zurück zu Linde Digital
TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 22.06.2022, RV/7101205/2022

Vorrangiger Anspruch der haushaltsführenden in Polen lebenden Kindesmutter und daher Abweisung des Antrages des Kindesvaters

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***Ri*** über die Beschwerde des ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vom , gegen den Bescheid des Finanzamts ****FA** vom , betreffend Abweisung des Antrages auf Gewährung der Ausgleichszahlung zur Familienbeihilfe für den Zeitraum ab Juli 2016, zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Der Beschwerdeführer (Bf.), seine geschiedene Ehegattin und die Kinder ***A.***, geb. ***2009*** und ***B.***, geb. ***2014***, sind polnische Staatsbürger.

Der Bf. übt in Österreich eine Beschäftigung aus und bezog im Zeitraum Jänner 2013 bis Juni 2016 die Ausgleichszahlung zur Familienbeihilfe.

Auf Grund des Antrages der Kindesmutter vom stellte das Finanzamt die Zahlungen beim Bf. ein und gewährte der Kindesmutter ab Juli 2016 die Ausgleichszahlung.

Am brachte der Bf. beim Finanzamt einen Antrag auf Gewährung der Ausgleichszahlung/Differenzzahlung zur Familienbeihilfe ab Juli 2016 ein.

Der Antrag wurde vom Finanzamt mit Bescheid vom mit der Begründung abgewiesen, dass der Bf. trotz Aufforderung die abverlangten Unterlagen nicht eingebracht habe und dadurch seiner Mitwirkungspflicht nach § 115 BAO nicht nachgekommen sei. Es müsse angenommen werden, dass im genannten Zeitraum kein Anspruch auf Ausgleichszahlung zur Familienbeihilfe bestanden habe bzw. bestehe.

In seiner Beschwerde vom brachte der Bf. vor, dass er die Aufforderung nicht zugestellt bekommen habe. Das Finanzamt möge ihm das Schreiben nochmals übersenden, damit er die Unterlagen vorlegen könne.

Über Ergänzungsersuchen des Finanzamtes vom gab der Bf. bekannt, dass die Kinder bis im gemeinsamen Haushalt gemeldet gewesen seien und legte die Bescheinigung der polnischen Behörde vor, wonach seine Ehegattin bis im gemeinsamen Haushalt in ***Polen***, gemeldet war.

Das Finanzamt wies die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom mit der Begründung ab, dass die Ausgleichszahlung für die Kinder ***A.*** und ***B.*** ab Juli 2016 von der Kindesmutter bezogen werde, die im gemeinsamen Haushalt mit den Kindern lebe. Laut Familienlastenausgleichsgesetz 1967 habe jene Person vorrangig Anspruch auf Familienleistungen, welche die Kinder betreue.

Am langte beim Finanzamt ein Schreiben des Bf. ein, mit dem er die Ausgleichszahlung von Juli 2016 bis Juli 2017 mit der Begründung beantragte, dass die Kinder und seine Frau mit ihm bis Juli 2017 im gemeinsamen Haushalt wohnhaft gewesen seien. Die Scheidung sei 2017 gewesen.

Das Finanzamt wertete das Schreiben als Vorlageantrag und legte es dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Sachverhalt

Der Bf. übt in Österreich eine Beschäftigung aus.

Die Ehegattin ist in Polen erwerbstätig. Sie und die Kinder waren bis zum in ***Polen***, im gemeinsamen Haushalt mit dem Bf. gemeldet.

Die Ehe des Bf. wurde im Jahr 2017 geschieden.

Die geschiedene Ehegattin lebt mit den Kindern in ***X.***, im gemeinsamen Haushalt.

Der Bf. bezog im Zeitraum Jänner 2013 bis Juni 2016 die Ausgleichszahlung zur Familienbeihilfe.

Seit Juli 2016 bezieht die Kindesmutter die Ausgleichszahlung zur Familienbeihilfe.

In Polen wurden keine Familienleistungen beantragt.

Beweiswürdigung

Die Beschäftigungsverhältnisse des Bf. in Österreich ergeben sich aus dem Sozialversicherungsauszug.

Das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes des Bf. mit der Kindesmutter und den zwei Kindern bis zum ergibt sich aus der vorgelegten Meldebestätigung der polnischen Behörde (Abteilung für Bürgerangelegenheiten ***XX***) vom .

