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Bescheidbeschwerde – Einzel – Beschluss, BFG vom 18.03.2022, RV/7103154/2015

Einstellung des Verfahrens bei Überschuldung des Nachlasses und keiner Zustellmöglichkeit

Entscheidungstext

BESCHLUSS

Das Bundesfinanzgericht fasst durch die Richterin Mag. Andrea Ebner in der Beschwerdesache Verlassenschaft nach ***Bf1***, ***Bf1-Adr*** betreffend die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 4/5/10 vom betreffend Einkommensteuer 2012 Steuernummer ***BF1StNr1*** den Beschluss:

I. Das Beschwerdeverfahren wird eingestellt.

II. Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist nach Art 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Begründung

Die verstorbene Beschwerdeführerin bezog im Streitjahr 2012 Pensionseinkünfte sowie Einkünfte aus einer Grundstücksveräußerung.

Mit Bescheid vom setzte die belangte Behörde die Einkommensteuer für das Jahr 2012 mit EUR 3.127,00 fest und ermittelte dabei die Bemessungsgrundlage für die Immobilienertragsteuer im Schätzungswege.

Dagegen richtete sich die Beschwerde vom , in welcher die Beschwerdeführerin um Neubemessung des Steuerbescheides ersuchte.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies die belangte Behörde die Beschwerde als unbegründet ab.

Am beantragte die Beschwerdeführerin die Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht.

Die belangte Behörde legte die Beschwerde am dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor und beantragte im Vorlagebericht vom selben Tag die Abweisung der Beschwerde.

Mit Beschluss vom wurde die Beschwerdeführerin vom vormals zuständigen Richter zur Stellungnahme im Zusammenhang mit der Grundstücksveräußerung sowie Übermittlung von Unterlagen aufgefordert.

Mit Schreiben vom ersuchte die Beschwerdeführerin um Aufschub der Übermittlung der angeforderten Unterlagen.

Die Beschwerdeführerin ***Bf1***, geboren am xx.xx.1947, zuletzt wohnhaft in ***Bf1-Adr*** verstarb am xx.xx.2019 (ZMR-Abfrage).

Die Einhebung der Einkommensteuer für das Jahr 2012 ist unverändert ausgesetzt.

Mit Beschlüssen vom sowie vom forderte das Bundesfinanzgericht die belangte Behörde daher auf, Unterlagen über den Stand des Verlassenschaftsverfahrens an das Bundesfinanzgericht zu übermitteln, aus denen sich der Adressat und die Adressierung im Beschwerdefall ergeben sowie allenfalls bestehende Bedenken gegen eine Vorgehensweise nach § 206 BAO bekannt zu geben.

Mit E-Mail vom teilte die belangte Behörde dem Bundesfinanzgericht mit, "nach Rücksprache mit dem zuständigen Team gibt es leider noch keine Einantwortung oder Erbserklärung, deshalb wurde als Zustelladresse das Finanzamt eingegeben". Am übermittelte die belangte Behörde den Beschluss des Bezirksgerichts ***1***, ***GZ 1*** woraus sich die Überlassung des Nachlasses an Zahlung statt gemäß § 154 AußStrG ergibt. Bedenken gegen ein Vorgehen nach § 206 BAO wurden seitens der belangten Behörde keine geäußert.

Mit Beschluss des Bezirksgerichtes ***1*** vom , ***GZ 1*** wurde festgestellt, dass der Aktiva EUR 14.224,14 Passiva iHv EUR -13.259,39 sowie Verfahrenskosten iHv EUR -1.380,00 gegenüberzustellen sind. Daraus ergab sich eine Überschuldung der Verlassenschaft iHv EUR -415,25. Der Gerichtskommissär wurde angewiesen den Nachlass kridamäßig zu verteilen und die als wertlos mit EUR 0,00 bewertete Uhr der Beschwerdeführerin dem erblichen Bruder auf Abschlag der von ihm bezahlten Begräbniskosten an Zahlung statt zu überlassen.

