Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 15.02.2022, RV/6100169/2021

Keine Aussetzung der Einhebung, wenn keine Bescheidbeschwerde eingebracht ist oder ein Nachforderungsbetrag festgesetzt wurde

Rechtssätze


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Stammrechtssätze
RV/6100169/2021-RS1
Nach der Rechtsprechung des EGMR und – ihm folgend – des VfGH kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn die Tatfrage unumstritten und nur eine Rechtsfrage zu entscheiden ist oder wenn die Sache keine besondere Komplexität aufweist (vgl. VfSlg 18.994/2010, VfSlg 19.632/2012, ).
RV/6100169/2021-RS2
Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß Art. 6 Abs. 1 EMRK kann im Hinblick auf die Mitwirkungsmöglichkeiten im Verwaltungsverfahren regelmäßig unterbleiben, wenn das Vorbringen erkennen lässt, dass die Durchführung einer Verhandlung eine weitere Klärung der Entscheidungsgrundlagen nicht erwarten lässt (vgl. ua).

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Mag. Gerhard Groschedl in den Beschwerdesachen der ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die

  1. Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Aussetzung der Einhebung gemäß § 212a BAO

  2. Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Aussetzung der Einhebung gemäß § 212a BAO

jeweils zur Steuernummer ***BF1StNr1*** zu Recht erkannt:

Die Beschwerden werden gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Mit Schreiben vom (Eingangsstempel ) beantragte die ***Bf1*** die Aussetzung der Einhebung zur Steuernummer ***BF1StNr1*** aufgrund des Antrages auf Wiederaufnahme bis zur endgültigen Entscheidung.

Mit inhaltlich identem Schreiben vom wurde ein weiterer Antrag auf Aussetzung der Einhebung eingebracht.

  1. Mit Bescheid des Finanzamtes Österreich vom wurde der Antrag auf Aussetzung der Einhebung vom zurückgewiesen mit folgender Begründung:

"Gem. § 212a Abs. 1 BAO ist eine Aussetzung der Einhebung nur in Verbindung mit einer Bescheidbeschwerde zulässig. Da Sie in Ihrem Antrag darauf hinweisen, dass ein Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens eingebracht wurde, jedoch keine Beschwerde anhängig ist, liegen die Voraussetzungen für eine Aussetzung der Einhebung nicht vor."

Mit Beschwerde vom (Eingangstempel ) hat die ***Bf1*** fristgerecht dagegen Beschwerde eingebracht und auf die beiliegende Rechtfertigung verwiesen wie folgt:

"Zur Rechtfertigung der Wiederaufnahme der Verfahren

Bezüglich der Entscheidungen des FA wurde das Rechtsmittel der Beschwerde ergriffen und sodann ein Vorlageantrag beim Bundesfinanzgericht gestellt. Nach langem Zuwarten wurde von der Finanz vorgeschlagen, den Vorlageantrag zurückzuziehen und nach der Rückziehung eine quotenmäßige Erledigung der Abgabenschuld und dem damit verbundenen endgültigen Vergleich und Verrechnung aller wechselseitigen Forderungen angeboten. Wie mündlich vereinbart, wurden die Vorlageanträge zurückgezogen. Es wurde damals in keiner Weise von der Finanz darauf hingewiesen, dass diese Vereinbarung die Grundlage eines Strafverfahrens werden wird oder sein könnte. Nunmehr hat aber die Finanz unter Berufung auf die Gegenstandsloserklärung ein Finanzstrafverfahren eingeleitet, wobei die ursprünglich von der Finanz festgesetzte, jedoch beeinspruchte Forderungshöhe, als strafbestimmender Wertbetrag angenommen wurde. Damit verbunden ist der Vorwurf der teils vorsätzlichen Verkürzung und Abgabenhinterziehung. Durch den Schriftverkehr ist durchaus die Aufforderung zur Rückziehung der Vorlageanträge belegbar. Jedenfalls wurde in den Besprechungsterminen niemals eine Aufklärung über die Folgen der Rückziehung geleistet oder in einer sonstigen Weise darauf hingewiesen. Niemals wäre ansonsten eine Rückziehung erfolgt, da ja nur im Vorlageantrag auf dem üblichen Rechtsweg die Forderungshöhe festgelegt werden kann. Jegliche Einwände als auch die Berichtigung der Abgabenhöhe selbst, wurde eben durch die von der Finanz einseitig begehrte und leichtsinnig geleistete Rückziehung des Abgabenschuldners praktisch aus der Welt geschafft. Wobei hier wohl der Vorwurf der Täuschung durch die Behörde nicht unangebracht ist, da kein Hinweis erfolgte, dass nach der abgabenrechtlichen Erledigung, offensichtlich eine strafrechtliche Verfolgung eingeleitet wird und damit die Vereinbarung zur Grundlage eines Strafverfahrens wurde. Dabei sei insbesondere auf die Wertansätze verwiesen, die nun zumindest im strafrechtlichen Sinn wenn überhaupt nur schwer zu korrigieren sind und damit bei der Urteilsfindung falsch angesetzt werden könnten. Damit wird aber der Anspruch der Wahrheitsfindung und der Rechtssicherheit gröblichst verletzt und die Möglichkeit einer unrichtigen Strafbestimmung herbeigeführt.

