TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 29.11.2022, RV/6100364/2022

Familienbeihilfe bei dauernder Fremdunterbringung

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin IBV in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Erwachsenenvertretung, Adr3, über die Beschwerde vom gegen den Abweisungsbescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Familienbeihilfe für das Kind K ab März 2021 zu Recht erkannt:

Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Die Erwachsenenvertretung A brachte für die Beschwerdeführerin (kurz: Bf) beim Finanzamt (kurz: FA) einen am unterzeichneten Antrag auf Zuerkennung der Familienbeihilfe für ihr Kind K (kurz: S) ein; als Ausbildungsstätte des Sohnes wurde "WG Pro Juventute O" angeführt. Diesem Antrag wurde ua ein Schriftsatz beigelegt, laut welchem S in regelmäßigen Abständen und vor allem an Wochenenden bei der Bf in Ort wohne. Diesem Schriftsatz war ein eMail von Pro Juventute O vom über Heimfahrten des Sohnes angefügt.

In einem Vorhalt vom ersuchte das FA um Vorlage eines Nachweises betreffend überwiegender Kostentragung mit einer Aufstellung, Zahlungsbelege über Unterhaltszahlungen für S, eine Bestätigung über den Heimaufenthalt bzw Ausgänge und eine Schulbesuchsbestätigung.

Mit Schriftsatz vom , beim FA eingelangt am , wurden Unterlagen übermittelt.

Am erging der Abweisungsbescheid betreffend Gewährung der Familienbeihilfe für S ab März 2021. Begründend wurde festgehalten, dass dem FA die geforderten Unterlagen nicht zugesendet worden seien und daher der Mitwirkungspflicht gemäß § 119 BAO nicht nachgekommen worden sei.

In der dagegen eingebrachten Beschwerde vom hielt die Erwachsenenvertretung der Bf begründend fest, dass die Beschaffung der im Vorhalt vom angeführten Unterlagen aufgrund der Urlaubszeiten, der äußerst schwierigen Kontaktaufnahme der Erwachsenenvertretung mit der Bf, und der viel Zeit in Anspruch nehmenden Übermittlung von Unterlagen durch Pro Juventute nicht fristgerecht möglich gewesen sei und sie daher zwei Mal (am und am ) telefonisch um Fristerstreckung ersucht habe. Beim zweiten Anruf sei von Seiten des FA bestätigt worden, dass eine Fristerstreckung bis vermerkt werde. Des Weiteren seien die benötigten Unterlagen laut telefonischer Auskunft bereits am beim FA eingegangen.

Das FA ersuchte daraufhin in einem weiteren Vorhalt vom um die Vorlage einer Aufstellung der monatlichen Kosten für S (Kosten für Unterbringung etc).

Mit Schriftsatz vom legte die Erwachsenenvertretung dem FA die Vereinbarungen zur Unterhaltsverpflichtung vor; für die bereits ausgegebenen Lebensmittel- und Kleidungseinkäufe sowie Geschenke habe die Bf keine Rechnungen mehr vorlegen können.

Am erging sodann unter Hinweis auf § 2 Abs 2 FLAG 1967 eine abweisende Beschwerdevorentscheidung. Eine Aufstellung der monatlichen Unterhaltskosten für das Kind sei nicht vorgelegt worden. Nach Erfahrungswerten könne davon ausgegangen werden, dass von der Bf weit weniger als 50% der monatlichen Unterhaltskosten getragen würden und sie daher nicht überwiegend für den Unterhalt von S aufkomme.

Am stellte die durch die Erwachsenenvertretung A vertretene Bf den Antrag auf Entscheidung über die Beschwerde durch das Bundesfinanzgericht (kurz: BFG) und führte im Wesentlichen aus:
Die Bf zahle jeden Monat 150,00 Euro Unterhalt. Der Sohn komme zumindest zweimal wöchentlich zur Bf. Die damit verbundenen Aufwendungen für Essen und manchmal Kleidung trage die Bf zur Gänze von ihrem Geld. Die Bf sei laut Vereinbarung mit dem Jugendamt zur Unterhaltszahlung in der angeführten Höhe verpflichtet. Der Sohn befinde sich in Ausbildung, er mache derzeit eine Lehre.
Da die Bf ihren Unterhaltsverpflichtungen an die Bezirkshauptmannschaft B (kurz: BH) nachkomme und der Sohn regelmäßig, auch während der Woche zu ihr nach Ort komme, habe die Bf Anspruch auf die Familienbeihilfe. Der Sohn selbst beziehe die Familienbeihilfe nicht.