Bei stattgebender Entscheidung des Bundesfinanzgerichtes ergibt sich kein Aktivvermögen in Form eines abgabenrechtlichen Rückzahlungsanspruches der Beschwerdeführerin. Dritte, die für die Geltendmachung eines Haftungsanspruches herangezogen werden können, gibt es nach den Verwaltungsakten nicht. Der Abgabenanspruch ist nach der Aktenlage uneinbringlich.

Eine für die Verlassenschaft vertretungsbefugte Person konnte nicht ermittelt werden. Eine Einantwortung hat im Beschwerdefall nicht stattgefunden.

Zur Einstellung des Verfahrens:

Gemäß § 79 BAO gelten für die Rechts- und Handlungsfähigkeit die Bestimmungen des bürgerlichen Rechtes; § 2 Zivilprozessordnung ist sinngemäß anzuwenden. Die Rechtsfähigkeit von natürlichen Personen endet mit dem Tod (Ellinger/Iro/Kramer/Sutter/Urtz, BAO3 § 79 Anm 7).

Für den Zeitraum zwischen dem Tod des Verstorbenen und der Einantwortung kennt das bürgerliche Recht die Rechtsfigur des ruhenden Nachlasses (§ 531 ABGB - hereditas iacens). Der ruhende Nachlass ist eine anerkannte juristische Person. Das österreichische Recht ordnet den Erbschaftserwerb erst mit der Einantwortung an, nur aus dem verfahrensrechtlich erforderlichen Zeitraum zwischen Todesfall und Einantwortung folgt seine rechtliche Existenz (vgl Obermaier, Zum Unterbleiben der Verlassenschaftsabhandlung, ÖJZ 2008/15). Da gemäß § 79 BAO im Abgaben(verfahrens-)recht für die Rechts- und Handlungsfähigkeit die Bestimmungen des bürgerlichen Rechts gelten, ist der ruhende Nachlass beispielsweise auch Adressat von Bescheiden (vgl etwa ; ; ).

Somit ist ein Bescheid nach dem Tod des Erblassers über eine in dessen Person entstandene Abgabenschuld vor der Einantwortung an die Verlassenschaft (vertreten durch den Verlassenschaftskurator, Erbenmachthaber oder den bzw die erbserklärten Erben) und nach der Einantwortung an die Erben als Rechtsnachfolger zu richten (; Ellinger/Iro/Kramer/Sutter/Urtz, BAO3 § 19 Anm 8).

Als Verlassenschaftsverfahren bezeichnet das Gesetz alle Verfahren, die sich mit der rechtlichen Abwicklung des Nachlasses befassen. Dazu zählen neben der Verlassenschaftsabhandlung auch alle Verfahren, in denen es nicht zu einer Einantwortung kommt (kein ausreichendes Vermögen, überschuldetes Vermögen, Fehlen der inländischen Abhandlungsgerichtsbarkeit oder erblose Verlassenschaft - vgl Bittner, Außerstreitgesetz2 (2012) Vor § 143 Rz 1). Die Bestimmungen über die eigentliche Verlassenschaftsabhandlung beginnen mit der Vertretungsvorsorge, die in § 156 AußStrG geregelt ist. Davor finden sich die Bestimmungen über das Vorverfahren. Zu diesem Vorverfahren gehört auch die Überlassung an Zahlungs statt (§ 154 und § 155 AußStrG).

Da der ruhende Nachlass seine Rechtspersönlichkeit erst mit der Einantwortung verliert, besteht er - wie im Beschwerdefall - konsequenterweise dann weiter, wenn eine Einantwortung nicht stattgefunden hat (Obermaier, Zum Unterbleiben der Verlassenschaftsabhandlung, ÖJZ 2008/15).