Niemals wäre eine Gegenstandsloserklärung freiwillig erfolgt, wenn über die Folgen eine Aufklärung vorgenommen worden wäre. Insbesondere in Anbetracht der schwerwiegenden Folgen. Es wurde in guten Glauben die Rückziehung geleistet.

Aus vorliegenden Gründen wird die Wiederaufnahme in vollem Umfang begehrt:

1. Bei der Leistung der Rückziehung war keine steuerrechtliche (Steuerberater) oder anwaltliche (Rechtsanwalt) Vertretung involviert, also erfolgte die Rückziehung unvertreten.

2. Die Finanz ist ihrer Aufklärungs- und Manuduktionspflicht nicht nachgekommen und es erfolgte keinerlei Aufklärung.

3. Bei der Vereinbarung des Anbotes wurde nicht darauf hingewiesen, dass durch die Gegenstandsloserklärung ein umfangreiches Strafverfahren ausgelöst wird, dies war den Abgabenschuldnern nicht bekannt.

Aus vorliegenden Gründen wird die Wiederaufnahme des Vorlageantrages beim Bundesfinanzgericht begehrt um eine ordentliche Feststellung allfälliger Abgabenrückstände und sonstiger Vergehen, auch zum Schutz der Abgabenpflichtigen zu gewähren, was auch dem gesetzlichen Gleichheitsgrundsatz der Abgabenpflichtigen gegenüber der Finanz entspricht."

  1. Mit weiterem Bescheid des Finanzamtes Österreich vom wurde der weitere Antrag vom auf Aussetzung der Einhebung mit identer Begründung zurückgewiesen.

Mit weiterer Beschwerde vom hat die ***Bf1*** fristgerecht gegen den Bescheid vom Beschwerde mit identer Begründung eingebracht.

Mit Beschwerdevorentscheidung des Finanzamtes Österreich vom wurde die Beschwerde vom gegen den Zurückweisungsbescheid vom als unbegründet abgewiesen und ausgeführt:

"§ 212a (1) Bundesabgabenordnung lautet:
Die Einhebung einer Abgabe, deren Höhe unmittelbar oder mittelbar von der Erledigung einer Bescheidbeschwerde abhängt, ist auf Antrag des Abgabepflichtigen von der Abgabenbehörde insoweit auszusetzen, als eine Nachforderung unmittelbar oder mittelbar auf einen Bescheid, der von einem Anbringen abweicht, oder auf einen Bescheid, dem kein Anbringen zugrunde liegt, zurückzuführen ist, höchstens jedoch im Ausmaß der sich bei einer dem Begehren des Abgabepflichtigen Rechnung tragenden Beschwerdeerledigung ergebenden Herabsetzung der Abgabenschuld. Dies gilt sinngemäß, wenn mit einer Bescheidbeschwerde die Inanspruchnahme für eine Abgabe angefochten wird.

