Rückforderung Familienbeihilfe (Differenzzahlungen, Kinderabsetzbeträge, Geschwisterstaffel)
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Mag. Cornelia Pretis-Pösinger in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Rückforderung zu Unrecht bezogener Beträge (Familienbeihilfe, Kinderabsetzbeträge, Differenzzahlungen) für das Kind ***1*** geb. ***2*** und ***3***, geb. ***4***, für den Zeitraum Jänner 2019 - März 2021, zu Recht erkannt:
I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
Verfahrensgang
Im Rahmen der Überprüfung des Anspruches auf Familienbeihilfe vom forderte das Finanzamt (FA) die Beschwerdeführerin (Bf.) auf, für das Kind ***1*** (geb. ***2***) die Schul(besuchs)bestätigung, den Nachweis, dass kein Anspruch auf eine der österreichischen Familienbeihilfe gleichzusetzende Beihilfe für 2019 besteht und die Bestätigung der Wohnsitzbehörde, dass ein gemeinsamer Haushalt mit ihr gegeben ist, vorzulegen.
Die Bf. gab in der Folge bekannt, dass ***1*** bei ihrer Großmutter, Frau ***5***, in ***6***, Slowakei wohne. Sie selbst leiste einen monatlichen Unterhalt von € 400,00. Der Vater von ***1*** sei ***7***, slowenischer Staatsbürger. ***1*** sei Schülerin und besuche die Pflichtschule. Beigelegt wurde eine in slowakischer Sprache ausgestellte Schulbesuchsbestätigung.
Die Bf. urgierte am die Auszahlung der Familienbeihilfe für ihre Tochter ***1***, ersuchte um Auskunftserteilung und empörte sich über die Vorgangsweise des Finanzamtes Österreich.
Im Rahmen des Ergänzungsersuchens vom forderte das FA die Bf. auf, den Nachweis, dass kein Anspruch auf eine der österreichischen Familienbeihilfe gleichartige ausländische Familienleistung bestehe, die Bestätigung des Wohnstaates des Kindes, dass ein gemeinsamer Haushalt mit ***1*** bestehe und ihren Einkommensnachweis ab 01/2019, vorzulegen.
In der Eingabe vom führt die Bf. aus:
"Wie der beiliegenden Mitteilung des slowakischen Sozialamtes vom entnommen werden kann, wurde die Familienbeihilfenzahlung für meine in der Slowakei bei meiner Mutter lebende Tochter ***1*** mit Juli 2016, mit der Begründung eingestellt, dass aufgrund meines österreichischen Wohnsitzes, ***8***, auch der österreichische Staat für die Beihilfenzahlung zuständig ist. Dieser Sachverhalt hat sich bis dato nicht geändert.
Weiters übermittle ich beiliegend die von meiner Mutter mittels Handy übermittelte Bestätigung der slowakischen Meldebehörde vom , dass meine Tochter ***1*** an der Adresse meiner Mutter gemeldet ist und mit ihr einen gemeinsamen Haushalt bildet. Dazu halte ich ausdrücklich fest, dass sämtliche Lebenshaltungskosten (Unterhaltsleistungen) für meine Tochter ***1*** seit jeher und bis dato von mir alleine erbracht und mit Überweisungsbelegen dem Finanzamt Spittal Villach bereits mehrfach nachgewiesen wurde.
Mein Einkommen ab dem Jahr 2019 betreffend, verweise ich auf die bereits vom o.a. Finanzamt ergangenen Bescheide und meiner elektronischen Mitteilung der Betriebsaufgabe mit .