Mit Bericht vom wurde die Beschwerde dem BFG zur Entscheidung vorgelegt und folgende Stellungnahme abgegeben:
Das Kind wohne in einer betreuten Wohngemeinschaft und habe die Bf während des Streitzeitraumes nur an wenigen Tage besucht. Das Kind sei daher nicht bei der Bf haushaltszugehörig. Das Kind befinde sich vielmehr in einer vollen Erziehung des Landes A. Dies erhelle sich auch daraus, dass die Bf an das Land A Kostenersätze für eine volle Erziehung zu erbringen habe.
Das Kind habe mit 09/2021 eine Lehre begonnen und seither eine Lehrlingsentschädigung erhalten, die die von der Bf bezahlten Beträge bei weitem übersteigen würde. Ebenso würden die Kosten für die volle Erziehung eines Kindes beim Land A die von der Bf getragenen Kostenersätze um ein Vielfaches übersteigen. Es sei daher davon auszugehen, dass die Bf die überwiegenden Unterhaltskosten nicht getragen habe.

Das BFG richtete einen Vorhalt an die durch die Erwachsenenvertretung A vertretene Bf mit im Wesentlichen folgenden Inhalt:
Aus den vorgelegten Unterlagen und einer Abfrage aus dem Zentralen Melderegister gehe hervor, dass S die volle Erziehung im Sinne des § 18 Abs 1 1 S. KJHG gewährt werde und dass seit sein Nebenwohnsitz ununterbrochen in der sozialpädagogischen Wohngemeinschaft O von Pro Juventute gemeldet sei. In Anbetracht des daraus ersichtlichen dauerhaften Charakters des außerfamiliären Aufenthaltes, an dem die wiederholten Besuche der Bf nichts ändern könnten, sei aus derzeitiger Sicht des BFG davon auszugehen, dass kein Fall des § 2 Abs 5 lit a FLAG 1967 vorliege.
Der Vollständigkeit halber werde die Erwachsenenvertretung eingeladen, die Rechtsgrundlagen (zB Vereinbarungen, Obsorgebeschluss) für die Unterbringung in der sozialpädagogischen Wohngemeinschaft O im Rahmen der vollen Erziehung vorzulegen und bekannt zu geben, wer diese Unterbringung finanziert.
Wenn ein Kind - wie im gegenständlichen Fall derzeit angenommen werde - wegen eines ständigen Aufenthaltes in einer sozialpädagogischen Einrichtung nicht gemäß § 2 Abs 5 lit a FLAG 1967 haushaltszugehörig gewesen sei, könnte die Familienbeihilfe dann zustehen, wenn sich dieses Kind "wegen eines Leidens oder Gebrechens" nicht nur vorübergehend in Anstaltspflege befinde und zu den Kosten des Unterhalts des Kindes mindestens in Höhe der Familienbeihilfe beigetragen werde. (Vgl ).
Im Hinblick auf diese Rechtsausführungen werde die Auskunft dazu benötigt, ob S wegen eines bei ihm vorliegenden Leidens oder Gebrechens (auf das aus derzeitiger Sicht kein Hinweis bestehe) in die sozialpädagogische Wohngemeinschaft O aufgenommen worden sei. Wenn ja (was entsprechend zu belegen wäre), müssten die monatlich von der Beschwerdeführerin für ihren Sohn getragenen Unterhaltskosten detailliert nachgewiesen werden.
Bestehe keine nur vorübergehende Abwesenheit im Sinne des § 2 Abs 5 lit a FLAG 1967 und liege keine ständige Anstaltspflege wegen eines Leidens oder Gebrechens des Kindes gemäß § 2 Abs 5 lit c FLAG 1967 vor, könnte gemäß § 2 Abs 2 FLAG 1967 ein Familienbeihilfenanspruch dann vorliegen, wenn der Antragsteller oder die Antragstellerin die Unterhaltskosten überwiegend trage.
In diesem Zusammenhang sei jedenfalls konkret die Frage zu beantworten, wie hoch die monatlichen Kosten der Betreuung und Unterbringung in der sozialpädagogischen Wohngemeinschaft O ab März 2021 gewesen seien, wer diese finanziere und ob darin auch die Kosten der vollen Verpflegung des Sohnes enthalten seien. Entsprechende Nachweise seien vorzulegen. Es werde in diesem Zusammenhang auch auf die Stellungnahme im Vorlagebericht vom hingewiesen.
Sofern von Seiten der Bf die Ansicht vertreten werde, dass mehr als 50% der gesamten monatlichen Lebenshaltungskosten von der Bf getragen würden, sei sodann eine detaillierte und entsprechend belegte Aufstellung der monatlichen Lebenshaltungskosten des S einschließlich der nachzuweisenden Kosten der Betreuung, Unterbringung und Verpflegung in der Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe ab März 2021 vorzulegen. Zusätzlich werde eine belegte Aufstellung benötigt, aus der hervorgehe, in welchem Ausmaß und in welcher Form die detailliert darzustellenden und entsprechend zu belegenden Lebenshaltungskosten des S in den betreffenden Monaten von Seiten der Bf (mit)getragen bzw (mit)finanziert worden seien.

