Anwendung der verlängerten Verjährungsfrist bei hinterzogenen Abgaben
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Dr. Helga Woschank
in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Arnulf R.Lagler Wirtschaftstreuhand- & Steuerberatungs-Gesellschaft m.b.H., Hans-Gasser-Platz 6c, 9500 Villach,
über die Beschwerde vom gegen die Wiederaufnahmebescheide des seinerzeitigen Finanzamtes Spittal Villach, nunmehr Finanzamt Österreich, vom sowie vom betreffend Einkommensteuer für die Jahre 2009, 2010 und 2011, Steuernummer ***BF1StNr1***, zu Recht erkannt:
I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.
Die angefochtenen Wiederaufnahmebescheide sowie die im Gefolge am gleichen Tag erlassenen Einkommensteuerbescheide für 2009, 2010 und 2011 werden - ersatzlos - aufgehoben.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
Verfahrensgang
1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden kurz Bf.) war in den Streitjahren in Österreich ansässig.
In den in Rede stehenden Jahren bezog er neben seinen österreichischen Einkünften aus nicht selbständiger Arbeit in Italien Einkünfte aus Kapitalvermögen sowie aus Vermietung und Verpachtung.
2. Mit Bescheiden vom und vom nahm die Amtspartei die Verfahren betreffend Einkommensteuer für 2009 (am ) sowie für die Jahre 2010 und 2011 (am ) gemäß § 303 Abs. 1 BAO wieder auf und erließ neue Sachbescheide.
3. Mit gegen diese fristgerecht erhobenen Beschwerden vom sowie vom monierte der steuerliche Vertreter, dass die zehnjährige Verjährungsfrist gemäß § 207 Abs. 2 BAO nicht zur Anwendung gelange. Eine für die verlängerte Verjährungsfrist von zehn Jahren erforderliche vorsätzliche Abgabenhinterziehung iSd § 33 FinStrG sei nicht gegeben.
4. Mit Schriftsatz vom übermittelte das Amt für Betrugsbekämpfung einen Anfallsbericht gemäß § 100 Abs. 2 Z 1 StPO iVm § 82 Abs. 2 FinStrG an die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachtes der Begehung von Abgabenhinterziehungen nach § 33 Abs. 1 FinStrG.
Dazu wird im Anfallsbericht u.a. dargestellt:
Der Bf. reichte die Steuererklärungen (Arbeitnehmerveranlagungen) für die Jahre 2004 bis 2007 gemeinsam am , jene für 2008 und 2009 am , jene für 2010 und 2011 am sowie jene für 2012 und 2013 am beim zuständigen österreichischen Finanzamt ein.
Aus der so dargelegten Vorgangsweise schloss die den Anfallsbericht erstellende Behörde, dass durch "eine derart ungewöhnliche Vorgangsweise" der Bf. den Kenntnisstand des Finanzamtes hinsichtlich seiner ausländischen Einkünfte "ausloten" wollte.
Ein unehrliches steuerliches Verhalten des Bf. dokumentiere auch der gegen Jahresende 2010 erhobene Umstand, dass der Bf. einen PKW mit ausländischem (italienischem) Kennzeichen in Österreich benutzte, weswegen er als steuerliche Konsequenz im Bereich NOVA und KFZ-Steuer ein Finanzstrafverfahren nur durch Entrichtung eines Verkürzungszuschlages gemäß § 30a FinStrG iHv EUR 355,00 (10% der verkürzten Abgabe) vermeiden konnte.
Im Mai 2015 ließ sich der Bf. in Italien als Devisenausländer einstufen, womit für die italienische Bank die Verpflichtung zum Abzug von Quellensteuer entfiel und womit ab diesem Zeitpunkt das alleinige Besteuerungsrecht für Österreich entstand.
Nach den dargelegten Ausführungen trat der Bf. dem Vorwurf der vorsätzlichen Abgabenhinterziehung mit den Argumenten entgegen, dass er der Meinung gewesen war, dass durch die Versteuerung der italienischen Einkünfte in Italien, dass durch den Abzug der italienischen Quellensteuer und der Erklärung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung den italienischen Steuerbehörden gegenüber, er seiner Steuerpflicht nachgekommen sei und eine Besteuerung in Österreich nicht erfolge.
Der Bf. war/ist sowohl in Italien wie auch in Österreich ab 2004 durch professionelle Steuerberater vertreten.