Die Einstellung meiner gewerblichen Tätigkeit erfolgte aufgrund der sehr hohen Nachforderung an Beiträgen der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft für die Jahre 2017 und 2018 sowie die Festsetzung an Vorauszahlungen für die Folgejahre. Da ich mit meinem bescheidenen Einkommen nicht in der Lage war diese sehr hohe Summe zu bezahlen, wurde dieser Rückstand von meinem Lebensgefährten und Vater unseres gemeinsamen Sohnes ***3*** übernommen und restlos beglichen. Ab diesem Zeitpunkt bin ich bei meinem Lebensgefährten mitversichert, führe auch den gemeinsamen Haushalt und arbeite in seinem landwirtschaftlichen Betrieb mit. Im Gegenzug werden von meinem Lebensgefährten sämtliche Lebenshaltungskosten, einschließlich der Unterhaltsleistung für meine Tochter ***1*** übernommen.
In Erwartung, dass meine Ausführung betreffend den Sachverhalt und der Vorlage der eingeforderten Nachweise, so wie sie alle Jahre auch beim Finanzamt Spittal Villach erbracht wurden, auch dem Finanzamt Österreich endlich eine positive Erledigung meines Antrages ermöglichen."
Beigelegt wurde das Schreiben über die Einstellung der Beihilfenzahlung und eine Meldebestätigung (jeweils in slowakischer Sprache).
In der Eingabe vom empörte sich die Bf. über die ihr nicht erteilte Auskunft hinsichtlich ihres Antrages auf Ausgleichszahlung für ***1*** durch das FA Österreich, drohte mit der Einschaltung eines Rechtsbeistandes und der öffentlichen Medien und bezeichnet das FA Österreich eher als Überwachungszentrale denn als Servicestelle.
Das FA forderte mit Rückforderungsbescheid vom die Differenzzahlung in Höhe von € 2.961,94, den Kinderabsetzbetrag in Höhe von € 1.022,88 und die Familienbeihilfe iF der Geschwisterstaffelung (***3***) in Höhe von € 191,70 jeweils für die Zeiträume Jänner 2019 bis März 2021 zurück. Begründend wurde auf die §§ 26 Abs. 1 FLAG 1967 und 33 Abs. 3 EStG 1988 verwiesen. Ergänzend wurde ausgeführt, dass eine Familienleistung nur für jene Monate zustehe, in denen die Bf. in Österreich unselbständig oder selbständig beschäftigt gewesen sei bzw. eine Gegenleistung wie z.B. Arbeitslosengeld oder Krankengeld erhalten habe und die geltenden Beschäftigungsvorschriften eingehalten worden seien.
Nach Zitierung des § 2 Abs. 2 FLAG 1967 wies das FA noch darauf hin, dass aufgrund ihrer fehlenden Beschäftigung in Österreich ab Jänner 2019 kein Anspruch auf Differenzzahlung in Österreich mehr bestanden habe. Die Familienbeihilfe sei daher zurückzufordern gewesen. Hinsichtlich des Kindes ***3*** führte das FA aus, das für mehr als ein Kind Familienbeihilfe bezogen worden sei. Im Rückforderungsbetrag sei die anteilige Geschwisterstaffel für sämtliche Kinder enthalten, für die im Rückforderungszeitraum zu Unrecht Familienbeihilfe erhalten worden sei.
Die Bf. erhob mit Schriftsatz vom Beschwerde. Diese richte sich gegen die Rückforderung der bisher ausbezahlten Familienbeihilfe (Ausgleichszahlung) in Höhe von € 4.176,52. Begründet wurde die Beschwerde folgendermaßen:
"Für meine Tochter ***1*** musste ich jedes Jahr einen neuen Antrag auf Familienbeihilfenausgleichszahlung stellen und habe im Zusammenhang mit diesen Anträgen auch alle erforderlichen Nachweise (Schulbesuchsbestätigung, Meldezettel etc.) erbracht. Erst nach eingehender Prüfung durch das Finanzamt wurde mir für meine Tochter ***1*** für das Jahr 2019 und folglich nach neuerlicher Antragstellung auch für das Jahr 2020 die Ausgleichszahlung zur Auszahlung gebracht.
Dieses Geld wurde von mir ausschließlich für meine Tochter ***1*** für den Unterhalt verwendet.
