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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 31.05.2022, RV/2100069/2022

Kein Alleinerzieherabsetzbetrag bei aufrechter ehelicher Lebensgemeinschaft (trotz getrennter Wohnsitze)

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter***Ri*** in der Beschwerdesache der ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom (bzw. den Vorlageantrag vom 28. Juni "2020", gemeint: 2021) gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom (bzw. die im Verfahren nach § 299 BAO ergangenen Beschwerdevorentscheidung vom ) betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2019 zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der angefochtene Bescheid bleibt unverändert (Festsetzung der Einkommensteuer mit € 0,- bzw. keine Nachforderung).

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Strittig ist, ob der Beschwerdeführerin (Bf.) der Alleinerzieherabsetzbetrag zusteht oder nicht.

Die Beschwerdeführerin (Bf.) erzielte im Streitjahr Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Die Geltendmachung des Alleinerzieherabsetzbetrages wird wie folgt begründet:

"Ich führe mit meinem Gatten seit mehr als zehn Jahren eine Beziehung, die durch Eheschließung im September 2018 legitimiert wurde.

Aus persönlichen, sozialen und wirtschaftlichen Gründen befindet sich der Hauptwohnsitz meines Gatten in K/NÖ.

Ich bin alleinige Erziehungsberechtigte meines 13-jährigen Sohnes […], welcher aus einer vormaligen ledigen Beziehung stammt.

Mein Sohn leidet an einer ausgeprägten Autismusspektrumstörung (Aspergersyndrom, ADHS) und benötigt eine spezielle Betreuung durch sozialpädagogische Begleitung in Schule und Freizeit (Begleitlehrer, Familienentlastung etc.). Diese Einrichtungen und Dienstleistungen befinden sich seit jeher in L [Steiermark] bzw. näheren Umgebung. Aus diesem Grund befindet sich mein Lebensmittelpunkt in L.

Ich pflege mit meinem Gatten de facto eine Fern- bzw. Wochenendbeziehung unter Einhaltung sämtlicher melderechtlicher Bestimmungen."

Das Finanzamt begründet die Nichtberücksichtigung des Alleinerzieherabsetzbetrages im Wesentlichen wie folgt (s. Beschwerdevorentscheidung vom ):

"Laut Ihrer Erklärung bei der Arbeitnehmerveranlagung 2020 sind Sie seit September 2018 verheiratet. Trotz räumlicher Trennung ist Ihre Ehe aufrecht. Ein Alleinerzieherabsetzbetrag gemäß § 33 EStG 1988 steht daher nicht zu. (…)"

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Gemäß § 33 Abs. 4 Z 2 EStG 1988 steht Alleinerziehenden ein Alleinerzieherabsetzbetrag zu. Alleinerziehende sind Steuerpflichtige, die mit mindestens einem Kind (§ 106 Abs. 1) mehr als sechs Monate im Kalenderjahr nicht in einer Gemeinschaft mit einem (Ehe)Partner leben.

Verheiratete Personen haben nur dann Anspruch auf den Alleinerzieherabsetzbetrag, wenn sie von ihrem Ehepartner dauernd getrennt leben (Jakom/Kanduth-Kristen EStG, 2021, § 33 Rz 68).

Eine aufrechte Ehe spricht grundsätzlich gegen eine dauernd getrennte Lebensführung. Diese Vermutung ist allerdings widerlegbar (zB ; ; ). Das Vorliegen mehrerer (Familien-) Wohnsitze steht einer gemeinsamen Lebensführung alleine nicht entgegen (; , RV/2357-W/06).

Dass (noch) keine gemeinsame Wohnung besteht, lässt bei einer "intakten" Ehe noch nicht auf das Merkmal des "Dauernd-Getrennt-Lebens" schließen ( mit Hinweis auf ).

Die räumliche Trennung allein ist kein "Dauernd-getrennt"-Leben im oa. Sinne. Maßgebend ist das Beenden der ehelichen (partnerlichen) Lebensgemeinschaft iSd. §§ 90 ff ABGB beziehungsweise §§ 8 f. EPG, die auch bei getrennten Wohnsitzen bestehen kann (Wanke in Wiesner/Grabner/Wanke [Hrsg.], MSA EStG 11. EL § 33 Anm. 51).

Mehrere Wohnsitze oder die polizeiliche Meldung an unterschiedlichen Wohnsitzen bewirken für sich alleine keine dauernde Trennung. Vielmehr ist entscheidend, ob der Steuerpflichtige bei aufrechter Ehe tatsächlich in Gemeinschaft mit seinem Ehegatten lebt oder nicht (Herzog in Doralt/Kirchmayr/Mayr/Zorn, EStG18, § 33 Rz 42; ; ähnlich ; ).

Das eheliche Zusammenleben bzw. die eheliche Gemeinschaft besteht im Allgemeinen aus einer Geschlechts-, Wohnungs- und Wirtschaftsgemeinschaft. Da die Ehegatten ihre eheliche Lebensgemeinschaft unter Rücksichtnahme aufeinander einvernehmlich gestalten sollen, kann durchaus auch das ein oder andere Merkmal fehlen ().

So hebt etwa eine berufliche Abwesenheit des einen Ehepartners die eheliche Lebensgemeinschaft nicht auf, wenn beide Ehepartner außerhalb dieser Abwesenheit miteinander in Gemeinschaft leben (s. nochmals zB ; ).

