Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 27.10.2022, RV/7101663/2022

Ansässigkeit iS von Doppelbesteuerungsabkommen Mittelpunkt der Lebensinteressen Anrechnungshöchstbetrag

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht erkennt durch seine Richterin MMag. Elisabeth Brunner über die Beschwerde des A***B***, vertreten durch Ernst & Young Steuerberatungs- und Wirtschaftsprüfungs GmbH, 1220 Wien, Wagramer Straße 19 gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 2/20/21/22 betreffend Einkommensteuer 2012 zu Recht:

Der angefochtene Bescheid wird abgeändert.

Die Bemessungsgrundlagen und die Höhe der festgesetzten Abgabe sind dem als Beilage angeschlossenen Berechnungsblatt zu entnehmen und bilden einen Bestandteil des Spruches dieses Erkenntnisses.

Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art 133 Abs 4 B-VG ist nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Der Beschwerdeführer wurde von seinem österreichischen Arbeitgeber (O***GmbH) ab befristet bis nach Kanada entsendet. Er begründete dort einen Wohnsitz zur Dienstverrichtung. Im Anschluss an die Entsendung erhielt der Beschwerdeführer ab einen bis befristeten lokalen Dienstvertrag bei der kanadischen Niederlassung des Unternehmens. Mit begründete er einen Wohnsitz in Deutschland, wo er ein unbefristetes lokales Dienstverhältnis begründete.

Vom Finanzamt wurde der Beschwerdeführer sowohl im Jahr 2011 als auch im Jahr 2012 als (im Sinn des Doppelbesteuerungsabkommens mit Kanada) in Österreich ansässig qualifiziert und daher mit seinem Welteinkommen - unter Anrechnung der in Kanada bezahlten Steuer - in Österreich der Einkommensteuer unterworfen. Für das Jahr 2011 wurde auch vom Beschwerdeführer die (DBA-)Ansässigkeit in Österreich gesehen.

Die für das Jahr 2012 angenommene Ansässigkeit in Österreich begründete das Finanzamt im Wesentlichen damit, dass davon ausgegangen werden könne, dass der Beschwerdeführer während des 70-tägigen Inlandsaufenthalts im Zeitraum bis seine Wohnung in Wien genutzt habe. Es sei verifiziert, dass ein Verbleib des Beschwerdeführers in Kanada von Anfang an nicht geplant gewesen sei. Die vorgelegte Ansässigkeitsbescheinigung sei nicht ausreichend. So habe der VwGH zB die Verlagerung des Mittelpunkts des Lebensinteresses eines Dienstnehmers nach Irland mit der Begründung verneint, dass die Beibehaltung der Wohnstätte an jenem Ort, wo das bisherige Leben der betreffenden Person stattfand, zusammen mit anderen Umständen dafür sprechen könne, den Mittelpunkt des Lebensinteresses in diesem Staat beizubehalten (). Diese anderen Umstände wären im Anlassfall die österreichische Staatsbürgerschaft und der durchgehende Verbleib in der österreichischen Sozialversicherung. Die Dienstverrichtung in Kanada habe auch keine 5 Jahre oder länger gedauert, sodass auch die zeitliche Komponente nicht für eine Verlegung des Mittelpunkts der Lebensinteressen sprechen würde. Österreich sei daher als Ansässigkeitsstaat zu beurteilen.

Dagegen brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, er habe mit Beginn der Entsendung einen Wohnsitz in Kanada begründet, welchen er erst nach Beendigung seines lokalen Dienstverhältnisses im Jänner 2015 aufgegeben habe. Er sei nach Kanada umgezogen und habe danach einen lokalen Dienstvertrag in Kanada erhalten. Sein Lebensmittelpunkt habe sich im Jahr 2012 nach Kanada verlagert. Als Nachweis für die Ansässigkeit in Kanada sei auch die Ansässigkeitsbescheinigung aus Kanada anzusehen. Der Beschwerdeführer habe beabsichtigt gehabt, seine Wohnung in Wien zu vermieten. Da er jedoch keinen Nachmieter gefunden habe, sei die Wohnung während der Entsendung leer gestanden. Im Jahr 2012 sei der Beschwerdeführer Single gewesen. Während der Entsendung sei er im österreichischen Sozialversicherungssystem verblieben, da bei einer Entsendung bis zu 24 Monaten weiterhin das Recht des Entsendungsstaates anzuwenden sei. Die Tatsache, dass sich der Beschwerdeführer mit Beginn des lokalen Dienstverhältnisses in Kanada im österreichischen Sozialversicherungssystem selbst versichert habe, habe keine Indizwirkung im Zusammenhang mit dem Lebensmittelpunkt. Zusammenfassend lasse sich festhalten, dass der Beschwerdeführer mit Beginn des Jahres 2012 als nicht in Österreich ansässig anzusehen sei, da sich sein persönlicher und vor allem wirtschaftlicher Lebensmittelpunkt während seiner Entsendung und der anschließenden Lokalisierung in Kanada als auch mit Beginn seines lokalen Dienstverhältnisses in Deutschland nicht in Österreich zu sehen sei.