Dieser Vorhalt wurde mit Schriftsatz vom wie folgt beantwortet:
Die Kosten für die Unterbringung von S in der Kinderwohngemeinschaft der Pro Juventute würden täglich 205,48 Euro betragen und vom Land A übernommen werden. Die Bf sei zur Leistung eines monatlichen Kostenersatzbeitrages iHv 150,00 Euro für 2021 verpflichtet worden und sei dieser Verpflichtung auch nachgekommen. Zudem halte sich S nach wie vor mehrmals pro Woche bei der Bf in Ort auf. Die damit verbundenen Aufwendungen für Essen und manchmal auch Kleidung trage die Bf zur Gänze von ihrem Geld. Eine belegte Aufstellung könne die Bf nicht vorlegen, da sie die Aufwendungen von ihrem Alltagsgeld bezahle und die Belege für den benötigten Zeitraum nicht aufbewahrt habe. Bei S liege kein "Leiden oder Gebrechen" vor.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Die im Streitzeitraum durch eine gerichtliche Erwachsenenvertreterin, Erwachsenenvertretung A, vertretene Bf brachte ihren Sohn S am 05 zur Welt. Dieser weist keinerlei Leiden oder Gebrechen im Sinne des § 2 Abs 5 lit c FLAG 1967 auf.

Die Bf hat ihren Hauptwohnsitz laut Zentralem Melderegister () in der ***Bf1-Adr*** Ort, gemeldet. S ist dort ebenfalls seit mit dem Hauptwohnsitz angemeldet. Ein Nebenwohnsitz des Sohnes befindet sich seit im Adr2, wobei Pro Juventute der Unterkunftgeber ist.

Pro Juventute ist ein österreichisches Sozialunternehmen in der Kinder- und Jugendhilfe und betreut dabei im Auftrag der zuständigen Behörden junge Menschen ab drei Jahren. (https://www.projuventute.at/de/pro-juventute/was-wir-tun)

Der minderjährige Sohn der Bf lebt in der sozialpädagogischen Wohngemeinschaft O von Pro Juventute. Ab Oktober 2020 war S bis zur Auskunft von Pro Juventute am an folgenden Tagen bei der Bf:
untertags: 23.10., 27.10., 15.11., 14.11., 06.12., 02.02., 14.03..
über Nacht: 24.-30.12., 01.-03.01, 05.-09.02., 20.-22.02., 06.-07.03..

Seit März 2021 fuhr S laut Auskunft von Pro Juventute vom an folgenden Tagen zu der Bf nach Hause: 05.03.-07.03., 14.03.-15.03., 19.03.-21.03., 26.03.-03.04., 16.04.-19.04., 30.04.-04.05., 13.05.-15.05., 21.05.-23.05., 02.06.-05.06., 25.06.-26.06., 11.07.-13.07., 31.07.-01.08., 27.08.-29.08., 17.09.-23.09., 04.10.-05.10., 09.10.-10.10..