Die Abmeldung vom gemeinsamen Haushalt ergibt sich aus der Bescheinigung über die Abmeldung aus dem dauerhaften Aufenthalt des Stadtamtes; Abteilung für Bürgerangelegenheiten vom .

Der Erhalt der Ausgleichszahlung von Jänner 2013 bis Juni 2016 durch den Bf. ist durch eine Abfrage aus den Finanzanwendungen des Bundes erwiesen.

Laut Städt. Zentrum f. Soz.Unterstütz. ***XX*** vom und vom wurde in Polen kein Antrag auf Familiengeld und Erziehungsgeld in Anspruch genommen.

Der Kindergartenbesuch von ***B.*** im öffentlichen Kindergarten in ***XY*** und der Schulbesuch der Grundschule von ***A.*** in ***YZ*** ist durch die Bestätigungen vom erwiesen.

Gesetzliche Grundlagen:

Nationales Recht

Gemäß § 2 Abs. 1 lit. a FLAG 1967 haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, für minderjährige Kinder Anspruch auf Familienbeihilfe.

Gemäß § 2 Abs. 2 FLAG 1967 hat Anspruch auf Familienbeihilfe für ein im Abs. 1 genanntes Kind die Person, zu deren Haushalt das Kind gehört. Eine Person, zu deren Haushalt das Kind nicht gehört, die jedoch die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend trägt, hat dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn keine andere Person nach dem ersten Satz anspruchsberechtigt ist.

Gemäß § 2a Abs. 1 FLAG 1967 geht bei einem gemeinsamen Haushalt der Eltern der Anspruch des Elternteiles, der den Haushalt überwiegend führt, dem Anspruch des anderen Elternteiles vor. Bis zum Nachweis des Gegenteils wird vermutet, dass die Mutter den Haushalt überwiegend führt. Laut Abs. 2 kann in den Fällen des Abs. 1 der Elternteil, der einen vorrangigen Anspruch hat, zugunsten des anderen Elternteiles verzichten. Der Verzicht kann auch rückwirkend abgegeben werden, allerdings nur für Zeiträume, für die die Familienbeihilfe noch nicht bezogen wurde. Der Verzicht kann widerrufen werden.

Gemäß § 10 Abs. 2 FLAG 1967 wird die Familienbeihilfe vom Beginn des Monats gewährt, in dem die Voraussetzungen für den Anspruch erfüllt werden, und erlischt der Anspruch auf Familienbeihilfe mit Ablauf des Monats, in dem eine Anspruchsvoraussetzung wegfällt oder ein Ausschließungsgrund hinzukommt.

§ 4 FLAG 1967 normiert:

"(1) Personen, die Anspruch auf eine gleichartige ausländische Beihilfe haben, haben keinen Anspruch auf Familienbeihilfe.

(2) Österreichische Staatsbürger, die gemäß Abs. 1 oder gemäß § 5 Abs. 5 vom Anspruch auf die Familienbeihilfe ausgeschlossen sind, erhalten eine Ausgleichszahlung, wenn die Höhe der gleichartigen ausländischen Beihilfe, auf die sie oder eine andere Person (§ 5 Abs. 5) Anspruch haben, geringer ist als die Familienbeihilfe, die ihnen nach diesem Bundesgesetz ansonsten zu gewähren wäre.

(3) Die Ausgleichszahlung wird in Höhe des Unterschiedsbetrages zwischen der gleichartigen ausländischen Beihilfe und der Familienbeihilfe, die nach diesem Bundesgesetz zu gewähren wäre, geleistet.

(4) … (5) …

(6) Die Ausgleichszahlung gilt als Familienbeihilfe im Sinne dieses Bundesgesetzes; die Bestimmungen über die Höhe der Familienbeihilfe finden jedoch auf die Ausgleichszahlung keine Anwendung."

§ 53 Abs. 1 FLAG 1967 lautet:

Staatsbürger von Vertragsparteien des Übereinkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) sind, soweit es sich aus dem genannten Übereinkommen ergibt, in diesem Bundesgesetz österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt. Hiebei ist der ständige Aufenthalt eines Kindes in einem Staat des Europäischen Wirtschaftsraums nach Maßgabe der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen dem ständigen Aufenthalt eines Kindes in Österreich gleichzuhalten.

Internationales Recht

Für den Streitzeitraum ist die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (im Folgenden: VO 883/2004) maßgebend.

