(Erhöhte) Familienbeihilfe bei dauernder Erwerbsunfähigkeit nach dem 21. Lebensjahr
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch VertretungsNetz - Erwachsenenvertretung, Patientenanwaltschaft, Bewohnervertretung, ***Adr.***, über die Beschwerde vom gegen die Bescheide des Finanzamtes Österreich
vom betreffend Abweisung des Antrages vom auf Gewährung von Familienbeihilfe ab Juli 2016
vom betreffend Abweisung (ab September 2007) des Antrages vom auf Gewährung erhöhter Familienbeihilfe ab Juli 2016
vom gem. § 299 BAO betreffend Aufhebung des Bescheides vom betreffend die Abweisung des Eigenantrages auf Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe von September 2007 bis Juni 2016, gegen welchen sich die Beschwerde gem. § 253 BAO ebenfalls richtet,
vom betreffend Zurückweisung des Anbringens vom für den Zeitraum September 2007 bis Juni 2016, gegen welchen sich die Beschwerde gem. § 253 BAO ebenfalls richtet,
jeweils zu ***SVNr*** zu Recht erkannt:
I. Die Beschwerde gegen den Bescheid vom betreffend Abweisung des Antrages auf Familienbeihilfe ab Juli 2016 vom wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.
II. Der Bescheid betreffend Abweisung des Antrages auf den Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe ab September 2007 vom wird gemäß § 279 BAO dahingehend abgeändert, als dass er über den Zeitraum ab Juli 2016 abspricht.
III. Der Bescheid gem. § 299 BAO vom betreffend Aufhebung des Bescheides vom betreffend die Abweisung des Eigenantrages auf Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe von September 2007 bis Juni 2016 wird gemäß § 279 BAO - ersatzlos - aufgehoben.
IV. Der Zurückweisungsbescheid vom wird gemäß § 279 BAO - ersatzlos - aufgehoben.
V. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
Verfahrensgang
1. Mit Bescheid vom wurde der Antrag der Beschwerdeführerin (= Bf.) auf Familienbeihilfe und erhöhte Familienbeihilfe vom ab September 2007 abgewiesen und dies wie folgt begründet:
"Zu Bf.:
Gemäß § 2 Abs. 1 lit. c Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) in der ab gültigen Fassung besteht Anspruch auf Familienbeihilfe für volljährige Kinder, die wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.
Lt. ha. vorliegender Bescheinigung des Bundessozialamtes wurde der Gesamtgrad der Behinderung von 50 % erst ab festgestellt. Da Sie sich zu diesem Zeitpunkt in keiner Berufsausbildung befunden haben und das 21. Lebensjahr bereits am tt.7.2007 vollendet haben, war kein Anspruch auf Familienbeihilfe und den Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung gegeben."
Das Gutachten des Bundessozialamtes (vgl. Punkt 12.1), auf das in der Bescheidbegründung verwiesen wurde, stammte laut dem im genannten Bescheid enthaltenen Hinweis vom (Geschäftszahl 84291543300019) und sei der Bf. bereits zugestellt worden. Laut telefonischer Auskunft der belangten Behörde vom wurde gegen diesen Bescheid kein Rechtsmittel eingebracht.
2. Mit Beschluss des Bezirksgerichtes ***6*** vom wurde das VertretungsNetz - Erwachsenenvertretung, Patientenanwaltschaft, Bewohnervertretung, ***Adr.***, gemäß § 271 ABGB als gerichtliche Erwachsenenvertreterin von ***Bf1*** (die nunmehrige Bf.), ***Bf1-Adr*** bestellt. Der Wirkungskreis gemäß § 272 ABGB umfasst dem Beschluss gemäß:
Verwaltung des Einkommens einschließlich Verfügungen über Girokonten
Verwaltung des Vermögens einschließlich Verfügungen über Sparkonten
Vertretung im Zusammenhang mit Verbindlichkeiten, insbesondere gegenüber Inkassoeinrichtungen sowie in Zusammenhang mit der Wohnungseinrichtung der Betroffenen
Vertretung gegenüber Behörden im Zusammenhang mit der Sicherung des Lebensunterhaltes
3. Mit Eingaben vom (Postaufgabe ) beantragte das Vertretungsnetz in Vertretung der nunmehrigen Bf. für diese die Gewährung von Familienbeihilfe und des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen (eigener) erheblicher Behinderung für den Zeitraum ab dem Eintritt der erheblichen Behinderung von rückwirkend fünf Jahren ab Antragstellung.
Das Antragsformular enthält folgenden Hinweis:
"Zur Feststellung ob eine erhebliche Behinderung vorliegt, werden Sie von der/dem ärztlichen Sachverständigen des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen zur ärztlichen Untersuchung Ihres Kindes eingeladen. Ein Termin wird Ihnen schriftlich bekannt gegeben werden.
Zu dieser ärztlichen Untersuchung sind sämtliche Behandlungsunterlagen des Kindes in Kopie mitzubringen und müssen im Fall der rückwirkenden Antragstellung auch die Vergangenheit betreffen (siehe Erläuterungen)"
Die Bf. wurde angesichts der auch rückwirkenden Beantragung von der belangten Behörde nachweislich aufgefordert, sämtliche Behandlungsunterlagen zu diesem ärztlichen Untersuchungstermin mitzubringen.
4. Mit Bescheid vom (zugestellt per FinanzOnline) wurde der genannte Antrag auf Familienbeihilfe für den Zeitraum ab Juli 2016 mit folgender Begründung abgewiesen: "Ihnen als volljähriges Kind steht die Familienbeihilfe zu, wenn sie wegen einer erheblichen Behinderung voraussichtlich dauernd erwerbsunfähig sind. Diese Voraussetzung trifft nicht zu (§ 6 Abs. 2 lit. d Familienlastenausgleichsgesetz 1967)."
5. Mit Bescheid vom (zugestellt per FinanzOnline) wurde der genannte Antrag der Bf. auf den Erhöhungsbetrag wegen erheblicher Behinderung für den Zeitraum ab September 2007 mit folgender Begründung abgewiesen: "Anspruch auf Familienbeihilfe besteht, wenn ein Kind voraussichtlich dauernd erwerbsunfähig ist. Die Erwerbsunfähigkeit muss vor dem 21. Geburtstag oder während einer Berufsausbildung vor dem 25. Geburtstag eingetreten sein. Bei Ihrem Kind ist das nicht der Fall (§ 2 Abs. 1 lit. c Familienlastenausgleichsgesetz 1967)."
Der Bescheid enthält einen Hinweis auf die im Zuge dieser Erledigung im Auftrag des Finanzamtes erstellte Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen vom über das Ausmaß der Behinderung.
6. Die Vertretung der Bf. brachte mit Postaufgabe vom die Beschwerde vom gegen die beiden genannten Bescheide vom ein. Die vollumfängliche Anfechtung der Bescheide wurde wie folgt begründet:
"Die Abweisung des Antrages auf Gewährung der Familienbeihilfe wird im Wesentlichen nicht begründet. In der Bescheid Begründung wird lediglich der Gesetzestext des § 6 Abs. 2 lit. a Familienlastenausgleichsgesetz 1967 wiedergegeben und angeführt, dass die Behinderung nicht nur vorübergehend sein muss, sondern dauerhaft sein muss. Nach Ansicht dieser Beschwerde liegt bei der Beschwerdeführerin bereits eine, seitKindheit bestehende, erhebliche Behinderung vor, die es ihr von Kindheit an undvoraussichtlich dauernd unmöglich machte, sich selbst den Unterhalt zu verschaffenbzw. aus eigener Arbeitstätigkeit ein zur Bestreitung des Lebensunterhaltsausreichendes Einkommen zu erzielen.
Die schweren psychischen Störungen der Beschwerdeführerin haben schon imVolksschulalter begonnen und musste die 4. Klasse Volksschule - krankheitsbedingt -wiederholt werden. Seitens der Familie wurden die psychischen Auffälligkeitenallerdings "herabgespielt" und nicht "öffentlich" gemacht.