Ich habe im Zusammenhang mit der Antragstellung auf Familienbeihilfe immer alle den Erfordernissen und der Wahrheit entsprechenden Angaben offengelegt und bin mir daher keiner Schuld bewusst, diese Beihilfe (Ausgleichszahlung) zu Unrecht erhalten zu haben.
Nicht nachvollziehbar ist es für mich jedoch, dass diese Nachforderung erst nach über zwei Jahren, nach bereits erfolgter Auszahlung, mit der im Bescheid angeführten Verordnung als Begründung vom Finanzamt geltend gemacht und rückgefordert wird.
Wie dem Finanzamt bereits bekannt ist, habe ich seit dem Jahr 2019 keinerlei eigene Einkünfte, führe den Haushalt meines Lebensgefährten und Vater meines minderjährigen Sohnes ***3***, welcher erst heuer im Herbst in den Kindergarten aufgenommen wird.
Da ich selbst keinerlei eigene Einkünfte und auch kein Vermögen besitze, bin ich gar nicht in der Lage dieser Rückzahlungsaufforderung zu entsprechen und stelle daher folgende ANTRÄGE:
1.) Ich ersuche um Nachsicht des rückgeforderten Betrages von € 4.176.52 wegen Unbilligkeit der Einhebung und Gefährdung meiner Existenz gem. § 236 (1) BAO und
2.) Antrag auf Aussetzung der Einhebung gem. § 212a BAO bis zur Erledigung meiner Beschwerde.
In Erwartung der Würdigung meiner Situation und antragsgemäßer Erledigung meiner Beschwerde empfehle ich mich mit freundlichen Grüßen ***Bf.***."
Das FA wies die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom ab. Begründet wurde die Abweisung damit, dass eine Familienleistung nur für jene Monate zustehe, in denen die Bf. in Österreich selbständig beschäftigt gewesen bzw. eine Geldleistung (z.B. Arbeitslosengeld, Krankengeld) erhalten habe. Das FA zitierte weiters § 26 FLAG 1967 und die dazugehörige Rechtsprechung.
Am beantragte die Bf. die Entscheidung über die Beschwerde durch das Bundesfinanzgericht (Vorlageantrag).
Die Bf. führte aus:
"Ich lebe seit einigen Jahren in Österreich und wohne gemeinsam mit meinem minderjährigen Sohn ***3*** (6 Jahre) in ***8*** bei meinem Lebensgefährten, Herrn ***9***, der auch der Vater meines Sohnes ist. Dort führe ich den Haushalt, bin im Rahmen der häuslichen Beistandspflicht auch in der Landwirtschaft meines Lebensgefährten behilflich und für die Erziehung des gemeinsamen Sohnes zuständig. Im Rahmen dieser Tätigkeit bin ich auch mit meinem Lebensgefährten bei der Sozialversicherung der Bauern mitversichert. Meiner Ansicht nach kann diese Tätigkeit keinesfalls als Wanderarbeit bezeichnet werden.
Für meine minderjährige Tochter ***1***, die im Haushalt meiner Mutter in der Slowakei lebt, musste ich jedes Jahr einen neuerlichen Antrag auf Auszahlung der Familienbeihilfenausgleichszahlung stellen. Diese Anträge wurden unter Beilage aller erforderlichen Nachweise vom Finanzamt Spittal Villach entsprechend dem Familienlastenausgleichsgesetz § 2 Abs. 2, als bis heute gültige Rechtsgrundlage, eingehendst geprüft und danach erst die Familienbeihilfe für die Jahre 2019 und 2020 zur Auszahlung gebracht.
Da sich im Gesetzestext des Familienlastenausgleichsgesetzes bis heute keinerlei textlicher Hinweis befindet, dass bei der behördlichen Prüfung für den Bezug der Familienbeihilfe eine EU-Verordnung zu berücksichtigen ist, bin ich überzeugt, dass das Finanzamt Spittal Villach der Rechtsgrundlage entsprechend korrekt geprüft und folglich die Beihilfe zur Auszahlung gebracht hat.