Als juristische Person bedarf es eines Vertreters, der für diese juristische Person (Verlassenschaft) handelt. Solche Vertreter können ein Verlassenschaftskurator, Erbenmachthaber oder der bzw die erbserklärten Erben sein. Mit der Bestellung des Verlassenschaftskurators enden die Rechte der präsumtiven oder erbantrittserklärten Erben nach § 810 ABGB (Spruzina in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.02 § 810 Rz 11). Die "Antretung der Erbschaft", die Erbantrittserklärung, ist gegenüber dem Gerichtskommissär abzugeben (§ 157 Abs 1 AußStrG - Bittner, Außerstreitgesetz2 (2012) § 171 Rz 8).

Im Beschwerdefall sind für das Bundesfinanzgericht keine Anhaltspunkte ersichtlich, woraus sich eine Einantwortung in den überschuldeten Nachlass ergeben würde. Vielmehr lässt sich aus dem Beschluss des Bezirksgerichtes ***1***, mit welchem die Überschuldung des Nachlasses festgestellt und die Überlassung der als wertlos eingestuften Uhr an Zahlung statt an den erblichen Bruder der Beschwerdeführerin vorgenommen wurde, ableiten, dass gerade keine Erbserklärungen abgegeben wurden und das Verlassenschaftsverfahren mit der Überlassung an Zahlungs statt beendet wurde.

Hat kein Erbe eine Erbserklärung abgegeben, kann die in § 810 ABGB vorgesehene Vertretungsfunktion nicht ausgeübt werden. Es ergeben sich auch keine Hinwiese auf das Vorliegen einer Vertretungsbefugnis (zB Amtsbestätigung gem § 172 AußStrG). Ebensowenig ist ersichtlich, dass ein Verlassenschaftskurator oder Erbenmachthaber (eine Person, die von einem Erben mit der Vertretung im Rahmen der Verlassenschaftsabhandlung betraut ist) bestellt worden wäre.

Der Beschluss über die Überlassung an Zahlungs statt stellt einen materiell-rechtlichen Erwerbstitel dar. Er stellt aber keinen Erwerbstitel für die Erbschaft selbst, sondern nur für die im Beschluss bezeichneten einzelnen Bestandteile dar und führt zur Einzelrechtsnachfolge; der Zustand des ruhenden Nachlasses bleibt im Übrigen erhalten (Nemeth in Schwimann/Kodek, ABGB Praxiskommentar4 (2012), §§ 798-798a Rz 5; Spruzina in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.02 § 798 Rz 2). Allerdings wirkt die Überlassung an Zahlungs statt verfahrensbeendend (Obermaier, Zum Unterbleiben der Verlassenschaftsabhandlung, ÖJZ 2008/15).

Vor dem Hintergrund der rechtlichen Ausführungen ist im Bescherdefall mangels Einantwortung keine Gesamtrechtsnachfolge eingetreten, sodass keine Rechte oder Pflichten, vor allem nicht verfahrensrechtliche Rechtspositionen, übergegangen sind.

Gibt es jedoch keinen Vertreter der juristischen Person "ruhender Nachlass", der für diese Person rechtsgeschäftliche Handlungen vornehmen kann, kann es auch niemanden geben, der für die juristische Person einen Bescheid oder eine Entscheidung eines Verwaltungsgerichts entgegen nehmen kann. Wegen der fehlenden Möglichkeit, eine Rechtsmittelentscheidung einer vertretungslosen Verlassenschaft zuzustellen, kann eine solche durch das Gericht auch nicht wirksam erlassen werden. Ein noch anhängiges Beschwerdeverfahren kann nur eingestellt werden. Dies hat zur Konsequenz, dass eine Erledigung des Bundesfinanzgerichts nur an die Abgabenbehörde zugestellt werden kann.

Gemäß § 82 Abs 1 BAO kann die Abgabenbehörde, wenn die Wichtigkeit der Sache es erfordert, auf Kosten des zu Vertretenden (die Verlassenschaft) die Betrauung eines gesetzlichen Vertreters (§ 1034 ABGB) beim zuständigen Gericht (§ 109 Jurisdiktionsnorm) beantragen. Dasselbe gilt sinngemäß, wenn zweifelhaft ist, wer zur Vertretung einer Verlassenschaft befugt ist (§ 82 Abs 2 BAO).

