Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 29.08.2022, RV/7100152/2021

Bei mitgliedsstaatsübergreifendem Sachverhalt vorrangiger Familienbeihilfenanspruch der haushaltsführenden Mutter (Tomislaw Tapkowski - C-378/14))

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin ***1*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Abweisung des Antrages auf Ausgleichszahlung für das Kind ***3*** ***2***, geb. 2009 September 2015 bis Mai 2020 zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Der Beschwerdeführer (Bf.) ***Bf1*** lebt in Ungarn, ***6***.

Laut Auskunftsverfahren Sozialversicherung war der Bf. in Österreich seit erwerbstätig, ab bezog der Bf. Pensionsbezug gemind. Arbeitsfähigkeit.

Am stellte der Bf. für seine Tochter ***2*** ***3***, geb. 2009, einen Antrag auf Ausgleichszahlung ab Sept. 2015.

Seine Tochter ***2*** lebt bei der Mutter ***4*** in Ungarn im gemeinsamen Haushalt in H-***5***.

Das Finanzamt wies den Antrag des Bf. vom auf Ausgleichszahlung für das Kind ***3*** ***2***, geb. 2009, ab Sept. 2015 mit Bescheid vom mit folgender Begründung ab:

"Gemäß § 2 Abs. 2 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) haben Personen Anspruch auf Familienbeihilfe für ein Kind, zu deren Haushalt das Kind gehört. Eine Person, zu deren Haushalt das Kind nicht gehört, die jedoch die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend trägt, hat dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn keine andere Person nach dem ersten Satz anspruchsberechtigt ist.
***2*** lebt nicht in Ihrem Haushalt.
Vermerkt wird, dass die mit
***2*** im selben Haushalt lebende Kindesmutter einen Antrag stellen kann. Über diesen wird dann gesondert abgesprochen."

Gegen diesen Bescheid brachte der Bf. fristgerecht Beschwerde ein.

"Sehr geehrte Damen und Herren, ich erhebe innerhalb offener Rechtfrist das Rechtsmittel der Beschwerde gegen den Abweisungsbescheid vom . Mit dem Bescheid ist mein Anspruch auf Familienbeihilfe für meine Tochter für die Zeit ab September 2015 abgewiesen worden. Ich bitte Sie, diesen Bescheid zu ändern und mir die Familienbeihilfe ab September 2015 zu gewähren. Begründung: In der Begründung des Abweisungsbescheides steht im Wesentlichen Folgendes: Meine Tochter lebt nicht in meinem Haushalt, sondern ist bei ihrer Mutter haushaltszugehörig. Die Haushaltszugehörigkeit geht vor der Kostentragung, deshalb habe ich kein Anspruch auf Familienbeihilfe/Ausgleichszahlung. Ich bezahle jeden Monat 400 EUR für den Unterhalt meiner Tochter an die Kindesmutter, damit trage ich die Unterhaltskosten meiner Tochter überwiegend."

Vorgelegt wurde eine schriftliche Erklärung der Mutter, datiert mit , dass der Bf. für das gemeinsame Kind ***2*** in den Jahren 2015 bis 2019 jeden Monat 400 EUR Kindesunterhalt in Bargeld bezahlt habe.

Das Finanzamt wies die Beschwerde des Bf., wohnhaft in Vasvari Pal Utca 42, H-7570 Bares, mit Beschwerdevorentscheidung ab und führte begründend aus:

"Gemäß § 2 Abs. 1 lit. a des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 (FLAG) haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, Anspruch auf Familienbeihilfe für minderjährige Kinder.
Abs. 2 FLAG 1967 bestimmt, dass die Person Anspruch auf Familienbeihilfe hat, zu deren Haushalt das Kind gehört. Eine Person, zu deren Haushalt das Kind nicht gehört, die jedoch die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend trägt, hat dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn keine andere Person nach § 2 Abs. 2 erster Satz FLAG anspruchsberechtigt ist.