Aufgrund dieses Sachverhaltes halte ich fest, dass es sich aufgrund dieser Rechtslage weder um einen Fehler des Finanzamtes Spittal Villach handelt und folglich auch nicht um einen widerrechtlichen Bezug der Familienbeihilfe für meine Tochter ***1***.
Die nach rund zweieinhalb Jahren vom Finanzamt Österreich als Begründung für die Rückforderung angeführte EU-Verordnung aus dem Jahre 2004 ist daher keine neu hervorgekommene Tatsache, die eine Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen gem. § 303 Abs. 4 der Bundesabgabenordnung rechtfertigt und die folglich zu der widerrechtlichen Rückforderung der ausbezahlten Familienbeihilfenausgleichszahlung für meine Tochter ***1*** betreffend die Jahre 2019 und 2020 in Höhe von € 4.176,52 geführt hat.
Angesichts dieser Vorgangsweise des Finanzamtes Österreich erhebt sich allen Ernstes die Frage, wie es mit der Rechtssicherheit für den einfachen Bürger in Österreich bestellt ist.
Diese nicht nachvollziehbare Beschwerdevorentscheidung ist für mich eine extrem psychische Belastung und bereitet mir bereits schlaflose Nächte, da ich nicht weiß, wo ich das Geld für eine Rückzahlung hernehmen soll.
Weiters halte ich fest, dass ich mit meiner Beschwerde auch einen Antrag gem. § 236 Abs. 1 BAO auf Nachsicht und folglicher Abschreibung der meines Erachtens zu Unrecht eingeforderten Rückzahlung wegen Unbilligkeit und sozialer Härte gestellt habe. Auf diesen Antrag wurde bei der Vorentscheidung in keiner Weise eingegangen, obwohl dies laut BAO § 236 (1) vorgesehen und aufgrund meiner Lage die Unbilligkeit sehr wohl zu berücksichtigen wäre. In diesem Zusammenhang möchte ich auch auf § 26 (4) des Familienlastenausgleichsgesetzes hinweisen, welcher ebenfalls im Wege der Nachsicht eine Abschreibung der Abgabenschuld wegen Unbilligkeit vorsieht.
Betreffend meine Abgabenschuld in Höhe von € 4.176,52 stelle ich den Antrag auf Aussetzung der Einhebung gem. § 212a BAO bis zur Erledigung meiner Beschwerde.
Abschließend ersuche ich um Würdigung der von mir vorgebrachten Argumente und hoffe auf eine positive Entscheidung im Sinne meiner Beschwerde."
Das FA legte die Beschwerde mit Bericht vom dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor. Es beantragte die Abweisung der Beschwerde.
Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
Sachverhalt
Die Bf. und ihre Tochter sind slowakische Staatsbürgerinnen. Die Bf. hat ihren Hauptwohnsitz in ***8***. Dort lebt sie mit ihrem Lebensgefährten, ***9*** und dem gemeinsamen Kind ***3***.
Das Kind ***1***, geb. ***2***, hat seinen Hauptwohnsitz in der Slowakei und lebt im Haushalt der Großmutter in der Slowakei, ***6***. ***1*** besucht dort die Pflichtschule.
Die Bf. betrieb in Österreich das freie Gewerbe Personenbetreuung. Die Bf. war bei der Sozialversicherung der Selbständigen bis gemeldet. Die Bf. hat das Gewerbe bis ausgeübt.
Die Bf. ist bei ihrem Lebensgefährten mitversichert und führt den gemeinsamen Haushalt und arbeitet bei ihm im landwirtschaftlichen Betrieb. Der Lebensgefährte übernimmt dafür sämtliche Lebenshaltungskosten und leistet auch den Unterhalt für Tochter ***1***.
Beweiswürdigung
Der dargestellte Sachverhalt ergibt sich aus dem Inhalt der Verwaltungsakten sowie aus den Angaben und Vorbringen der beschwerdeführenden Partei. Ausgehend von den Ermittlungsergebnissen sieht das Bundesfinanzgericht den maßgebenden Sachverhalt als ausreichend geklärt an. Es liegen in sachverhaltsmäßiger Hinsicht keine begründeten Zweifel vor, die durch weitere Ermittlungen zu verfolgen wären.
