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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 14.12.2022, RV/7103440/2022

§ 303 Abs. 1 lit. b BAO: Vergessener Kindermehrbetrag kein Wiederaufnahmsgrund

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Ri. in der Beschwerdesache N.N., Adr.Bf., über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens gem. § 303 Abs. 1 Bundesabgabenordnung (BAO) btr. Einkommensteuer 2020, Steuernummer xxx, zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Der Beschwerdeführerin [folgend: Bf.] reichte am die Erklärung zur Arbeitnehmerveranlagung 2020 in Papierform (Formular L1) ein. Darin beantragte die Bf. u.a. im Abschnitt "5. Alleinverdienerabsetzbetrag / Alleinerzieherabsetzbetrag" (Formular L1 Seite 2) unter Punkt 5.1 den Alleinverdienerabsetzbetrag und gab unter Punkt 5.3 "Anzahl der Kinder" drei Kinder an. Die unter Punkt 5.4 für die Berücksichtigung des Kindermehrbetrages vorgesehene Bestätigung, dass kein Ausschlusskriterium vorliegt, wurde nicht angekreuzt. Weiters wurde von der Bf. unter Punkt "8. Mehrkindzuschlag" das entsprechende Feld angekreuzt.

Die belangte Behörde erließ am den Einkommensteuerbescheid (Arbeitnehmerveranlagung) 2020. Darin wurden u. a. der Alleinverdienerabsetzbetrag iHv. 1.231,07 Euro ausgewiesen und wurde die Einkommensteuer iHv. -1.231,00 Euro (Gutschrift) festgesetzt.

Am erließ die belangte Behörde einen Bescheid gem. § 295a BAO zum Einkommensteuerbescheid vom . Zur Begründung wurde ausgeführt, dass in der Arbeitnehmerveranlagung der Bf. der ganze Familienbonus Plus für die Kinder mit der SV-Nr. xyz, yzx und zxy gestrichen worden sei, da dieser bei der Arbeitnehmerveranlagung des Partners ebenfalls beantragt worden sei. Eine Änderung der festgesetzten Einkommensteuer ergab sich dadurch nicht.

Die Bf. brachte am über FinanzOnline einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens zur Arbeitnehmerveranlagung 2020 ein, da sie durch die Arbeiterkammer erfahren habe, dass sie im Jahr 2020 Anspruch auf den Kindermehrbetrag gehabt hätte. Sie beantrage daher, den Einkommensteuerbescheid 2020 vom aufzuheben und unter Berücksichtigung des Kindermehrbetrages für die Kinder XY SVNr. yzx, YZ SVNr. xyz und ZX SVNR. zxy, sowie unter Berücksichtigung der bereits geltend gemachten Ausgaben einen neuen Einkommensteuerbescheid zu erlassen. Sie beantrage die Wiederaufnahme des Arbeitnehmerinnenveranlagungsverfahrens 2020 gemäß § 303 BAO bzw. rege eine Wiederaufnahme von Amts wegen an.

Die belangte Behörde wies mit Bescheid vom den Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens mit Verweis auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Ra 2014/15/0058, ab, da neue Erkenntnisse in Bezug auf die rechtliche Beurteilung von Sachverhaltselementen keine neuen Tatsachen seien, welche eine Wiederaufnahme begründen könnten. Weiters wies die belangte Behörde darauf hin, dass für eine Anregung auf eine amtswegige Wiederaufnahme kein Rechtsanspruch bestehe.

Gegen den Abweisungsbescheid brachte die Bf. am über FinanzOnline Beschwerde ein. Die Abweisung des Antrages auf Wiederaufnahme des Verfahrens 2020 sei unverhältnismäßig. Eine Wiederaufnahme auf Antrag setze voraus, dass die Umstände im abgeschlossenen Verfahren ohne grobes Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden können (§ 303 Abs. 1 lit. b BAO). Ein grobes Verschulden liege nicht vor, wenn man den Umstand in Betracht ziehe, dass der Kindermehrbetrag erst 2019 eingeführt worden sei. Darüber hinaus sei im ursprünglichen Antrag ersichtlich, dass der Familienbonus und auch der AVAB beantragt worden sei. Somit sollte seitens der Behörde der Kindermehrbetrag automatisch berücksichtigt werden, da der Familienbonus nicht ausgeschöpft werden könne.