Über die Beschwerde wurde erwogen:

Strittig ist Verlagerung des Mittelpunkts der Lebensinteressen Anfang 2012 von Österreich nach Kanada

Beweis wurde erhoben insbesondere durch Einsichtnahme in die österreichische und die kanadische Steuererklärung, den kanadischen Steuerbescheid, die vorgelegte kanadische Ansässigkeitsbescheinigung für 2012, die vom Beschwerdeführer erstellten "Calendar Reports", den Versicherungsdatenauszug, das öffentliche Grundbuch und das zentrale Melderegister.

Danach steht folgender Sachverhalt fest:

Der Beschwerdeführer wurde von seinem österreichischen Arbeitgeber, der O***GmbH ab befristet bis nach Kanada zur kanadischen Niederlassung entsendet. Im Anschluss daran erhielt er einen bis befristeten lokalen Dienstvertrag bei der O***GmbH in Kanada. Die Dienstverrichtungen in Kanada dauerten demnach in Summe dreieinhalb Jahre. Während dieser dreieinhalb Jahre war der Beschwerdeführer in Kanada ausschließlich befristet tätig. Der Aufenthalt in Kanada war von Anfang an nur als befristet geplant.

Das Beschäftigungsverhältnis zum österreichischen Arbeitgeber blieb zumindest während der Zeit der Entsendung aufrecht. Seit 2015 hat der Beschwerdeführer ein unbefristetes Dienstverhältnis in Deutschland.

Von den 189 Arbeitstagen, die auf die Zeit der Entsendung bis entfallen, entfallen 32 Arbeitstage auf Österreich, 157 auf Kanada.

Im Zeitraum vom bis entfallen von 66 Arbeitstagen 10 auf Österreich und 56 auf Kanada.

Von den 16 im Jahr 2012 konsumierten Urlaubstagen verbrachte der Beschwerdeführer 15 in Österreich. Den Österreichurlaub nutzte er um seine in Österreich lebenden Eltern zu besuchen.

Während der Dauer der Entsendung (bis ) verblieb der Beschwerdeführer als entsendeter Arbeitnehmer eines österreichischen Unternehmens im österreichischen Sozialversicherungssystem. Ab hat sich der Beschwerdeführer im österreichischen Sozialversicherungssystem selbst- bzw weiterversichert.

Der Beschwerdeführer begründete mit Beginn seiner Entsendung in Kanada einen Wohnsitz zur Dienstverrichtung. In Österreich verfügte er über eine Eigentumswohnung (Grundbuchsauszug). Diese behielt er als Wohnsitz bei. Bis hatte er dort seinen Hauptwohnsitz gemeldet. Mit begründete er einen Wohnsitz in Deutschland.

Die Wohnung in Wien wurde vom Beschwerdeführer im Jahr 2012 während seiner Urlaubs- und Arbeitstage in Österreich bis zumindest genutzt.

Die durchschnittlichen Wohnkosten für eine 2-Zimmer-Wohnung inklusive Betriebskosten in Kanada betragen ca € 1.350 (davon € 150,00 Betriebskosten). Demnach sind für das Streitjahr € 16.200 als angemessene Kosten für die doppelte Haushaltsführung anzusehen.

Für ausländische Pflichtversicherungen leistete der Beschwerdeführer im Jahr 2012 insgesamt Beiträge iHv € 2.013,28.