Die Kosten für die Unterbringung in der Kinderwohngemeinschaft der Pro Juventute betragen derzeit täglich 205,48 Euro und werden vom Land A als Kinder- und Jugendhilfeträger getragen. (Bestätigung des Landes A )

Am erfolgte gemäß § 42 B. KJHG 2013 iVm § 49 S.KJHG eine Vereinbarung zwischen der schon damals durch die Erwachsenenvertretung vertretenen Bf und dem Land A über den Ersatz der Kosten der Erziehungshilfe. Die Bf verpflichtete sich, einen monatlichen Kostenersatz für die gewährte volle Erziehung gemäß § 18 S.KJHG in Höhe von 140,00 Euro ab zu leisten. Am kam es zu einer weiteren Vereinbarung zwischen der durch die Erwachsenenvertretung vertretenen Bf und dem Land A über den Ersatz der Kosten der Erziehungshilfe, wobei der Kostenbeitrag ab auf 150,00 Euro monatlich erhöht wurde. Der am vereinbarte Kostenersatz beträgt 230,00 Euro monatlich und ist seit von der Bf zu entrichten. Tatsächlich leistete die Bf die Zahlungen - zumindest teilweise - vereinbarungsgemäß.

Dieser Sachverhalt ergibt sich aus den von Seiten der Erwachsenenvertretung erfolgten Angaben sowie den vorgelegten und zitierten Unterlagen, des Weiteren aus den Internetrecherchen des BFG und einer Abfrage im Zentralen Melderegister des BFG und ist als unbedenklich anzusehen.

2. Gesetzliche Grundlagen

2.1. FLAG 1967

Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, haben gemäß § 2 Abs 1 lit a FLAG 1967 Anspruch auf Familienbeihilfe für minderjährige Kinder.

Für ein im Abs 1 genanntes Kind hat gemäß § 2 Abs 2 FLAG 1967 die Person Anspruch auf Familienbeihilfe, zu deren Haushalt das Kind gehört. Eine Person, zu deren Haushalt das Kind nicht gehört, die jedoch die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend trägt, hat dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn keine andere Person nach dem ersten Satz anspruchsberechtigt ist.

Die Kosten des Unterhalts umfassen gemäß § 2 Abs 4 FLAG 1967 bei minderjährigen Kindern auch die Kosten der Erziehung und bei volljährigen Kindern, die für einen Beruf ausgebildet oder in ihrem Beruf fortgebildet werden, auch die Kosten der Berufsausbildung oder der Berufsfortbildung.

Zum Haushalt einer Person gehört ein Kind gemäß § 2 Abs 5 FLAG 1967 dann, wenn es bei einheitlicher Wirtschaftsführung eine Wohnung mit dieser Person teilt. Die Haushaltzugehörigkeit gilt nicht als aufgehoben, wenn
a) sich das Kind nur vorübergehend außerhalb der gemeinsamen Wohnung aufhält,
b) das Kind für Zwecke der Berufsausübung notwendigerweise am Ort oder in der Nähe des Ortes der Berufsausübung eine Zweitunterkunft bewohnt,
c) sich das Kind wegen eines Leidens oder Gebrechens nicht nur vorübergehend in Anstaltspflege befindet, wenn die Person zu den Kosten des Unterhalts mindestens in Höhe der Familienbeihilfe für ein Kind beiträgt; handelt es sich um ein erheblich behindertes Kind, erhöht sich dieser Betrag um den Erhöhungsbetrag für ein erheblich behindertes Kind (§ 8 Abs 4).

2.2. Bundes-Kinder- und Jugendhilfegesetz 2013 (B-KJHG 2013)
Salzburger Kinder- und Jugendhilfegesetz (S. KJHG)

Ist das Kindeswohl gefährdet und ist zu erwarten, dass die Gefährdung nur durch Betreuung außerhalb der Familie oder des sonstigen bisherigen Wohnumfeldes abgewendet werden kann, ist Kindern und Jugendlichen gemäß § 26 Abs 1 B-KJHG 2013 volle Erziehung zu gewähren, sofern der Kinder- und Jugendhilfeträger mit der Pflege und Erziehung zur Gänze betraut ist.