Nach dem beiliegenden Versicherungsdatenauszug befand sich die Beschwerdeführerinbereits mit Berufseintritt im Juli 2002 beim Arbeitsmarktservice Oberösterreich. Erst imJuli 2003 war sie als Arbeiterin beschäftigt. Bereits im Dezember 2007 kam es zu einemlängeren Krankenhausaufenthalt. Daraufhin mehrten sich die Arbeitslosengeldbezügeaufgrund von Krankenstand. 2011 bezog die Beschwerdeführerin nur mehrNotstandshilfe. Im Oktober 2011 wurde ein Pensionsvorschuss bezogen (geminderteArbeitsfähigkeit). Der erste Bezug von Rehageld erfolgte ab Oktober 2015 und ab wurde ein I-Pensionsbezug aufgrund geminderter Arbeitsfähigkeit bewilligt.
Die, im Rahmen des Versicherungsdatenauszuges angeführten Arbeitsverhältnissekamen über ein Versuchsstadion nie hinaus. Es zeigte sich bei denBeschäftigungsverhältnissen, dass eine ausreichende Qualifikation und intellektuelleAusstattung für den ersten Arbeitsmarkt nicht gegeben war.
Verstärkt wurde die Situation noch durch die ebenfalls schon vor Vollendung des 21.Lebensjahres beginnenden psychischen Störungen. So auch angeführt imSachverständigengutachten vom , erstellt von Dr.in ***SV_1***.
Dazu wird angeführt, dass bei Frau ***Bf1*** laut dem eingeholtenNeurologisch-Psychiatrischen Gutachten des Herrn Prim. ***1*** aus der Aktenlageund den eingesehenen Krankenhausberichten seit Jahren eine psychische Erkrankung,nämlich eine kombinierte Persönlichkeitsstörung vorliegt.
Die Beeinträchtigungen im sozialen Umfeld gehen auch mit einer Veränderung derPersönlichkeitsstruktur einher und stellen daher in Summe eine schwereVerhaltensstörung dar. Es bestehen Defizite des Antriebs, des Denkens und derplanerischen und praktischen Umsetzung von Handlungen. So ist es Frau ***Bf1*** nicht gelungen, sich um ihre finanziellen Angelegenheiten zu kümmern.
Es wurde ihr daher die Unterstützung durch eine gerichtliche bestellteErwachsenenvertretung zugesprochen.
Aufgrund des geschilderten Sachverhaltes geht hervor, dass Frau ***Bf1*** die notwendige Selbsterhaltungsfähigkeit zur Bestreitung ihresLebensunterhaltes nicht erreicht hat und ihre Behinderung nicht nur vorübergehend ist."
Die Beschwerdeführerin beantragte abermals die Gewährung der Familienbeihilfe und des Erhöhungsbetrages wegen erheblicher Behinderung laufend und rückwirkend für die letzten fünf Jahre.
Als Beilagen zur Beschwerde wurden ein Versicherungsdatenauszugvom sowie ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten (erstellt von Prim. ***1***) vom vorgelegt.
6.1. Aus dem Versicherungsdatenauszug der Bf. gehen folgende Daten hervor:
Tabelle in neuem Fenster öffnen
von | bis | Art der Monate | meldende Stelle |
Beihilfe § 20 Abs. 2 AMFG Arbeiterin | AMS OÖ | ||
Beihilfe § 20 Abs. 2 AMFG Arbeiterin | AMS OÖ | ||
Arbeiterlehrling | Berufsförderungsinstitut | ||
Arbeiterin | ***2*** | ||
Arbeiterin | ***2*** | ||
Beitragsgrundlage für Teilentgelttage | ÖGK | ||
Krankengeldbezug (DGKTONR-bezogen) | ÖGK | ||
Arbeiterin | ***2*** | ||
Beitragsgrundlage für Teilentgelttage | ÖGK | ||
Beitragsgrundlage für Teilentgelttage | ÖGK | ||
Krankengeldbezug (DGKTONR-bezogen) | ***2*** | ||
Arbeiterin | ***2*** | ||
Beitragsgrundlage für Teilentgelttage | ÖGK | ||
Urlaubsabfindung, Urlaubsentschädigung | ***2*** | ||
Arbeitslosengeldbezug | |||
Abwechselnd: Arbeitslosengeldbezug, Krankengeldbezug (Sonderfall), Notstandshilfe, Überbrückungshilfe | |||
Pensionsvorschussbezug | ÖGK | ||
Pensionsbezug gemind. Arbeitsfähigkeit | PVA | ||
Krankengeldbezug, Sonderfall | |||
Pensionsvorschussbezug | |||
Krankengeldbezug, Sonderfall | |||
Pensionsvorschussbezug | ÖGK | ||
Bezug von Rehabgeld + KV-Sachl.anspruch | ÖGK | ||
laufend | Pensionsbezug gemind. Arbeitsfähigkeit | PVA |
6.2. Das neurologisch-psychiatrische Gutachten vom von ***1*** betreffend die Bf. wurde vom zuständigen Bezirksgericht im Zuge der Prüfung einer Erwachsenenvertretung in Auftrag gegeben. Der Gutachtenserstattung lagen folgende Unterlagen zugrunde:
Auszug aus dem Gerichtsakt ***AZ*** (Pflegschaftssache)
Gespräch mit der Untersuchten am in der Ordination
Eingeholte Befunde:
Auszug aus dem Arztbrief Abteilung für Psychiatrie, ***Krankenhaus*** (stationärer Aufenthalt - )
Auszug aus dem Arztbrief Abteilung für Psychiatrie, ***Krankenhaus*** (stationärer Aufenthalt -)
Im Gutachten wir ein Auszug aus einem Protokoll des ***Bezirksgericht*** vom wie folgt zitiert:
"Zu Gericht kommt der gewählte Erwachsenenvertreter, dieser gibt an: Ich kenne die Betroffene seit etwa zehn Jahren und es ist immer so gewesen, dass sie am 15. oder 20. eines Monats bereits kein Geld mehr hatte. Ich habe auch mit ihr in Lebensgemeinschaft gelebt ... Es gab jeden Monat Streit wegen des Geldes, weil sie eben bis Mitte des Monats kein Geld mehr hatte ... So ist es dann zur Errichtung der gewählten Erwachsenenvertretung gekommen ..."
(…)
"Die Betroffene gibt an: Ich war einige Jahre mit meinem jetzigen gewählten Erwachsenenvertreter befreundet ... Ich bin dann 2019 ausgezogen. Er hat mir nahegelegt, dass es so nicht weitergehen kann ... Ich weiß, dass ich an Kaufsucht leide und möchte eine mobile Betreuung haben, damit ich den Alltag, zum Beispiel einkaufen gehen, wieder alleine bewältigen kann ...
Ich bin seit 2017 in Invaliditätspension. Ich habe zuvor sechs Jahre im ***2*** gearbeitet, bin aber dann krank geworden. Ich leide an einer instabilen Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ, habe auch Panikattacken und eine Benzodiazepin-Abhängigkeit… Ich habe in den letzten zehn Jahren sicher 40 Aufenthalte auf unterschiedlichen psychiatrischen Abteilungen gehabt..."
Im Gutachten wir ein Auszug aus einem Arztbrief der Abteilung für Psychiatrie, ***Krankenhaus*** (stationärer Aufenthalt - ) wie folgt zitiert:
"Befragt zu stationären Aufenthalten auf Fachabteilungen wird angeführt, dass sie auf zahlreichen Fachabteilungen in Behandlung war, so in ***diverse Kliniken*** in Behandlung. Befragt zur aktuellen regelmäßigen Behandlung wird angeführt, dass sie bei einer Fachärztin im ***Krankenhaus*** in Behandlung sei. Zuletzt hatte sie jedoch nur telefonischen Kontakt zu dieser. Sie unterzieht sich auch einer Psychotherapie."
