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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 30.11.2022, RV/7102317/2021

Wiederaufnahme auf Antrag (keine Bindung an zivilgerichtliche Entscheidungen)

Rechtssätze


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Stammrechtssätze
RV/7102317/2021-RS1
Wird in einem zivilgerichtlichen Verfahren auf Zuerkennung von Insolvenzentgelt die Klage des Arbeitnehmers wegen Sittenwidrigkeit abgewiesen bzw. wird der Arbeitnehmer in einem anderen zivilgerichtlichen Verfahren zur Rückerstattung erhaltener Gehaltszahlungen wegen Anfechtbarkeit i.S.d. §§ 27ff IO verhalten, liegt hierin kein Abspruch über das Bestehen oder Nichtbestehen der Gehaltsansprüche gegenüber dem Arbeitgeber. Derartige zivilgerichtliche Urteile sind daher nicht geeignet, einen im Spruch anderslautenden Bescheid bzgl. Lohnabgaben herbeizuführen, weshalb sie eine Wiederaufnahme des Verfahrens zur Festsetzung dieser Lohnabgaben nicht rechtfertigen. Dem Wiederaufnahmegrund des § 303 Abs. 1 lit. c BAO steht zudem entgegen, dass eine Bindung an zivilgerichtliche Entscheidungen wegen der dort herrschenden Parteienmaxime gemäß § 116 Abs. 2 zweiter Satz BAO nicht besteht, sodass diese den Vorfragentatbestand keinesfalls verwirklichen können.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter ***R*** in der Beschwerdesache ***Bf***, ***Bf-Adr***, vertreten durch Dr. Charlotte Böhm, Taborstraße 10 Tür 2, 1020 Wien, als Masseverwalterin über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens zur Festsetzung von Lohnsteuer (Haftung), Säumniszuschlag, Dienstgeberbeitrag und Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag für Februar und März 2018 gem. § 303 BAO, Steuernummer ***BFStNr*** zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Mit Schriftsatz vom beantragte die Beschwerdeführerin gemäß § 303 BAO die Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Lohnsteuer 01-07/2018 i.H.v. € 5.465,94, da die zugrundeliegenden Entgeltansprüche der Dienstnehmer ***DN1*** und ***DN2*** seit dem nicht bestehen. Sie stützte sich hierbei auf das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom , 37 Cgs 55/19b und das im Rechtszug hierzu ergangene Urteil des Oberlandesgerichtes Wien vom , 10 Rs 32/20d, wonach eine Klage des Dienstnehmers ***DN1*** gegen die Insolvenz-Entgelt-Fonds Service GmbH auf Zahlung von Insolvenzentgelt für den Zeitraum bis zuzüglich Urlaubsersatzleistung, Urlaubszuschuss, Weihnachtsremuneration und Kündigungsentschädigung abgewiesen wurde. ***DN2*** habe eine i.W. gleichlautende Klage eingebracht und unter Anspruchsverzicht zurückgezogen, nachdem das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien zu 37 Cgs 55/19b in Rechtskraft erwachsen ist. Weiters stützte sie sich auf das Urteil des Handelsgerichtes Wien vom , 33 Cg 38/19s (verbunden mit 33 Cg 39/19p), wonach sie als Masseverwalterin Gehaltszahlungen der Beschwerdeführerin an ***DN1*** und ***DN2*** erfolgreich nach § 28 IO angefochten hatte.

Mit Bescheid vom wies die belangte Behörde den Wiederaufnahmeantrag ab. Sie führte aus, dass sich aus dem Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien lediglich ergebe, dass kein Anspruch auf Insolvenzentgelt besteht und könne dies nicht zu einer geänderten Besteuerung führen. Vielmehr sei dadurch bestätigt, dass es sich hier um Scheinunternehmen bzw. Scheingeschäfte handle. Im Übrigen seien die Abgaben nach einer Prüfung anhand vorgelegter Unterlagen in Abstimmung mit der Masseverwalterin vorgeschrieben worden und verwirkliche eine allenfalls geänderte rechtliche Beurteilung eines schon bekannt gewesenen Sachverhaltes keinen Wiederaufnahmetatbestand.