Der Beschwerdeführer vollendete im Streitjahr das 24. Lebensjahr. Er war Single. Seine Eltern lebten in Österreich. Weitere persönliche Verhältnisse in Österreich können nicht festgestellt werden.

Es kann auch nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer über persönliche Beziehungen in Kanada verfügte, die über die mit einer Berufstätigkeit üblicherweise verbundenen hinausgehen.

Von seinem Arbeitgeber sind dem Beschwerdeführer vom bis folgende Bezüge zugeflossen (in Euro):


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Gesamt
Kanada
Österreich
Arbeitstage 2012
189 AT
157 AT
32 AT
Bruttoeinkommen gesamt
56.522,71
46.952,73
9.569,98
Steuerfreie Bezüge gem. § 68
774,00
642,95
131,05
Bezüge gem § 67 (1,2)
7.942,45
5.009,80
2.932,65
insges einbeh SV
8.235,02
6.840,73
1.394,29
abzgl SV f Bez Kz. 220
1.355,78
855,18
500,60
sonstige steuerfreie Bezüge
225,00
186,90
38,10
Steuerpflichtige Bezüge
40.702,02
35.127,53
5.574,49
Anrechenbare Lohnsteuer
0,00

Die Bezüge aus nichtselbständiger Arbeit für den Zeitraum bis betragen CAD 37.680,39, umgerechnet € 74.968,87.

Die Höhe der in Kanada tatsächlich entrichteten Steuer beträgt nach dem vorliegenden Steuerbescheid 60.138,58 CAD, umgerechnet nach dem Referenzkurs der Österreichischen Nationalbank für 2012 von 1,2842 sind das € 46.829,60.

Die für die Ermittlung des Anrechnungshöchstbetrages maßgeblichen Werte betragen:

Österreichische Einkommensteuer: € 39.092,41

Auslandseinkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (nach Tarif besteuert): € 87.541,71

Welteinkommen 2012: € 110.460,95

Ermittlung der anrechenbaren ausländischen Steuern (Anrechnungshöchstbetrag):

Quellenstaateinkünfte x österreichische Einkommensteuer / veranlagungspflichtiges Welteinkommen
87.541,71 x 39.092,41 / 110.460,95 = 30.981,23

In Kanada tatsächlich entrichtete Steuer: € 46.829,60

In Österreich daher anrechenbar: € 30.981,23 (Anrechnungshöchstbetrag)

Beweiswürdigung:

Das Dienstverhältnis bei der O***GmbH, die Entsendung, deren Dauer, sowie die anschließende befristete Anstellung sind unstrittig.

Die Aufteilung der Arbeits-, Urlaubs und Freizeittage ist den vom Beschwerdeführer vorgelegten "Calendar Reports" entnommen und ist ebenfalls unstrittig.

Die Daten zur Sozialversicherung ergeben sich aus dem Versicherungsdatenauszug und sind somit erwiesen.

Die Feststellungen, dass, wann und wo der Beschwerdeführer Wohnsitze innehatte beruhen auf den diesbezüglichen Vorbringen und sind unstrittig. Die Meldedaten, insbesondere der Umstand der Abmeldung des Hauptwohnsitzes in Österreich mit stammen aus dem zentralen Melderegister.

Dass der Beschwerdeführer seine Wohnung in Österreich, an der er seinen Hauptwohnsitz gemeldet hatte, während seiner Aufenthalte benutzt hat, ist naheliegend. Die Wohnung war nicht vermietet und stand nach den Angaben des Beschwerdeführers leer. Die Nutzung der Wohnung während der Inlandsaufenthalte wurde dem Beschwerdeführer vom Finanzamt vorgehalten (zB Bescheidbegründung vom ) und blieb unbestritten. Der Beschwerdeführer brachte dazu lediglich vor, dass eine Vermietung beabsichtigt gewesen sei, ein geeigneter Mieter aber nicht habe gefunden werden können.

Die Höhe der geleisteten ausländischen Pflichtversicherungsbeiträge entspricht dem diesbezüglichen nachvollziehbaren, unbedenklichen Vorbringen des Beschwerdeführers.

Die Höhe der Wohnungskosten für eine durchschnittlichen 2-Zimmer-Wohnung inklusive Betriebskosten in Kanada wurde vom Finanzamt geschätzt (Internetrecherche: Lebenshaltungskosten in Kanada (numbeo.com); Kanada Mietwohnungen Preise (destinationkanada.ca); Lebenshaltungskosten und Ausgaben in Kanada (welt-preise.de)) und blieb seitens des Beschwerdeführers unbestritten.