Von beiden Steuerberatern sei er zu keinem Zeitpunkt darauf hingewiesen worden, dass er die in Italien erwirtschafteten Einkünfte auch in Österreich versteuern müsse.
Jedenfalls habe er keineswegs vorsätzlich eine österreichische Einkommensteuer hinterzogen.
Ab dem Jahr 2014 räumte der Bf. allerdings fahrlässiges Verhalten ein.
5. Infolge der am ergangenen, die gegenständliche Beschwerde abweisenden Beschwerdevorentscheidungen stellte der steuerliche Vertreter innerhalb offener Frist gemäß § 264 BAO den Antrag auf Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht.
6. Unter Hinweis auf den an die Staatsanwaltschaft übermittelten Anfallsbericht und damit ausgehend vom Vorliegen einer vorsätzlichen Abgabenhinterziehung gemäß § 33 FinStrG beantragte die Amtspartei die Abweisung der Beschwerde.
7. Mit Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom , 15 HV 59/21v, wurde der Bf. vom Vorwurf der vorsätzlichen Abgabenhinterziehung gemäß § 33 FinStrG mangels Schuldbeweis nach § 214 FinStrG freigesprochen.
Wie seitens der Amtspartei mitgeteilt wurde, erfolgt die Fortführung eines Verfahrens wegen grob fahrlässiger Abgabenverkürzung.
8. Mit Schreiben vom 10.082022 zog der steuerliche Vertreter den Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung zurück.
Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
Folgender Sachverhalt wird festgestellt:
1. Der in Österreich am Familienwohsitz ansässige Bf. bezog in den Streitjahren neben seinen österreichischen Einkünften aus nicht selbständiger Arbeit in Italien Einkünfte aus Kapitalvermögen sowie aus Vermietung und Verpachtung.
2. Der Bf. reichte die Steuererklärungen (Arbeitnehmerveranlagungen) für die Jahre 2008 und 2009 am , jene für 2010 und 2011 am beim zuständigen österreichischen Finanzamt ein.
Die jeweils eine Gutschrift ausweisenden Arbeitnehmerveranlagungsbescheide ergingen am 10.12.2012 (für 2009), diejenigen für die Jahre 2010 und 2011 am .
3. Begründet mit dem Vorliegen einer vorsätzlichen Abgabenhinterziehung gemäß § 33 FinStrG mangels Erklärung der italienischen Einkünfte erfolgte die Wiederaufnahme der Verfahren mittels den bekämpften Bescheiden für 2009 (am ) sowie für die Jahre 2010 und 2011 (am ) unter Anwendung einer zehnjährigen Verjährungsfrist.
4. Die Amtspartei verwies in ihrem Vorlagebericht auf den Anfallsbericht vom an die Staatsanwaltschaft und stützte das Vorliegen einer vorsätzlichen Abgabenhinterziehung ausschließlich auf die in diesen enthaltenen o.a. Ausführungen.
5. Dem Bf. wird nach den Ausführungen im Anfallsbericht vorgeworfen eine Verkürzung der österreichischischen Einkommensteuer durch Verletzung der ihn treffenden Offenlegungspflicht und durch Nichtangabe dieser seiner ausländischen Einkünfte in den Einkommensteuererklärungen 2009 bis 2017 bewirkt zu haben.
Der Vorwurf der vorsätzlichen Abgabenhinterziehung wird vornehmlich mit der ungewöhnlichen Vorgangsweise der Einreichung der Anträge zur Arbeitnehmerveranlagung sowie dem "unehrlichen" steuerlichen Verhalten in Bezug auf die Nutzung eines italienischen Kennzeichens begründet.
6. Der vorsätzlichen Abgabenhinterziehung trat der Bf. mit den Argumenten entgegen, dass durch die Versteuerung der italienischen Einkünfte in Italien er der Meinung gewesen war, dass durch den Abzug der italienischen Quellensteuer und der Erklärung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung den italienischen Steuerbehörden gegenüber, seiner Steuerpflicht nachgekommen sei.
Der Bf. war/ist sowohl in Italien wie auch in Österreich ab 2004 durch professionelle Steuerberater vertreten.
Im Mai 2015 ließ sich der Bf. in Italien als Devisenausländer einstufen, damit entfiel für die italienischen Banken Verpflichtung Quellensteuer einzubehalten und stand der Republik Österreich das Besteuerungsrecht zu.