Diese Verordnung gilt für alle Rechtsvorschriften über Zweige der sozialen Sicherheit, welche Familienleistungen betreffen (Art. 3 Abs. 1 lit. j VO 883/2004). Die in Rede stehende Ausgleichszahlung ist eine Familienleistung.

Nach Art. 2 Abs. 1 VO 883/2004 gilt diese Verordnung für Staatsangehörige eines Mitgliedstaats, Staatenlose und Flüchtlinge mit Wohnort in dem Mitgliedstaat, für die die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, sowie für ihre Familienangehörigen und Hinterbliebenen.

Art. 1 lit. i VO 883/2004 lautet:

"Für die Zwecke dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck:

,Familienangehöriger':

jede Person, die in den Rechtsvorschriften, nach denen die Leistungen gewährt werden, als Familienangehöriger bestimmt oder anerkannt oder als Haushaltsangehöriger bezeichnet wird;

Art. 4 VO 883/2004 zufolge haben die Personen, für die diese Verordnung gilt, die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staates.

Art. 11 der VO 883/2004 bestimmt:

"1) Personen, für die diese Verordnung gilt, unterliegen den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Welche Rechtsvorschriften dies sind, bestimmt sich nach diesem Titel.

(2) Für die Zwecke dieses Titels wird bei Personen, die aufgrund oder infolge ihrer Beschäftigung oder selbstständigen Erwerbstätigkeit eine Geldleistung beziehen, davon ausgegangen, dass sie diese Beschäftigung oder Tätigkeit ausüben. (...)

(3) Vorbehaltlich der Artikel 12 bis 16 gilt Folgendes:

a) eine Person, die in einem Mitgliedstaat eine Beschäftigung oder selbstständige Erwerbstätigkeit ausübt, unterliegt den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats;

Art. 67 der VO 883/2004 lautet:

Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen

Eine Person hat auch für Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats, als ob die Familienangehörigen in diesem Mitgliedstaat wohnen würden. (…)

Art. 68 VO 883/2004 lautet:

Prioritätsregeln bei Zusammentreffen von Ansprüchen

(1) Sind für denselben Zeitraum und für dieselben Familienangehörigen Leistungen nach den Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten zu gewähren, so gelten folgende Prioritätsregeln:

a) Sind Leistungen von mehreren Mitgliedstaaten aus unterschiedlichen Gründen zu gewähren, so gilt folgende Rangfolge: an erster Stelle stehen die durch eine Beschäftigung oder eine selbständige Erwerbstätigkeit ausgelösten Ansprüche, darauf folgen die durch den Bezug einer Rente ausgelösten Ansprüche und schließlich die durch den Wohnort ausgelösten Ansprüche.

b) Sind Leistungen von mehreren Mitgliedstaaten aus denselben Gründen zu gewähren, so richtet sich die Rangfolge nach den folgenden subsidiären Kriterien:

i) bei Ansprüchen, die durch eine Beschäftigung oder eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausgelöst werden: der Wohnort der Kinder, unter der Voraussetzung, dass dort eine solche Tätigkeit ausgeübt wird, und subsidiär gegebenenfalls die nach den widerstreitenden Rechtsvorschriften zu gewährende höchste Leistung. Im letztgenannten Fall werden die Kosten für die Leistungen nach in der Durchführungsverordnung festgelegten Kriterien aufgeteilt;

ii) (…)

iii) bei Ansprüchen, die durch den Wohnort ausgelöst werden: der Wohnort der Kinder.

(2) Bei Zusammentreffen von Ansprüchen werden die Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften gewährt, die nach Absatz 1 Vorrang haben. Ansprüche auf Familienleistungen nach anderen widerstreitenden Rechtsvorschriften werden bis zur Höhe des nach den vorrangig geltenden Rechtsvorschriften vorgesehenen Betrags ausgesetzt; erforderlichenfalls ist ein Unterschiedsbetrag in Höhe des darüber hinaus gehenden Betrags der Leistungen zu gewähren. Ein derartiger Unterschiedsbetrag muss jedoch nicht für Kinder gewährt werden, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, wenn der entsprechende Leistungsanspruch ausschließlich durch den Wohnort ausgelöst wird.

(3) (….)