Das Gutachten führt zur Bf. unter dem Punkt "Biografie" u.a. aus:
"…Sie gibt an, dass die Kindheit und Jugendzeit bereits sehr schwierig war. Zum Bruder habe sie gar keinen Kontakt mehr, Kontakt habe sie zur Mutter, zum Vater habe sie kaum Kontakt. Befragt hinsichtlich psychischer Erkrankungen innerhalb der Familie, wird angeführt, dass auch die Mütter psychisch krank gewesen wäre, diese wäre "depressiv" gewesen. Befragt zum Schulbesuch wird angeführt, dass die Pflichtschule absolviert wurde, die vierte Klasse Volksschule musste wiederholt werden. Sie erzählt, dass sie sich beim Lernen schwergetan habe, meint, dass sie bereits als Kind "nervliche Probleme" hatte. Sie habe keine Ausbildung absolviert, habe dann im ***2*** gearbeitet. Sie sei dann krank geworden.
Befragt, an welcher Erkrankung sie litt, gibt sie an, dass sie Panikattacken hatte, auch eine depressive Störung, litt auch an Zwangsgedanken. Sie gibt an, dass sie damals bereits erste Krankenhausaufenthalte auf einer Psychiatrie absolvierte, Krankenhausaufenthalte im ***2***, aber auch in ***Krankenhaus*** werden angegeben.
Nach den Krankenbausaufenthalten lebte sie in einer betreuten Wohneinrichtung in ***3***. Sie gibt an, dass sie dann auch in ***4*** lebte, einige Krankenhausaufenthalte in ***5*** hätte und dann in weiterer Folge nach ***6*** kam. Sie. gibt an, dass der damalige Freund aus ***6*** kam.
Zur beruflichen Tätigkeit befragt wird angeführt, dass sie zuletzt im Jahr 2009 gearbeitet habe. Sie habe dann eine befristete Invaliditätspension erhalten, dann ein Reha-Geld und bezieht nun eine unbefristete Frühpension.
Aktuell lebt sie alleine und wird von der Volkshilfe betreut. Kinder habe sie keine.
Befragt zur finanziellen Situation wird angeführt, dass diese sehr schlecht sei. Sie gibt an, dass sie mit Geld nicht umgehen könne, sobald sie Geld zur Verfügung habe, gebe sie dies aus. Sie sagt: "Nach vier oder fünf Tagen ist das Geld weg."
Befragt, was sie mit dem Geld mache, welches sie zur Verfügung habe, erklärt sie, dass sie diverse Sachen kaufe, kaufe beispielsweise Filme, Elektrogeräte, etc. Sie kaufe viele Dinge, die sie eigentlich gar nicht benötigt.
Befragt, ob sie Schulden habe, bejaht sie dies. Sie erklärt, dass sie im Internet einiges eingekauft habe, deswegen Schulden habe. Sie erhalte auch Schreiben von Inkassobüros. Sie gibt an, dass sie die ganzen Rechnungen und Mahnschreiben zusammensammelt und meint, dass sie diese Postsendungen dann ihrem Erwachsenenvertreter geben möchte.
Befragt nach Ämtern- und Behördenwegen, gibt sie an, dass sie unbedingt Hilfe benötige und dies nicht alleine schaffe."
Das Gutachten führt zur Bf. unter dem Punkt "Aktuelle Beschwerden und Krankheitsentwicklung" u.a. aus:
"Angeführt wird, dass erste Krankheitssymptome etwa im Jahr 2007 aufgetreten sind. Damals verspürte sie Panikattacken mit einem vermehrten Würgegefühl und einem Herzrasen, Panikattacken sind mehrmals pro Woche aufgetreten. Die Panikattacken hätten sich mittlerweile gebessert, Panikattacken und Zwangsgedanken sind zwar rückläufig, sind aber noch vorhanden.
(…)
Nochmals befragt zur Kaufsucht gibt sie an, dass diese bereits seitmehreren Jahren bestehen würde. Einer spezifischen Therapie habe sie sichbisher noch nicht unterzogen."
Das Gutachten führt zur Bf. unter dem Punkt "Zusammenfassung und Beurteilung" u.a. aus:
"Anamnestisch kann erhoben werden, dass sie eine schwierige Kindheit hatte. Der Erwerb der schulischen Fertigkeiten war aber möglich. Sie ging nur kurzzeitig einer beruflichen Tätigkeit am allgemeinen Arbeitsmarkt nach und ist mittlerweile Bezieherin einer Invaliditätspension. Hinsichtlich der Krankengeschichte kann erhoben werden, dass erste Krankheitssymptome bereits vor mehreren Jahren auftraten. Damals hatte sie Panikattacken, Zwangsgedanken, eine depressiv verfärbte Stimmungslage und es waren in weiterer Folge mehrfache Aufnahmen auf Fachabteilungen erforderlich. Ihren Angaben zufolge war sie unter anderem psychiatrisch in Behandlung im ***diverse Kliniken***. Es können auch Arztbriefe eingesehen werden."
7. Mit Aufhebungsbescheid nach § 299 Abs. 1 BAO vom wurde der Bescheid vom betreffend die Abweisung des Eigenantrages auf Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe vom September 2007 bis Juni 2016 aufgehoben. Zur Begründung wurde ausgeführt:
"Der genannte Zeitraum ist wegen Verspätung zurückzuweisen. Ein entsprechender Zurückweisungsbescheid wird mit gleicher Post an Sie gesendet."
8. Mit Zurückweisungsbescheid vom wurde die Eingabe der Bf. vom betreffend den Eigenantrag auf Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe von September 2007 bis Juni 2016 zurückgewiesen, da diese verspätet eingebracht worden sei. Die Bescheidbegründung lautete:
"Ihre Eingabe wurde nicht fristgerecht eingebracht. Gemäß § 10 Abs. 3 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 kann die erhöhte Familienbeihilfe höchstens für fünf Jahre rückwirkend vom Beginn des Monats der Antragstellung gewährt werden.
Ihr Antrag für den oben angeführten Zeitraum wurde verspätet eingebracht und ist daher wegen Verjährung zurückzuweisen."
9. Mit Beschwerdevorentscheidung vom wurde die Beschwerde vom betreffend den Eigenantrag auf erhöhte Familienbeihilfeab Juli 2016 als unbegründet abgewiesen. Die Begründung lautete:
"Anspruch auf Familienbeihilfe besteht, wenn ein Kind voraussichtlich dauernd erwerbsunfähig ist. Die Erwerbsunfähigkeit muss vor dem 21. Geburtstag oder während einer Berufsausbildung vor dem 25. Geburtstag eingetreten sein. Bei Ihren ist das nicht der Fall (§ 2 Abs. 1 lit. c Familienlastenausgleichsgesetz 1967). Die dauernde Erwerbsunfähigkeit wurde erst ab November 2009, nicht während einer Berufsausbildung festgestellt.
Der Erhöhungsbetrag wegen erheblicher Behinderung wird höchstens fünf Jahre rückwirkend ab Beginn des Monats der Antragstellung ausgezahlt (§ 10 Abs. 3 Familienlastenausgleichsgesetz 1967).
Aus den genannten Gründen ist Ihre Beschwerde ab Juli 2016 abzuweisen."
10. Mit Beschwerdevorentscheidung vom wurde die Beschwerde vom betreffend den Eigenantrag auf Familienbeihilfe unter Bezugnahme auf den Abweisungsbescheid vom , somit für den Zeitraum ab Juli 2016, als unbegründet abgewiesen. Die Begründung lautete:
"Sie haben Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn Sie voraussichtlich dauernd erwerbsunfähig sind. Die Erwerbsunfähigkeit muss vor dem 21. Geburtstag oder während einer Berufsausbildung vor dem 25. Geburtstag eingetreten sein. Bei Ihnen trifft dies nicht zu (§ 6 Abs. 2 lit. d Familienlastenausgleichsgesetz 1967).