7. Ob der österreichische steuerliche Vertreter nun in den in Rede stehenden Jahren Kenntnis von den italienischen Einkünften hatte, konnte nicht festgestellt werden.
8. Mit (seitens der Parteien dem Bundesfinanzgericht übermitteltem) Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom , 15 HV 59/21v, wurde der Bf. vom Vorwurf der vorsätzlichen Abgabenhinterziehung gemäß § 33 FinStrG nach § 214 FinStrG mangels Schuldbeweis freigesprochen.
Da die beiden steuerlichen Vertreter von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hatten, konnte die Verantwortung des Bf., was die subjektive Tatseite betrifft, nicht widerlegt werden.
Ein Verfahren wegen grob fahrlässiger Abgabenhinterziehung wird fortgesetzt.
9. Mit weiterem Schreiben zog der steuerliche Vertreter den Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung zurück.
Die Amtspartei nahm unter Verweis auf den mangels Schuldbeweis erfolgten Freispruch für die beschwerdegegenständlichen Streitzeiträume von weiteren Äußerungen Abstand.
Beweiswürdigung
1. Der dargestellte Sachverhalt fußt aus der vorliegenden Aktenlage, insbesondere auf den Darlegungen im Anfallsbericht, auf welchen sich die Amtspartei bezog, des weitere auf die vorliegenden Bescheide vom Finanzamt erlassenen Bescheide.
Dass der Bf. vom Vorwurf der vorsätzlichen Abgabenhinterziehung gemäß § 33 FinStrG freigesprochen wurde, ergibt sich aus dem sowohl von der Amtspartei als auch vom steuerlichen Vertreter am dem Bundesfinanzgericht übermittelten oben angeführten Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom . Dass mangels Aussage der beiden steuerlichen Vertreter die Verantwortung des Bf. - die subjektive Tatseite betreffend - nicht widerlegt werde konnte, sodass mangels Schuldbeweis ein Freispruch erfolgte, ist dem genannten Urteil zu entnehmen.
2. Insoweit sich die Amtspartei ausschließlich auf den Anfallsbericht bezog, fußt der zugrunde gelegte Sachverhalt auf den in diesem dargestellten Sachverhaltselementen.
Darnach ist unbestritten, dass der Bf. sowohl in Italien als auch in Österreich steuerlich vertreten war und bis einschließlich 2014 bezüglich der Einkünfte aus Kapitalvermögen die italienischen Banken verpflichtet waren, Quellensteuer einzubehalten, da der Bf. den Darstellungen zufolge erst im Mai 2015 begehrte, als Devisenausländer behandelt zu werden.
3. Dass der Bf. die Steuererklärungen (Arbeitnehmerveranlagungen) für die Jahre 2004 bis 2007 gemeinsam am , jene für 2008 und 2009 am , jene für 2010 und 2011 am sowie jene für 2012 und 2013 am beim zuständigen österreichischen Finanzamt einreichte, zeigen die einliegenden Bescheide bzw. getätigten Abfragen im elektronischen Steuerakt des Bf..
4. Soweit sich die Amtspartei - auf den Anfallsbericht verweisend - darauf stützt, dass aus der so dargelegten Vorgangsweise, nämlich dass der Bf. die Steuererklärungen (Arbeitnehmerveranlagungen) für die Jahre 2004 bis 2007 gemeinsam am , jene für 2008 und 2009 am , jene für 2010 und 2011 am sowie jene für 2012 und 2013 am beim zuständigen österreichischen Finanzamt einreichte und aus der so dargelegten Vorgangsweise geschlossen werden könne, dass durch "eine derart ungewöhnliche Vorgangsweise" der Bf. den Kenntnisstand des Finanzamtes hinsichtlich seiner ausländischen Einkünfte "ausloten" wollte, was für ein vorsätzliches Verhalten des Bf. spreche, so ist dem entgegen zu halten, dass ein nicht unbeträchtlicher Anteil von Anträgen auf Durchführung einer Arbeitnehmerveranlagung gerade noch vor Ablauf der fünfjährigen Verjährungsfrist abgegeben wird. In diesem Verhalten ist also keine ungewöhnliche Vorgangsweise zu erblicken.
5. Auch dass Anträge auf Durchführung von Arbeitnehmerveranlagungen oftmals für zwei oder mehr Jahre auf einmal durchaus wiederum nicht sofort nach Ablauf des entsprechenden Kalenderjahres, sondern wesentlich später eingereicht werden, um einen größeren Geldbetrag auf einmal zu lukrieren, widerspricht nicht den Erfahrungen des täglichen Lebens.