Derzeit ist keine Bescheidbeschwerde anhängig. Da die Voraussetzung für die Bewilligung einer Aussetzung der Einhebung dadurch nicht gegeben ist, erfolgte die Zurückweisung des Antrages zu Recht."

Mit weiterer Beschwerdevorentscheidung des Finanzamtes Österreich vom wurde die Beschwerde vom gegen den Zurückweisungsbescheid vom als unbegründet abgewiesen und wir oben ausgeführt.

Im Vorlageantrag der ***Bf1*** vom wird die Entscheidung über die Bescheidbeschwerde durch das Bundesfinanzgericht in öffentlicher Verhandlung gem. § 264 BAO (Vorlageantrag) beantragt. Gleichzeitig wird weiterhin die diesbezügliche Aussetzung der Einhebung gem. § 212a BAO bis zur abschließenden Erledigung beantragt.

"Die Bescheidbegründung ist unrichtig, da sowohl ein mittelbarer als auch unmittelbarer Zusammenhang mit der Abgabennachforderung gegenüber haftbar gemachten Personen, die überdies ein berechtigtes Interesse der Abklärung haben, besteht. Darüber wurde bereits ausführlich informiert und lege ich nochmals im Anhang die Begründungen bei. Ich verweise nochmals ausdrücklich, dass im Zusammenhang mit dem anhängigen Strafverfahren das Abgabenverfahren untrennbar verbunden ist und daher selbst die Finanz eine Wiederaufnahme der Abgabenverfahren dringend angeraten hat.

Bis zur öffentlichen Verhandlung behalte ich mir die Vorlage weiterer Unterlagen ausdrücklich vor und ersuche um antragsgemäße Entscheidung. […]

Ergänzung Rechtfertigung

Nach telefonischer Rücksprache mit dem FA in Wien wurde ich im Wesentlichen darüber informiert:

1. Mit der Führung als Beschuldigter (als auch Zweitbeschuldigter) gelten für mich die Pflichten als auch die Rechte auch in vollem Umfang wie für den Hauptbeschuldigten selbst und ich kann und bin sogar verpflichtet alle notwendigen Rechtsmittel im Verfahren zur Verteidigung zu ergreifen die zur Abklärung und Beurteilung des Sachverhalts dienen.

2. Aufgrund der bereits dokumentierten Vorgeschichte in den einzelnen Verfahren ist die Wiederaufnahme zur Wahrheitsfindung unumgänglich. Erst mit der Durchführung der Verfahren vor den Finanzbehörden kann Erstens die tatsächliche Höhe der nicht abgeführten Abgaben festgestellt werden. Zweitens kann nur dadurch bewertet werden ob es sich um eine vorsätzliche Hinterziehung von Abgaben handelt oder z.B. nur eine Ordnungswidrigkeit vorliegt, wodurch sich im Falle einer endgültigen Verurteilung eine andere Strafbemessung zwingend ergeben würde. Diese Feststellungen können nur im Abgabenverfahren erörtert werden.

Ich merke an, dass unsere Bürokraft im Feber 2020 entlassen wurde und wir seither bemüht sind alle Akten aufzuarbeiten und derzeit täglich Steuererklärungen, Bilanzen, Anträge, Überweisungen an das Finanzamt tätigen. Leider wurde uns auch ein gewisses Chaos hinterlassen, wobei ein Streit mit unserem Vermieter bezüglich der teilweisen Zerstörung der Büroinfrastruktur, welche im Rechtsstreit vor dem Bezirksgericht geführt wurde ebenso große Schwierigkeiten bereitete.

Mein persönlicher Gesundheitszustand hat sich seit Jänner 2020 erheblich verschlechtert. Gemäß dem Entlassungsbrief des Krankenhauses der Barmherzigen Brüder vom , erlitt ich am eine schwere Herzattacke (Infarkt) in deren Folge plötzlich ein kompletter Rechtsschenkelblock an meinem Herzen festgestellt wurde und dadurch meine Leistungsfähigkeit massiv eingeschränkt ist.

Im November 2020 wurde ich mit dem Corona-Virus infisziert und verweise auch bezüglich der Langzeitfolgen zum Nachweis auf meinen Absonderungsbescheid der Bezirkshauptmannschaft Salzburg-Umgebung zu Zahl 300.