Gemäß § 269 BAO haben im Beschwerdeverfahren die Verwaltungsgerichte die Obliegenheiten und Befugnisse, die den Abgabenbehörden auferlegt und eingeräumt sind.

Aufgrund der vorgenommenen Aussetzung der Einhebung nach § 212a BAO wurde die streitgegenständliche Abgabennachforderung bisher nicht entrichtet, sodass sich bei stattgebender Entscheidung des Bundesfinanzgerichtes kein Aktivvermögen in Form eines abgabenrechtlichen Rückzahlungsanspruches des Beschwerdeführers ergeben würde (vgl etwa , mwN). In Anbetracht der mit Beschluss des Bezirksgerichtes ***1*** vom , ***GZ 1*** gerichtlich festgestellten Überschuldung des Nachlasses würde bei stattgebender Entscheidung und gänzlichem Wegfall der strittigen Abgabennachforderungen somit eine Überschuldung des Nachlasses bestehen bleiben, sodass bei Stattgabe der Beschwerde auch keine Nachtragsverhandlung durchzuführen wäre.

Da im Beschwerdefall eine überschuldete Verlassenschaft vorlag und somit lediglich antragsgemäß die Überlassung des Nachlasses an Zahlungs statt gemäß § 154 AußStrG erfolgte, kommt es mangels Verlassenschaftsabhandlung zu keiner Gesamtrechtsnachfolge nach § 19 BAO. Für die Möglichkeit der Inanspruchnahme eines Haftungspflichtigen ergeben sich nach den Verwaltungsakten keine Anhaltspunkte. Die belangte Behörde hat auch nach Aufforderung zur Stellungnahme hinsichtlich eines allenfalls Vorgehens nach § 206 BAO in den Beschlüssen vom sowie vom keine Bedenken dahingehend geäußert. Für das Bundesfinanzgericht ergeben sich somit keine Zweifel an der Uneinbringlichkeit des Abgabenanspruches.

Die Bestellung eines Verlassenschaftskurators würde vor diesem Hintergrund nur unverhältnismäßige und vermeidbare Kosten und hohen Verwaltungsaufwand verursachen, weshalb von einem Antrag auf Bestellung mangels Erforderlichkeit Abstand genommen wird.

Das Beschwerdeverfahren war einzustellen.

Dieser Beschluss kann entsprechend der rechtlichen Ausführungen rechtswirksam nur an die Amtspartei ergehen, weil an die Verlassenschaft ohne Bestellung eines Verlassenschaftskurators nicht zugestellt werden könnte und das Bundesfinanzgericht eine derartige Bestellung nicht als geboten erachtet.

Zulässigkeit einer Revision

Gegen einen Beschluss des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Das Bundesfinanzgericht folgt der dargestellten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, es liegt daher kein Grund für eine Revisionszulassung vor.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 206 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 114 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 269 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 17a VfGG, Verfassungsgerichtshofgesetz 1953, BGBl. Nr. 85/1953
§ 24a VwGG, Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985, BGBl. Nr. 10/1985
§ 82 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 19 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 269 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 212a BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 79 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 2 ZPO, Zivilprozessordnung, RGBl. Nr. 113/1895
§ 531 ABGB, Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch, JGS Nr. 946/1811
§ 156 AußStrG, Außerstreitgesetz, BGBl. I Nr. 111/2003
§ 154 AußStrG, Außerstreitgesetz, BGBl. I Nr. 111/2003
§ 155 AußStrG, Außerstreitgesetz, BGBl. I Nr. 111/2003
§ 810 ABGB, Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch, JGS Nr. 946/1811
§ 157 Abs. 1 AußStrG, Außerstreitgesetz, BGBl. I Nr. 111/2003
§ 172 AußStrG, Außerstreitgesetz, BGBl. I Nr. 111/2003
§ 82 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 1034 ABGB, Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch, JGS Nr. 946/1811
§ 206 Abs. 1 lit. b BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise




ECLI
ECLI:AT:BFG:2022:RV.7103154.2015

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at