Gemäß § 53 Abs. 1 FLAG 1967 sind Staatsbürger von Vertragsparteien des Übereinkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR), soweit es sich aus dem genannten Übereinkommen ergibt, in diesem Bundesgesetz österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt. Hierbei ist der ständige Aufenthalt eines Kindes in einem Staat des Europäischen Wirtschaftsraums nach Maßgabe der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen dem ständigen Aufenthalt eines Kindes in Österreich gleichzuhalten. Da in Österreich vorrangig anspruchsberechtigt jener Elternteil ist, der das Kind in seinem Haushalt hat, besteht kein Anspruch auf Familienbeihilfe, da das Kind im Haushalt der Mutter lebt.
Die im Beschwerdeverfahren angesprochene Frage der überwiegenden Kostentragung (Unterhaltsleistung) ist demnach nicht entscheidungsrelevant.
Ihre Beschwerde war somit abzuweisen.

Der Vollständigkeitshalber wird angemerkt, dass ein Antrag auf Ausgleichs-/Differenzzahlung, wenn dieser von der haushaltsführenden Mutter gestellt wird, vom Finanzamt nicht im beschwerdegegenständlichen Fall zu beurteilen, sondern gesondert zu prüfen und bearbeiten sein wird."

Der Bf. stellte innerhalb offener Frist einen Antrag auf Entscheidung über die Beschwerde (Vorlageantrag) durch das Bundesfinanzgericht. Das Gericht möge den Abweisungsbescheid überprüfen und ändern, dem Antrag stattgeben und ihm die Kinderbeihilfe gewähren.

Begründend führte der Bf. aus:
"In der Begründung des Abweisungsbescheides steht, dass die überwiegende Kostentragung nicht entscheidungsrelevant ist. Die Haushaltszugehörigkeit geht vor der Kostentragung, deshalb habe ich keinen Anspruch auf Familienbeihilfe/Ausgleichszahlung. Im § 2. Abs. (2) des Familienlastenausgleichsgesetzes steht: Anspruch auf Familienbeihilfe für ein im Abs. 1 genanntes Kind hat die Person, zu deren Haushalt das Kind gehört. Eine Person, zu deren Haushalt das Kind nicht gehört, die jedoch die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend trägt, hat dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn keine andere Person nach dem ersten Satz anspruchsberechtigt ist. Ich bezahle jeden Monat 400 EUR für den Unterhalt meiner Tochter an die Kindesmutter, damit trage ich die Unterhaltskosten meiner Tochter überwiegend."

Das Finanzamt legte die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht mit Vorlagebericht vom zur Entscheidung vor und führte in der Stellungnahme wie folgt aus:

"Gemäß § 5 (3) FLAG 1867 besteht kein Anspruch auf Familienleistungen für Kinder, die sich ständig im Ausland aufhalten.

Gemäß Artikel 67 der Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom , Nr. 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit haben ebendieser Verordnung unterliegende Personen auch für Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats, als ob diese Familienangehörigen in diesem Mitgliedstaat wohnen würden.
Bei Zusammentreffen von Ansprüchen auf Familienleistungen in mehreren Mitgliedstaaten gelten die mit Artikel 68 der Verordnung (EG) 883/2004 festgelegten Prioritätsregeln.
Die Zuerkennung von Familienleistungen ist somit sowohl durch die koordinierenden Vorgaben der genannten Verordnung (EG) 883/2004 determiniert, als auch durch die diesbezüglichen nationalen Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats, das sind für Österreich die Bestimmungen des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 (FLAG 1967) i. V. m. § 33 (3) EStG 1988 hinsichtlich des Kinderabsetzbetrages.

Nach der jüngeren EuGH-Rechtsprechung (z. B. das Urteil des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache C-378/14 Trapkowski) und der daran anschließenden BFG-Rechtsprechung stehen Familienleistungen - in weiterer Abhängigkeit von den diesbezüglichen Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats - dem Elternteil zu, der das Kind (allenfalls im Ausland) im gemeinsamen Haushalt hat.