Die belangte Behörde wies mit Beschwerdevorentscheidung vom die Beschwerde ab. Im vorliegenden Fall sei davon auszugehen, dass dem Antragsteller die gegenständliche Begünstigungsbestimmung (Kindermehrbetrag) bereits zum Zeitpunkt der Einreichung der Erklärung zur Arbeitnehmerveranlagung 2020 bzw. vor Abschluss des Einkommensteuerverfahrens 2020 bekannt gewesen sei. Damit liege die tatbestandsmäßige Voraussetzung des § 303 Abs. 1 lit. b BAO nicht vor. Es sei auch festzuhalten, dass neue Erkenntnisse in Bezug auf die rechtliche Beurteilung von Sachverhaltselementen gleichgültig, ob die späteren rechtlichen Erkenntnisse durch die Änderung der Verwaltungspraxis oder Rechtsprechung oder nach vorhergehender Fehlbeurteilung oder Unkenntnis der Gesetzeslage eigenständig gewonnen würden, keine Wiederaufnahmsgründe (keine Tatsachen) darstellten.
Die Beschwerdevorentscheidung wurde laut vorliegender "Verständigung über die Hinterlegung eines behördlichen Dokuments" am zugestellt.

Die Bf. brachte am über FinanzOnline den Vorlageantrag gem. § 264 Abs. 1 BAO ein. Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, dass die Bf. erst 2022 durch die Arbeiterkammer erfahren hätte, dass sie im Jahr 2020 Anspruch auf den Kindermehrbetrag gehabt hätte und die Abweisungen der Anträge auf Wiederaufnahme des Verfahrens 2020 nach Ansicht der Bf. unverhältnismäßig seien. Im Übrigen verwies die Bf. auf die Ausführungen in der Beschwerde.

Die belangte Behörde legte am die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor und führte im Vorlagebericht unter Punkt "Stellungnahme" nach Judikaturverweisen u.a. aus, dass der Wiederaufnahmegrund für die Partei neu hervorgekommen sein müsse. Zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung sei der Bf. der für den Kindermehrbetrag relevante Sachverhalt bekannt gewesen, lediglich die rechtliche Beurteilung dieses bereits bekannten Sachverhaltes sei der Bf. offenbar erst nachträglich durch eine Information der Arbeiterkammer bekannt geworden. Zwischen der Sachverhaltslage im Zeitpunkt der Erstbescheiderlassung und dem Zeitpunkt des Antrags auf Wiederaufnahme würden sich keine neuen Tatsachen, die eine Wiederaufnahme gem. § 303 Abs. 1 lit. b BAO begründen könnten, ergeben. Dass der Bf. erst im Nachhinein bekannt geworden sei, dass der Kindermehrbetrag beantragt hätte werden können, ändere nichts daran, dass eine Wiederaufnahme nur in Folge von neu hervorgekommenen Sachverhaltselementen möglich sei. Es werde daher beantragt die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Sachverhalt

Strittig ist im Beschwerdeverfahren, ob ein Wiederaufnahmegrund (konkret: Neuerungstatbestand) vorliegt oder nicht. Während die Bf. die Voraussetzungen gem. § 303 Abs. 1 lit. b BAO als gegeben ansieht, da die Bf. erst 2022 durch die Arbeiterkammer erfahren hätte, dass sie im Jahr 2020 Anspruch auf den Kindermehrbetrag gehabt hätte und diese Umstände im abgeschlossenen Verfahren ohne grobes Verschulden nicht geltend gemacht habe (Einführung des Kindermehrbetrags erst 2019, Beantragung des Familienbonus und AVAB durch die Bf., automatisch Berücksichtigung des Kindermehrbetrags durch die belangte Behörde), vertritt die belangte Behörde die Meinung, dass der Bf. die gegenständliche Begünstigungsbestimmung bereits zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung bekannt gewesen sei und neue Erkenntnisse in Bezug auf die rechtliche Beurteilung von Sachverhaltselementen keine neuen Tatsachen seien, welche eine Wiederaufnahme begründen könnten.

Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchpunkt I. (Abweisung/Abänderung/Stattgabe)

Gemäß § 303 Abs. 1 lit b BAO kann ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind und die Kenntnis dieser Umstände, allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens, einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte (Neuerungstatbestand).

Zweck der Wiederaufnahme wegen Neuerungen ist die Berücksichtigung von bisher unbekannten, aber entscheidungswesentlichen Sachverhaltselementen. Gemeint sind also Tatsachen oder Beweismittel, die zwar im Zeitpunkt der Bescheiderlassung "im abgeschlossenen Verfahren" bereits existierten, aber erst danach hervorgekommen sind (; ).

Das Neuhervorkommen von Tatsachen ist bei der beantragten Wiederaufnahme aus der Sicht des Antragstellers zu beurteilen (vgl. ).

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind neue Erkenntnisse in Bezug auf die rechtliche Beurteilung solcher Sachverhaltselemente - gleichgültig, ob diese späteren rechtlichen Erkenntnisse (neuen Beurteilungskriterien) durch die Änderung der Verwaltungspraxis oder Rechtsprechung oder nach vorhergehender Fehlbeurteilung oder Unkenntnis der Gesetzeslage eigenständig gewonnen werden - keine Tatsachen. Die nachteiligen Folgen einer früheren unzutreffenden Würdigung oder Wertung des der Partei bekannten Sachverhaltes oder einer fehlerhaften rechtlichen Beurteilung lassen sich demnach bei unveränderter Tatsachenlage nicht nachträglich im Wege der Wiederaufnahme des Verfahrens beseitigen.
Auch hat das Wiederaufnahmeverfahren nicht den Zweck, allfällige Versäumnisse einer Partei im Verwaltungsverfahren zu sanieren, sondern soll die Möglichkeit bieten, bisher unbekannten, aber entscheidungswesentlichen Sachverhaltselementen Rechnung zu tragen (, mwN).

"Vergessene" Absetzbeträge begründen somit nach Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ebensowenig wie eine nach Rechtskraft des Bescheides eingetretene bessere Rechtskenntnis der Bf. über steuerlich mögliche Absetzbeträge einen Wiederaufnahmegrund aus dem Titel neuhervorgekommener Tatsachen.

Die Bf. hat im gegenständlichen Beschwerdeverfahren am in der Einkommensteuererklärung zwar den Alleinverdienerabsetzbetrag und den Mehrkindzuschlag angekreuzt, nicht aber das für die Berücksichtigung des Kindermehrbetrages vorgesehene Feld. Dieses Vergessen auf die Geltendmachung des Kindermehrbetrags stellt jedoch keinen Wiederaufnahmegrund dar.
Wenn die Bf "neue Tatsachen" bzw "neue Erkenntnisse" aber darin erblickt, dass sie erst im Zuge einer Auskunft der Arbeiterkammer im Jahr 2022 auf die Möglichkeit des Kindermehrbetrags hingewiesen worden sei, so übersieht sie, dass die Frage, ob bestimmte Absetzbeträge zustehen oder nicht, nicht die Tatsachenebene, sondern die Ebene der rechtlichen Beurteilung betrifft.

Da es somit im vorliegenden Fall an neu hervorgekommenen Tatsachen im Sinne des § 303 Abs. 1 lit. b BAO mangelt, war die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Nur ergänzend wird darauf verwiesen, dass
- bei Vergessen/Übersehen der Beantragung eines Absetzbetrags, dies in einem Beschwerdeverfahren oder durch einen Antrag auf Bescheidaufhebung gemäß § 299 BAO geltend gemacht werden kann, nicht aber durch einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens;
- das von der Bf. argumentierte Fehlen eines "groben Verschulden" beim Neuerungstatbestand nur bis zur Rechtlage vor dem FVwGG 2012 als zusätzliche Voraussetzung bei der Antragswiederaufnahme von Relevanz war (vgl. Ritz, BAO5, § 303 Rz 2);

Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Da das vorliegende Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes der oben zitierten ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs folgt, liegt keine Rechtsfrage vor, der grundsätzliche Bedeutung beizumessen ist. Eine (ordentliche) Revision an den Verwaltungsgerichtshof war daher nicht zuzulassen.

Graz, am

Zusatzinformationen


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Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at

Fundstelle(n):
GAAAC-32114