Wie bereits ausgeführt arbeite ich Stundenweise (als Pensionist) im Unternehmen mit und muss noch die bereits widerrufenen Verfahren einer Entscheidung zuführen. Aus dem gesamten Komplex wird es voraussichtlich zu rund 70 Wiederaufnahmen kommen, die ich aber aufgrund meiner gesundheitlichen Situation nur schrittweise abarbeiten kann.

Zum Vorwurf, dass ich der Beschuldigtenladung vom nicht nachgekommen bin, füge ich an, dass ich zum Einen zeitgerecht um einen Verfahrenshelfer angesucht habe um mich mit diesem beraten zu können. Zum zweiten habe ich am selben Tag um ca. 07.00 Uhr per Mail Frau Dr. F. verständigt, da aber an diesem Tag nachweislich der gesamte Internetbetrieb in unserer Region zusammengebrochen ist, dürfte meine Nachricht nicht angekommen sein.

In einem weiteren Vorlageantrag der ***Bf1*** vom wird die Entscheidung über die Bescheidbeschwerde vom durch das Bundesfinanzgericht in öffentlicher Verhandlung gem. § 264 BAO (Vorlageantrag) beantragt. Gleichzeitig wird weiterhin die diesbezügliche Aussetzung der Einhebung gem. § 212a BAO bis zur abschließenden Erledigung beantragt. Dieser Vorlageantrag ist inhaltsgleich zum Antrag vom .

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Rechtslage:

Gemäß § 212a Abs. 1 BAO ist die Einhebung einer Abgabe, deren Höhe unmittelbar oder mittelbar von der Erledigung einer Bescheidbeschwerde abhängt, auf Antrag des Abgabepflichtigen von der Abgabenbehörde insoweit auszusetzen, als eine Nachforderung unmittelbar oder mittelbar auf einen Bescheid, der von einem Anbringen abweicht, oder auf einen Bescheid, dem kein Anbringen zugrunde liegt, zurückzuführen ist, höchstens jedoch im Ausmaß der sich bei einer dem Begehren des Abgabepflichtigen Rechnung tragenden Beschwerdeerledigung ergebenden Herabsetzung der Abgabenschuld. Dies gilt sinngemäß, wenn mit einer Bescheidbeschwerde die Inanspruchnahme für eine Abgabe angefochten wird.

Gemäß § 212a Abs. 3 BAO können Anträge auf Aussetzung der Einhebung bis zur Entscheidung über die Bescheidbeschwerde (Abs. 1) gestellt werden. Sie haben die Darstellung der Ermittlung des gemäß Abs. 1 für die Aussetzung in Betracht kommenden Abgabenbetrages zu enthalten. Weicht der vom Abgabepflichtigen ermittelte Abgabenbetrag von dem sich aus Abs. 1 ergebenden nicht wesentlich ab, so steht dies der Bewilligung der Aussetzung im beantragten Ausmaß nicht entgegen.

§ 212a Abs. 9 BAO: Für Abgabenschuldigkeiten sind
a) solange auf Grund eines Antrages auf Aussetzung der Einhebung, über den noch nicht entschieden wurde, Einbringungsmaßnahmen weder eingeleitet noch fortgesetzt werden (§ 230 Abs. 6) oder
b) soweit infolge einer Aussetzung der Einhebung ein Zahlungsaufschub eintritt,
Aussetzungszinsen in Höhe von zwei Prozent über dem jeweils geltenden Basiszinssatz pro Jahr zu entrichten. Aussetzungszinsen, die den Betrag von 50 Euro nicht erreichen, sind nicht festzusetzen. Im Fall der nachträglichen Herabsetzung einer Abgabenschuld hat die Berechnung der Aussetzungszinsen unter rückwirkender Berücksichtigung des Herabsetzungsbetrages zu erfolgen. Wird einem Antrag auf Aussetzung der Einhebung nicht stattgegeben, so sind Aussetzungszinsen vor der Erlassung des diesen Antrag erledigenden Bescheides nicht festzusetzen. Im Fall der Bewilligung der Aussetzung der Einhebung sind Aussetzungszinsen vor der Verfügung des Ablaufes (Abs. 5 oder 5a) oder des Widerrufes der Aussetzung nicht festzusetzen.