Gemäß § 2 (2) FLAG 1967 haben Personen Anspruch auf Familienbeihilfe für ein Kind, zu deren Haushalt das Kind gehört. Eine Person, zu deren Haushalt das Kind nicht gehört, die jedoch die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend trägt, hat dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn keine andere Person nach dem ersten Satz anspruchsberechtigt ist.
Zum Haushalt einer Person gehört ein Kind dann, wenn es bei einheitlicher Wirtschaftsführung eine Wohnung mit dieser Person teilt. (§ 2 Abs.5 FLAG 1967)

Die Zugehörigkeit des als anspruchsbegründend eingewandten Kindes zum Haushalt der Mutter in Ungarn ist (unter Berücksichtigung auch der Antragsangaben) unstrittig, dass die zur Anspruchserhebung berechtigte Kindesmutter deren Recht nicht wahrnehmen möchte [Art.60 Abs.1 der VO (EG) 987/2009], ist schon anhand des im Antrag erwähnten Bezugs ungarischer Familienleistungen durch die KM auszuschließen, und wurde auch bislang nicht einmal behauptet.
Eine Gewährung österreichischer Familienleistungen (von Ausgleichszahlungen gemäß Art. 68 Abs.2 der Verordnung (EG) 883/2004] abweichend davon an jenen Elternteil, der (nach dessen Angaben) den Unterhalt des Kindes überwiegend trägt, ist daher zu verneinen.

Hinzu kommt, dass in den Beschwerde-Teilzeiträumen 08/2016 bis 06/2017 und 11/2019 bis 01/2020 der Bf. in Österreich weder beschäftigt war, noch sich in einer gleichgestellten Situation befand. Diesem Umstand kommt aber infolge des Anspruchs der Mutter im den Bf. betreffenden Beschwerdeverfahren keine (entscheidende) Bedeutung zu.
Es wird somit beantragt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen."

Der Vorlageantrag wurde dem Bf. zur Kenntnis gebracht.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Sachverhalt

Der Beschwerdeführer (Bf.) ***Bf1***, ungarische Staatsbürger, lebt in Ungarn, ***6***.

Laut Auskunftsverfahren Sozialversicherung war der Bf. in Österreich seit - allerdings nicht durchgängig - erwerbstätig; ab bezog der Bf. Pensionsbezug gemind. Arbeitsfähigkeit.

Am stellte der Bf. für seine Tochter ***2*** ***3***, geb. 2009, einen Antrag auf Ausgleichszahlung ab Sept. 2015, welcher mit Bescheid des Finanzamtes vom abgewiesen wurde (abweisender Ausspruch 9/2015 bis 5/2020).

Seine Tochter ***2*** lebt bei der Mutter ***4*** in Ungarn im gemeinsamen Haushalt in H-***5***.

Laut vorgelegter Bestätigung der Mutter, hat der Bf. in den Jahren 2015 bis 2019 jeden Monat 400 Euro Kindesunterhalt in Bargeld bezahlt.

Beweiswürdigung

Die Feststellungen zum Sachverhalt ergeben sich aus den vorgelegten Akten.

Strittig ist, ob dem Kindesvater für die mit der Kindesmutter in einem gemeinsamen Haushalt in Ungarn lebenden Tochter für die Jahre 2015 bis 2020 die Ausgleichszahlungen zustehen.

Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)

Innerstaatliches Recht:

Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, haben nach § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 Anspruch auf Familienbeihilfe für volljährige Kinder, die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und die für einen Beruf ausgebildet werden oder in einem erlernten Beruf fortgebildet werden, wenn ihnen durch den Schulbesuch die Ausübung des Berufes nicht möglich ist.

Nach § 2 Abs. 2 FLAG 1967 hat Anspruch auf Familienbeihilfe für ein im Abs. 1 genanntes Kind die Person, zu deren Haushalt das Kind gehört. Eine Person, zu deren Haushalt das Kind nicht gehört, die jedoch die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend trägt, hat dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn keine andere Person nach dem ersten Satz anspruchsberechtigt ist.

Personen haben nach § 2 Abs. 8 FLAG 1967 nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie den Mittelpunkt der Lebensinteressen im Bundesgebiet haben. Eine Person hat den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen in dem Staat, zu dem sie die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hat.

