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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 10.11.2022, RV/7100263/2022

Erhöhte Familienbeihilfe bei Intelligenzminderung seit Geburt

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Mag. Regina Vogt in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Dr. Manuela Anna Sumah-Vospernik, Thimiggasse 35, 1180 Wien, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Abweisung des Antrages auf erhöhte Familienbeihilfe ab September 2020, SVNr. 3850150287, Steuernummer ***BF1StNr1*** zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.

Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Der Beschwerdeführer (Bf.), geb. am xx.xx.1987, beantragte, vertreten durch seinen damaligen gerichtlich bestellten Erwachsenenvertreter RA ***1*** am die Gewährung von Familienbeihilfe und des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen einer "psychiatrischen Erkrankung und Intelligenzminderung." Zugleich mit dem Antrag legte er bei der belangen Behörde ein psychiatrisch-neurologisches Gutachten einer Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie vom vor.

Der Antrag auf Familienbeihilfe Beih 1 enthält kein Beginndatum hinsichtlich der Zuerkennung, im Antrag auf den Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe Beih 3 wurde dieser für fünf Jahre rückwirkend ab Antragstellung beantragt.

Am erfolgte beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (BSB) eine Untersuchung des Bf.. Das Gutachten vom stellte fest, dass ein Grad der Behinderung mangels Befunden nicht ermittelbar sei.

Mit Bescheid vom wurde der "Antrag vom auf erhöhte Familienbeihilfe" für den Zeitraum "ab September 2020"mit der Begründung abgewiesen, dass keine Erwerbsunfähigkeit vor dem 21. Lebensjahr im Sinne des § 2 Abs. 1 lit. c FLAG 1967 vorliege. Auf das Gutachten des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen (BSB) vom wurde verwiesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde vom , in der der Bf. sinngemäß ausführte, dass das dem Antrag beigefügte ärztliche Gutachten nicht berücksichtigt worden sei. Weiters seien vom Erwachsenenvertreter keine ergänzenden Unterlagen angefordert worden und sei damit das Parteiengehör verletzt worden. Darüber hinaus sei von der belangten Behörde ignoriert worden, dass für den Bf. wegen seiner schweren Beeinträchtigung ein Erwachsenenvertreter bestellt worden sei, sodass sie zu einem anderen Urteil hätte kommen müssen.

Nach einer neuerlichen Untersuchung beim BSB am wurde im Gutachten vom wiederum festgestellt, dass mangels Befunden ein Grad der Behinderung nicht ermittelbar sei und daher keine dauernde Erwerbsunfähigkeit vorliege.

Unter Hinweis auf dieses Gutachten wurde die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom als unbegründet abgewiesen.

Daraufhin stellte der Bf. einen Vorlageantrag.

Das Bundesfinanzgericht ersuchte die belangte Behörde unter ausdrücklichem Hinweis auf das im Zuge der Antragstellung der belangten Behörde übermittelte Sachverständigengutachten beim BSB ein neuerliches Gutachten anzufordern und dieser Anforderung das erwähnte Gutachten der Fachärztin anzuschließen.

Die belangte Behörde übermittelte dem Bundesfinanzgericht das Gutachten des BSB vom in dem dieses nunmehr einen Grad der Behinderung von 50 % wegen leichtgradiger Intelligenzminderung "auf Grund des neu vorgelegten psychiatrischen Gutachtens" feststellte.

Der Grad der Behinderung sei rückwirkend mit 02/1987 feststellbar.

Der Bf. sei voraussichtlich dauernd außer Stande sich den Unterhalt zu verschaffen. Die voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit wurde mit "Erwerbsunfähigkeit" begründet.

Das Bundesfinanzgericht ersuchte die belangte Behörde neuerlich ein Gutachten beim BSB anzufordern und auf die nicht nachvollziehbare Begründung der Erwerbsunfähigkeit hinzuweisen.

Am übermittelte die belangte Behörde ein vom BSB am erstelltes Aktengutachten, das dem Bf. wiederum einen Grad der Behinderung von 50 % ab Februar 1987 sowie eine dauernde Erwerbsunfähigkeit ab Februar 1987 attestierte. Begründet wurde letztere diesmal mit der festgestellten Intelligenzminderung.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Sachverhalt

Der Bf. beantragte am die Gewährung von Familienbeihilfe mit dem Formular Beih 1, mangels Angabe eines anderslautenden Zeitraumes im Antragsformular, ab dem Zeitpunkt der Antragstellung.

Im Antragsformular betr. des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe Beih 3 vom selben Tag wurde dieser für fünf Jahre rückwirkend beantragt.

Der Bf. wurde am xx.xx.1987 geboren, war daher im September 2020 33 Jahre alt.

Das Gutachten vom sowie jenes vom stellten fest, dass ein Grad der Behinderung von 50 % rückwirkend ab 2/1987, somit ab Geburt, sowie dauernde Erwerbsunfähigkeit vorliegen.

Beweiswürdigung

Beweis wurde aufgenommen durch Einsicht in den von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsakt, insbesondere durch Einsicht in die Gutachten des BSB, zuletzt jenes vom .

Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchpunkt I.