Die dauernde Erwerbsunfähigkeit ist erst ab November 2009 festgestellt worden, nicht während einer Berufsausbildung. Ihre Beschwerde ist daher abzuweisen."
11. Mit Vorlageantrag vom (Postaufgabe ) beantragte die Bf. die Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht. Ein weiteres Vorbringen oder Beweisanbot wurde seitens der Bf. nicht erstattet.
12. Die belangte Behörde legte die Beschwerde mit Vorlagebericht vom dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor und gab folgende Stellungnahme ab:
"Gemäß § 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967 besteht Anspruch auf Familienbeihilfe für volljährige Vollwaisen, die wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 27. Lebensjahres (gültig bis 06/2011) bzw. des 25. Lebensjahres (gültig ab 07/2011), eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.
Gemäß § 8 Abs. 5 FLAG 1967 gilt ein Kind als erheblich behindert, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muss mindestens 50 % betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Die erhebliche Behinderung ist spätestens nach fünf Jahren neu festzustellen, soweit nicht Art und Umfang eine Änderung ausschließen.
Der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, ist gemäß § 8 Abs. 6 FLAG 1967 durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.
Durch das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen wurden betreffend die Bf. im Familienbeihilfenverfahren bislang drei Gutachten (Dok.9, 12 und 13) erstellt. Aus allen drei Gutachten geht hervor, dass bei der Bf. eine dauernde Erwerbsunfähigkeit vorliege. Diese dauernde Erwerbsunfähigkeit sei jedoch erst ab (Dok.9 und 12) bzw. sogar erst ab (Dok.13) eingetreten.
Die dauernde Erwerbsunfähigkeit ist demnach erst nach Vollendung des 21. Lebensjahres der Bf. am tt.7.2007 eingetreten. Zu diesem Zeitpunkt hat sich die Bf. nicht in einer Berufsausbildung befunden (Dok.11, Seite 3).
Da das Finanzamt bei der Beurteilung des Sachverhalts gemäß § 8 Abs. 6 FLAG 1967 an die vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens ausgestellten Bescheinigungen gebunden ist, wird um Abweisung der Beschwerde ersucht."
Folgende Beilagen wurde seitens der belangten Behörde vorgelegt:
Sachverständigengutachten mit Untersuchung nach der Einschätzungsverordnung BGB. II Nr. 261/2010 des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, BASB Landesstelle OÖ, in der Folge "SMS-Gutachten", vom
SMS-Gutachten vom
SMS-Gutachten vom
12.1. Dem SMS-Gutachten vom , erstellt von ***SV_2*** lagen folgende "relevante" Befunde zugrunde:
2007-09-19 KH ***7***: Erschöpfungssyndrom, Panikattacken.
2007-11-28 KH ***2***, Psych: Angst- und Depression gemischt, Tranquilizerabhängigkeit
2015-08-14 KH ***8***: schizoaffektive Störung, ggw. depressiv, hypochondrische Störung, psych, und Verhaltensstörung durch Sedativa oder Hypnotika: Abhängigkeitssyndrom
Im SMS-Gutachten vom lautete die Anamnese:
"Unauff. Kleinkindanamnese, eher nervös. Besuch der Vorschule, 4.Kl. VS wiederholt, HS pos. abgeschlossen. Anschließend Hilfskraft im Krankenhaus (Reinigung). Seit 2007 psych. Probleme (Panikattacken). Insgesamt 20 stationäre KH Aufenthalte seither."
In der Folge wird von einem Behinderungsgrad vom 50% ab 09/2007 und von einer dauerhaften Erwerbsunfähigkeit ausgegangen. Eine nähere Begründung für die Annahme des genannten Zeitpunktes erfolgte nicht. Jedoch wird ausgeführt:
"Anmerkung bzw. Begründung betreffend die Fähigkeit bzw. voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen:
Aufgrund der psychotischen Erkrankung ist sie in I-Pension, nicht erwerbsfähig".
12.2. Dem SMS-Gutachten vom , erstellt von Dr. ***SV_1***, lagen folgende Befunde zugrunde:
"alle vorhandenen Befunde"
SMS-Gutachten vom
Arztbrief ***Krankenhaus***, Aufenthalt von -
Arztbrief ***8***, Aufenthalt von 17.07.-
Arztbrief ***8***, Aufenthalt von 25.06.-
Arztbrief ***Krankenhaus***, Aufenthalt von -
Kurzarztbrief ***Krankenhaus***, Aufenthalt von 13.08.-
Arztbrief ***Krankenhaus***, vom
Im SMS-Gutachten vom wird von einem Behinderungsgrad vom 50% ab 09/2007 (und von 70% ab 01/2022) ausgegangen. Die Begründung für die Annahme dieses Zeitpunktes lautete wie folgt:
"Begründung - GdB liegt rückwirkend vor: GdB 50% ab 09/2007 - entsprechend dem Vorgutachten. Eine weiter rückwirkende Anerkennung ist aufgrund fehlender Befunde, bzw. Therapiebestätigungen oder Nachweis von Krankenhausaufenthalten nicht möglich."
Weiters wird im SMS-Gutachten vom von einer dauerhaften Erwerbsunfähigkeit ab 09/2007 ausgegangen und dies wie folgt begründet:
"Patientin in Invaliditätspension, durchgehend schwere psychische Beeinträchtigung mit Arbeitsunfähigkeit seit 2007."
12.3. Dem SMS-Gutachten vom , erstellt von Dr. ***SV_1***, lagen folgende Befunde zugrunde:
"alle vorhandenen Befunde"
SMS-Gutachten vom
Versicherungsdatenauszug vom : Länger andauernde Anstellungen: -, -, -
Neurologisch-psychiatrisches Gutachten von ***1*** vom
Das Gutachten ist aufgrund einer neuerlichen Überprüfung des Anspruchs auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe aufgrund der (gegenständlichen) Beschwerde erstellt worden.
Die "Zusammenfassung und Beurteilung" des SMS-Gutachtens vom lautet auszugsweise:
"Anamnestisch kann erhoben werden, dass sie eine schwierige Kindheit hatte. Der Erwerb der schulischen Fertigkeiten war aber möglich. Sie ging nur kurzzeitig einer beruflichen Tätigkeit am allgemeinen Arbeitsmarkt nach und ist mittlerweile Bezieherin einer Invaliditätspension. Hinsichtlich der Krankengeschichte kann erhoben werden, dass erste Krankheitssymptome bereits vor mehreren Jahren auftraten. Damals hatte sie Panikattacken, Zwangsgedanken, eine depressiv verfärbte Stimmungslage und es waren in weiterer Folge mehrfache Aufnahmen auf Fachabteilungen erforderlich. Ihren Angaben zufolge war sie unter anderem psychiatrisch in Behandlung im ***diverse Kliniken***. Es können auch Arztbriefe eingesehen werden. Im Vordergrund der aktuellen Problematik steht eine Neigung, die zur Verfügung stehenden Geldmittel sofort auszugeben."
Betreffend den Zeitpunkt des Beginns der Erwerbsunfähigkeit finden sich im Gutachten keine Ausführungen bis auf Folgendes:
"Begründung - GdB liegt rückwirkend vor: GdB 50% ab 09/2007 und 70% ab 01/2022 - entsprechend dem Vorgutachten.
Frau ***Bf1*** ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen: JA
Dies besteht seit: 11/2009
Anmerkung bzw. Begründung betreffend die Fähigkeit bzw. voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen:
Entsprechend dem für dieses Gutachten neu vorgelegten Versicherungsdatenauszug ergibt sich eine beinahe durchgängige Beschäftigung / Erwerbsfähigkeit von 07/2003 -11/2009. In weiterer Folge kann nicht mehr am Arbeitsmarkt fußgefasst werden und es kommt zu unzähligen Krankenhausaufenthalten mit daraus ableitbarer dauernder Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen."
Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
Sachverhalt
Die Beschwerdeführerin (in der Folge: "Bf.") ist seit November 2009 dauerhaft erwerbsunfähig und befand sich zu diesem Zeitpunkt nicht in einer Berufsausbildung. Sie beantragte am durch ihre bestellte Erwachsenenvertretung für 5 Jahre rückwirkend und laufend für sich Familienbeihilfe und erhöhte Familienbeihilfe wegen (eigener) erheblicher Behinderung. Die Bf. führte in dieser Zeit einen eigenständigen Haushalt.
Beweiswürdigung
Der festgestellte Sachverhalt ist - soweit entscheidungsrelevant und soweit im Folgenden nicht eigens darauf eingegangen wird - unstrittig und ergibt sich aus dem Akteninhalt, dem Parteienvorbringen und insbesondere den vorgelegten SMS-Gutachten. Dass sich die Bf. im Zeitpunkt der Vollendung ihres 21. Lebensjahres nicht in einer Berufsausbildung befand, ergibt sich aus den Akten und wird auch von der Bf. nicht bestritten.
Strittig ist jedoch, seit welchem Zeitpunkt die Bf. dauerhaft erwerbsunfähig ist.
Aus dem Akt ergibt sich, dass die Bf. laut dem vorgelegten SV-Datenauszug vom zuletzt bis beruflich tätig war, dies als Arbeiterin am Klinikum ***2*** (Details siehe Verfahrensablauf).
Die Bf. hatte bereits am rückwirkend ab September 2007 jeweils einen Eigenantrag auf Gewährung von Familienbeihilfe und erhöhter Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung gestellt. Diese Anträge wurden mit Bescheid vom abgewiesen, da laut dem zu diesem Zweck eingeholten Gutachten des Sozialministeriumservice (Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen, BASB Landesstelle OÖ; in der Folge kurz: SMS) vom der Gesamtgrad der Behinderung von 50 % erst ab dem festgestellt wurde und die Bf. sich zu diesem Zeitpunkt nicht in einer Berufsausbildung befand. Der Bescheid vom wurde nach Auskunft der belangten Behörde vom nicht bekämpft.
Durch ihre am bestellte Erwachsenenvertretung stellte die Bf. mit Eingaben vom wiederum einen Eigenantrag auf Gewährung von Familienbeihilfe und des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen (eigener) erheblicher Behinderung für den Zeitraum ab dem Eintritt der erheblichen Behinderung von rückwirkend fünf Jahren ab Antragstellung. Ein anlässlich des neuen Antrages eingeholtes zweites Gutachten des SMS vom stellte wiederum eine dauerhafte Erwerbsunfähigkeit der Bf. ab September 2007 fest, weshalb die Anträge abgewiesen wurden. Im Zuge des Beschwerdeverfahrens wurde von der belangten Behörde nunmehr ein drittes Gutachten des SMS vom eingeholt, welches unter erstmaliger Einbeziehung des Sozialversicherungsdatenauszuges der Bf. und damit der gemeldeten beruflichen Tätigkeiten der Bf. nunmehr von einer dauerhaften Erwerbsunfähigkeit der Bf. (erst) ab November 2009 ausging.
Das Antragsformular enthielt folgenden Hinweis:
"Zur Feststellung ob eine erhebliche Behinderung vorliegt, werden Sie von der/dem ärztlichen Sachverständigen des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen zur ärztlichen Untersuchung Ihres Kindes eingeladen. Ein Termin wird Ihnen schriftlich bekannt gegeben werden. Zu dieser ärztlichen Untersuchung sind sämtliche Behandlungsunterlagen des Kindes in Kopie mitzubringen und müssen im Fall der rückwirkenden Antragstellung auch die Vergangenheit betreffen (siehe Erläuterungen)"
Die Bf. wurde, da sie (auch) eine rückwirkende Gewährung beantragte, somit bereits im Rahmen der Antragstellung ausdrücklich darauf hingewiesen, dass auch sämtliche (!) die Vergangenheit betreffende Unterlagen, vorzulegen waren.
In den vorliegenden Sachverständigen-Gutachten des SMS wurde somit zunächst von einer dauerhaften Erwerbsunfähigkeit ab September 2007 (Gutachten vom und vom ) bzw. in der Folge erst ab November 2009 (Gutachten vom ) ausgegangen.
Begründet wird der Zeitpunkt 09/2007 im SMS-Gutachten vom wie folgt: "GdB 50% ab 09/2007 - entsprechend dem Vorgutachten. Eine weiter rückwirkende Anerkennung ist aufgrund fehlender Befunde, bzw. Therapiebestätigungen oder Nachweis von Krankenhausaufenthalten nicht möglich."
Im SMS-Gutachten vom wird hingegen von einer dauerhaften Erwerbsunfähigkeit erst ab 11/2009 ausgegangen und dies unter Hinweis auf den Versicherungsdatenauszug mit der beinahe durchgängigen Beschäftigung / Erwerbsfähigkeit der Bf. von 07/2003 - 11/2009 begründet. Dies erscheint nach Ansicht des Gerichtes schlüssig und rechtfertigt die vorgenommene Abänderung des angenommenen Zeitpunktes des Beginns der dauerhaften Erwerbsunfähigkeit.
Der älteste in den Gutachten erwähnte Befund ("Zusammenfassung relevante Befunde [inkl. Datumsangabe]") stammt von einem Krankenhausaufenthalt vom (Erschöpfungssyndrom, Panikattacken). Die Gutachterin begründete den zunächst betreffend dauerhafte Erwerbsunfähigkeit festgestellten Zeitpunkt 09/2007 damit, dass keine älteren validen Daten vorlagen, die eine bereits früher eingetretene Erwerbsunfähigkeit begründen könnten. Die Bf. hatte offenbar trotz entsprechender Belehrung keine entsprechenden Dokumente betreffend den relevanten Zeitpunkt der Vollendung ihres 21. Lebensjahres vorgelegt.
Es liegt primär an den Beschwerdeführern, den (zu ihren Gunsten) behaupteten Sachverhalt, nämlich ihre bereits vor der Vollendung des 21. Lebensjahres eingetretene dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, klar und ohne Möglichkeit eines Zweifels nachzuweisen (; Lenneis in Lenneis/Wanke, FLAG2 § 8 Rz 32 mwN.).
Liegen keine Befunde für den Zeitraum vor dem September 2007 vor, ist es einem Gutachter nicht möglich, bereits davor eine voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, festzustellen, sofern kein Leidenszustand vorliegt, der eindeutig eine Erwerbsfähigkeit bereits von Vornherein ausschließt (). Eine solche Erkrankung liegt im Beschwerdefall aber nicht vor.
Der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, ist gemäß § 8 Abs. 6 FLAG 1967 durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen. Diese geht als Spezialnorm den allgemeinen Bestimmungen des § 166 BAO betreffend Beweismittel und des § 177 BAO betreffend den Sachverständigenbeweis vor (Lenneis in Lenneis/Wanke, FLAG2 (2020) § 8 Rz 12 mit Verweis auf ).
Bei der Antwort auf die Frage, ob das Kind erheblich behindert ist oder dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, ist die Behörde bzw. das Bundesfinanzgericht an die der Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen zugrunde liegenden Gutachten grundsätzlich gebunden und darf diese nur insoweit prüfen, ob sie schlüssig und vollständig und nicht einander widersprechend sind (; , 2010/16/0068 und die bei Lenneis in Lenneis/Wanke, FLAG2 § 8 Rz 29 zitierte Rechtsprechung). Die Beihilfenbehörden haben bei ihrer Entscheidung grundsätzlich von dieser durch ärztliche Gutachten untermauerten Bescheinigung auszugehen (; ).