Volle Erziehung umfasst gemäß § 26 Abs 2 B-KJHG 2013 insbesondere die Betreuung bei nahen Angehörigen, bei Pflegepersonen und in sozialpädagogischen Einrichtungen.

Zu den Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe zählen gemäß § 2 Abs 1 Z 6 S. KJHG nach diesem Gesetz im Besonderen die Gewährung von Erziehungshilfen.

Erziehungshilfen sind gemäß § 15 Abs 1 S. KJHG Hilfen im Einzelfall zum Wohl von Kindern und Jugendlichen, die von den Bezirksverwaltungsbehörden einzusetzen sind, wenn die Pflege und Erziehung durch die Eltern oder sonst mit Pflege und Erziehung betraute Personen nicht oder nicht ausreichend gewährleistet ist. Sie können auf Grundlage einer Vereinbarung oder einer gerichtlichen Verfügung der Erziehung oder als volle Erziehung erfolgen.

Gemäß § 18 Abs 1 S. KJHG ist volle Erziehung zu gewähren, soweit zu erwarten ist, dass das Kindeswohl andernfalls nicht oder nicht ausreichend gewährleistet ist. Die volle Erziehung setzt voraus, dass dem Kinder- und Jugendhilfeträger die Obsorge im Bereich der Pflege und Erziehung zukommt oder eine Ermächtigung im Sinne des § 139 Abs 1 ABGB vorliegt. Die Betreuung der Kinder und Jugendlichen kann erfolgen:
1. bei nahen Angehörigen, ausgenommen Eltern,
2. Bei Pflegepersonen,
3. In einer sozialpädagogischen Einrichtung oder
4. In sonstigen Einrichtungen (zB Internate oder therapeutische Einrichtungen).
Insbesondere bei Säuglingen und Kleinkindern haben Betreuungen nach den Z 1 oder 2 Vorrang. Geschwister sind tunlichst gemeinsam unterzubringen, wenn dem keine zwingenden fachlichen Gründe entgegenstehen.

Die Landesregierung hat gemäß § 20 Abs 1 S. KJHG vorzusorgen, dass zur Pflege und Erziehung von Kindern und Jugendlichen im Rahmen der vollen Erziehung sozialpädagogische Einrichtungen zur Verfügung stehen. Dabei ist auf die unterschiedlichen Problemlagen und die altersgemäßen Bedürfnisse dieser Personen Bedacht zu nehmen.

Sozialpädagogische Einrichtungen sind gemäß § 20 Abs 2 S. KJHG vor allem:
1. Betreuungseinrichtungen für Krisensituationen;
2. Betreuungseinrichtungen für die nicht nur vorübergehende Betreuung von Kindern und Jugendlichen;
3. Betreute Wohnformen für Jugendliche und junge Erwachsene;
4. Betreuungseinrichtungen für minderjährige und junge erwachsene (werdende) Mütter.

Die Kosten einer vollen Erziehung sind gemäß § 49 Abs 2 S. KJHG zunächst vom Kinder- und Jugendhilfeträger zu übernehmen. Sie sind, soweit dadurch der Unterhalt tatsächlich geleistet worden ist, von den zivilrechtlich zum Unterhalt verpflichteten Eltern nach Bürgerlichem Recht zu ersetzen, soweit sie dazu imstande sind oder zum Zeitpunkt der Gewährung der Erziehungshilfe imstande waren. Die Festlegung des Kostenersatzes erfolgt durch Vereinbarung oder gerichtliche Entscheidung (§§ 42 und 43 B-KJHG 2013).

3. Rechtliche Beurteilung samt Beweiswürdigung

§ 2 Abs 2 S 1 FLAG 1967 stellt hinsichtlich des Familienbeihilfenanspruches primär auf die Haushaltszugehörigkeit mit einem Kind und subsidiär (§ 2 Abs 2 S 2 FLAG 1967) darauf ab, welche Person die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend trägt (vgl ).

