Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 12.12.2022, RV/1100450/2020

Mittelpunkt der Lebensinteressen

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Mag. Peter Bilger in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr1***, vertreten durch die Mag. Rainer Rangger Steuerberatungs GmbH, Bonigstraße 11, 6923 Höchst, über die Beschwerde vom gegen die Bescheide des Finanzamtes Bregenz (nunmehr Finanzamt Österreich) vom betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2015 bis 2017 nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.

Die angefochtenen Bescheide werden - ersatzlos - aufgehoben.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Mit den angefochtenen Bescheiden unterzog das Finanzamt die Schweizer Pensionseinkünfte der Beschwerdeführerin (in der Folge: Bf.) der Einkommensteuer. Zur Begründung führte es aus, die Bf. sei seit dem Jahr 1995 in einer Lebensgemeinschaft mit dem in ***Stadt1*** und später in ***Stadt2*** wohnhaften ***B.***. Im Jahr 2000 habe sie ihre Arbeitsstelle vom Tessin nach Heerbrugg in der Schweiz, das sich in unmittelbarer Nähe zum damaligen Wohnort ***B.*** in ***Stadt1*** befunden habe, verlagert. Zwar habe sie ihren melderechtlichen Wohnsitz bis weiterhin im Tessin beibehalten, tatsächlich habe sie sich aber regelmäßig bei Ihrem damaligen Lebensgefährten und seit 2015 auch Ehegatten in dessen Eigenheim in ***Stadt1*** aufgehalten. Seit dem Jahre 2010 beziehe sie Ruhebezüge aus der Schweiz. Diese Pensionseinkünfte seien daher von 2015, dem Jahr der Eheschließung, an bis zur Wohnsitzverlegung nach Italien im September 2017 gemäß Artikel 18 DBA-Schweiz in Österreich der Einkommensteuer zu unterziehen.

In der gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerde wandte die Bf. durch ihre steuerliche Vertretung ein, sie habe vor allem ab ihrer Pensionierung im Jahre 2010 bis August 2017 in ***Bf1-Adr2***, gelebt, um Ihre kranke Mutter pflegen zu können. Zum Beweis werde eine eidesstattliche Erklärung der Schwester und des Bruders der Bf. vorgelegt. Aus dieser Erklärung gehe eindeutig hervor, dass die Bf. weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich gehabt habe. Allein schon aufgrund der zeitintensiven Pflege ihrer Mutter habe sich die Bf. keine sechs Monate hindurch in Österreich aufhalten können, um hier einen gewöhnlichen Aufenthalt zu begründen. In Österreich sei sie dementsprechend auch nie polizeilich gemeldet gewesen. Sie sei ihrer Steuerverpflichtung in der Schweiz nachgekommen. Die Besteuerung der Pensionseinkünfte auch in Österreich würde zu einer Doppelbesteuerung der Bf. führen. Nach dem DBA-Schweiz habe die Besteuerung im Wohnsitzstaat zu erfolgen, der in ihrem Fall die Schweiz und nicht Österreich sei.

In der Beschwerde wurde der Antrag gestellt, eine mündliche Beschwerdeverhandlung durchzuführen und der Beschwerde stattzugeben.

Das Finanzamt wies die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom als unbegründet ab. Zur Begründung führte es aus, auch ohne polizeiliche Anmeldung stehe fest, dass die Bf. zumindest seit dem Jahr 2000 im Haus ihres Partners und späteren Ehegatten einen auch tatsächlich verwendeten Wohnsitz gehabt habe. Mit diesem Wohnsitz sei die Ansässigkeit in Österreich begründet worden. Dies umso mehr, als die Bf. bis 2010 im nur 6,8 km vom Wohnhaus in ***Stadt1*** entfernten Heerbrugg beschäftigt gewesen sei und dort über keine adäquate Wohnung verfügt habe. Eine durchgehend in ***A.*** in der Schweiz behaltene steuerliche Ansässigkeit liege nicht vor. Die laut Beschwerdevorbringen und Bestätigung von den Geschwistern gepflegte Mutter wohne Tür an Tür mit ***D*** (Jahrgang 1952), was gegen die Notwendigkeit und die tatsächliche Anwesenheit der Bf. bei der Mutter spreche und seien die Bankbelege 2012 und die AHV-Unterlagen an die Adresse der Schwester und nicht an jene der Mutter zugestellt worden. Zudem sei die Bf. in der erst 2016 vom Gatten erworbenen Wohnung in ***Stadt2*** an Türschild und Briefkasten namentlich angeführt worden. Die Bf. sei daher in Österreich ansässig und steuerpflichtig.

