Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 16.11.2022, RV/7103227/2022

Aufhebung von rechtswidrig ergangenen Beschwerdevorentscheidungen

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Mag. Anna Mechtler-Höger in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerden vom gegen die Bescheide des Finanzamtes Österreich vom betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2017 bis 2020, Steuernummer ***BF1StNr1***, zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerdevorentscheidungen vom , mit der die Beschwerden vom als verspätet zurückgewiesen wurden, werden aufgehoben.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Die Beschwerdeführerin wurde für die Jahre 2017 bis 2020 im Zuge der antragslosen Arbeitnehmerveranlagung mit Bescheiden vom , , und zur Einkommensteuer veranlagt. Am erhob sie Beschwerde gegen diese Bescheide und beantragte die Berücksichtigung von zusätzlichen Werbungskosten und Sonderausgaben.

Das Finanzamt wies diese Beschwerden gemäß § 260 Abs. 1 lit b BAO mit Beschwerdevorentscheidungen vom als verspätet zurück.

In den fristgerecht eingebrachten Vorlageanträgen brachte die Beschwerdeführerin vor, die Einkommensteuerbescheide 2017 bis 2020 seien automatisch erstellt worden und sie möchte noch das Pendlerpauschale, den Pendlereuro, Versicherungsprämien und Beiträge zur Rückzahlung von Darlehen geltend machen.

Mit Vorlagebericht vom wurden die Beschwerden dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vorgelegt und auf die Verspätung der Beschwerden hingewiesen.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Sachverhalt

Die Beschwerdeführerin wurde für die Jahre 2017 bis 2020 im Zuge der antragslosen Arbeitnehmerveranlagung zur Einkommensteuer veranlagt. Innerhalb der Frist von 5 Jahren brachte sie am Anträge auf Durchführung der Arbeitnehmerveranlagung 2017 bis 2020 ein. Sie benützte dafür das in Finanzonline zur Verfügung stehende Beschwerdeformular und beantragte die Berücksichtigung von Werbungskosten und Sonderausgaben.

Beweiswürdigung

In der Begründung ihrer Vorlageanträge führte die Beschwerdeführerin aus, nachdem die Einkommensteuerbescheide der Jahre 2017 bis 2020 automatisch erstellt worden seien, mache sie nunmehr zusätzliche Werbungskosten und Sonderausgaben geltend. Daraus ist zweifelsfrei abzuleiten, dass die Beschwerdeführerin erkennbar darauf abzielte, die in den Einkommensteuerbescheiden 2017 bis 2020 nicht erfolgte Berücksichtigung der Sonderausgaben und Werbungskosten zu erreichen. Mit den über Finanzonline gemachten Eingaben vom , zu deren Abfassung sie sich der in Finanzonline zur Verfügung stehenden Antragsart "Beschwerde gem. § 243 BAO" bediente, hat sie bei genauer Betrachtung keine Beschwerde erhoben, sondern innerhalb der 5-Jahresfrist Anträge auf Arbeitnehmerveranlagung für die Jahre 2017 bis 2020 eingebracht. Dabei ist auch in Betracht ziehen, dass nach der allgemeinen Lebenserfahrung kein Steuerpflichtiger von einer Rechtsmittelfrist ausgeht, die sich über mehrere Jahre erstreckt.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind Parteienerklärungen nach ihrem objektiven Erklärungswert auszulegen. Es kommt somit darauf an, wie die Erklärung unter Berücksichtigung der konkreten gesetzlichen Regelung, des Verfahrenszwecks und der der Behörde bzw. dem Verwaltungsgericht vorliegenden Aktenlage objektiv verstanden werden muss. Bei undeutlichem Inhalt eines Anbringens ist die Absicht der Partei zu erforschen. Im Zweifel ist dem Anbringen einer Partei, das sie zur Wahrung ihrer Rechte stellt, nicht ein solcher Inhalt beizumessen, der ihr die Rechtsverteidigungsmöglichkeit nimmt (, mwN).