Die persönlichen Verhältnisse sind unstrittig. Dass der Beschwerdeführer während seines Jahresurlaubs seine Eltern besuchen wollte, wurde von diesem selbst vorgebracht (Stellungnahme vom ) und ist nachvollziehbar.

Zu seinen persönlichen Beziehungen zu Kanada wurde der Beschwerdeführer vom Finanzamt befragt (zB Vorhalt vom , in dem der Beschwerdeführer um Auskunft über Wohnort von Eltern, eventuellen Geschwistern, Kindern etc ersucht wurde), bzw wurde ihm die Annahme der überwiegenden persönlichen Beziehungen zu Österreich vorgehalten (zB Bescheidbegründung vom ). Dazu brachte der Beschwerdeführer lediglich vor, er habe auch seine Freizeit überwiegend in Kanada verbracht, was aus dem Kalender für 2012 ersichtlich sei. Auf diesem wären im Jahr 2012 insgesamt 70 Tage in Österreich, davon 42 Arbeitstage ausgewiesen. Wo Eltern und Geschwister wohnen sei für die Feststellung des Lebensmittelpunktes eines Erwachsenen nicht maßgeblich (Vorhaltsbeantwortung vom ).

Diese Vorbringen, die sich ausschließlich auf den Vergleich der Dauer des Aufenthalts in Kanada bzw Österreich beschränken, sind nicht dazu geeignet, persönliche, keinesfalls überwiegende persönliche Beziehungen zu Kanada darzutun. Längere Aufenthalte am Arbeitsort im weit entfernten Ausland enthalten in der Regel entsprechend lange arbeitsfreie Zeiten, die am Arbeitsort verbracht werden.

Dem Beschwerdeführer ist zuzustimmen, dass es nicht ungewöhnlich ist, den Urlaub bei den Eltern verbringen zu wollen. Die Feststellung, dass der Jahresurlaub jedenfalls praktisch zur Gänze in Österreich verbracht wurde wird damit jedenfalls nicht bestritten.

Dass der Aufenthalt in Kanada von Anfang an befristet geplant war, kann aufgrund der befristeten Verträge (Entsende- bzw Dienstvertrag) angenommen werden und ist durch den Wegzug aus Kanada mit Ende des Dienstverhältnisses bestätigt.

Die Höhe der in Kanada tatsächlich entrichteten Steuer (60.138,58 CAD) ist dem vorliegenden kanadischen Steuerbescheid entnommen.

Im Übrigen sind die Feststellungen unstrittig.

Rechtlich folgt daraus:

Artikel 15 Abs 1 DBA-Kanada lautet:

"Unselbständige Arbeit
(1) Vorbehaltlich der Artikel 16, 18 und 19 dürfen Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person aus unselbständiger Arbeit bezieht, nur in diesem Staat besteuert werden, es sei denn, dass die Arbeit in dem anderen Vertragsstaat ausgeübt wird. Wird die Arbeit dort ausgeübt, so dürfen die dafür bezogenen Vergütungen in dem anderen Staat besteuert werden.
"

Demzufolge steht Kanada als Tätigkeitsstaat die Besteuerung der im Jahr 2012 in Kanada bezogenen Einkünfte des Beschwerdeführers zu. Das schließt allerdings eine Besteuerung in Österreich dann nicht aus, wenn der Beschwerdeführer in Österreich ansässig war. Die Doppelbesteuerung dieser Einkünfte wird nach Art 23 DBA-Kanada vermieden, indem die in Kanada gezahlte Steuer auf die nach österreichischem Recht für diese Einkünfte ermittelte Steuer angerechnet wird. Der anzurechnende Betrag darf jedoch den Teil der vor der Anrechnung ermittelten Steuer vom Einkommen nicht übersteigen, der auf die Einkünfte, die in Kanada besteuert werden dürfen, entfällt (Art 23 Abs 2 DBA-Kanada).