Im Vorlageantrag vom wurde gegen die Ausführungen des Finanzamtes in der Beschwerdevorentscheidung vorgebracht, es sei nicht richtig, dass die Bf. seit 2000 im Haus ihres späteren Ehemannes gelebt habe. Das Finanzamt behaupte, es sei keine Ansässigkeit in ***A.*** vorgelegen und schließe im Umkehrschluss daraus auf eine Ansässigkeit in Österreich, ohne die Ansässigkeit in Österreich zu begründen. Auf die Ausführungen in der Beschwerde sei es nicht eingegangen. Auch die Behauptung, die Anwesenheit Bf. sei zur Betreuung ihrer Mutter gar nicht erforderlich gewesen, sei unrichtig. Die Erklärungen der Geschwister der Bf. würden von der Finanz einfach ignoriert.

Am legte das Finanzamt die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor und stellte in der Stellungnahme zum Vorlageantrag den Antrag, die Beschwerde abzuweisen.

Am richtete das Bundesfinanzgericht einen Vorhalt zur Klärung des Sachverhalts an die Bf. Dabei wurde sie darauf aufmerksam gemacht, dass ihre Angaben zumindest glaubhaft zu machen seien und, weil sich die Fragen auf Sachverhalte bezögen, die ihre Wurzeln im Ausland hätten, sie eine erhöhte Mitwirkungspflicht an der Feststellung des Sachverhaltes treffe.

Folgende Fragen wurden an die Bf. gestellt:

1. Geben Sie an, unter welchen Verhältnissen Sie am Wohnsitz Ihrer Schwester ***D*** in ***A.***, ***Bf1-Adr.2***, gewohnt haben.

Hatten Sie Räumlichkeiten zur eigenen Verfügung? Wenn ja, wie waren diese eingerichtet? Wo befand sich ihr Hausrat?

Hatten Sie für die Unterkunft eine Miete zu zahlen?

2. Wie lange haben Sie ihre Mutter gepflegt? Wieviel Zeit haben Sie dafür aufgebracht?

3. Wurde für die Pflege Ihrer Mutter finanzielle Unterstützung von dritter Seite gewährt? Haben Sie Betreuungsgeld von der AHV bezogen?

4. Geben Sie bekannt, wann Sie ihre Eigentumswohnung in ***Bf1A-Adr3***, verkauft haben. Wie hoch war der dabei erzielte Verkaufspreis?

Gleichzeitig wurde der Bf. ein Aktenvermerk über ein Telefonat des Sachbearbeiters des Finanzamtes mit einem ehemaligen Nachbarn des Ehegatten der Bf. vom zur Kenntnis gebracht.

Diesen Vorhalt beantwortete die Bf. mit Schreiben vom wie folgt:

Ad 1. Wohnsitzverhältnisse am Wohnsitz der Schwester

Die Schwester ***D*** besitze in ***A.*** ein Mehrfamilienhaus mit drei Wohneinheiten. Die Schwester wohne in einer 130m²-Wohnung im Obergeschoß, die im April 2020 verstorbene Mutter der Bf. habe in einer 2-Zimmer-Wohnung im Erdgeschoß gewohnt. Die Bf. habe während der Zeit der Pflege ihrer Mutter in den Wohnräumen ihrer Schwester gelebt. Die Frage des Hausrats stelle sich somit nicht. Die Bf. habe ihrer Schwester kein Entgelt für die Benützung der Wohnung gezahlt.

Die Schwester ***D*** leide bereits seit ca. 20 Jahren an Osteoporose. Aufgrund dieser Krankheit sei es ihr gar nicht möglich gewesen, ihre demente Mutter zu betreuen. Der Bruder sei inzwischen 80 Jahre alt und noch immer berufstätig. Er leite ein Reinigungsunternehmen mit ca. 100 Mitarbeitern und lebe 16 km von ***A.*** entfernt in ***C.***. Erst seit dem Jahr 2016 habe sich das zuvor schlechte Verhältnis zu seiner Mutter verbessert und er habe seitdem seine Mutter überwiegend an Wochenenden besucht und seine Schwester bei der Betreuung der Mutter entlastet.