Kann eine Bescheinigung des Sozialministeriumservice, dass eine voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit bereits vor Vollendung des 21. Lebensjahres eingetreten ist, nicht vorgelegt werden und kann daher der Eintritt einer voraussichtlich dauernden Erwerbsunfähigkeit vor Vollendung des 21. Lebensjahres nicht festgestellt werden, trifft die Beweislast denjenigen, zu dessen Gunsten die entsprechende Tatsache wirken würde: Das Finanzamt hat die Beweislast für Tatsachen zu tragen, die einem Anspruch auf Familienbeihilfe und/oder den Erhöhungsbetrag entgegenstehen oder einschränken, der Antragsteller für Tatsachen, die den Anspruch auf Familienbeihilfe und/oder den Erhöhungsbetrag begründen oder ausweiten bzw. eine (ihn treffende) gesetzliche Vermutung widerlegen (vgl. Ehrke-Rabel in Doralt/Ruppe, Grundriss des österreichischen Steuerrechts, II7, Tz. 1301). Bescheinigt das Sozialministeriumservice lege artis das Vorliegen einer voraussichtlich dauernden Erwerbsunfähigkeit im Beschwerdezeitraum nicht, geht dies zu Lasten des Antragstellers (; , RV/7102460/2017).
Nach Lenneis in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG, 2. Aufl. 2020, § 8 Rz 32 bestehen nach der Judikatur des VwGH ua bei Begünstigungsvorschriften und in Fällen, in denen die Ermittlungsmöglichkeiten der Behörde eingeschränkt sind, erhöhte Mitwirkungspflichten. Es dürfte wohl nicht zu bestreiten sein, dass die Ermittlungsmöglichkeiten der Behörde eingeschränkt sind, wenn Sachverhalte zu beurteilen sind, die teilweise Jahrzehnte zurückliegen. Auch der Sachverständige kann aufgrund seines medizinischen Fachwissens ohne Probleme nur den aktuellen Gesundheitszustand der/des Erkrankten beurteilen. Hierauf kommt es aber nur dann an, wenn der derzeitige Behinderungsgrad zu beurteilen ist oder die Feststellung, ob eine dauernde Erwerbsunfähigkeit vorliegt, zeitnah zum relevanten Zeitpunkt erfolgen kann. Der Sachverständige kann in den übrigen Fällen nur aufgrund von Indizien, insbesondere anhand von vorliegenden Befunden, Rückschlüsse darauf ziehen, zu welchem Zeitpunkt eine erhebliche Behinderung eingetreten ist. Dies ist besonders bei psychischen Krankheiten problematisch, die häufig einen schleichenden Verlauf nehmen. Somit wird es primär an den Beschwerdeführern, allenfalls vertreten durch ihre Sachwalter/Erwachsenenvertreter, liegen, den behaupteten Sachverhalt, nämlich ihre bereits vor der Vollendung des 21. Lebensjahres eingetretene dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, klar und ohne Möglichkeit eines Zweifels nachzuweisen (siehe ; , RV/0687-W/05).
Es oblag daher im konkreten Fall der Beschwerdeführerin, eine allfällige frühere (vor dem tt.07.2007 eingetretene) Erwerbsunfähigkeit nachzuweisen. Dies erfolgte seitens der Bf. weder im Jahr 2015 im Zuge der erstmaligen Beurteilung des Sachverhaltes zum Zeitpunkt der Vollendung des 21. Lebensjahres, noch 6 Jahre später (im Jahr 2021), als im Rahmen der neuerlichen Antragstellung durch deren Vertretung trotz jeweiligen Hinweises im entsprechenden Formular ebenfalls keine entsprechenden Dokumente vorgelegt wurden, die im Rahmen der Gutachtenserstellung entsprechend verwertet hätten werden können. Auch im Zuge der zweiten und dritten Begutachtung im Jahr 2022 wurde, obwohl nunmehr der Streitpunkt offensichtlich war, kein entsprechender Beleg seitens der Bf. vorgelegt. Auch in der der Bf. zugekommenen Beschwerdevorentscheidung und in der Stellungnahme im Vorlagebericht der belangten Behörde wurde von der belangten Behörde vorgebracht, dass die dauernde Erwerbsunfähigkeit erst nach Vollendung des 21. Lebensjahres der Bf. am tt.7.2007 eingetreten ist und sich die Bf. zu diesem Zeitpunkt nicht in einer Berufsausbildung befunden hat.
Die Bf. verweist in ihren Eingaben auf das neurologisch-psychiatrische Gutachten vom , welches anlässlich der Erwachsenenvertreterbestellung vom zuständigen Bezirksgericht in Auftrag gegeben worden war. Dieses Gutachten bestätigt zwar die Erkrankung der Bf., jedoch wird darin nicht auf eine Erwerbsunfähigkeit eingegangen und erschließt sich auch aus dem Gutachten keine Annahme einer Erwerbsunfähigkeit zu einem bestimmten, konkreten Zeitpunkt. Es konnte daher aufgrund dieses Gutachtens keine (zulässige) Feststellung des Eintritts der Erwerbsunfähigkeit vorgenommen werden.
Nicht nur Ergänzungsersuchen, sondern auch eine Beschwerdevorentscheidung (; , 94/15/0024; , 98/15/0108; , 2000/14/0194; , 2008/15/0288) und ein (der Bf. zugestellter) Vorlagebericht (; , RV/5101257/2015; , RV/7102305/2016; , RV/7104782/2016; , RV/7102265/2019; , RV/5100002/2021; , RV/5101642/2019; , RV/7102528/2016; , RV/4100181/2020; , RV/5101642/2019; , RV/5101811/2018) haben Vorhaltscharakter. Es erscheint daher angesichts der vielmaligen Gelegenheiten der Bf., ihre Behauptungen durch konkrete Unterlagen zu untermauern, nicht zielführend, sondern verfahrensverzögernd, die Bf. abermals dazu aufzufordern.
Alle drei vorgelegten Gutachten des Sozialministeriumsservice sind zudem in sich schlüssig. Die Gutachter haben bei ihrer Einschätzung sämtliche ihnen vorliegenden Unterlagen gewürdigt und hieraus die entsprechenden Schlüsse gezogen. Die Gutachten belegen im Ergebnis eine schon länger bestehende Krankheit und spätestens ab dem November 2009 eine dauerhafte Erwerbsunfähigkeit der Bf. Die dauerhafte Erwerbsunfähigkeit trat jedoch frühestens (wenn man das neueste Gutachten vom ausblendet) im September 2007 und somit nach der Vollendung des 21. Lebensjahres der Bf. ein. Wenn man nun auch das Gutachten vom einbezieht, ergibt sich aus der nunmehr erstmaligen gutachterlichen Würdigung des Sozialversicherungsdatenauszuges und damit der beruflichen Tätigkeit der Bf., dass die Bf. jedenfalls bis November 2009 über Jahre durchgängig als Hilfskraft (Reinigungskraft) in einem Krankenhaus und somit auf dem ersten Arbeitsmarkt tätig war. Danach verschlechterte sich der Zustand zusehends und das Dienstverhältnis wurde im Folgejahr beendet. Die Verschiebung des Zeitpunkts des Eintritts der voraussichtlich dauerhaften Erwerbsunfähigkeit mit dem Gutachten vom ist daher gut nachvollziehbar und beeinträchtigt nicht die Schlüssigkeit der Gutachten.
Das Bundesfinanzgericht ist ebenso wie die Finanzverwaltung an das Sachverständigen-Gutachten bei vorhandener Schlüssigkeit und fehlender Ergänzungsbedürftigkeit gebunden (; ). Das Gutachten vom erscheint ebenso wie die entsprechenden Vorgutachten schlüssig und nicht ergänzungsbedürftig. Im Zusammenhang mit der Beschäftigung der Bf. bis Anfang 2010 besteht seitens des Bundesfinanzgerichts kein vernünftiger Zweifel daran, dass die Bf. mehr als zwei Jahre zuvor, nämlich im Zeitpunkt der Vollendung ihres 21. Lebensjahres im Juli 2007, noch nicht tatsächlich dauerhaft erwerbsunfähig gewesen sein konnte. Den diesbezüglichen Ausführungen der belangten Behörde war daher beizupflichten.