Anspruch auf Familienbeihilfe besteht gemäß § 2 Abs. 1 lit. c FLAG 1967 und § 6 Abs. 1 lit. d FLAG 1967, und zwar auf erhöhte Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 4 FLAG 1967, für volljährige Kinder, wenn sie wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, und sich in keiner Anstaltspflege befinden.

Besteht keine vor dem 21. (bei Berufsausbildung: 25.) Lebensjahr eingetretene dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, stehen weder Grund- noch Erhöhungsbetrag zu.

Der Nachweis der voraussichtlich dauernden Erwerbsunfähigkeit ist gemäß § 8 Abs. 6 FLAG 1967 durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens zu führen (vgl. ).

Bei der Antwort auf die Frage, ob das Kind erheblich behindert war bzw. ist oder dauernd außerstande war bzw. ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, ist die Behörde bzw. das Bundesfinanzgericht an die der Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen zugrunde liegenden Gutachten grundsätzlich gebunden und darf diese nur insoweit prüfen, ob sie schlüssig und vollständig und nicht einander widersprechend sind (vgl. ; , und die bei Lenneis in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG2 § 8 Rz 29 zitierte Rechtsprechung). Die Beihilfenbehörden haben bei ihrer Entscheidung grundsätzlich von dieser durch ärztliche Gutachten untermauerten Bescheinigung auszugehen (vgl. ; ).

Es besteht nach der Rechtsprechung beider Gerichtshöfe öffentlichen Rechts zu § 8 Abs. 6 FLAG 1967 jedoch keine unbedingte Bindung an die Bescheinigungen des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes obliegt die Entscheidung darüber, ob ein Gutachten im Sinne des § 8 Abs. 6 FLAG 1967 unschlüssig oder ergänzungsbedürftig ist, in jedem Fall der Beihilfenbehörde. Eine Gutachtensergänzung oder ein neues Gutachten stellen Beweismittel dar (vgl. ).

Bekundungen des ehemaligen Erwachsenenvertreters hinsichtlich der gesundheitlichen Beeinträchtigung des Bf. kommen jedoch keine Beweiskraft zu.

Die Gutachten vom , ergänzt um jenes vom stellen nunmehr in schlüssiger Weise eine dauernde Erwerbsunfähigkeit wegen einer bereits seit Februar 1987, damit seit Geburt, bestehender Intelligenzminderung fest.

Dem Bf. stehen daher der Grundbetrag und der Erhöhungsbetrag wegen einer vor dem 21. Lebensjahr eingetretenen Behinderung zu.

Hinsichtlich des Beginns des Anspruchszeitraumes ist folgendes auszuführen:

Der bekämpfte Bescheid weist in seinem Spruch den Antrag des Bf. "ab September 2020" ab.

Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist der Spruch des bekämpften Bescheides, somit die Frage, ob dem Bf. ab September 2020 Familienbeihilfe und der Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe zustehen.

Das Erkenntnis des Bundesfinanzgericht kann jedoch gemäß § 279 Abs. 1 BAO den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abändern, diesen aufheben oder die Bescheidbeschwerde als unbegründet abweisen. Das Bundesfinanzgericht ist dabei stets an die Sache des Beschwerdeverfahrens gebunden (vgl. ).

Die belangte Behörde hat nun im bekämpften Bescheid zwar inhaltlich über beide Anträge vom entschieden, übersah allerdings, dass der Bf. im Antragsformular Beih 3 den Erhöhungsbetrag rückwirkend für fünf Jahre beantragte.

Dazu führte das Bundesfinanzgericht im Erkenntnis vom , RV/71000758/2020, folgendes aus:

"Wird die gemäß § 8 Abs. 4 FLAG 1967 erhöhte Familienbeihilfe infolge erheblicher Behinderung beantragt, handelt es sich um ein einziges Anbringen (§ 85 BAO), auch wenn für die Gewährung des Erhöhungsbetrages ein eigenes weiteres Formular (Beih 3) zusätzlich zum Formular Beih 1 und für die Feststellung der erheblichen Behinderung ein eigenes weiteres Verfahren im Rahmen des Familienbeihilfenverfahrens vorgesehen ist. Im Fall einer bescheidmäßigen Erledigung (§ 13 FLAG 1967) ist daher über das gesamte Anbringen zu entscheiden, also im Fall einer entsprechenden Antragstellung sowohl über den Grundbetrag nach § 8 Abs. 2 FLAG 1967 auch über allfällige Erhöhungsbeträge nach § 8 Abs. 3 FLAG 1967 bzw. nach § 8 Abs. 4 FLAG 1967."

Mit dem Abweisungsbescheid vom wurde daher nicht über den gesamten Antrag abgesprochen, sondern nur über den Zeitraum ab September 2020.

Die belangte Behörde wird daher eine Mitteilung gem. § 12 Abs. 1 FLAG 1967 zu erstellen haben, wonach dem Bf. ab September 2015 die Familienbeihilfe und der Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe zustehen.

Es war daher wie im Spruch zu entscheiden.

Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Eine solche Rechtsfrage lag im gegenständlichen Fall nicht vor, weshalb die (ordentliche) Revision nicht zuzulassen war.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
FLAG
betroffene Normen
ECLI
ECLI:AT:BFG:2022:RV.7100263.2022

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at