Die Annahme des Finanzamtes, ein Aufenthalt der Bf. in der Schweiz zur Pflege ihrer Mutter sei gar nicht erforderlich gewesen, weil bereits ihre Geschwister die Pflege übernommen hätten, erweise sich daher als falsch.

Ad. 2. Wie lange wurde die Mutter gepflegt

Die Betreuung der demenzkranken Mutter der Bf. sei sehr zeitaufwendig und anstrengend gewesen. Die Mutter habe 2016 einen Oberschenkelhalsbruch erlitten und sei ca. drei Wochen im Krankenhaus gelegen. In dieser Zeit habe die Bf. ihre Mutter täglich im Krankenhaus besucht. Ab Juni 2017 sei es nicht mehr möglich gewesen, die Mutter zuhause zu betreuen. Vom Sommer 2017 bis zu ihrem Tode im April 2020 sei sie in einem Pflegeheim untergebracht gewesen. Die Demenzerkrankung sei so weit fortgeschritten gewesen, dass sie auf Besuche nicht mehr reagiert habe. Aus diesem Grunde hätten sich die Bf. und ihr Gatte entschlossen, aus dem Tessin wegzuziehen und sich in Süditalien niederzulassen.

Der Gatte der Bf. sei bis Mai 2017 berufstätig gewesen und habe sich an nahezu allen Sommerwochenenden in den Jahren 2015 bis 2017 zum Fahrradfahren im Tessin aufgehalten. Zwar habe auch die Bf. Wochenenden in ***Stadt1*** verbracht, insgesamt seien die Aufenthalte in ***Stadt1*** aber wesentlich seltener gewesen als jene in ***A.***.

Zur Aussage des Nachbarn sei zu sagen, dass der Gatte der Bf. ein sehr schlechtes Verhältnis zu ihm gehabt habe. Das sei für ***B.*** auch ein Grund gewesen, von hier weg nach ***Stadt2*** zu ziehen. Die Aufforderung in der telefonischen Aussage, das Verfahren gehöre weitergeführt, lasse an der Glaubwürdigkeit der Aussagen des Nachbarn Zweifel aufkommen.

Die Tatsache allein, dass der Name der Bf. an Türschild und Postkasten der Eigentumswohnung in ***Stadt2*** angebracht gewesen sei, besage noch nicht, dass sich auch der Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen hier befunden habe.

Ad 3. Finanzielle Unterstützung

Die Bf. habe keine finanzielle Unterstützung erhalten. Ihre Mutter habe eine Pension in Höhe von monatlich ca. CHF 2.800 bezogen, davon habe sie der Schwester der Bf. CHF 700 an Miete bezahlt.

Ad. 4 Verkauf der Wohnung in ***A.***

Die Wohnung sei im Jahr 1998 verkauft worden, der Verkaufspreis sei nach Auffassung der Bf. und ihrer steuerlichen Vertretung für den Beschwerdefall ohne Bedeutung.

In der am durchgeführten mündlichen Beschwerdeverhandlung brachte der Ehemann der Beschwerdeführerin, ***B.***, als Zeuge ergänzend zum Sachverhalt vor, er sei lange Jahre als Verkaufsleiter der ***M.*** GmbH für den Schweizer Markt tätig gewesen und habe sich daher oft in der Schweiz aufgehalten. Seitdem er seine Frau kenne, habe er immer wieder gemeinsame Zeit mit ihr bei ihrer Familie in ***A.*** verbracht. Unter der Woche sei er berufsbedingt immer im In- und Ausland unterwegs gewesen, die Wochenende hätten er und seine Frau abwechselnd in Österreich oder in der Schweiz verbracht. Die Fahrzeit zwischen ***A.*** und ***Stadt2*** betrage durchschnittlich 2,5 bis 3 Stunden.

Die Beschwerdeführerin wiederholte ihr Vorbringen, sie habe keinerlei wirtschaftliche oder, von ihrem Mann abgesehen, persönliche Beziehungen zu Österreich. Sie habe hier keine Freunde oder Bekannte und habe nie irgendeine kulturelle oder soziale Tätigkeit in Vereinen oder dgl. in Österreich entfaltet. Sie habe zwei erwachsene Söhne, einer lebe in ***Stadt3*** im Tessin, der andere in ***Stadt4***f.