Rechtliche Beurteilung
Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)
§ 2 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) lautet auszugsweise:
"§ 2. (1) Anspruch auf Familienbeihilfe haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben,
a) für minderjährige Kinder,
b) ...
(2) Anspruch auf Familienbeihilfe für ein im Abs. 1 genanntes Kind hat die Person, zu deren Haushalt das Kind gehört. Eine Person, zu deren Haushalt das Kind nicht gehört, die jedoch die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend trägt, hat dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn keine andere Person nach dem ersten Satz anspruchsberechtigt ist.
(3) Im Sinne dieses Abschnittes sind Kinder einer Person
a) deren Nachkommen,
b) ..."
§ 2a FLAG 1967 lautet:
"§ 2a (1) Gehört ein Kind zum gemeinsamen Haushalt der Eltern, so geht der Anspruch des Elternteiles, der den Haushalt überwiegend führt, dem Anspruch des anderen Elternteiles vor. Bis zum Nachweis des Gegenteils wird vermutet, dass die Mutter den Haushalt überwiegend führt.
(2) …"
§ 53 Abs. 1 FLAG 1967 lautet:
"§ 53. (1) Staatsbürger von Vertragsparteien des Übereinkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) sind, soweit es sich aus dem genannten Übereinkommen ergibt, in diesem Bundesgesetz österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt. Hiebei ist der ständige Aufenthalt eines Kindes in einem Staat des Europäischen Wirtschaftsraums nach Maßgabe der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen dem ständigen Aufenthalt eines Kindes in Österreich gleichzuhalten."
Die im Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, ABl. L 166, S. 1 (im Folgenden Verordnung (EG) Nr. 883/2004) lauten (auszugsweise):
"Artikel 1
Definitionen
Für Zwecke dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck:
a) "Beschäftigung" jede Tätigkeit oder gleichgestellte Situation, die für die Zwecke der Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit des Mitgliedstaats, in dem die Tätigkeit ausgeübt wird oder die gleichgestellte Situation vorliegt, als solche gilt;
b) "selbstständige Erwerbstätigkeit" jede Tätigkeit oder gleichgestellte Situation, die für die Zwecke der Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit des Mitgliedstaats, in dem die Tätigkeit ausgeübt wird oder die gleichgestellte Situation vorliegt, als solche gilt;
...
i) "Familienangehöriger":
1. i) jede Person, die in den Rechtsvorschriften, nach denen die Leistungen gewährt werden, als Familienangehöriger bestimmt oder anerkannt oder als Haushaltsangehöriger bezeichnet wird;
...
j) "Wohnort" den Ort des gewöhnlichen Aufenthalts einer Person;
..."
"Artikel 2
Persönlicher Geltungsbereich
(1) Diese Verordnung gilt für Staatsangehörige eines Mitgliedstaats, Staatenlose und Flüchtlinge mit Wohnort in einem Mitgliedstaat, für die die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, sowie für ihre Familienangehörigen und Hinterbliebenen
(2) .."
"Artikel 3
Sachlicher Geltungsbereich
(1) Diese Verordnung gilt für alle Rechtsvorschriften, die folgende Zweige der sozialen Sicherheit betreffen:
...
j) Familienleistungen."
"Artikel 4
Gleichbehandlung
Sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist, haben Personen, für die diese Verordnung gilt, die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staates."
"Artikel 7
Aufhebung der Wohnortklauseln
Sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist, dürfen Geldleistungen, die nach den Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten oder nach dieser Verordnung zu zahlen sind, nicht aufgrund der Tatsache gekürzt, geändert, zum Ruhen gebracht, entzogen oder beschlagnahmt werden, dass der Berechtigte oder seine Familienangehörigen in einem anderen als dem Mitgliedstaat wohnt bzw. wohnen, in dem der zur Zahlung verpflichtete Träger seinen Sitz hat."