In welchem Vertragsstaat eine Person ansässig ist, richtet sich nach Art 4 DBA-Kanada. Dieser lautet auszugsweise:
"Steuerlicher Wohnsitz
(1) Im Sinne dieses Abkommens bedeutet der Ausdruck "eine in einem Vertragsstaat ansässige Person" eine Person, die nach dem Recht dieses Staates dort auf Grund ihres Wohnsitzes, ihres ständigen Aufenthaltes, des Ortes ihrer Geschäftsleitung oder eines anderen ähnlichen Merkmals steuerpflichtig ist.
(2) Ist nach Absatz 1 eine natürliche Person in beiden Vertragsstaaten ansässig, so gilt folgendes:
a) Die Person gilt als in dem Vertragsstaat ansässig, in dem sie über eine ständige Wohnstätte verfügt. Verfügt sie in beiden Vertragsstaaten über eine ständige Wohnstätte, so gilt sie als in dem Vertragsstaat ansässig, zu dem sie die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hat.
[…]
"

Außer Streit steht, dass der Beschwerdeführer sowohl in Österreich als auch in Kanada einen Wohnsitz hatte. Den Wohnsitz in Kanada nutzte der Beschwerdeführer zur Dienstverrichtung, seinen Wohnsitz in Österreich hat er auch im Jahr 2012 als Hauptwohnsitz (bis 13.12.) beibehalten und benützt. Er ist demnach als nach Art 4 Abs 1 DBA-Kanada in beiden Staaten ansässig einzustufen. In diesem Sinne ist auch die vorgelegte Ansässigkeitsbescheinigung zu werten.

Für den Fall, dass eine natürliche Person in beiden Vertragsstaaten über eine ständige Wohnstätte verfügt (), ist nach Art 4 Abs 2 lit a DBA-Kanada der Staat als Ansässigkeitsstaat iSd Doppelbesteuerungsabkommens anzusehen, zu dem sie die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hat (Mittelpunkt der Lebensinteressen). Dabei ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (zB ; ; ) auf das Gesamtbild der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse abzustellen, wobei das Überwiegen der Beziehungen zum einen oder anderen Staat den Ausschlag gibt (vgl Hofstätter/Reichel, § 1 EStG 1988, Tz 9). Wirtschaftlichen Beziehungen kommt dabei in der Regel eine geringere Bedeutung zu als persönlichen Beziehungen. Unter letzteren sind all jene zu verstehen, die einen Menschen aus in seiner Person liegenden Gründen mit jenem Ort verbinden, an dem er einen Wohnsitz innehat. Von Bedeutung sind dabei familiäre Bindungen sowie Betätigungen gesellschaftlicher, religiöser und kultureller Art und andere Betätigungen zur Entfaltung persönlicher Interessen und Neigungen (vgl ), aber auch Verbindungen zu Sachgesamtheiten, wie Privatsammlungen, und die Mitgliedschaft in Vereinen und andere soziale Engagements. Wirtschaftliche Bindungen gehen vor allem von örtlich gebundenen Tätigkeiten und von Vermögensgegenständen in Form von Einnahmequellen aus.

Der Mittelpunkt der Lebensinteressen ist durch eine zusammenfassende Wertung aller Umstände zu ermitteln. Entscheidend ist letztlich, welcher Vertragsstaat für die Person der bedeutungsvollere ist.

Das Beibehalten der Wohnstätte im Entsendestaat ist als Indiz dafür anzusehen, dass der Mitarbeiter den Mittelpunkt der Lebensinteressen nicht in den anderen Staat verlagert hat. Auch der Verwaltungsgerichtshof führt in diesem Sinne aus: "Begründet eine Person in einem Staat eine Wohnstätte, ohne ihre im anderen Staat schon bestehende Wohnstätte aufzugeben, so kann die Tatsache, dass sie die erste Wohnstätte beibehält, wo sie bisher gelebt und gearbeitet hat und wo sie ihre Familie und ihren Besitz hat, zusammen mit anderen Gesichtspunkten dafür sprechen, dass sie den Mittelpunkt der Lebensinteressen im ersten Staat beibehalten hat. Eine zeitlich begrenzte Auslandstätigkeit lässt den Mittelpunkt der Lebensinteressen auch dann im Inland bestehen, wenn die Familie an den Arbeitsort im Ausland mitzieht, die Wohnung im Inland aber beibehalten wird.
Bei der Ermittlung des Mittelpunktes der Lebensinteressen ist regelmäßig nicht nur auf die Verhältnisse eines Jahres, sondern auf einen längeren Beobachtungszeitraum abzustellen …
" (vgl und die dort zitierte Literatur)