Rechtliche Beurteilung
Zu entscheiden ist, ob hinsichtlich der Einkommensteuer für die Jahre 2009 bis 2011 von der verlängerten Frist von zehn Jahren bei hinterzogenen Abgaben auszugehen ist.
Zu Spruchpunkt I. (Stattgabe)
1. Maßgebliche Bestimmungen:
207 Abs. 1 und 2 BAO normieren:
"(1) Das Recht, eine Abgabe festzusetzen, unterliegt nach Maßgabe der nachstehenden Bestimmungen der Verjährung.
(2) Die Verjährungsfrist beträgt bei den Verbrauchsteuern, bei den festen Stempelgebührennach dem II. Abschnitt des Gebührengesetzes 1957, weiters bei den Gebühren gemäß §17a des Verfassungsgerichtshofgesetzes 1953 und § 24a des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 drei Jahre, bei allen übrigen Abgaben fünf Jahre. Soweit eine Abgabe hinterzogen ist, beträgt die Verjährungsfrist zehn Jahre. …..."
Nach § 208 Abs. 1 lit. a BAO beginnt die Verjährung in den Fällen des § 207 Abs. 2 für die Einkommensteuer mit dem Ablauf des Jahres, in dem der Abgabenanspruch entstanden ist.
§ 209 Abs. 1 BAO lautet:
"1) Werden innerhalb der Verjährungsfrist (§ 207) nach außen erkennbare Amtshandlungen zur Geltendmachung des Abgabenanspruches oder zur Feststellung des Abgabepflichtigen (§ 77) von der Abgabenbehörde unternommen, so verlängert sich die Verjährungsfrist um ein Jahr. Die Verjährungsfrist verlängert sich jeweils um ein weiteres Jahr, wenn solche Amtshandlungen in einem Jahr unternommen werden, bis zu dessen Ablauf die Verjährungsfrist verlängert ist."
Gemäß § 4 Abs. 2 lit. a Z 2 BAO entsteht der Abgabenanspruch insbesondere bei der Einkommensteuer und bei der Körperschaftsteuer "für die zu veranlagende Abgabe mit Ablauf des Kalenderjahres, für das die Veranlagung vorgenommen wird, soweit nicht der Abgabenanspruch nach Z. 1 schon früher entstanden ist, oder wenn die Abgabepflicht im Lauf eines Veranlagungszeitraumes erlischt, mit dem Zeitpunkt des Erlöschens der Abgabepflicht;"
2. Streitgegenständlich folgt, dass die Verjährungsfrist gemäß § 208 Abs. 1 it. a BAO mit dem Ablauf des Jahres, in dem der Abgabenanspruch entstanden ist, begonnen hat. Der Abgabenanspruch für die veranlagten Einkommensteuern 2009 bis 2011 ist gemäß § 4 Abs. 2 lit. a Z 2 BAO mit Ablauf des Jahres 2009 für 2009, mit Ablauf des Jahres 2010 für 2010 und mit Ablauf des Jahres 2011 für 2011 entstanden; demnach begann die Verjährungsfrist mit Ablauf der Jahre 2009, 2010 und 2011.
3. Da jeweils Arbeitnehmerveranlagungsbescheide ergingen, verlängerte sich die reguläre fünfjährige Verjährungsfrist auf Grund einer nach außen erkennbaren Amtshandlung in allen streitgegenständlichen Jahren um ein Jahr. Jedenfalls endete die Verjährungsfrist für das "jüngste" streitgegenständliche Jahr 2011 mit Ablauf des .
Im Zeitpunkt der Erlassung der streitgegenständlichen Wiederaufnahmebescheide betreffend die Einkommensteuer 2009 bis 2011 war gemäß § 207 Abs. 2 erster Satz BAO iVm § 209 Abs. 1 BAO Verjährung eingetreten gewesen.
4. Die Verlängerung der Verjährungsfrist auf zehn Jahre gemäß § 207 Abs. 2 Satz 2 BAO setzt eine vorsätzliche Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs. 1 FinStrG voraus, diese wiederum verlangt ein vorsätzliches Verhalten.
Der Tatbestand der hinterzogenen Abgabe iSd § 207 Abs. 2 BAO ist nach § 33 FinStrG zu beurteilen.