"Artikel 11
Allgemeine Regelung
(1) Personen, für die diese Verordnung gilt, unterliegen den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Welche Rechtsvorschriften dies sind, bestimmt sich nach diesem Titel.
(2) Für die Zwecke dieses Titels wird bei Personen, die aufgrund oder infolge ihrer Beschäftigung oder selbstständigen Erwerbstätigkeit eine Geldleistung beziehen, davon ausgegangen, dass sie diese Beschäftigung oder Tätigkeit ausüben. Dies gilt nicht für Invaliditäts-, Alters- oder Hinterbliebenenrenten oder für Renten bei Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten oder für Geldleistungen bei Krankheiten, die eine Behandlung von unbegrenzter Dauer abdecken.
(3) Vorbehaltlich der Artikel 12 bis 16 gilt Folgendes:
a) eine Person, die in einem Mitgliedstaat eine Beschäftigung oder selbstständige Erwerbstätigkeit ausübt, unterliegt den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats;
…
Erwägungen:
Zur Klarstellung ist vorweg festzuhalten, dass die sogen. Ausgleichszahlung dann zum Zug kommt, wenn ein Anspruch auf gleichartige ausländische Beihilfe durch Drittstaaten besteht. Besteht hingegen ein Anspruch auf Familienleistungen durch EU-Staaten, liegt ein Anwendungsfall der VO (EG) 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom (in Geltung seit ) vor.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH) ist die Frage, ob für einen bestimmten Zeitraum Familienbeihilfe zusteht, an Hand der rechtlichen und tatsächlichen Gegebenheiten im Anspruchszeitraum zu beantworten. Der gesetzlich festgelegte Anspruchszeitraum für Familienbeihilfe ist, wie sich dies den Regelungen des § 10 Abs. 2 und 4 FLAG 1967 entnehmen lässt, der Monat. Das Bestehen des Familienbeihilfenanspruchs für ein Kind kann somit je nach Eintritt von Änderungen der Sach- und/oder Rechtslage von Monat zu Monat anders zu beurteilen sein ().
Die Bf. ist slowakische Staatsbürgerin und damit Unionsbürgerin. Aus diesem Grund ist die Bf. gemäß § 53 Abs. 1 FLAG 1967 österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt. Die innerstaatlichen Normen werden zugleich durch die unionsrechtlichen Regeln überlagert.
Ab Mai 2010 gilt die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 mit der Durchführungsverordnung (EG) Nr. 987/2009 für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union (vgl. Gebhart in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG, 2. Aufl., 2020, § 53 Rz 60).
Im Beschwerdefall bezog die Bf. für den Zeitraum Jänner 2019 - März 2021 Differenzzahlungen, Kinderabsetzbeträge und Familienbeihilfe iF Geschwisterstaffelung für das Kind ***1*** bzw. ***3***.
Es ist unstrittig, dass die Bf. seit in Österreich keiner Beschäftigung nachgeht - sie übt ihr Gewerbe nicht mehr aus.
Das im angefochtenen Bescheid genannte Kind ***1*** hat den Familienwohnsitz bei ihrer Großmutter in der Slowakei. Die Bf., ihr Lebensgefährte ***9*** und das gemeinsame Kind ***3*** haben den Familienwohnsitz in Österreich.
Die o.a. Verordnung ist nur anwendbar, wenn ein Sachverhalt vorliegt, der zwei oder mehr Mitgliedstaaten berührt. Dies ist der Fall, wenn ein Unionsbürger von seiner Freizügigkeit Gebrauch macht oder gemacht hat und in einem anderen als dem Wohnsitzstaat einer Erwerbstätigkeit nachgeht oder gegangen ist und dafür zB eine Rente oder eine Leistung bei Arbeitslosigkeit erhält.