Die Behördenvertreter führten aus, es liege ein Grenzfall vor. Es gebe aber gute Gründe, die für einen Mittelpunkt der Lebensinteressen der Beschwerdeführerin in der Schweiz sprächen. Das niederschriftlich festgehaltene Telefongespräch mit dem ehemaligen Nachbarn von ***B.*** sei für den Beschwerdefall jedenfalls nicht aussagekräftig.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Sachverhalt

Die Bf., geboren 1946, ist italienische und Schweizer Staatsbürgerin. Ab dem Jahr 1960 lebte sie mit ihrer Familie in ***A.*** im Tessin. Seit dem Jahr 1995 ist sie in einer Beziehung mit ***B.***. 1998 verkaufte sie ihre Eigentumswohnung in ***Bf1A-Adr3*** (Tessin), blieb aber weiter in ***A.*** gemeldet, und zwar unter der Anschrift ihrer Schwester in der ***Bf1-Adr.2***. Im Jahr 2000 nahm sie eine Anstellung bei der SFS AG in 9442 Heerbrugg an, um in der Nähe von ***B.*** zu sein und mehr gemeinsame Zeit mit ihm verbringen zu können. In dieser Zeit wohnte die Bf. zum Teil in einem Zimmer in Heerbrugg und zum Teil im Haus von ***B.***. Im Jahr 2010 wurde die Bf. in den Ruhestand versetzt, die Schweizer Pensionszahlungen wurden auf ein Konto der Bf., bei der UBS überwiesen und in der Schweiz versteuert. Sie blieb auch in der Schweiz weiter krankenversichert.

Im März 2015 heirateten die Bf. und ***B.***. ***B.*** war bis zu seiner Pensionierung am bei der ***M.*** GmbH mit Sitz in Salzburg angestellt und als Verkaufsleiter für den Schweizer Markt zuständig, Aufgrund dieser Tätigkeit war er häufig auf Reisen. Bis 2016 wohnte ***B.*** in seinem Haus in ***Gatte-Adr1***. Im Juni 2016 verkaufte er das Haus und kaufte eine Eigentumswohnung in ***Gatte-Adr2***. Am ging ***B.*** in Pension.

Zwischen 2015 und Juni 2017 hielt sich die Bf. häufig zur Pflege ihrer betagten und demenzkranken Mutter ***E*** in ***A.*** auf. In dieser Zeit wohnte sie bei ihrer Schwester ***D*** in der ***Bf1-Adr.2***. Die Wohnung der Schwester befindet sich in einem Mehrfamilienhaus mit drei Wohneinheiten, wobei sich die 130m² große Wohnung der Schwester im Obergeschoß befand, während in der Zwei-Zimmer-Wohnung in Erdgeschoß mit der Anschrift ***Adr*** die pflegebedürftige Mutter wohnte. Die Schwester ***D*** war zur Pflege der Mutter aufgrund einer eigenen Krankheit ebenso wenig in der Lage wie der berufstätige und im von ***A.*** 16 km entfernten ***C.*** wohnhafte Bruder ***F***. Während der Zeit der Pflege der Mutter verbrachte die Bf. auch Zeiten im Haus bzw. der Wohnung ihres Gatten. Andererseits besuchte auch ***B.*** seine Ehefrau und wohnte mit ihr in der Wohnung der Schwester der Bf.

Im Sommer 2017 wurde die Mutter der Bf. in ein Pflegheim aufgenommen, womit die Pflegetätigkeit der Bf. endete.

Mit meldete sie ihren Schweizer Wohnsitz ab und zog mit ihrem Gatten nach ***Bf1-Adr4*** (Italien, Provinz Lecce), in ein Haus, das sie bereits im Jahr 2006 gekauft hatte.

Die Bf. hat zwei erwachsene Söhne, die beide in der Schweiz leben.

Beweiswürdigung

Für diese Sachverhaltsdarstellung stützt sich das Bundesfinanzgericht auf die Angaben der Beschwerdeführerin sowie auf die dazu vorgelegten Beweismittel. Der festgestellte Sachverhalt ist zwischen den Parteien unstrittig.

Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchpunkt I. (Stattgabe)

Steuerpflicht nach innerstaatlichem Steuerrecht

Gemäß § 1 Abs. 2 EStG 1988 sind unbeschränkt steuerpflichtig natürliche Personen, die im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben. Die unbeschränkte Steuerpflicht erstreckt sich auf die gesamten in- und ausländischen Einkünften

Gemäß § 26 Abs. 1 BAO hat jemand einen Wohnsitz dort, wo er eine Wohnung innehat unter Umständen, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird.

Den gewöhnlichen Aufenthalt hat gemäß § 26 Abs. 2 BAO jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Land nicht nur vorübergehend verweilt.

Besteht nach § 1 Abs. 2 EStG 1988 eine unbeschränkte Steuerpflicht, sind gemäß § 25 Abs. 1 Z 2 lit. c EStG 1988 Pensionen aus einer ausländischen gesetzlichen Sozialversicherung, die einer inländischen gesetzlichen Sozialversicherung entspricht, in Österreich steuerpflichtig.

Unter einer Wohnung iSd § 26 Abs. 1 BAO sind Räumlichkeiten zu verstehen, die nach der Verkehrsauffassung zum Wohnen geeignet sind, somit ohne wesentlicher Änderung jederzeit zum Wohnen genützt werden können und ihrem Inhaber nach Größe und Ausstattung ein dessen Verhältnissen entsprechendes Heim bieten (vgl. Ritz, BAO6, § 26 Tz 1 mit der dort zitierten hg. Rspr.) "Innehaben" bedeutet, über eine Wohnung tatsächlich oder rechtlich verfügen zu können, sie also jederzeit für den eigenen Wohnbedarf benützen zu können. Als Rechtsgründe für die Innehabung gelten Eigentum, Miete, Untermiete, Wohnungsrecht oder familienrechtliche Ansprüche z.B. des Ehegatten. Die polizeiliche Ab- oder Anmeldung nach dem Meldegesetz hat für die Frage des Wohnsitzes hingegen lediglich Indizwirkung (vgl. Ritz, BAO6, § 20 Tz 5-7, mwN.)

Nach diesen Kriterien beurteilt hat die Bf. in den Jahren 2015 bis 2017 im Inland einen Wohnsitz gehabt. Sie hat seit der Aufnahme ihrer Tätigkeit in Heerbrugg mit dem Bf. in einem gemeinsamen Haushalt in dessen Haus gelebt und seit der Verehelichung im März 2015 auch einen rechtlichen Anspruch auf die Benützung der Wohnung ihres Mannes gehabt. Für die Frage des Wohnsitzes ist ausschließlich maßgeblich, dass die Bf. tatsächlich oder rechtlich über die Wohnung verfügen konnte, d.h. diese zu eigenen Wohnzwecken benützen konnte. Nicht entscheidend ist hingegen, ob die Bf. sich dauernd an diesem Wohnsitz aufgehalten hat oder nicht. Die Tatsache allein, dass ihr das Haus und später die Eigentumswohnung ihres Gatten zu eigenen Wohnzwecken zur Verfügung stand und sie diese Wohnung zumindest zeitweise auch tatsächlich dazu benutzt hat, ist für die Annahme eines Wohnsitzes im Inland ausreichend.

Aufgrund des Wohnsitzes im Inland war die Bf. mit ihren Schweizer Pensionseinkünften nach innerstaatlichen Recht gemäß § 25 Abs. 1 Z 2 lit. c EStG 1988 in Österreich steuerpflichtig.

Damit ist die Frage der Steuerpflicht aber noch nicht entscheiden. Denn da die Bf. auch in der Schweiz unbeschränkt steuerpflichtig war und ihre Schweizer Pensionseinkünfte auch tatsächlich in der Schweiz besteuert wurden, ist zu fragen, welchem Staat, Österreich oder der Schweiz, nach dem zwischenstaatlichen Steuerrecht das Besteuerungsrecht über die Pensionseinkünfte zukam bzw. welcher Staat zur Vermeidung einer doppelten Besteuerung auf sein Besteuerungsrecht verzichten musste. Diese Frage ist nach dem Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung BGBl. 1975/64 idF BGBl. 1995/161, III 2001/2ß4, III 2007/22 (DBA-Schweiz) zu beurteilen.