Kein Anspruch auf Familienbeihilfe besteht nach § 5 Abs. 3 FLAG 1967 für Kinder, die sich ständig im Ausland aufhalten.

Kein Anspruch auf Familienbeihilfe besteht nach § 5 Abs. 4 FLAG 1967 für Kinder, für die Anspruch auf eine gleichartige ausländische Beihilfe besteht. Die Gewährung einer Ausgleichzahlung (§ 4 Abs. 2) wird dadurch nicht ausgeschlossen.

Staatsbürger von Vertragsparteien des Übereinkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) sind, soweit es sich aus dem genannten Übereinkommen ergibt, nach § 53 Abs. 1 FLAG 1967 in diesem Bundesgesetz österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt. Hierbei ist der ständige Aufenthalt eines Kindes in einem Staat des Europäischen Wirtschaftsraumes nach Maßgabe der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen dem ständigen Aufenthalt eines Kindes in Österreich gleichzuhalten.

Gemeinschaftsrecht:

Diese Verordnung gilt nach Art. 2 Abs. 1 VO 883/2004 für Staatsangehörige eines Mitgliedstaats, Staatenlose und Flüchtlinge mit Wohnort in einem Mitgliedstaat, für die die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, sowie für ihre Familienangehörigen und Hinterbliebenen.

Nach Art. 3 Abs. 1 lit. j VO 883/2004 umfasst der sachliche Geltungsbereich dieser Verordnung auch Familienleistungen.

Sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist, haben nach Art. 4 VO 883/2004 Personen, für die diese Verordnung gilt, die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staates.

Sofern in dieser Verordnung nichts Anderes bestimmt ist, dürfen Geldleistungen, die nach den Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten oder nach dieser Verordnung zu zahlen sind, gemäß Art. 7 VO 883/2004 nicht auf Grund der Tatsache gekürzt, geändert, zum Ruhen gebracht, entzogen oder beschlagnahmt werden, dass der Berechtigte oder seine Familienangehörigen in einem anderen als dem Mitgliedstaat wohnt bzw. wohnen, in dem der zur Zahlung verpflichtete Träger seinen Sitz hat.

Personen, für die diese Verordnung gilt, unterliegen nach Art. 11 Abs. 1 VO 883/2004 den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Welche Rechtsvorschriften dies sind bestimmt sich nach diesem Titel.

Vorbehaltlich der Artikel 12 bis 16 gilt nach Art. 11 Abs. 3 lit a VO (EG) 883/2004 Folgendes:

Eine Person, die in einem Mitgliedstaat eine Beschäftigung oder selbständige Erwerbstätigkeit ausübt, unterliegt den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats.

Eine Person hat nach Art. 67 erster Satz VO 883/2004 auch für Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats, als ob die Familienangehörigen in diesem Mitgliedstaat wohnen würden.

Sind für denselben Zeitraum und für dieselben Familienangehörigen Leistungen nach den Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten zu gewähren, so gelten nach Art. 68 Abs. 1 VO 883/2004 folgende Prioritätsregeln:

a) Sind Leistungen von mehreren Mitgliedstaaten aus unterschiedlichen Gründen zu gewähren, so gilt folgende Rangfolge: an erster Stelle stehen die durch eine Beschäftigung oder eine selbständige Erwerbstätigkeit ausgelösten Ansprüche, darauf folgen die durch den Bezug einer Rente ausgelösten Ansprüche und schließlich die durch den Wohnort ausgelösten Ansprüche.

b) Sind Leistungen von mehreren Mitgliedstaaten aus denselben Gründen zu gewähren, so richtet sich die Rangfolge nach folgenden subsidiären Kriterien:

i) bei Ansprüchen, die durch eine Beschäftigung oder eine selbständige Erwerbstätigkeit ausgelöst werden: der Wohnort der Kinder, unter der Voraussetzung, dass dort eine solche Tätigkeit ausgeübt wird, und subsidiär gegebenenfalls die nach den widerstreitenden Rechtsvorschriften zu gewährende höchste Leistung. Im letztgenannten Fall werden die Kosten für die Leistungen nach in der Durchführungsverordnung festgelegten Kriterien aufgeteilt;

ii) bei Ansprüchen, die durch den Bezug einer Rente ausgelöst werden: der Wohnort der Kinder, unter der Voraussetzung, dass nach diesen Rechtsvorschriften eine Rente geschuldet wird, und subsidiär gegebenenfalls die längste Dauer der nach widerstreitenden Rechtsvorschriften zurückgelegten Versicherungs- oder Wohnzeiten;

iii) bei Ansprüchen, die durch den Wohnort ausgelöst werden: der Wohnort der Kinder.