Der typische Anwendungsfall ist der eines Versicherten, der in einem Mitgliedstaat (Beschäftigungsland) als Arbeitnehmer oder Selbständiger beschäftigt ist, während seine Familie weiterhin in einem anderen Mitgliedstaat (Wohnsitzland) lebt.
Im Beschwerdefall hat die Bf. im Streitzeitraum keine iSd Art. 1 lit. a iVm Art. 11 leg. cit. geforderte Beschäftigung in Österreich ausgeübt. Vielmehr lebt die Bf. mit ihrem Lebensgefährten und dem gemeinsamen Kind in Österreich. Der Familienwohnsitz der Bf. befindet sich in Österreich, während das Kind ***1*** seinen Familienwohnsitz bei ihrer Großmutter in der Slowakei hat.
Eine Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit - wie sie in der VO (EG) 883/2004 vorgesehen ist - hat mangels Vorliegens einer Beschäftigung der Bf. in Österreich - nicht zu erfolgen.
Weiters ist - wie bereits vom FA ausgeführt - nach § 2 Abs. 2 FLAG 1967 ein Familienbeihilfenanspruch für ***1*** mangels Vorliegens der Haushaltszugehörigkeit bzw. Tragung der Unterhaltskosten nicht gegeben.
Aufgrund der o.a. gesetzlichen Regelungen besteht für die Bf. der Anspruch auf Familienbeihilfe (Differenzzahlung, Kinderabsetzbeträge, Geschwisterstaffelung) für den Zeitraum Jänner 2019 - März 2021 nicht.
Da für den angeführten Zeitraum ein Anspruchstatbestand nicht bestand, war das Vorliegen der Rückforderungsvoraussetzungen zu prüfen:
Die Rückforderungstatbestände entsprechen mutatis mutandis den Anspruchstatbeständen.
Fehlt im Rückforderungszeitraum die Voraussetzung für einen Anspruch auf Familienbeihilfe (Differenzzahlung), wurde aber dessen ungeachtet vom Finanzamt Familienbeihilfe ausbezahlt, hat eine Rückforderung zu erfolgen (vgl. Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG, Familienlastenausgleichsgesetz, Kommentar 2, § 26 Rz 20 ff).
Aus § 26 Abs. 1 FLAG 1967 und § 33 Abs. 3 EStG 1988 ergibt sich eine objektive Rückzahlungspflicht desjenigen, der Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag zu Unrecht bezogen hat (vgl. die bei Wanke in Lenneis/Wanke, FLAG 2. A. § 26 Rz 12 zitierte Rechtsprechung).
Fehlt es an einem Anspruch auf Familienbeihilfe ist auch der Kinderabsetzbetrag zurückzufordern.
Es kommt nur auf die objektive Rechtswidrigkeit des Bezugs der Familienleistungen an (vgl. etwa ; ), also auf das Fehlen der Anspruchsvoraussetzungen für den Leistungsbezug (vgl. ; ). Subjektive Momente, wie Verschulden an der (ursprünglichen oder weiteren) Auszahlung der Familienleistungen (etwa durch unrichtige Angaben im Antrag gemäß § 10 FLAG 1967 oder Verstoß gegen die Meldepflicht gemäß § 25 FLAG 1967), Gutgläubigkeit des Empfangs der Familienbeihilfe und des Kinderabsetzbetrags oder die Verwendung der Familienbeihilfe und des Kinderabsetzbetrags, sind nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für die Verpflichtung zur Rückerstattung unrechtmäßiger Beihilfenbezüge unerheblich. Gleiches gilt für den gutgläubigen Verbrauch der Beträge (vgl. die bei Wanke in Lenneis/Wanke, FLAG 2. A. § 26 Rz 13 zitierte Rechtsprechung). Entscheidend ist lediglich, ob der Empfänger die Beträge zu Unrecht erhalten hat (vgl. etwa oder ).
Die objektive Erstattungspflicht hat zur Folge, dass der Behörde, sobald die Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug von Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag nicht mehr gegeben sind, hinsichtlich der Rückforderung von bereits bezogener Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag kein Ermessensspielraum bleibt (vgl. ).