Nach Art 18 DBA-Schweiz dürfen Ruhegehälter und ähnliche Vergütungen, die einer in einem Vertragsstaat ansässigen Person für frühere unselbständige Arbeit gezahlt werden, nur in diesem Staat versteuert werden.

Die Frage der Ansässigkeit richtet sich nach Art. 4 DBA-Schweiz.

Gemäß Art. 4 Abs. 1 DBA-Schweiz wird der Ansässigkeitsstaat zunächst nach der unbeschränkten Steuerpflicht bestimmt. Ist eine Person in beiden Vertragsstaaten unbeschränkt steuerpflichtig, gilt sie gemäß Art. 4 Abs. 2a DBA-Schweiz als in dem Vertragsstaat ansässig, in dem sie über eine ständige Wohnstätte verfügt. Verfügt sie in beiden Vertragsstaaten über eine ständige Wohnstätte, so gilt sie als in dem Vertragsstaat ansässig, zu dem sie die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hat (Mittelpunkt der Lebensinteressen).

Kann nicht bestimmt werden, in welchem Vertragsstaat die Person den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen hat oder verfügt sie in keinem der beiden Vertragsstaaten über eine ständige Wohnstätte, so gilt sie als in dem Vertragsstaat ansässig, in dem sie ihren persönlichen Aufenthalt hat (Art. 4 Abs. 2b DBA-Schweiz).

Hat die Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt in beiden Vertragsstaaten oder in keinem der Vertragsstaaten, so gilt sie als in dem Vertragsstaat ansässig, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt (Art. 4 Abs. 2c DBA-Schweiz).

Besitzt die Person die Staatsangehörigkeit beider Vertragsstaaten oder keines Vertragsstaates, so verständigen sich die zuständigen Behörden der Vertragsstaaten gemäß Art. 25 DBA Schweiz (Art. 4 Abs. 2d DBA-Schweiz).

Wie bereits weiter oben ausgeführt, hatte die Bf. in den Jahren 2015 bis 2017 in Österreich einen Wohnsitz im Sinne des § 26 BAO und war daher in Österreich unbeschränkt steuerpflichtig. Für die Frage, ob sie im Sinne des Art. 4 Abs. 1 DBA-Schweiz auch in der Schweiz unbeschränkt steuerpflichtig war, kann indiziell auf die tatsächlich und zeitgleich in der Schweiz durchgeführte unbeschränkte Besteuerung zurückgegriffen werden (vgl. Wassermeyer in Wassermeyer/Lang/Schuch, Doppelbesteuerung, MA Art. 4, Tz 26). Somit war die Bf. in den Jahren 2015 bis einschließlich August 2017 sowohl in der Schweiz als auch in Österreich unbeschränkt steuerpflichtig und damit im Sinne des Art. 4 Abs. 1 DBA-Schweiz in beiden Vertragsstaaten ansässig.

Die Frage der Ansässigkeit ist somit gemäß Art. 4 Abs. 1 lit. a DBA-Schweiz danach zu entscheiden, in welchen der beiden Vertragsstaaten die Bf. über eine ständige Wohnstätte verfügte.

Der Ausdruck "ständige Wohnstätte" im Sinne des Art. 4 Abs. 2 lit. a DBA-Schweiz ist ein abkommensrechtlicher Begriff, der autonom nach seiner gewöhnlichen Bedeutung auszulegen ist. So verstanden setzt eine "ständige Wohnstätte" Räume voraus, die zum Wohnen geeignet sind. Dabei kann es sich um eigene, gemietete, unentgeltlich zur Verfügung gestellte oder auch nur mitbenutzte Räume handeln (vgl. Wassermeyer in Wassermeyer/Lang/Schuch, Doppelbesteuerung, MA Art. 4, Tz 26). Die Räume müssen zudem der ansässigen natürlichen Person jederzeit zur Verfügung stehen. Das heißt, die Person muss die Verfügungsmacht über die Wohnstätte innehaben. Innehaben bedeutet, die Möglichkeit haben, jederzeit die Wohnstätte zu Wohnzwecken nutzen zu können. Schließlich wohnt dem Begriff "ständige Wohnstätte" auch ein zeitliches Moment inne. Besteht die Absicht, die Wohnung lediglich kurzfristig zu verwenden, kann nicht von einer ständigen Wohnstätte gesprochen werden.