Bei Zusammentreffen von Ansprüchen werden die Familienleistungen gemäß Art. 68 Abs. 2 VO 883/2004 nach den Rechtsvorschriften gewährt, die nach Abs. 1 Vorrang haben. Ansprüche auf Familienleistungen nach anderen widerstreitenden Rechtsvorschriften werden bis zur Höhe des nach den vorrangig geltenden Rechtsvorschriften vorgesehenen Betrags ausgesetzt; erforderlichenfalls ist ein Unterschiedsbetrag in Höhe des darüber hinausgehenden Betrags der Leistungen zu gewähren. Ein derartiger Unterschiedsbetrag muss jedoch nicht für Kinder gewährt werden, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, wenn der entsprechende Leistungsanspruch ausschließlich durch den Wohnort ausgelöst wird.

Wird nach Artikel 67 beim zuständigen Träger eines Mitgliedsstaats, dessen Rechtsvorschriften gelten, aber nach den Prioritätsregeln der Absätze 1 und 2 des vorliegenden Artikels nachrangig sind, ein Anspruch auf Familienleistungen gestellt, so gilt Folgendes:

a) Dieser Träger leitet den Antrag unverzüglich an den zuständigen Träger des Mitgliedstaats weiter, dessen Rechtsvorschriften vorrangig gelten, teilt dies der betroffenen Person mit und zahlt unbeschadet der Bestimmungen der Durchführungsverordnung über die vorläufige Gewährung von Leistungen erforderlichenfalls den in Abs. 2 genannten Unterschiedsbetrag;

b) der zuständige Träger des Mitgliedstaats, dessen Rechtsvorschriften vorrangig gelten, bearbeitet den Antrag, als ob er direkt bei ihm gestellt worden wäre; der Tag der Einreichung des Antrags beim ersten Träger gilt als der Tag der Einreichung bei dem Träger der vorrangig zuständig ist.

Nach Art. 60 Abs. 1 VO 987/2009 werden die Familienleistungen bei dem zuständigen Träger beantragt. Bei der Anwendung von Artikel 67 und 68 der Grundverordnung ist, insbesondere was das Recht einer Person zur Erhebung eines Leistungsanspruchs anbelangt, die Situation der gesamten Familie in einer Weise zu berücksichtigen, als würden alle beteiligten Personen unter die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaates fallen und dort wohnen. Nimmt eine Person, die berechtigt ist, Anspruch auf die Leistungen zu erheben, dieses Recht nicht wahr, berücksichtigt der zuständige Träger des Mitgliedstaates, dessen Rechtsvorschriften anzuwenden sind, einen Antrag auf Familienleistungen, der von dem anderen Elternteil, einer als Elternteil behandelten Person oder von der Person oder Institution, die als Vormund des Kindes oder der Kinder handelt, gestellt wird.

Rechtliche Würdigung:

Ab Mai 2010 gilt die Verordnung (EG) 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rats vom zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit mit der Durchführungsverordnung (EG) 987/2009 für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union. (vgl. Csaszar in Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG, Rz 19 und 20 zu § 53)

Diese Verordnungen sind anwendbar, wenn ein Sachverhalt vorliegt, der zwei oder mehr Mitgliedstaaten berührt.

Aufgrund der Erwerbstätigkeit des Bf. in Österreich und dem Wohnort der Mutter und des Kindes in Ungarn und aufgrund der Tatsache, dass sämtliche der genannten Personen ungarische Staatsangehörige sind, liegt ein grenzüberschreitender Sachverhalt mit Unionsbezug vor. Die VO 883/2004 ist gemäß deren Art. 2 Abs. 1 auf die genannten Personen persönlich anwendbar.