Art. 60 VO 987/2009 des europäischen Parlaments und des Rates vom zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (im Folgenden VO 987/2009) bestimmt:

Verfahren bei der Anwendung von Artikel 67 und 68 der Grundverordnung (DVO 883/2004)

(1) Die Familienleistungen werden bei dem zuständigen Träger beantragt. Bei der Anwendung von Artikel 67 und 68 der Grundverordnung ist, insbesondere was das Recht einer Person zur Erhebung eines Leistungsanspruchs anbelangt, die Situation der gesamten Familie in einer Weise zu berücksichtigen, als würden alle beteiligten Personen unter die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats fallen und dort wohnen. Nimmt eine Person, die berechtigt ist, Anspruch auf die Leistungen zu erheben, dieses Recht nicht wahr, berücksichtigt der zuständige Träger des Mitgliedstaats, dessen Rechtsvorschriften anzuwenden sind, einen Antrag auf Familienleistungen, der von dem anderen Elternteil, einer als Elternteil behandelten Person oder von der Person oder Institution, die als Vormund des Kindes oder der Kinder handelt, gestellt wird.

Rechtliche Beurteilung

Auf Grund der Erwerbstätigkeit des Bf. in Österreich ist nationales und internationales Recht anzuwenden.

§ 2 Abs. 2 erster Satz FLAG 1967 stellt hinsichtlich des Familienbeihilfenanspruchs primär auf die Haushaltszugehörigkeit mit einem Kind ab und nur subsidiär (§ 2 Abs. 2 zweiter Satz FLAG 1967) darauf ab, welche Person die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend trägt ().

Einem Anspruch auf Familienbeihilfe iSd zweiten Satzes des § 2 Abs. 2 FLAG 1967 steht der ausschließliche Anspruch einer Person, bei der das Kind im strittigen Zeitraum haushaltszugehörig war, zwingend entgegen (; ).

§ 2 Abs. 2 FLAG 1967 ist unionsrechtskonform (Art. 67 VO 883/2004 und Art. 60 Abs. 1 VO 987/2009) diskriminierungsfrei auszulegen, dass bei einer in einem anderen Mitgliedstaat der Union (Vertragsstaat des EWR oder in der Schweiz) wohnenden Familie, die unter die VO 883/2004 fällt, im Fall der Haushaltszugehörigkeit zu einem Elternteil für das haushaltszugehörige Kind unter denselben Voraussetzungen Familienbeihilfe bezogen werden kann, wie wenn diese Familie in Österreich wohnen würde ().

§ 2a FLAG 1967 normiert, wenn ein Kind zum gemeinsamen Haushalt der Eltern gehört, so geht der Anspruch des Elternteiles, der den Haushalt überwiegend führt, dem Anspruch des anderen Elternteiles vor. Bis zum Nachweis des Gegenteils wird vermutet, dass die Mutter den Haushalt überwiegend führt.

Laut Abs. 2 kann in den Fällen des Abs. 1 der Elternteil, der einen vorrangigen Anspruch hat, zugunsten des anderen Elternteiles verzichten. Der Verzicht kann auch rückwirkend abgegeben werden, allerdings nur für Zeiträume, für die die Familienbeihilfe noch nicht bezogen wurde. Der Verzicht kann widerrufen werden.

Zum Haushalt einer Person gehört ein Kind gemäß § 2 Abs. 5 FLAG 1967 dann, wenn es bei einheitlicher Wirtschaftsführung eine Wohnung mit dieser Person teilt. Die Bedingungen einer Haushaltszugehörigkeit sind in § 2 Abs. 5 FLAG 1967 näher umschrieben (vgl. ; ).

Aus Art. 67 der VO 883/2004 iVm. mit Art. 60 Abs. 1 der VO 987/2009 ergibt sich zum einen, dass eine Person Anspruch auf Familienleistungen auch für Familienangehörige erheben kann, die in einem anderen als dem für ihre Gewährung zuständigen Mitgliedstaat wohnen, und zum anderen, dass die Möglichkeit, Familienleistungen zu beantragen, nicht nur den Personen zuerkannt ist, die in dem zu ihrer Gewährung verpflichteten Mitgliedstaat wohnen, sondern auch allen "beteiligten Personen", die berechtigt sind, Anspruch auf diese Leistungen zu erheben, zu denen die Eltern des Kindes gehören, für das die Leistungen beantragt werden (, , uvm.).

Nach Art. 1 lit. i Nr. 1 der VO 883/2004 ist Familienangehöriger "jede Person, die in den Rechtsvorschriften, nach denen die Leistungen gewährt werden, als Familienangehöriger bestimmt oder anerkannt oder als Haushaltsangehöriger bezeichnet wird."