Es steht außer Zweifel, dass die Bf. mit dem Haus bzw. später mit der Eigentumswohnung ihres Lebenspartners und Ehegatten ***B.*** eine ständige Wohnstätte zur Verfügung hatte. Sie hat dort einen gemeinsamen Hausstand mit ***B.*** unterhalten und aufgrund der Verehelichung mit ***B.*** auch einen familienrechtlichen Anspruch auf die tatsächliche Verfügungsmöglichkeit dieser Wohnstätte erworben.

Wie zum Sachverhalt festgestellt, hielt sich die Bf. aber auch über Jahre hindurch zur Pflege ihrer Mutter in der Wohnung ihrer Schwester in ***A.*** auf. Diese Wohnung bot mit einer Wohnfläche von 130m² unzweifelhaft genügend Platz, damit sich die Bf. neben ihrer allein lebenden Schwester zur Befriedigung ihrer Wohnbedürfnisse angemessen einrichten konnte. Dass sie für die Wohnung kein Mietentgelt zahlen musste, ist angesichts der Pflegearbeit naheliegend und steht der Annahme einer Wohnstätte nicht entgegen. Ebenso ist davon auszugehen, dass die Bf. über diese Wohnung jederzeit verfügen konnte und nicht für jede Übernachtung ihre Schwester um Erlaubnis fragen musste. Auch das Erfordernis der "Ständigkeit" ist zu bejahen, hat die Bf. doch die Absicht gehabt, solange in dieser Wohnung zu wohnen, solange ihre Mutter gepflegt werden musste und hat sie sich auch tatsächlich mehrere Jahre zu diesem Zweck in der Wohnung der Schwester aufgehalten.

Somit hat die Bf. in den Streitjahren sowohl in der Schweiz als auch in Österreich über eine ständige Wohnstätte verfügt. Die Frage der Ansässigkeit ist daher in einem nächsten Schritt nach dem Mittelpunkt der Lebensinteressen zu beantworten.

Mittelpunkt der Lebensinteressen

Für die Beurteilung der Frage, an welchem Ort (in welchem Staat) der Steuerpflichtige die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hat, ist auf das Gesamtbild der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse abzustellen, wobei das Überwiegen der Beziehungen zum einen oder anderen Staat den Ausschlag gibt (vgl. z.B. Fuchs in Hofstätter/Reichel, EStG Kommentar § 1 EStG 1988 Tz 9). Wirtschaftlichen Beziehungen kommt dabei in der Regel eine geringere Bedeutung zu als persönlichen Beziehungen. Unter persönlichen Beziehungen sind all jene zu verstehen, die einen Menschen aus in seiner Person liegenden Gründen mit jenem Ort verbinden, an dem er einen Wohnsitz hat (vgl. z.B. das Erkenntnis vom , 90/13/0073, zur Auslegung des Art. 16 DBA-Deutschland). Von Bedeutung sind dabei familiäre Bindungen sowie Betätigungen gesellschaftlicher, religiöser und kultureller Art und andere Betätigungen zur Entfaltung persönlicher Interessen und Neigungen (vgl. z.B. das Erkenntnis vom , 2005/15/0135), aber auch Verbindungen zu Sachgesamtheiten, wie Privatsammlungen, die Mitgliedschaft in Vereinen und andere soziale Engagements (vgl. das Erkenntnis vom , 2011/15/0193, mwN). Die stärkste persönliche Beziehung besteht im Regelfall zu dem Ort, an dem jemand regelmäßig mit seiner Familie lebt. Diese Annahme setzt die Führung eines gemeinsamen Haushaltes sowie das Fehlen ausschlaggebender und stärkerer Bindungen zu einem anderen Ort, etwa aus beruflichen oder gesellschaftlichen Gründen voraus (vgl. nochmals das Erkenntnis vom , 90/13/0073, mwN).

Wirtschaftliche Bindungen gehen vor allem von örtlich gebundenen Tätigkeiten und von Vermögensgegenständen in Form von Einnahmequellen aus. Der Mittelpunkt der Lebensinteressen ist durch eine zusammenfassende Wertung aller Umstände zu ermitteln. Entscheidend ist letztlich, welcher Vertragsstaat für die Person der bedeutungsvollere ist (vgl. wiederum das Erkenntnis vom , 2011/15/0193, mwN), wobei die Beurteilung anhand objektiv feststellbarer Umstände vorzunehmen ist (vgl. das Erkenntnis vom , 90/13/0073).