Die von der Beschwerdeführerin am über Finanzonline gemachten Eingaben waren daher als Anträge auf Durchführung der Arbeitnehmerveranlagung der Jahre 2017 bis 2020 zu werten.

Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchpunkt I.

Gemäß § 41 Abs. 2 Z 2 EStG ist bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen eine antragslose Arbeitnehmerveranlagung durchzuführen.

Gemäß § 41 Abs. 2 Z 2 lit c EStG hat das Finanzamt, wenn nach erfolgter antragsloser Veranlagung innerhalb der Frist der Z 1 (fünf Jahre ab dem Ende des Veranlagungszeitraums) eine Abgabenerklärung abgegeben wird, darüber zu entscheiden und gleichzeitig damit den antragslos ergangenen Bescheid aufzuheben.

Gemäß § 262 Abs. 1 BAO ist über Bescheidbeschwerden nach Durchführung der etwa noch erforderlichen Ermittlungen von der Abgabenbehörde, die den angefochtenen Bescheid erlassen hat, mit als Beschwerdevorentscheidung zu bezeichnendem Bescheid abzusprechen.

Die Erlassung eines Bescheides aufgrund einer antragslosen Veranlagung soll einer rechtsrichtigen Erledigung nicht im Wege stehen (Jakom/Kanduth-Kristen EStG, 2021, § 41 Tz 35). Wird innerhalb von fünf Jahren ab dem Ende des Veranlagungszeitraumes eine Steuererklärung abgegeben, ist die Steuer neu zu berechnen, ein neuer Steuerbescheid zu erlassen und der antragslos ergangene Bescheid gleichzeitig aufzuheben. Damit kann der Steuerpflichtige die Rechtswirkung einer antragslosen Veranlagung durch Einreichung einer Steuererklärung beseitigen.

Die Beschwerdeführerin machte im vorliegenden Fall nach erfolgten antragslosen Veranlagungen am - somit für alle Streitjahre innerhalb von fünf Jahren ab dem Ende des Veranlagungszeitraumes - eine als Steuererklärung zu wertende Eingabe. Das Finanzamt hat aber dem Anbringen der Beschwerdeführerin, das diese zur Wahrung ihrer Rechte stellte, einen solchen Inhalt beigemessen, der zur Zurückweisung des Anbringens führte. Damit hat es die Abgabenbehörde unterlassen, über die als Steuererklärungen zu wertenden Anbringen zu entscheiden und gleichzeitig die antragslos ergangenen Bescheide aufzuheben.

Mit der Zurückweisung der als Beschwerden gewerteten Anbringen der Beschwerdeführerin wurde ihr im Widerspruch zur Judikatur des Höchstgerichtes jegliche Möglichkeit genommen, ihre Rechte durchzusetzen, da eine Wiederaufnahme auf Antrag bezogen auf die Beschwerdeführerin am Fehlen neu hervorgekommener Tatsachen und Beweismittel scheitern muss.

Im Hinblick darauf, dass die Beschwerdeführerin gar keine Beschwerden einbringen wollte und dies aus ihren Vorlageanträgen auch erkennbar ist, hätte die belangte Behörde die Anträge nicht als verspätet eingebrachte Beschwerden werten und darüber nicht mit Beschwerdevorentscheidungen absprechen dürfen.

Die rechtswidrig ergangenen Beschwerdevorentscheidungen, mit denen die "Beschwerden" als verspätet zurückgewiesen wurden, waren daher aufzuheben.

Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann einer Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG nur dann grundsätzliche Bedeutung zukommen, wenn sie über den konkreten Einzelfall hinaus Bedeutung entfaltet (z.B. ). Gegenständlich war nur um die einzelfallbezogene Auslegung einer Parteierklärung strittig. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung liegt daher nicht vor, weshalb die Revision spruchgemäß nicht zuzulassen war.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 260 Abs. 1 lit. b BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 262 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise

ECLI
ECLI:AT:BFG:2022:RV.7103227.2022

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at