Bei der Ermittlung des Mittelpunktes der Lebensinteressen ist regelmäßig nicht nur auf die Verhältnisse eines Jahres, sondern auf einen längeren Beobachtungszeitraum abzustellen (vgl ; ). Dieser Zeitraum sollte zwei Jahre übersteigen. Nach der Rsp (vgl zB ; ; ) ist bei gleichgewichtigen persönlichen Beziehungen zu einem Vertragsstaat und wirtschaftlichen Beziehungen zum anderen Vertragsstaat im Zweifel den näheren persönlichen Beziehungen und dabei wiederum der Gestaltung des Familienlebens der Vorrang zu geben (). Die wirtschaftlichen Verhältnisse sind nur in besonders gelagerten Einzelfällen ausschlaggebend (EAS 1712), insbesondere bei gleichgewichtigen persönlichen Verhältnissen (). Entscheidend ist aber letztlich, welcher Vertragsstaat für die Person der bedeutungsvollere ist ().

Im gegenständlichen Fall gelangt das Bundesfinanzgericht nach Prüfung der besonderen Umstände des Einzelfalls bei der gebotenen Betrachtung eines längeren Bobachtungszeitraumes aus nachstehenden Gründen zur Ansicht, dass sich der Mittelpunkt der Lebensinteressen des Beschwerdeführers im Jahr 2012 im Inland befand:

Die Entsendung dauerte 1 Jahr und 6 Monate, davon im Streitjahr 2012 bis , also 9 Monate. Zusammen mit dem unmittelbar an die Entsendung anschließenden zweijährigen Dienstverhältnis dauerte der Aufenthalt in Kanada 3 Jahre und 6 Monate. Der Aufenthalt war von Anfang an nur befristet geplant (befristete Entsendung und befristeter Dienstvertrag) und wurde mit dem Ende des Dienstverhältnisses Ende 2014 auch beendet.

Der Beschwerdeführer hat die Wohnung in Kanada nach Ende des befristeten Dienstverhältnisses aufgegeben und ist nach Deutschland übersiedelt, wo er ein unbefristetes Dienstverhältnis begründete. Die Wohnung in Österreich, die der Beschwerdeführer im Eigentum besaß und wo er auch den Hauptwohnsitz innehatte, wurde im Streitjahr (jedenfalls bis Mitte Dezember) beibehalten und benützt.

Der Beschwerdeführer blieb durchgehend im österreichischen Sozialversicherungssystem und arbeitete auch teilweise in Österreich.

Besondere persönliche Beziehungen zu Kanada konnten nicht festgestellt werden, dazu wurden vom Beschwerdeführer auch keine konkreten Ausführungen gemacht. Der Beschwerdeführer führt in der Stellungnahme vom aus, für die Feststellung des Lebensmittelpunktes sei der Umstand, wo man seinen Urlaub verbringe irrelevant. Es sei nicht ausschlaggebend, dass der Beschwerdeführer 15 von insgesamt 16 Urlaubstagen in Österreich verbracht habe. Aus der Tatsache, dass er während seines Jahresurlaubs seine in Österreich lebenden Eltern besuchen habe wollen, könnten auch keine Rückschlüsse gezogen werden, wo seine Ansässigkeit zu sehen sei. Dem wird entgegengehalten, dass ein - regelmäßiger - Besuch der Eltern aus Sicht des Bundesfinanzgerichts zum Familienleben zählt und mangels sonstiger familiärer Bezugspunkte für die Beurteilung der persönlichen Beziehungen des Beschwerdeführers maßgebend ist.

Für persönliche Beziehungen zu Kanada gibt es keinen einzigen Anhaltspunkt. Es kann daher gesamt betrachtet jedenfalls von überwiegenden persönlichen Beziehungen zu Österreich ausgegangen werden.