Die Bedingungen einer Haushaltszugehörigkeit sind in § 2 Abs 5 FLAG 1967 näher umschrieben; dem gemäß kommt es ausschließlich auf die einheitliche Wirtschaftsführung mit dem Kind im Rahmen einer Wohngemeinschaft an. (vgl ).

Nach § 2 Abs 5 lit a FLAG 1967 gilt die Haushaltszugehörigkeit des Kindes bei einem vorübergehenden Aufenthalt außerhalb der gemeinsamen Wohnung nicht als aufgehoben. Ungeachtet der faktischen Unmöglichkeit des gemeinsamen Wohnens in diesem Zeitraum stellt das Gesetz bei einer vorübergehenden Abwesenheit die Fiktion auf, dass die Haushaltszugehörigkeit nicht als aufgehoben gilt. (Vgl ).

Um ein Kind, das sich außerhalb der gemeinsamen Wohnung der Familie aufhält, noch als haushaltszugehörig ansehen zu können, darf der anderweitige Aufenthalt des Kindes gemäß § 2 Abs 5 lit a FLAG 1967 nur ein "vorübergehender" sein (Vgl Reinalter in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG2, § 2 Rz 145 f).

Laut Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann eine durchgehend rund zwei Jahre dauernde Unterbringung in einem Kinderheim im Zuge eine Maßnahme der Jugendwohlfahrt (volle Erziehung bei Übertragung der Obsorge an die Bezirkshauptmannschaft) nicht mehr als vorübergehend angesehen werden. ().

Befindet sich ein Kind im Rahmen der vollen Erziehung und Pflege in einer Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe wird dieser dauernde Aufenthalt auch durch wiederholte Familienbesuche nicht unterbrochen, weil sie von vorneherein nur auf Zeit angelegt sind, sich jeweils bloß auf wenige Tage erstrecken und auch insgesamt von ihrer Dauer her in keinem Verhältnis zur Unterbringung in einer Betreuungseinrichtung stehen. (Vgl ).

Aus Pkt 1 Sachverhalt geht hervor, dass S die volle Erziehung im Sinne des § 26 Abs 1 B-KJHG 2013 und § 18 Abs 1 1 S. KJHG gewährt wird und dass seit sein Nebenwohnsitz ununterbrochen in der sozialpädagogischen Wohngemeinschaft O von Pro Juventute gemeldet ist. In Anbetracht des dauerhaften Charakters des außerfamiliären Aufenthaltes, an dem die wiederholten Besuche bei seiner Mutter, der Bf, nichts ändern können, ist es zweifellos so, dass kein Fall des § 2 Abs 5 lit a FLAG 1967 vorliegt.

Wenn ein Kind - wie im gegenständlichen Fall - wegen eines ständigen Aufenthaltes in einer sozialpädagogischen Einrichtung nicht gemäß § 2 Abs 5 lit a FLAG 1967 haushaltszugehörig war, könnte die Familienbeihilfe dann zustehen, wenn sich dieses Kind "wegen eines Leidens oder Gebrechens" nicht nur vorübergehend in Anstaltspflege befindet und zu den Kosten des Unterhalts des Kindes mindestens in Höhe der Familienbeihilfe beigetragen wird. (Vgl ).

Im gegenständlichen Fall wurde S nicht wegen eines bei ihm vorhandenen bzw aufgetretenen Leidens oder Gebrechens in einer sozialpädagogischen Einrichtung untergebracht, sodass die Anspruchsvoraussetzungen des § 2 Abs 5 lit c FLAG 1967 nicht erfüllt sind.

Der Sohn gilt daher nicht als haushaltszugehörig bei der Bf.

Besteht keine nur vorübergehende Abwesenheit im Sinne des § 2 Abs 5 lit a FLAG 1967 und liegt keine ständige Anstaltspflege wegen eines Leidens oder Gebrechens des Kindes gemäß § 2 Abs 5 lit c FLAG 1967 vor, könnte gemäß § 2 Abs 2 FLAG 1967 einen Familienbeihilfenanspruch dann gegeben sein, wenn der Antragsteller oder die Antragstellerin die Unterhaltskosten überwiegend trägt.