Die Einhebung einer Abgabe ist aussetzbar, wenn ihre Höhe unmittelbar oder mittelbar von der Erledigung einer Bescheidbeschwerde abhängt. Dies gilt nur insoweit, als mit der Bescheidbeschwerde ein Bescheid in Beschwerdepunkten angefochten wird, in denen er von einem Anbringen abweicht (bzw wenn der Bescheid amtswegig ergangen ist). Vgl. Ritz/Koran, BAO, 7. Aufl. (2021), § 212a, II. Voraussetzungen [Rz 6].

Eine Aussetzung der Einhebung setzt ua voraus, dass die Nachforderung unmittelbar oder mittelbar auf einen Bescheid zurückzuführen ist, der von einem Anbringen abweicht, oder auf einen Bescheid, dem kein Anbringen zugrunde liegt. Vgl. Ritz/Koran, BAO, 7. Aufl. (2021), § 212a, II. Voraussetzungen [Rz 15].

Zu den Zurückweisungen der Aussetzung der Einhebung

Soweit die beschwerdeführende GmbH einwendet, dass sowohl ein mittelbarer als auch unmittelbarer Zusammenhang mit der Abgabennachforderung gegenüber haftbar gemachten Personen besteht, kann nur in aller Deutlichkeit nochmals darauf hingewiesen werden, dass eine wesentliche Voraussetzung für die Bewilligung einer Aussetzung der Einhebung gemäß § 212a BAO eine noch unerledigte Beschwerde gegen einen Abgabenbescheid ist, der von einem Anbringen abweicht oder dem kein Anbringen zugrunde liegt, der zu einer Nachforderung geführt hat.

Das Finanzamt hat bereits darauf hingewiesen, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Anträge auf Aussetzung der Einhebung keine Bescheidbeschwerde anhängig war. Da zudem auch keine Nachforderung bekannt war, auf die sich ein Antrag auf Aussetzung der Einhebung beziehen hätte können, sind die Voraussetzungen für die Bewilligung einer Aussetzung der Einhebung nicht gegeben. Die Zurückweisung der Anträge erfolgte daher zu Recht.

Zudem wird festgehalten, dass die Beschwerdebegründung oder die Begründung der Vorlagenanträge keine Anhaltspunkte liefern, dass die Voraussetzungen für die Bewilligung einer Aussetzung der Einhebung gegeben wären.

Ein Antrag auf Wiederaufnahme eines Abgabenverfahrens kann eine Bescheidbeschwerde als Voraussetzung für die Bewilligung einer Aussetzung der Einhebung nicht ersetzen.

Die von der beschwerdeführenden GmbH angesprochenen Rechtfertigungen betreffen einen Antrag auf Wiederaufnahme eines Abgabenverfahrens oder ein anhängiges Finanzstrafverfahren. Zum hier zu beurteilenden Beschwerdeverfahren wurden keine weiteren Argumente vorgebracht.

Soweit "ein mittelbarer als auch unmittelbarer Zusammenhang mit der Abgabennachforderung gegenüber haftbar gemachten Personen besteht" ist auf § 248 BAO zu verweisen, wonach einer haftenden Person (vorausgesetzt, es wurde in Haftungsbescheid erlassen) auch ein Beschwerderecht gegen die im Haftungsbescheid geltend gemachten Abgaben zusteht, unabhängig davon, wann diese Bescheide gegenüber der Primärschuldnerin erlassen wurden. Das kann aber nicht so weit gehen, dass eine potenziell haftende Person zu jeder Zeit ein Beschwerderecht zustehen würde.

Zum angesprochenen Finanzstrafverfahren ist festzustellen, dass im Rahmen der Entscheidungsfindung eine eigenständige Würdigung des abgabenrechtlichen Sachverhaltes und Berechnung der strafbestimmenden Wertbeträge zu erfolgen hat, unabhängig vom davor geführten Abgabenverfahren oder einem Verfahren auf Wiederaufnahme.