Wirtschaftliche Bindungen gehen vor allem von örtlich gebundenen Tätigkeiten und von Vermögensgegenständen in Form von Einnahmequellen aus (vgl ). Die im Streitjahr aus den bestehenden Dienstverhältnissen in Kanada resultierenden Einkünfte (Bruttoeinkommen von bis € 46.952,73 ) des Beschwerdeführers stellen den einzigen wirtschaftlichen Anknüpfungspunkt an Kanada dar. Demgegenüber hat der Beschwerdeführer auch in Österreich, wenn auch in deutlich geringerem Ausmaß Einkünfte erzielt (Bruttoeinkommen von bis € 9.569,98).

Es deutet auch kein Umstand darauf hin, dass der Beschwerdeführer seine wirtschaftliche Zukunft in Kanada gesehen hat. Im Gegenteil sprechen die befristeten Dienstverhältnisse und die kurze Gesamtaufenthaltsdauer von 3 Jahren und 6 Monaten ebenso wie das Verbleiben in der österreichischen Sozialversicherung dagegen. Nicht zuletzt wird die vorliegende Ansässigkeitsbescheinigung auch in diesem Zusammenhang als wichtiges Indiz für wirtschaftliche Beziehungen zu Kanada gewertet.

Für eine Verlagerung des Mittelpunkts der Lebensinteressen mit Beginn des Jahres 2012 (nach neun Monaten der 18 Monate dauernden Entsendung) haben sich keinerlei Indizien ergeben. In seiner Stellungnahme vom führte der Beschwerdeführer auch offensichtlich nur für den Zeitraum bis sinngemäß aus, dass aufgrund des Umstands, dass die Entsendung die Dauer von 24 Monaten nicht überschritten habe, weiterhin das Recht des Entsendestaates (Österreich) anzuwenden gewesen sei. Wieso dies aus Sicht des Beschwerdeführers nicht auch für die zweite Hälfte Entsendung vom bis gelten sollte ist nicht ersichtlich. Der Bezug zum Inland war jedenfalls im Jahr 2012 ebenso durchgehend gegeben und spricht für eine im Streitjahr fortbestehende Verwurzelung in Österreich und gegen eine Verlagerung des Mittelpunkts der Lebensinteressen mit .

Zusammengefasst ergibt sich, dass der Beschwerdeführer zu Kanada keine feststellbaren persönlichen Beziehungen, daher zu Österreich, insbesondere aufgrund des Wohnortes seiner Eltern die weitaus überwiegend engeren persönlichen Beziehungen hatte. Die wirtschaftlichen Beziehungen zu Kanada ergeben sich aus der Erzielung des überwiegenden Teils der Einkünfte durch die in Kanada ausgeübte Berufstätigkeit. Die wirtschaftlichen Beziehungen zu Kanada beschränken sich aber auch auf die Einkünfteerzielung.

Bei Abwägung der Gesamtheit der persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen des Beschwerdeführers zu den beiden Vertragsstaaten ergibt sich nach Ansicht des Bundesfinanzgerichts, dass im Streitjahr Österreich der bedeutungsvollere für den Beschwerdeführer gewesen ist. Österreich steht daher als Ansässigkeitsstaat iSd Art 4 DBA das Besteuerungsrecht auf das Welteinkommen des Beschwerdeführers zu.

Gemäß § 16 Abs 1 EStG sind Werbungskosten die Aufwendungen oder Ausgaben zur Erwerbung, Sicherung oder Erhaltung der Einnahmen. Dazu zählen auch Kosten für die doppelte Haushaltsführung.

Die Beibehaltung des Familienwohnsitzes ist aus der Sicht einer Erwerbstätigkeit, die in unüblicher Entfernung von diesem Wohnsitz ausgeübt wird, niemals durch die Erwerbstätigkeit, sondern immer durch Umstände veranlasst, die außerhalb dieser Erwerbstätigkeit liegen. Der Grund, warum Aufwendungen für die doppelte Haushaltsführung dennoch als Werbungskosten bei den aus der Erwerbstätigkeit erzielten Einkünften Berücksichtigung finden kann, liegt darin, dass derartige Aufwendungen so lange als durch die Erwerbstätigkeit veranlasst gelten, als dem Erwerbstätigen eine Wohnsitzverlegung in übliche Entfernung vom Ort der Erwerbstätigkeit nicht zugemutet werden kann.