Die Beurteilung, ob jemand die Unterhaltskosten für ein Kind überwiegend trägt, hängt einerseits von der Höhe der gesamten Unterhaltskosten für ein den Anspruch auf Familienbeihilfe vermittelndes Kind in einem bestimmten Zeitraum und andererseits von der Höhe der im selben Zeitraum von dieser Person tatsächlich geleisteten Unterhaltsbeiträgen ab. Ohne die - zumindest schätzungsweise - Feststellung der gesamten Unterhaltskosten für ein Kind lässt sich, wenn dies nicht auf Grund der geringen (absoluten) Höhe der geleisteten Unterhaltsbeiträge ausgeschlossen werden kann, somit nicht sagen, ob die Unterhaltsleistung in einem konkreten Fall eine überwiegende war. (Vgl ).

Zu den Kosten des Unterhalts gehören nicht nur die Kosten für die Unterbringung zB in einem Pflegezentrum, sondern auch die sonstigen Kosten, die für die Pflege und Erziehung eines Kindes aufgewendet werden, wie zB Kosten für Bekleidung, ärztliche Betreuung, zusätzliche Verpflegung, Geschenke. Es ist gleichgültig, ob diese Ausgaben freiwillig oder auf Grund einer gesetzlichen Verpflichtung erfolgen. (Vgl Reinalter in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG2, § 2 Rz 148)

Laut Pkt 1 Sachverhalt betragen die Kosten für die Unterbringung des Sohnes der Bf in der Kinderwohngemeinschaft der Pro Juventute im Rahmen einer vollen Erziehung derzeit 205,48 Euro täglich, somit 6.164,40 Euro monatlich. Diesen vom Land A als Kinder- und Jugendhilfeträger übernommenen Unterbringungskosten im Rahmen der vollen Erziehung stehen derzeit monatliche Kostenersatzbeiträge der Bf in Höhe von 230,00 Euro gegenüber. Die von der Bf zu übernehmenden bzw (teilweise) übernommenen Kostenersatzbeiträge liegen somit derzeit bei unter 4% der tatsächlich anfallenden und vom Kinder- und Jugendwohlfahrtsträger getragenen Kosten für die Unterbringung im Rahmen einer vollen Erziehung des Sohnes in der Kinderwohngemeinschaft der Pro Juventute. Die Höhe des Anteils des Kostenbeitrages der Bf an den tatsächlich anfallenden Unterbringungskosten im Rahmen der vollen Erziehung wird sich rückwirkend bis März 2021 nicht wesentlich anders dargestellt haben; erfahrungsgemäß werden die monatlichen Unterbringungskosten nicht bedeutend geringer gewesen sein und die monatlichen Kostenersatzbeiträge der Bf haben jedenfalls bis 31.10.202 nur 150,00 Euro betragen. Bei dieser Sachlage ist auszuschließen, dass die Bf den überwiegenden Unterhalt ihres Sohnes geleistet hat. Dies würde auch bei Einbeziehung von - im gegenständlichen Fall nicht nachgewiesenen - freiwilligen Leistungen der Bf für Kleidung und Nahrung und den persönlichen Bedarf anlässlich der Aufenthalte des Sohnes bei der Bf gelten. (Vgl Pkt 1 Sachverhalt)

Es besteht daher auch kein Anspruch der Bf auf Familienbeihilfe wegen überwiegender Kostentragung nach § 2 Abs 2 FLAG 1967.

Es ist somit spruchgemäß zu entscheiden.

Der Schriftsatz der Erwachsenenvertretung vom , welcher auch einen Hinweis auf die Antragstellung auf Eigenbezug durch den Sohn S enthält, wird dem FA mit der gegenständlichen Entscheidung übermittelt. Über einen Eigenantrag des Sohnes S hat das Finanzamt zu entscheiden.

4. Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. (Art 133 Abs 4 B-VG).

Die Lösung der gegenständlichen Rechtsfrage entspricht der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bzw handelt es sich um Tatfragen, sodass keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vorliegt. Die Revision ist daher nicht zulässig.

Salzburg, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Materie
Steuer
FLAG
betroffene Normen
ECLI
ECLI:AT:BFG:2022:RV.6100364.2022

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at