Die nunmehr geschiedene Ehegattin war und ist noch immer Familienangehörige iSd VO (, vgl. auch ).

Ist die VO 883/2004 anzuwenden, ist nach Art. 67 VO 883/2004 iVm Art. 60 Abs. 1 VO 987/2009 zu fingieren, dass sowohl die Voraussetzung des inländischen Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts (§ 2 Abs. 1 FLAG 1967) als auch die Voraussetzung des Mittelpunkt der Lebensinteressen im Bundesgebiet (§ 2 Abs. 8 FLAG 1967) hinsichtlich aller Mitglieder der jeweiligen Familie ("beteiligten Personen") vorliegt, auch wenn einzelne oder alle Mitglieder dieser Familie tatsächlich in einem anderen Mitgliedstaat der Union (des EWR oder in der Schweiz) wohnen (, ).

Ein Elternteil, der in einem anderen als dem zur Gewährung dieser Leistungen verpflichteten Mitgliedstaat wohnt, kann diejenige Person sein, die, wenn im Übrigen alle anderen durch das nationale Recht vorgeschriebenen Voraussetzungen erfüllt sind, zum Bezug der Familienleistungen berechtigt ist (vgl. Rn. 41 des , Trapkowski).

Der EuGH hat im Urteil vom , C-378/14, Trapkowski (Hr. Trapkowski wohnhaft in Deutschland, Kindesmutter und das Kind in Polen, beide Elternteile sind beschäftigt) auszugsweise ausgeführt:

"38 Aus Art. 67 der Verordnung Nr. 883/2004 in Verbindung mit Art. 60 Abs. 1 der Verordnung Nr. 987/2009 ergibt sich zum einen, dass eine Person Anspruch auf Familienleistungen auch für Familienangehörige erheben kann, die in einem anderen als dem für ihre Gewährung zuständigen Mitgliedstaat wohnen, und zum anderen, dass die Möglichkeit, Familienleistungen zu beantragen, nicht nur den Personen zuerkannt ist, die in dem zu ihrer Gewährung verpflichteten Mitgliedstaat wohnen, sondern auch allen "beteiligten Personen" , die berechtigt sind, Anspruch auf diese Leistungen zu erheben, zu denen die Eltern des Kindes gehören, für das die Leistungen beantragt werden. ...

40 Es obliegt jedoch der zuständigen nationalen Behörde, zu bestimmen, welche Personen nach nationalem Recht Anspruch auf Familienleistungen haben.

41 Nach alledem ist Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung Nr. 987/2009 dahin auszulegen, dass die in dieser Bestimmung vorgesehene Fiktion dazu führen kann, dass der Anspruch auf Familienleistungen einer Person zusteht, die nicht in dem Mitgliedstaat wohnt, der für die Gewährung dieser Leistung zuständig ist, sofern alle anderen durch das nationale Recht vorgeschriebenen Voraussetzungen für die Gewährung erfüllt sind, was von dem vorlegenden Gericht zu prüfen ist."

45 Zudem sieht Art. 60 Abs. 1 Satz 3 der Verordnung Nr. 987/2009 vor, dass dann, wenn eine Person, die berechtigt ist, Anspruch auf Familienleistungen zu erheben, dieses Recht nicht wahrnimmt, die zuständigen Träger der Mitgliedstaaten die Anträge auf Familienleistungen zu berücksichtigen haben, die von den in dieser Bestimmung genannten Personen oder Institutionen, zu denen der "andere Elternteil" gehört, gestellt werden.

46 Erstens geht sowohl aus dem Wortlaut als auch aus der Systematik von Art. 60 Abs. 1 der Verordnung Nr. 987/2009 hervor, dass zwischen der Einreichung eines Antrags auf Familienleistungen und dem Anspruch auf diese Leistungen zu unterscheiden ist.

47 Zweitens geht aus dem Wortlaut dieses Artikels auch hervor, dass es ausreicht, wenn eine der Personen, die Anspruch auf Familienleistungen erheben kann, einen Antrag auf deren Gewährung stellt, damit der zuständige Träger des Mitgliedstaats verpflichtet ist, diesen Antrag zu berücksichtigen.

48 Das Unionsrecht hindert diesen Träger jedoch nicht daran, in Anwendung seines nationalen Rechts zu dem Ergebnis zu gelangen, dass der Anspruch auf Familienleistungen für ein Kind einer anderen Person zusteht als der, die den Antrag auf diese Leistungen gestellt hat."