Die Bf. wendet ein, dass sie die Anträge samt den Nachweisen regelmäßig dem FA Spittal Villach vorgelegt hat, dass diese eingehend geprüft worden seien und erst dann habe sie die Familienbeihilfe ausbezahlt erhalten. Der Unmut der Bf. ist verständlich, vermag aber angesichts der objektiven Erstattungspflicht bei Familienleistungen der Beschwerde nicht zum Erfolg zu verhelfen.
Mit ihrem Vorbringen nimmt die Bf. Bezug auf den Grundsatz von Treu und Glauben. Das heißt, dass jeder, der am Rechtsleben teilnimmt zu seinem Wort und zu seinem Verhalten zu stehen hat und sich nicht ohne triftigen Grund in Widerspruch zu dem setzen darf, was er früher vertreten hat und worauf andere vertraut haben ( uvam.).
Der Grundsatz von Treu und Glauben steht im Widerspruch zum Legalitätsprinzip des Art. 18 Abs. 1 B-VG, wonach die gesamte staatliche Verwaltung nur auf Grund der Gesetze ausgeübt werden darf. Dieser Grundsatz ist stärker als jeder andere Grundsatz, insbesondere als jener von Treu und Glauben. Der Grundsatz von Treu und Glauben kann somit nur insoweit Auswirkungen zeitigen, als das Gesetz der Vollziehung einen Vollzugsspielraum einräumt, insbesondere bei Ermessensentscheidungen ().
§ 26 Abs. 1 - 3 FLAG 1967 ist keine Ermessensentscheidung. Billigkeitsüberlegungen sind im Rückforderungsverfahren nach leg. cit. vom Finanzamt oder vom Bundesfinanzgericht nicht anzustellen ().
Die Bf. ist der Ansicht, dass die als Begründung für die Rückforderung angeführte EU-Verordnung keine neu hervorgekommene Tatsache sei, die eine Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 303 Abs. 4 BAO rechtfertige. Wie dargelegt ist Grundlage für die Rückforderung § 26 Abs. 1 FLAG 1967 iVm § 33 Abs. 3 EStG 1988 und nicht § 303 Abs. 4 BAO.
Verständlich ist die von der Bf. angeführte psychische und finanzielle Belastung der Rückforderung. Soweit die Bf. das "Nichteingehen" auf ihre Anträge auf Nachsicht nach § 236 Abs. 1 BAO bzw. nach § 26 Abs. 4 BAO im Rahmen der Beschwerdevorentscheidung rügt, ist darauf hinzuweisen, dass diese Anträge gesondert vom FA zu behandeln sind. Im Rahmen einer Beschwerdevorentscheidung ist darüber nicht abzusprechen.
Die Bf. rügt auch den Umstand, dass die Rückforderung erst nach über zwei Jahren nach erfolgter Auszahlung erfolgte. Dazu ist festzuhalten, dass der Anspruch auf Rückforderung von Familienbeihilfe mit Beginn des Monats, für das die Familienbeihilfe zu Unrecht gewährt wurde, entsteht. Nach § 207 Abs. 4 BAO verjährt das Recht, die Rückzahlung zu Unrecht bezogener Beihilfen zurückzufordern, in fünf Jahren.
Die Rückforderung der Familienbeihilfe ("Geschwisterstaffelung" € 7,10 für 27 Monate vgl. § 8 Abs. 3 Z 3 lit a FLAG 1967), der Differenzzahlung und der Kinderabsetzbeträge erfolgte damit zurecht.
Die Beschwerde war aus den angeführten Gründen abzuweisen.
Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Diese Voraussetzung liegt im Beschwerdefall nicht vor. Die gegenständliche Entscheidung basiert auf der klaren gesetzlichen Bestimmung des § 26 Abs. 1 FLAG 1967 wie auf zahlreichen höchstgerichtlichen o.a. Erkenntnissen.
Klagenfurt am Wörthersee, am
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