Bei der Ermittlung des Mittelpunktes der Lebensinteressen ist regelmäßig nicht nur auf die Verhältnisse eines Jahres, sondern auf einen längeren Beobachtungszeitraum abzustellen (vgl. Philipp/Loukota/Jirousek, Internationales Steuerrecht, Z 4 Tz 11).

Im Beschwerdefall unterhielt die Bf. wirtschaftliche Beziehungen zur Schweiz in Form der Schweizer Pensionszahlungen durch das IAS (Istituto delle assicurazioni sociali), den Zahlungen der Krankenversicherungsbeiträge an die SWICA (Organizzazione sanitaria), den Steuerzahlungen (direkte Bundessteuer, Kantons- und Gemeindesteuer) sowie von Geldbewegungen auf einem Bankkonto bei der UBS. Zu Österreich bestanden demgegenüber keinerlei wirtschaftliche Beziehungen.

Durch die Lebensgemeinschaft und Ehe mit ***B.*** hatte die Bf. ohne Zweifel eine starke persönliche Bindung zu Österreich. Andererseits bestand durch verwandtschaftliche Bande aber auch eine enge persönliche Bindung der Bf. zur Schweiz, denn sowohl die Mutter als auch die Schwester und der Bruder sowie die beiden Söhne lebten alle in der Schweiz. Die Tatsache, dass die Bf. Jahre hindurch ihre kranke Mutter in der Schweiz gepflegt hatte, belegt diese starke familiäre Bindung zur Schweiz eindrucksvoll. Die Bindung an Österreich durch die Ehe mit ***B.*** wurde durch die familiären Bindungen zur Schweiz jedenfalls aufgewogen, zumal die Bf. ja nicht regelmäßig mit ***B.*** am gemeinsamen Wohnsitz gelebt, sondern sich lange Zeit zur Pflege der Mutter auch in der Schweiz aufgehalten hat und auch von Freunden und kulturellen oder sozialen Betätigungen in Österreich nichts bekannt ist.

Nach dem Gesamtbild der Verhältnisse war die Bindung der Bf. zur Schweiz stärker als zu Österreich. Wirtschaftliche Beziehungen bestanden überhaupt nur zur Schweiz und die persönliche Beziehung zu Österreich wurde nur durch die Person ihres Ehegatten vermittelt, nicht aber durch eine darüber hinausgehende Einbindung in das Leben, die Kultur und die Menschen in Österreich. Daher wiegen die wirtschaftlichen Beziehungen und die Bindungen zu den engen Verwandten in der Schweiz insgesamt stärker und ist dem Beschwerdevorbringen der Bf., der Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen habe sich in der Schweiz befunden, zu folgen.

Somit war im Streitzeitraum die Schweiz der Ansässigkeitsstaat im Sinne des Artikel 4 DBA-Schweiz und stand der Schweiz das Besteuerungsrecht über die Schweizer Pensionseinkünfte der Bf. zu.

Der Beschwerde war daher Folge zu geben, weshalb die angefochtenen Bescheide ersatzlos aufzuheben waren.

Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Das gegenständliche Erkenntnis hat die Anwendung einer klaren und eindeutigen Rechtslage auf den im Beschwerdefall festgestellten Sachverhalt zum Gegenstand und hat keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung. Dem Erkenntnis liegt daher keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zu Grunde und ist eine (ordentliche) Revision an den Verwaltungsgerichtshof daher nicht zulässig.

Feldkirch, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 26 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Art. 4 Abs. 1 DBA CH (E, V), Doppelbesteuerungsabkommen Schweiz (Einkommen- u. Vermögenssteuern), BGBl. Nr. 64/1975
Art. 18 Abs. 1 DBA CH (E, V), Doppelbesteuerungsabkommen Schweiz (Einkommen- u. Vermögenssteuern), BGBl. Nr. 64/1975
§ 1 Abs. 2 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
§ 25 Abs. 1 Z 2 lit. c EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
§ 26 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2022:RV.1100450.2020

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at