Die Begründung eines eigenen Haushaltes am Beschäftigungsort bei gleichzeitiger Beibehaltung des Familienwohnsitzes (doppelte Haushaltsführung) ist beruflich veranlasst, wenn der Familienwohnsitz
vom Beschäftigungsort des Steuerpflichtigen so weit entfernt ist, dass ihm eine tägliche Rückkehr nicht zugemutet werden kann und entweder
die Beibehaltung des Familienwohnsitzes außerhalb des Beschäftigungsortes nicht privat veranlasst ist oder
die Verlegung des Familienwohnsitzes an den Beschäftigungsort nicht zugemutet werden kann.

Im vorliegenden Fall liegen diese Voraussetzungen vor, sodass die Kosten für die am Beschäftigunsort begründeten Wohnsitz als Werbungskosten bei der Einkünfteermittlung Berücksichtigung finden (iHv € 16.200,00).

Gemäß § 16 Abs 1 Z 4 EStG zählen Beiträge zu Pflichtversicherungen zu den Werbungskosten und werden ebenfalls bei der Einkünfteermittlung abgezogen.

Gemäß Art 23 Abs 2 DBA-Kanada kommt zur Vermeidung der Doppelbesteuerung die Anrechnungsmethode zur Anwendung.

Bei der Anrechnung der ausländischen Steuer kommt es nicht auf die speziellen Tarifregelungen des österreichischen Steuerrechts an. Die Anrechnung der ausländischen Steuer hat unabhängig davon zu erfolgen, ob bestimmte Bezüge in Österreich mit einem festen Steuersatz oder nach dem progressiven Tarif besteuert werden. Daher ist die ausländische Steuer auf die gesamte österreichische Einkommensteuer (Steuer laut Tarif und Steuer nach festen Sätzen) anzurechnen. Bei der Ermittlung des Anrechnungshöchstbetrags sind in diesem Sinne zur Ermittlung des auf die ausländischen Einkünfte anzuwendenden Durchschnittssteuersatzes die gesamte österreichische Einkommensteuer (Steuer laut Tarif und Steuer nach festen Sätzen) und das gesamte Einkommen zu berücksichtigen. Die fixbesteuerten Sonderzahlungen sind dabei in sämtliche Daten der Formel einzubeziehen. Sie erhöhen damit auch die "Auslandseinkünfte" ( mwN; Zorn, RdW 2017, 655; Schmidjell-Dommes, SWI 2017, 553 f).

Die maßgebliche Formel zur Berechnung des Anrechnungshöchstbetrages lautet daher (vgl zB nochmals Schmidjell-Dommes, SWI 2017, 553 f):

Einkommensteuer (Tarif + fester Satz) x Auslandseinkünfte (Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit + anteilige Sechstel) / Einkommen (gesamte veranlagte Einkünfte + Sechstelbezüge).

Angewendet auf den Streitfall ergibt dies folgende Berechnung:

Quellenstaateinkünfte x österreichische Einkommensteuer / veranlagungspflichtiges Welteinkommen
87.541,71 x 39.092,41 / 110.460,95 = 33.765,25

Die in Kanada tatsächlich entrichtete Steuer ist mit € 46.829,60 höher.

In Österreich daher anrechenbar: € 30.981,23 (Anrechnungshöchstbetrag)

Die beantragten Sonderausgaben werden (wie im Erstbescheid und der Beschwerdevorentscheidung) gemäß § 18 Abs 3 EStG zu einem Viertel berücksichtigt und entsprechend eingeschliffen.

Der angefochtene Bescheid ist dementsprechend gemäß § 279 Abs 1 BAO abzuändern.

Zur Unzulässigkeit der Revision:

Gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Zur Frage der Ansässigkeit iS von Doppelbesteuerungsabkommen liegt (einheitliche) Rechtsprechung des VwGH vor, von dieser wurde auch nicht abgewichen. Es handelt sich daher nicht um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung.

Beilage: 1 Berechnungsblatt

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
Art. 4 Abs. 1 DBA CDN (E, V), Doppelbesteuerungsabkommen Kanada (Einkommen- u. Vermögenssteuern), BGBl. Nr. 77/1981
Art. 23 Abs. 2 DBA CDN (E, V), Doppelbesteuerungsabkommen Kanada (Einkommen- u. Vermögenssteuern), BGBl. Nr. 77/1981
§ 16 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
ECLI
ECLI:AT:BFG:2022:RV.7101663.2022

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at