Dasselbe gilt, wenn jeder der Ehegatten über eine eigene Wohngelegenheit verfügt, diese aber aus "platztechnischen" oder anderen Gründen nicht aufgeben kann (oder möchte). Wenn sich die Ehepartner stattdessen im beiderseitigen Einvernehmen darauf verständigen, getrennt voneinander zu wohnen, bedeutet dies für sich allein noch nicht, dass eine eheliche Lebensgemeinschaft nicht besteht (zB ).

Auch in aufrechter Ehe ist die Beibehaltung (oder Gründung) mehrerer Wohnsitze keineswegs außergewöhnlich, ebenso die Aufteilung der Kosten in der Weise, dass jeder der Partner für jeweils eine (eigene) Wohnung aufkommt (vgl. ).

Im vorliegenden Fall begehrt die Bf. für das Jahr 2019 die Gewährung des Alleinerzieherabsetzbetrages. Sie führte mit ihrem nunmehrigen Ehegatten rund 10 Jahre lang eine Beziehung, bevor im September 2018 die Eheschließung erfolgte.

Die Bf. gibt an, dass die getrennte Wohnsitzführung aus "persönlichen, sozialen und wirtschaftlichen Gründen" beibehalten wurde. Sie ist alleinige Erziehungsberechtigte ihres 13-jährigen (aus einer früheren Beziehung stammenden) Sohnes, der krankheitsbedingt einer speziellen Betreuung bedarf. Die entsprechenden Einrichtungen befinden sich in L, weshalb sich hier auch der Lebensmittelpunkt der Bf. befindet. Mit ihrem Ehepartner führt die Bf. eine "Fern- bzw. Wochenendbeziehung unter Einhaltung sämtlicher melderechtlicher Bestimmungen. (s. die Ausführungen der Bf. in ihrer "ergänzenden Bemerkung zur Arbeitnehmerveranlagung 2019, 2020").

Aktenkundig ist zudem, dass im Oktober 2021 der gemeinsame Sohn der Bf. und ihres nunmehrigen Ehegatten geboren wurde.

In Anbetracht der dargestellten Sach- und Rechtslage konnte der Beschwerde keine Folge geleistet werden:

Getrennte Wohnsitze bewirken - wie oben dargelegt - für sich allein keine dauernde Trennung.

Das Unterhalten von zwei (getrennten) Wohnsitzen und die damit zweifellos verbundenen finanziellen Mehraufwendungen sind im vorliegenden Fall - den Ausführungen der Bf. zufolge - durch persönliche, soziale und wirtschaftliche Umstände bedingt. Dass aber die Ehe zerrüttet oder nicht "intakt" wäre, wird nicht behauptet. Die Bf. gibt vielmehr an, mit ihrem Ehepartner eine Fern- bzw. Wochenendbeziehung zu führen. Daraus geht hervor, dass sie regelmäßig bzw. zumindest an den Wochenenden mit ihrem Ehegatten an einem der beiden Wohnsitze zusammenlebt. Das bedeutet, dass - wenn auch durch die getrennten Wohnsitze in eingeschränktem Maße - sehr wohl eine zwischen Ehepartnern typische gemeinsame Wirtschaftsführung und Lebensgestaltung vorliegt.

Der Ehe entstammt zudem der im Oktober 2021 geborene gemeinsame Sohn der Bf. und ihres Ehepartners.

Es gibt sohin keinen Hinweis auf das Nichtbestehen einer aufrechten Ehe zwischen der Bf. und ihrem Ehepartner. Selbst aus dem Vorbringen der Bf. geht nicht hervor, dass auf Grund der getrennten (Haupt)Wohnsitznahme der zwischen Ehegatten übliche Kontakt bzw. der Wille zur gemeinsamen Lebensführung aufgegeben worden wäre.

Mag im Beschwerdefall auch das Merkmal der Wohngemeinschaft weniger stark ausgeprägt sein, da laut Bf. eine "Wochenendbeziehung" geführt wird, so lebt die Bf. letztlich doch in einer Gemeinschaft mit ihrem Ehegatten.

Dem Umstand, dass Ehegatten getrennte Wohnungen benützen und dadurch einer finanziellen Mehrbelastung ausgesetzt sind, misst der Gesetzgeber im Rahmen der Vorschriften betreffend die Zuerkennung des Alleinerzieherabsetzbetrages keine tatbestandsmäßige Bedeutung zu (zB ). Dies vor dem Hintergrund, dass sich der Ehegatte durch die Eheschließung zur umfassenden Beistandspflicht gegenüber dem anderen Ehepartner bereit erklärt hat. Dass diese, auch die finanziellen Belange umfassende Beistandspflicht grundsätzlich geeignet ist, die wirtschaftliche Leistungskraft der Bf. zu beeinflussen, kann nicht in Abrede gestellt werden (s. nochmals ).

Da aus den angeführten Gründen das Tatbestandsmerkmal des Dauernd-Getrenntlebens im Sinne der Rechtsprechung des VwGH nicht vorliegt, zumal die Bf. in einer funktionierenden Beziehung mit ihrem Ehepartner lebt, konnte der Alleinerzieherabsetzbetrag nicht zuerkannt werden, ungeachtet der Tatsache, dass die gewählte Wohnsituation einer (liberalen) Lebensform entspricht, in der nicht ein konventionellen Modellen entsprechendes Zusammenleben an einem gemeinsamen Wohnsitz geübt wird, (vgl. ; ).

Zur Revision:

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Das BFG konnte die vorliegende Entscheidung auf die umfangreich vorhandene, in der oa. Begründung zitierte Judikatur stützen. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung lag daher nicht vor, sodass die Revision nicht zuzulassen war.

Graz, am

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Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at