Die Bf. war somit jedenfalls im Zeitpunkt der Vollendung ihres 21. Lebensjahres im Juli 2007 nicht dauerhaft erwerbsunfähig, auch wenn sich bereits zunehmend ernsthafte Probleme aufgrund der schon lange vorhandenen Erkrankung zeigten, wie auch aus dem von der Bf. vorgelegten neurologisch-psychiatrische Gutachten im Zuge der Bestellung der Erwachsenenvertretung zeigte. Im Verfahren betreffend (erhöhte) Familienbeihilfe ist jedoch mangels Ausbildungsstatus der Bf. im relevanten Zeitraum einzig entscheidend, ob bereits eine dauerhafte Erwerbsunfähigkeit im Zeitpunkt der Vollendung des 21. Lebensjahres vorlag. Wie sich aus dem Gutachten des Sozialministeriumservice ergibt, war das in diesem Zeitpunkt nicht der Fall, sondern erst im November 2009.
Rechtliche Beurteilung
Rechtslage
Nach § 2 Abs. 1 lit. c FLAG 1967 (Familienlastenausgleichsgesetz) idF BGBl. I Nr. 220/2021 haben Personen Anspruch auf Familienbeihilfe, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, für volljährige Kinder, die wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.
Nach § 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967 idF BGBl. I Nr. 109/2020 steht einem volljährigen Kind die Familienbeihilfe zu, wenn es wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen (wegen einer erheblichen Behinderung voraussichtlich dauernd erwerbsunfähig ist).
Nach § 6 Abs. 5 FLAG 1967 idF BGBl. I Nr. 220/2021 haben Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und die sich nicht auf Kosten der Jugendwohlfahrtspflege oder der Sozialhilfe in Heimerziehung befinden, unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 bis 3). Erheblich behinderte Kinder im Sinne des § 2 Abs. 1 lit. c, deren Eltern ihnen nicht überwiegend den Unterhalt leisten und die einen eigenständigen Haushalt führen, haben unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 und 3).
Nach § 8 Abs. 4 FLAG 1967 idF BGBl. I Nr. 71/2020 erhöht sich die Familienbeihilfe für jedes Kind, das erheblich behindert ist.
Gemäß § 8 Abs. 5 FLAG 1967 idF BGBl. I Nr. 71/2020 gilt ein Kind als erheblich behindert, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muss mindestens 50 % betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind § 14 Abs. 3 des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, in der jeweils geltenden Fassung, und die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) vom , BGBl. II Nr. 261/2010, in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens nach fünf Jahren neu festzustellen, soweit nicht Art und Umfang eine Änderung ausschließen.
Der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, ist gemäß § 8 Abs. 6 FLAG 1967 durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.
§ 253 BAO idF BGBl. I Nr. 14/2013 lautet:
"Tritt ein Bescheid an die Stelle eines mit Bescheidbeschwerde angefochtenen Bescheides, so gilt die Bescheidbeschwerde auch als gegen den späteren Bescheid gerichtet. Dies gilt auch dann, wenn der frühere Bescheid einen kürzeren Zeitraum als der ihn ersetzende Bescheid umfasst."#
§ 299 BAO idF BGBl. I Nr. 14/2013 lautet:
"(1) Die Abgabenbehörde kann auf Antrag der Partei oder von Amts wegen einen Bescheid der Abgabenbehörde aufheben, wenn der Spruch des Bescheides sich als nicht richtig erweist. Der Antrag hat zu enthalten:
a)die Bezeichnung des aufzuhebenden Bescheides;
b)die Gründe, auf die sich die behauptete Unrichtigkeit stützt.
(2) Mit dem aufhebenden Bescheid ist der den aufgehobenen Bescheid ersetzende Bescheid zu verbinden. Dies gilt nur, wenn dieselbe Abgabenbehörde zur Erlassung beider Bescheide zuständig ist.
(3) Durch die Aufhebung des aufhebenden Bescheides (Abs. 1) tritt das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor der Aufhebung (Abs. 1) befunden hat."
Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)
Strittig war, ob der Bf. ab dem Juli 2016 grundsätzlich Familienbeihilfe und erhöhte Familienbeihilfe aufgrund dauernder Erwerbsunfähigkeit zusteht. Vorauszuschicken ist, dass gemäß § 10 Abs. 3 FLAG 1967 die Familienbeihilfe nur für höchstens fünf Jahre rückwirkend vom Beginn des Monats der Antragstellung gewährt werden kann. Nach § 10 Abs 3 FLAG 1967 ist für Zeiträume, die weiter als fünf Jahre, gerechnet vom Beginn des Monats der Antragstellung, zurückliegen, Familienbeihilfe nicht zu gewähren. Mit Ablauf dieser Frist ist der Anspruch auf Familienbeihilfe für weiter zurückliegende Zeiträume erloschen ( mit Verweis auf ).
Durch die Sonderregelung des § 6 Abs. 5 FLAG 1967 in Verbindung mit § 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967 soll ein Eigenanspruch auf Familienbeihilfe für dauernd erwerbsunfähige Kinder selbst dann sichergestellt sein, wenn ihr Unterhalt zur Gänze aus öffentlichen Mitteln, die der Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes dienen, getragen wird, sofern sie einen eigenständigen Haushalt führen. In diesem Sonderfall kann ein Kind Familienbeihilfe für sich selbst beziehen. Ziel dieser Bestimmung ist es, den Eigenanspruch auf Familienbeihilfe für jene Personen sicherzustellen, die an einer dauernden Erwerbsunfähigkeit im Sinne des § 2 Abs. 1 lit. c bzw. § 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967 leiden, deren monatlicher Pflegeaufwand jedoch unter der sozialversicherungsrechtlichen Pflegegeldstufe 1 liegt, d.h. der monatliche Pflegeaufwand weniger als 65 Stunden beträgt, sodass ihnen ein sozialversicherungsrechtlicher Anspruch auf Pflegegeld nicht zusteht. Gerade in diesen Fallkonstellationen besteht durch die Führung eines eigenständigen Haushaltes ein erhöhter finanzieller behinderungsbedingter Mehraufwand. Durch den dargestellten Sondertatbestand wird gewährleistet, dass durch die Gewährung des Eigenanspruches auf Familienbeihilfe dieser spezifische Mehraufwand abgedeckt wird, auch wenn ein Pflegegeldanspruch nicht zusteht.
Voraussetzung für diesen Eigenanspruch ist nach den zitierten Normen allerdings, dass die dauernde Erwerbsunfähigkeit vor Vollendung des 21. Lebensjahres eingetreten sein muss, da die sich die Bf. zum Zeitpunkt des Eintritts der (voraussichtlich) dauernden Erwerbsunfähigkeit nicht in einer Berufsausbildung befand. Die Bf. führte, wie sich aus den Akten ergibt und bislang auch unstrittig blieb, einen eigenen Haushalt im Sinne des FLAG 1967.
Durch das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen wurden betreffend die Bf. im Familienbeihilfenverfahren inklusive Beschwerdeverfahren bislang drei Sachverständigen-Gutachten erstellt. Aus allen drei Gutachten geht hervor, dass bei der Bf. eine dauernde Erwerbsunfähigkeit vorliege. Diese dauernde Erwerbsunfähigkeit sei jedoch erst ab bzw. sogar erst ab eingetreten. Das Bundesfinanzgericht ist wie die Finanzverwaltung bei der Beurteilung des Sachverhalts gemäß § 8 Abs. 6 FLAG 1967 an die vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens ausgestellten Bescheinigungen gebunden, soferne diese Gutachten schlüssig und nicht ergänzungsbedürftig (ohne erkennbare Lücken) sind. Die Gutachten erscheinen in sich und auch zueinander schlüssig und konnten bereits aufgrund der erwähnten Befunde und Dokumente auf keine früher eingetretene Erwerbsunfähigkeit schließen. Insoferne erweisen sie sich auch nicht als unvollständig, insbesondere, wenn man die beinahe durchgehende berufliche Tätigkeit der Bf. bis Anfang 2010 bedenkt. Wie bereits im Rahmen der Beweiswürdigung ausgeführt, wird entsprechend dem neuesten diesbezüglichen Gutachten vom vom Bundesfinanzgericht von einer dauerhaften Erwerbsunfähigkeit der Bf. ab dem November 2009 ausgegangen. Zu diesem Zeitpunkt hat sich die Bf. nicht in einer Berufsausbildung im Sinne des § 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967 befunden. Es war daher die entsprechende Altersgrenze von 21 Jahren betreffend den Eintritt der dauernden Erwerbsunfähigkeit zu beachten. Diese dauernde Erwerbsunfähigkeit der Bf. ist entsprechend den Gutachten erst nach Vollendung des 21. Lebensjahres am tt.07.2007 eingetreten. Daher bestand kein Anspruch der Bf. auf Familienbeihilfe nach § 6 Abs. 5 FLAG 1967 in Verbindung mit § 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967 und in der Folge kein Anspruch auf erhöhte Familienbeihilfe nach § 8 Abs. 4 in Verbindung mit § 8 Abs. 5 FLAG 1967.