Zum Absehen einer mündlichen Verhandlung

Abschließend darf zum Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung festgehalten werden, dass das Unterbleiben einer (gemäß § 274 Abs. 1 Z 1 BAO beantragten) mündlichen Verhandlung zwar eine Verletzung von Verfahrensvorschriften darstellen mag, dieser Verfahrensfehler ist jedoch - außerhalb des von Art. 51 GRC erfassten Bereichs des Unionrechts - kein absoluter (; ).

Art. 6 Abs. 1 EMRK garantiert das Recht auf ein faires Verfahren als Grundrecht. Nach der Rechtsprechung des EGMR (vgl. die Entscheidung vom , Fall SPEIL v. Austria, Appl. 42057/98) kann das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung zwar dann ausnahmsweise als mit der EMRK vereinbar angesehen werden, wenn besondere Umstände ein Absehen von einer solchen Verhandlung rechtfertigen (vgl. hiezu etwa ). Solche besonderen Umstände nimmt der EGMR an, wenn das Vorbringen des Beschwerdeführers nicht geeignet ist, irgendeine Tatsachen- oder Rechtsfrage aufzuwerfen, die eine mündliche Verhandlung erforderlich machen könnte (vgl. ). Es ist vor dem Hintergrund des Art. 6 Abs. 1 EMRK maßgeblich, welcher Natur die Fragen sind, die für die Beurteilung der gegen den angefochtenen Bescheid relevierten Bedenken zu beantworten sind. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß Art. 6 Abs. 1 EMRK kann dabei im Hinblick auf die Mitwirkungsmöglichkeiten im Verwaltungsverfahren regelmäßig unterbleiben, wenn das Vorbringen erkennen lässt, dass die Durchführung einer Verhandlung eine weitere Klärung der Entscheidungsgrundlagen nicht erwarten lässt (vgl. ua). Nach der Rechtsprechung des EGMR und - ihm folgend - des VfGH kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn die Tatfrage unumstritten und nur eine Rechtsfrage zu entscheiden ist oder wenn die Sache keine besondere Komplexität aufweist (vgl. VfSlg 18.994/2010, VfSlg 19.632/2012, ). Das Gericht kann unter Berücksichtigung der Anforderungen an Verfahrensökonomie und Effektivität von einer mündlichen Verhandlung absehen, wenn der Fall auf der Grundlage der Akten und der schriftlichen Stellungnahmen der Parteien angemessen entschieden werden kann (EGMR , Fall Döry, Appl. 28.394/95, Z37 ff.; EGMR , Fall Miller, Appl. 55.853/00, Z29; ).

Auch der Hinweis, sich für die beantragte mündliche Verhandlung die Nachreichung von Unterlagen vorzubehalten, kann keine andere Beurteilung der Sache ermöglichen, da sich rückwirkend die Voraussetzungen für die Entscheidung über die Aussetzung der Einhebung nicht ändern werden. Es liegt in diesem Beschwerdeverfahren eine ausschließlich verfahrensrechtliche Erledigung vor. Diese Voraussetzungen sind zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Anträge auf Aussetzung der Einhebung nicht vorgelegen.

Da es im gegenständlichen Fall ausschließlich um die Lösung von Rechtsfragen ging und kein Sachverhaltselement strittig war, konnte - auch unter Berücksichtigung des von der beschwerdeführenden Partei geschilderten schlechten Gesundheitszustandes ihres Geschäftsführers, dem die weite Anreise zu einer Verhandlung, die keine Änderung der Entscheidung bewirken könnte, nicht zugemutet werden sollte - von der Abhaltung einer mündlichen Verhandlung Abstand genommen werden, da kein ergänzendes Vorbringen vorstellbar ist, das zu einem anderen Ergebnis in der Sache geführt hätte.

Zur Unzulässigkeit einer Revision:

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf die eindeutige Rechtslage und höchstgerichtliche Judikatur wird verwiesen.

Salzburg, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 274 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 212a BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2022:RV.6100169.2021

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at