5. Der Abgabenhinterziehung macht sich nach § 33 Abs. 1 FinStrG schuldig, wer vorsätzlich unter Verletzung einer abgabenrechtlichen Anzeige-, Offenlegungs- oder Wahrheitspflicht eine Abgabenverkürzung bewirkt.
Ob eine Abgabe gemäß § 33 FinStrG hinterzogen ist, ist eine Vorfrage.
Wenn eine Verurteilung wegen Hinterziehung einer bestimmten Abgabe vorliegt, dann ist die Abgabe im Abgabenverfahren als hinterzogen zu behandeln (vgl. ).
Im Falle eines Freispruchs besteht aber keine solche Bindung (vgl. Ritz, BAO6, § 116 Tz 14; Kotschnigg in Tannert/Kotschnigg, FinStrG, 2. Lfg, Einführung Tz 82 f), und zwar schon wegen der anders gearteten Beweisregeln (vgl. ).
6. Gemäß § 8 Abs. 1 FinStrG handelt vorsätzlich, wer einen Sachverhalt verwirklichen will, der einem gesetzlichen Tatbild entspricht; dazu genügt es, dass der Täter diese Verwirklichung ernstlich für möglich hält und sich mit ihr abfindet (bedingter Vorsatz).
Bedingter Vorsatz ist demnach gegeben, wenn der Täter die Verwirklichung des Unrechtes des Sachverhaltes zwar nicht anstrebt, dies jedoch für möglich hält, somit als naheliegend ansieht und einen solchen Erfolg hinzunehmen gewillt ist bzw. sich damit abfindet (vgl. VwGH 8.2.19990, 89/16/0201).
7. (Bedingt) vorsätzliches Handeln setzt grundsätzlich eine (die Abgabenverkürzung in Kauf nehmende) zielgerichtete subjektive Einstellung des Täters voraus, auf deren Vorhandensein oder Nichtvorhandensein nur aus seinem nach außen in Erscheinung tretenden Verhalten unter Würdigung aller sonstigen Sachverhaltselemente geschlossen werden kann (vgl. ; ). Die Ermittlung des nach außen nicht erkennbaren Willensvorganges stellt einen Akt der (freien) Beweiswürdigung dar.
8. Eine vorsätzliche Steuerhinterziehung kann nur angenommen werden, wenn der Vorsatz alle Tatumstände erfasst; dies gilt auch für den bedingten Vorsatz (OGH26.3.1982, 10 Os 35/82; ). Der Täter muss wissen und wollen, dass er eine abgabenrechtliche Anzeige-, Offenlegungs- und Wahrheitspflicht verletzt und dass diese Pflichtverletzung zur Abgabenverkürzung führt. Bei Verletzungsdelikten hat sich das Bedenken und Beschließen auf den tatbildmäßigen Erfolg zu beziehen.
9. Das Wissen des Abgabepflichtigen um seine abgabenrechtlichen Verpflichtungen einerseits und deren Unterlassung andererseits allein reichen hingegen noch nicht hin, unter allen Umständen auf eine mit Vorsatz begangene Tathandlung zu schließen (; ).
Insbesondere reicht nicht aus, den deliktischen Vorsatz allein auf die Tatsache der Abgabenverkürzung zu stützen ().
Aus dem Gesamtbild muss ein eindeutiger B e w e i s für das Vorliegen des Vorsatzes auf alle Merkmale des Tatbestandes sowie auf alle einzelnen, dem Abgabepflichtigen zur Last gelegten Tathandlungen gegeben sein (vgl. ).
10. Die Beurteilung, ob Abgaben hinterzogen sind, setzt also konkrete und nachprüfbare Feststellungen über die Abgabenhinterziehung voraus. Dabei ist vor allem in Rechnung zu stellen, dass eine Abgabenhinterziehung nicht schon bei einer objektiven Abgabenverkürzung vorliegt, sondern (bedingter) Vorsatz als Schuldform das Erfüllen der subjektiven Tatseite erfordert. Eine Abgabenhinterziehung kann somit erst als erwiesen gelten, wenn - in nachprüfbarer Weise - auch der (bedingte) Vorsatz feststeht.
11. Die in § 98 Abs 3 FinStrG normierte Beweiswürdigung hat nach allgemeinen Erfahrungsgrundsätzen und den Gesetzen logischen Denkens zu erfolgen.