Die von dem Bf. beantragte Familienbeihilfe ist weiters unter die Familienleistungen im Sinne des Art. 3 Abs. 1 lit. j VO 883/2004 zu subsumieren, daher ist diese Verordnung im gegenständlichen Fall auch sachlich anwendbar.

Nach dem Gemeinschaftsrecht unterliegen Personen, für die die VO 883/20014 gilt, gilt immer nur den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates (Art. 11 Abs. 1 VO 883/2004). Welche Rechtsordnung hierfür in Frage kommt, ist unter Titel II Art. 11 ff VO 883/2004 geregelt.

In der Regel sind dies gemäß Art. 11 Abs. 3 lit. a VO 883/2004 die Rechtsvorschriften des Beschäftigungsstaates, also jenes Staates, in welchem eine selbständige oder nichtselbständige Tätigkeit ausgeübt wird, und zwar auch dann, wenn die Person im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates wohnt.

Der Bf. war im gegenständlichen Zeitraum in Österreich beschäftigt, wobei es keinen Hinweis darauf gibt, dass er auch außerhalb des Bundesstaates Österreich einer nichtselbständigen oder selbständigen Tätigkeit nachgeht. Die Bf. unterliegt daher den österreichischen Rechtsvorschriften.

Da im gegenständlichen Fall die VO 883/2004 zu berücksichtigen ist, finden allerdings die auf Wohnortklauseln beruhenden Bestimmungen des § 2 Abs. 1 FLAG 1967, welche den Familienbeihilfenbezug auf den Wohnort im Bundesgebiet abstellt, des § 2 Abs. 8 FLAG 1967, welche auf den wesentlich durch den Wohnort bestimmten Mittelpunkt der Lebensinteressen im Bundesgebiet abstellt, und des § 5 Abs. 3 FLAG 1967, das einen vom Wohnort abhängigen Ausschluss der Familienbeihilfe bei ständigem Aufenthalt des Kindes im Ausland vorsieht, zufolge des Art. 7 VO 883/2004 und dessen Anwendungsvorrangs insoweit keine Anwendung. Zufolge des in Art. 4 VO 883/2004 normierten Gleichbehandlungsgrundsatzes für Personen, für die diese Verordnung gilt, finden die durch den Anwendungsvorrang dieser Bestimmung verdrängten Bestimmungen des § 3 Abs. 1 und 2 FLAG 1967 mit besonderen Voraussetzungen für Personen, die nicht österreichische Staatsbürger sind, keine Anwendung. (vgl. ).

Im , Tomislaw Trapkowski, hat der EuGH unter Hinweis auf die Familienbetrachtungsweise mehrfach betont, dass die Frage, wem der Anspruch auf Familienleistungen (Differenzzahlungen) zusteht, ausschließlich nach den innerstaatlichen (hier also österreichischen) Rechtsvorschriften zu prüfen ist (siehe insbesondere die Rn 38 ff dieser Entscheidung), was sich im Übrigen schon unmissverständlich aus dem klaren und unzweideutigen Wortlaut des Art. 60 Abs.1 zweiter Satz der Durchführungsverordnung (EG) Nr. 987/2009 ergibt. Der EuGH stellte daher fest, dass der Anspruch auf Familienleistung auch einer Person zustehen kann, die nicht in dem Mitgliedsstaat wohnt, der für die Gewährung der Leistungen zuständig ist, sofern alle anderen durch das nationale Recht vorgeschriebenen Voraussetzungen für die Gewährung erfüllt sind.

