienbeihilfe kann vom Finanzamt gemäß § 26 Abs. 2 FLAG auch durch Anrechnung auf fällige oder fällig werdende Familienbeihilfe vorgenommen werden. Es handelt sich dabei um eine Ermessensentscheidung, die zu begründen ist (Wanke aaO, Rz 60). Im angefochtenen Bescheid wurde insofern begründend ausgeführt, Grund für die Rückzahlung in Form der Anrechnung des zu Unrecht bezogenen Betrages auf die fälligen oder fällig werdenden Familienbeihilfen sei es, der Beschwerdeführerin die Zahlung des Rückforderungsbetrages zu vereinfachen.
Insgesamt war wie im Spruch zu entscheiden.
Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Die vorliegende Beurteilung des Familienbeihilfen- und Kinderabsetzbetragsbezuges als unrechtmäßig und damit von Gesetzes wegen (§ 26 FLAG 1967) eine Rückforderung indizierend, findet Deckung in der höchstgerichtlichen Rechtsprechung.
Feldkirch, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer FLAG |
betroffene Normen | § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 § 2 Abs. 1 lit. d FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 § 33 Abs. 3 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988 § 26 Abs. 1 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 § 3 StudFG, Studienförderungsgesetz 1992, BGBl. Nr. 305/1992 § 15 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 § 60 Abs. 4 UG, Universitätsgesetz 2002, BGBl. I Nr. 120/2002 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2023:RV.1100416.2022 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at