Dabei sind an die zum Beweis einer Tatsache erforderliche Wahrscheinlichkeit hohe Anforderungen zu stellen. Der Grad der Wahrscheinlichkeit, der erreicht sein muss, um eine Tatsache als wahr (feststehend) anzusehen bzw. den (bedingten) Vorsatz als erwiesen anzusehen, ist im Strafverfahren höher als im Steuerverfahren.
Genügt im BAO-Verfahren die größte Wahrscheinlichkeit, also ein Überzeugungsgrad von knapp über 50%, bedarf es für Zwecke des FinStrG der vollen Überzeugung des Richters, also eines Überzeugungsgrades, bei dem "nur wenige Promille zur Hundertprozentgrenze" fehlen (Vgl. Kotschnigg/Pohnert in Tannert/Kotschnigg/Twardosz, FinstrG, § 98 Rz 5 und Rz 58, ).
12. Nach dem zweiten Halbsatz des § 98 Abs 3 FinStrG darf, wenn Zweifel bestehen bleiben, die Tatsache nicht zum Nachteil des Beschuldigten oder der Nebenbeteiligten als erwiesen angenommen werden.
Nach der Beweiswürdigung allenfalls verbleibende Zweifel müssen hierbei ebenfalls in Ansehung des Rechtsgrundsatzes "in dubio pro reo" zugunsten des Beschuldigten wirken (Fellner, Kommentar zum Finanzstrafgesetz, § 98 Rz 23, , ).
13. Ein Irrtum steht der Annahme von Vorsatz entgegen. Ob der Irrtum der betreffenden Person vorgeworfen werden kann oder ob er ihn hätte verhindern können, ist in diesem Zusammenhang nicht von Bedeutung. Selbst der vorwerfbare, nicht entschuldbare Irrtum schließt den Vorsatz aus (, , ).
14. Streitgegenständlich ist die subjektive Tatseite unter Beachtung der vorstehenden Rechtsausführungen wie folgt zu beurteilen:
Ein (bedingtes) vorsätzliches Handeln - nämlich die Verwirklichung eines Tatbildes mit Wissen und Wollen aber auch die Verwirklichung des Eintrittes eines verpönten Erfolges als naheliegend anzusehen und bereit zu sein, diesen Erfolgseintritt in Kauf zu nehmen -, wie im Anfallsbericht vorgetragen wird, wird aus Folgendem nicht als erwiesen angesehen:
15. Soweit sich die Amtspartei - auf den Anfallsbericht verweisend - darauf stützt, dass aus der so dargelegten Vorgangsweise, nämlich dass der Bf. die Steuererklärungen (Arbeitnehmerveranlagungen) für die Jahre 2004 bis 2007 gemeinsam am , jene für 2008 und 2009 am , jene für 2010 und 2011 am sowie jene für 2012 und 2013 am beim zuständigen österreichischen Finanzamt einreichte und aus der so dargelegten Vorgangsweise geschlossen werden könne, dass durch "eine derart ungewöhnliche Vorgangsweise" der Bf. den Kenntnisstand des Finanzamtes hinsichtlich seiner ausländischen Einkünfte "ausloten" wollte, was für ein vorsätzliches Verhalten des Bf. spreche, so ist dem entgegen zu halten, dass ein nicht unbeträchtlicher Anteil von Anträgen auf Durchführung einer Arbeitnehmerveranlagung gerade noch vor Ablauf der fünfjährigen Verjährungsfrist abgegeben wird und dass diese Vorgangsweise nicht als ungewöhnlich anzusehen ist.
16. Auch dass Anträge auf Durchführung von Arbeitnehmerveranlagungen oftmals für zwei oder mehr Jahre auf einmal durchaus wiederum nicht sofort nach Ablauf des entsprechenden Kalenderjahres, sondern wesentlich später eingereicht werden um einen größeren Geldbetrag auf einmal zu lukrieren, widerspricht nicht den Erfahrungen des täglichen Lebens.
17. Allein der nach Ansicht der Amtspartei ein unehrliches steuerliches Verhalten des Bf. dokumentierende gegen Jahresende 2010 erhobene Umstand, dass der Bf. einen PKW mit ausländischem (italienischen) Kennzeichen in Österreich nutzte, weswegen er als steuerliche Konsequenz im Bereich NOVA und KFZ-Steuer ein Finanzstrafverfahren nur durch Entrichtung eines Verkürzungszuschlages gemäß § 30a FinStrG iHv EUR 355,00 (10% der verkürzten Abgabe) vermeiden konnte, ist nicht geeignet, einen Zusammenhang mit dem Umstand der in italienischen Einkünfte in Österreich dahingehend herzustellen, dass der Bf. eine (österreichische) Einkommensteuerpflicht hinsichtlich seiner in Italien einer Besteuerung zugeführten Einkünfte der Jahre 2009 bis 2011 zwar für möglich hielt und sich damit abfand, handelt es sich um verschiedene Abgabearten, auf welche doch unterschiedliche Normen anzuwenden sind.