Die Beschwerde war daher insoweit gem. § 279 BAO als unbegründet abzuweisen.
Zu Spruchpunkt II. (Abänderung)
Im Antrag vom wurde die mit maximal 5 Jahren rückwirkende Anerkennung des Erhöhungsbeitrages zur Familienbeihilfe beantragt. Der angefochtene Bescheid spricht jedoch über den Zeitraum ab September 2007 und damit auch über den beantragten Zeitraum hinaus ab, welcher nicht Gegenstand des Antrages vom war. Der Bescheid war somit dahingehend abzuändern, dass er lediglich den Zeitraum ab Juli 2016 betrifft. Im Übrigen bleibt der Bescheid unverändert. Mit der Wendung "Ihr/e Antrag auf Erhöhungsbetrag wegen erheblicher Behinderung vom " war offenbar das Einbringungsdatum des Antrags vom (Postaufgabedatum ) gemeint. Eine "Berichtigung" im Sinne einer Klarstellung erscheint im konkreten Fall mangels Verwechslungsgefahr und aufgrund des eindeutigen sachlichen Zusammenhanges als entbehrlich.
Zu Spruchpunkt III. (Aufhebung des Aufhebungsbescheides nach § 299 BAO)
Die Beschwerde vom richtet sich (auch) gegen die mit Bescheid vom erfolgte Abweisung des Antrages auf erhöhte Familienbeihilfe vom . Mit dem Aufhebungsbescheid vom wurde der Abweisungsbescheid vom nach § 299 BAO aufgehoben und ein neuer Bescheid erlassen. Daher richtet sich die Beschwerde nunmehr auch gegen diesen Aufhebungsbescheid, zumal sich an der Beschwer der Bf. durch die im Zusammenhang damit erfolgte Zurückweisung (anstatt einer Abweisung) nichts geändert hat.
Bei der Bescheidaufhebung von Amts wegen legt die Abgabenbehörde im Zusammenhang mit der Erlassung des Aufhebungsbescheids fest, aus welchen Gründen sie den Bescheid als inhaltlich rechtswidrig ansieht. Die Sache, über die in der Beschwerde gegen einen Aufhebungsbescheid zu entscheiden ist, wird sohin durch die Abgabenbehörde im Rahmen der Erlassung des Aufhebungsbescheids festgelegt (). Im Rechtsmittelverfahren kann ein mangelhaft begründeter Aufhebungsbescheid (etwa hinsichtlich der Begründung der Ermessensübung) ergänzt bzw. richtiggestellt werden, es darf aber kein anderer (neuer) Aufhebungsgrund herangezogen werden (Brennsteiner in Fischerlehner/Brennsteiner, Abgabenverfahren I3 § 299 BAO Rz 8 (Stand , rdb.at) mit Hinweis auf ; , 2012/13/0116).
Die Aufhebung nach § 299 BAO erweist sich als rechtswidrig, da die Ersetzung einer Abweisung durch eine Zurückweisung in konkreten Fall rechtswidrig ist, da die erfolgte Abweisung insoweit (unter Berücksichtigung der Begründung zu Spruchpunkt II.) korrekt war und die Voraussetzungen für eine Zurückweisung jedenfalls nicht gegeben waren (siehe dazu gleich). Die Rechtswidrigkeit des gem. § 299 BAO aufgehobenen Bescheides lag daher nicht vor, weshalb sich die Aufhebung nach § 299 BAO selbst als rechtswidrig erweist. Auch ein Austausch des Aufhebungsgrundes wäre wie ausgeführt nicht zulässig. Der Aufhebungsbescheid war daher seinerseits wegen Rechtswidrigkeit ersatzlos aufzuheben.
Zu Spruchpunkt IV. (Aufhebung des Zurückweisungsbescheides)
Die Beschwerde vom richtet sich (auch) gegen die mit Bescheid vom erfolgte Abweisung des Antrages auf erhöhte Familienbeihilfe vom . Mit dem Zurückweisungsbescheid vom wurde der Abweisungsbescheid vom nach § 299 BAO ersetzt. Daher richtet sich die Beschwerde nunmehr auch gegen diesen Zurückweisungsbescheid, zumal sich dadurch wie ausgeführt an der Beschwer der Bf. nichts geändert hat.
Der Zurückweisungsbescheid vom erweist sich aus mehreren Gründen als rechtswidrig:
Wie bereits ausgeführt, ist nach § 10 Abs. 3 FLAG 1967 für Zeiträume, die weiter als fünf Jahre, gerechnet vom Beginn des Monats der Antragstellung, zurückliegen, Familienbeihilfe nicht zu gewähren. Mit Ablauf dieser Frist ist der Anspruch auf Familienbeihilfe für weiter zurückliegende Zeiträume erloschen ( mit Verweis auf ). Anträge für davorliegende Zeiträume sind daher grundsätzlich inhaltlich abzuweisen und nicht wegen Verspätung zurückzuweisen (). Hinzu kommt, dass die Bf. ohnehin für keinen Zeitraum, der weiter als 5 Jahre vor Antragstellung liegt, Anträge stellte. Lediglich der in der Folge ergangene Abweisungsbescheid umfasste zum Teil einen Zeitraum, der nicht antragsgegenständlich war (einen längeren Zeitraum als beantragt). Auch aus diesem Grund war der Zurückweisungsbescheid verfehlt.
Der Antrag der Bf. war daher zulässig, wenn auch im Ergebnis rechtlich nicht erfolgreich. Die Abweisung erfolgte bereits mit dem angefochtenen und nunmehr inhaltlich bestätigten Bescheid vom . Der in späterer Folge unzulässigerweise ergangene Zurückweisungsbescheid, gegen den sich die Beschwerde ebenfalls richtet, war daher - ersatzlos - aufzuheben, zumal der Aufhebungsbescheid nach § 299 selbst aufzuheben war und damit die Grundlage für den neuen Bescheid (Zurückweisungsbescheid vom ) wegfiel.
Zu Spruchpunkt V. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Im gegenständlichen Fall sind die zu klärenden Rechtsfragen bereits entweder durch die zitierte ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entschieden oder ist die Rechtslage nach den in Betracht kommenden Normen so klar und eindeutig, dass keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 BVG vorliegt, selbst wenn zu einer dieser anzuwendenden Normen noch keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ergangen wäre (vgl. ).
Im Übrigen hing der Beschwerdefall von der Lösung von nicht über den Einzelfall hinausgehenden Sachverhaltsfragen ab. Wann die voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit der Bf. eingetreten ist, ist eine solche Sachverhaltsfrage.
Eine Revision ist daher unzulässig, weshalb gemäß § 25a Abs. 1 VwGG spruchgemäß zu entscheiden war.
Linz, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer FLAG |
betroffene Normen | § 6 Abs. 5 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 § 8 Abs. 6 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 § 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2022:RV.5100455.2022 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at