Das Unionsrecht selbst vermittelt somit keinen originären Anspruch auf nationale Familienleistungen. Es ist nach wie vor Sache der Mitgliedstaaten, wem sie unter welchen Voraussetzungen wie lange Familienleistungen zuerkennen. Das Unionsrecht verlangt allerdings im Allgemeinen, dass diese Zuerkennung diskriminierungsfrei erfolgen muss, und im Besonderen, dass die Familienangehörigen einer Person, die in den Anwendungsbereich der VO 883/2004 fällt, so zu behandeln sind, als hätten alle Familienangehörigen ihren Lebensmittelpunkt in dem Mitgliedstaat der Familienleistungen gewähren soll. (, , , , )

Die nach Art. 67 VO 883/2004 iVm Art. 60 Abs. 1 Satz 2 VO987/2009 vorzunehmende Fiktion bewirkt, dass die Wohnsituation auf Grundlage der im Streitzeitraum im anderen EU-Mitgliedstaat gegebenen Verhältnisse (fiktiv) ins Inland übertragen wird. Diese Fiktion besagt aber nur, dass zu unterstellen ist, dass alle Familienangehörigen im zuständigen Mitgliedstaat wohnen. Ob etwa ein gemeinsamer Haushalt besteht, ist dagegen sachverhaltsbezogen festzustellen. (, , , , ).

Wer von den unionsrechtlich grundsätzlich als anspruchsberechtigte Personen anzusehenden Familienangehörigen tatsächlich primär oder sekundär oder gar keinen Anspruch auf österreichische Familienleistungen hat, ist daher nach nationalem Recht zu beurteilen. (, , )

Es ist daher im gegenständlichen Fall nach österreichischem Recht zu prüfen, ob die Bf. einen Familienbeihilfenanspruch hat oder nicht, wobei zu fingieren ist, dass alle Familienangehörigen, sprich die Mutter des Kindes, sowie das Kind des Bf. in Österreich wohnen (weshalb - wie bereits ausgeführt - die auf Wohnortklauseln beruhenden Bestimmungen außer Acht zu lassen sind).

§ 2 Abs. 2 erster Satz FLAG 1967 stellt hinsichtlich des Familienbeihilfenanspruchs primär auf die Haushaltszugehörigkeit mit einem Kind ab und nur subsidiär (§ 2 Abs. 2 zweiter Satz FLAG 1967) darauf ab, welche Person die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend trägt. Einem Anspruch auf Familienbeihilfe im Sinne des zweiten Satzes des § 2 Abs. 2 FLAG 1967 steht der ausschließliche Anspruch einer Person, bei der das Kind im strittigen Zeitraum haushaltszugehörig war, zwingend entgegen (, ).

Da im gegenständlichen Fall das Kind bei der Kindesmutter (in Ungarn) - getrennt von dem Bf - lebt und daher bei dieser haushaltszugehörig ist, besteht nach österreichischem Recht kein Anspruch auf Familienleistungen des Bf; ein nach nationalem Recht nicht bestehender Anspruch kann nicht durch das Unionsrecht begründet werden. Der vorrangige Anspruch auf Familienleistungen steht somit bei dem gegebenen Sachverhalt der Kindesmutter zu, solange die Anspruchsvoraussetzungen dem Grunde nach in der Person des Bf. erfüllt sind.

Der im Verwaltungsverfahren seitens des Bf. ins Treffen geführten Frage nach der überwiegenden Kostentragung durch ihre Person kommt in Ansehung vorstehender Ausführungen keine Entscheidungsrelevanz zu.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die Revision ist nicht zulässig, weil keine zu lösende Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vorliegt. Die gegenständliche Entscheidung wurde im Einklang mit der zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes und der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union gelöst.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
FLAG
betroffene Normen
§ 5 Abs. 4 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
§ 5 Abs. 3 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
Art. 67 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1
Art. 60 Abs. 1 VO 987/2009, ABl. Nr. L 284 vom S. 1
§ 2 Abs. 8 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
Art. 11 Abs. 3 lit. a VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1
Art. 3 Abs. 1 lit. j VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1
Art. 68 Abs. 2 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1
Art. 7 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1
Art. 11 Abs. 1 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1
Art. 4 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1
Art. 2 Abs. 1 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1
Art. 68 Abs. 1 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1
§ 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
§ 2 Abs. 2 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
ECLI
ECLI:AT:BFG:2022:RV.7100152.2021

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