18. Unbestritten hat der Bf. erst im Mai 2015 bei den italienischen Banken beantragt als Devisenausländer behandelt zu werden und damit den Entfall der Verpflichtung der italienischen Banken zum Abzug von Quellensteuer bewirkt. Dass er in diesem Zusammenhang sodann eine österreichische Steuerpflicht der in Rede stehenden italienischen Einkünfte für möglich hielt, zeigt seine Verantwortung, dass er einräumt sich ab 2014 "steuerlich fahrlässig" verhalten zu haben.
19. Erfolgte die Abgabe der Anträge auf Durchführung der Arbeitnehmerveranlagungen für 2010 und 2011 am , so liegt dieser Zeitpunkt zeitlich eindeutig vor den gerade angeführtem Jahr 2014, zu einem Zeitpunkt ab welchem der Bf. selbst ein "steuerlich fahrlässiges Verhalten" eingestand.
20. Es kann im gegenständlichen Verfahren auch nicht zweifelsfrei festgestellt werden, zu welchem Zeitpunkt der Bf. seinen (österreichischen) steuerlichen Vertreter vom Vorliegen italienischer Einkünfte in Kenntnis setzte, sodass die diesbezügliche Verantwortung des Bf., aus seiner Sicht sei dies sehr wohl vor dem Jahr 2014 erfolgt, nicht eindeutig widerlegbar ist.
21. Aus der aufgezeigten Sachlage lässt sich für die Streitjahre nicht ohne Zweifel bzw. zwingend ableiten, dass der Bf eine grundsätzliche Steuerpflicht der aus seiner Sicht ohnehin in Italien einer Besteuerung zugeführten italienischen Einkünfte in Österreich und damit eine Abgabenhinterziehung für möglich hielt und sich damit abgefunden hätte.
Es lässt sich vielmehr nicht zweifelsfrei ausschließen, dass sich der Bf. in einem Irrtum über die Steuerpflicht der zugeflossenen Einkünfte befand. Ein Irrtum steht der Annahme von Vorsatz entgegen.
22. Auf Basis dieser Feststellungen kann dem Bf. im streitgegenständlichen Verfahren ein (bedingtes) vorsätzliches Handeln - nämlich die Verwirklichung eines Tatbildes mit Wissen und Wollen aber auch die Verwirklichung des Eintrittes eines verpönten Erfolges als naheliegend anzusehen und bereit zu sein, diesen Erfolgseintritt in Kauf zu nehmen -, wie von der belangten Behörde durch Verweis auf den Anfallsbericht - vorgetragen wird, nicht vorgeworfen werden.
Dieses Ergebnis trifft im Kern den gerichtlichen Freispruch vom Vorwurf der vorsätzlichen Abgabenhinterziehung gemäß § § 33 FinStrG.
23. Fehlt somit die Verwirklichung des subjektiven Tatbildes der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs. 1 FinStrG kommt dementsprechend die verlängerte Verjährungsfrist gemäß § 207 Abs. 2 BAO gegenständlich nicht zur Anwendung.
Im Zeitpunkt der Erlassung der in Rede stehenden Wiederaufnahmebescheide war hinsichtlich Einkommensteuer 2009 bis 2011 bereits Verjährung eingetreten.
24. Den Beschwerden ist stattzugeben und sind die angefochtenen Wiederaufnahmebescheide sowie die in deren Gefolge erlassenen Einkommensteuerbescheide betreffend die Jahre 2009 bis 2011 aufzuheben.
Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Ob die subjektive Tatseite des bedingten Vorsatzes im Streitzeitraum erfüllt war, war in freier Beweiswürdigung zu entscheiden. Damit liegt eine zu beantwortende Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nicht vor.
Klagenfurt am Wörthersee, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 207 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 207 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 209 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 33 Abs. 1 FinStrG, Finanzstrafgesetz, BGBl. Nr. 129/1958 |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2022:RV.4100322.2021 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at