Wenn daher - wie im vorliegenden Fall - der leibliche Vater durch seine Erwerbstätigkeit eine Zuständigkeit Österreichs für die Ausgleichszahlung auslöst, sind nach der nach Art. 67 VO 883/2004 iVm Art. 60 VO 987/2009 vorzunehmenden Fiktion die beteiligten Personen - also Mutter und Kinder - als in Österreich aufhältig zu betrachten (, , , , ), da die Wohnsituation auf Grundlage der im Streitzeitraum im anderen EU-Mitgliedstaat gegebenen Verhältnisse (fiktiv) ins Inland übertragen wird.

Ob ein gemeinsamer Haushalt besteht, ist dagegen sachverhaltsbezogen festzustellen (, , , ).

Im vorliegenden Fall ist erwiesen, dass die (nunmehr geschiedene) Ehegattin mit den Kindern im Streitzeitraum im gemeinsamen Haushalt gelebt hat.

Nach nationalem Recht stünde der Ehegattin des Bf. keine Ausgleichszahlung für die Kinder zu. Da aber nach Art. 67 VO 883/2004 iVm Art. 60 Abs. 1 VO 987/2009 die Voraussetzung des inländischen Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts (§ 2 Abs. 1 FLAG 1967) und die Voraussetzung des Mittelpunktes der Lebensinteressen im Bundesgebiet (§ 2 Abs. 8 FLAG 1967) als gegeben anzusehen ist, besteht ein (von der Erwerbstätigkeit des Vaters in Österreich, auf den die österreichischen Rechtsvorschriften anzuwenden sind, abgeleiteter), grundsätzlicher und zufolge Haushaltsführung primärer Anspruch der Mutter auf Ausgleichszahlung zur Familienbeihilfe in Österreich.

Der Familienleistungsanspruch des in Österreich erwerbstätigen Familienteils (hier: des Vaters) wird nach § 2a Abs. 1 FLAG 1967 iVm Art. 67 VO 883/2004 und Art. 60 Abs. 1 Satz 2 VO 987/2009 durch den vorrangigen Familienleistungsanspruch des in einem anderen Mitgliedstaat der Union (des EWR oder in der Schweiz) lebenden Familienteils (hier: der Mutter) verdrängt. Gem. § 2a Abs. 1 geht der Anspruch des Elternteils vor, der den Haushalt überwiegend führt.

Das Bundesfinanzgericht folgt in seiner Auslegung von Art. 60 Abs. 1 VO 987/2009 dem dazu berufenen Gerichtshof der Europäischen Union. Der Anspruch der haushaltsführenden Mutter geht zufolge der Bestimmungen des § 2a Abs. 1 FLAG 1967 dem Anspruch des anderen Elternteiles, selbst bei gemeinsamer Haushaltsführung, vor (vgl. , ).

Die Ehegattin des Bf. hat zugunsten des Bf. nicht auf ihren Anspruch verzichtet.

Da der Bf. somit im Beschwerdezeitraum (ab Juli 2016) keinen Anspruch auf Ausgleichszahlung hatte, weil der Anspruch primär dem jeweils haushaltsführenden Elternteil, und damit der Kindesmutter zustand bzw. zusteht, erweist sich der Abweisungsbescheid des Finanzamtes als rechtsrichtig.

Das Finanzamt zahlt daher zu Recht der Kindesmutter seit Juli 2016 die Ausgleichszahlung zur Familienbeihilfe aus.

Die Beschwerde ist daher gemäß § 279 BAO als unbegründet abzuweisen.

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Unzulässigkeit der Revision:

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die Lösung der entscheidungswesentlichen Rechtsfrage ist bereits abschließend durch den dafür zuständigen EuGH erfolgt und das Erkenntnis des Gerichts basiert im Übrigen ausschließlich auf geltendem innerstaatlichen Recht, die Revision war daher nicht zuzulassen.

Wien, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Materie
Steuer
FLAG
betroffene Normen
Art. 1 lit. i VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1
Art. 4 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1
§ 2a Abs. 1 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
Art. 67 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1
§ 4 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
Art. 11 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1
Art. 60 VO 987/2009, ABl. Nr. L 284 vom S. 1
§ 53 Abs. 1 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
Art. 68 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2022:RV.7101205.2022

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at