Dagegen richtet sich die gegenständliche Beschwerde vom . In dieser wurde ergänzend vorgebracht, dass ***DN1*** und ***DN2*** ihre Gehaltsforderungen auch gegenüber der Masseverwalterin mittels Feststellungsklage geltend gemacht haben, nachdem diese die als Insolvenzforderungen angemeldeten Entgeltsansprüche bestritten hatte. Die Feststellungsverfahren seien aufgrund der Klagsführung gegen die IEF Service GmbH unterbrochen worden. Erst mit Urteil des Handelsgerichtes Wien zu 33 Cg 38/19s seien ***DN1*** und ***DN2*** verurteilt worden, ihre Überbezüge an Gehalt von März bis Oktober 2017 an die Masse rückzuerstatten. Zum Zeitpunkt der Prüfungstagsatzung habe keine Gewissheit bestanden, dass Scheingeschäfte vorlagen und diese Dienstnehmer ihre Gehälter ab März 2017 unrechtmäßig verdoppelt haben. Es habe umfangreicher Recherchen bedurft, um die Anfechtungsklagen einbringen zu können. Gemäß § 303 Abs. 1 lit. c BAO könne ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren wiederaufgenommen werden, wenn der Bescheid von Vorfragen abhängig war und nachträglich über die Vorfrage in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde, sofern die Kenntnis dieser Umstände einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte. Der Bescheid, der zur Anmeldung der Lohnsteuer 01-07/2018 geführt hat, wäre entfallen, wenn im Zeitpunkt der Bescheiderlassung bereits festgestanden wäre, dass ***DN1*** und ***DN2*** für den Zeitraum Jänner bis Juli 2018 keinen Entgeltsanspruch mehr hatten.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies die belangte Behörde die Beschwerde als unbegründet ab. Sie führte aus, dass die Hauptfrage des Verfahrens vor dem Arbeits- und Sozialgericht Wien darin bestanden habe, ob Anspruch auf Insolvenzentgelt besteht. Wenngleich das Urteil die Feststellung enthält, dass 2018 kein Entgeltsfluss an ***DN1*** stattgefunden habe, entfalte dies keine Bindungswirkung als Vorfrage i.S.d. § 116 BAO, da es sich nicht um eine Rechtsfrage, sondern eine Tatsachenfeststellung und damit nicht um eine Vorfrage handle. In Bezug auf ***DN2*** liege zudem infolge Klagsrückziehung kein Urteil vor, sodass eine Bindungswirkung schon aus diesem Grunde nicht angenommen werden könne. Hauptfrage des Verfahrens vor dem Handelsgericht Wien sei die Anfechtbarkeit der Zahlungen an ***DN1*** und ***DN2*** gewesen. Diese Frage sei im Abgabenverfahren bezüglich Lohnsteuer nicht relevant, da hierfür lediglich der tatsächliche Zufluss maßgeblich sei und es keine Rolle spiele, ob ein Anspruch bestand, ob die Aneignung der Gelder rechtswidrig war, ob der zugrundeliegende Vertrag bzw. die Zahlung angefochten wurde oder ob eine Rückzahlung erfolgte. Überdies bestehe keine Bindung der Abgabenbehörde an zivilgerichtliche Entscheidungen, sodass mangels einer Vorfrage i.S.d. § 116 BAO der Wiederaufnahmetatbestandes § 303 Abs. 1 lit. c BAO nicht erfüllt sein könne.

Mit Schriftsatz vom stellte die Beschwerdeführerin Vorlageantrag gemäß § 264 BAO. Sie hielt darin nochmals fest, dass durch die o.a. Urteile erwiesen sei, dass ***DN1*** und ***DN2*** ab November 2017 kein Entgelt mehr bezogen hätten, sodass im Jahr 2018 keine offenen Dienstnehmerforderungen bestünden, die der Lohnsteuer unterliegen. Der Entscheidung der Finanzbehörden könne gemäß § 116 BAO kein anderer Sachverhalt zugrunde gelegt werden, sodass die Voraussetzungen des § 303 Abs. 1 lit. c BAO vorliegen. Mit weiterem Schriftsatz vom hielt die Beschwerdeführerin fest, dass der Wiederaufnahmeantrag vom nicht auf den Tatbestand des § 303 Abs. 1 lit. c BAO ("Vorfragentatbestand") beschränkt sei, sondern auch die übrigen Wiederaufnahmegründe des § 303 BAO umfasse.

Festzuhalten ist, dass der Wiederaufnahmeantrag vom auch auf die Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Umsatzsteuer 06/18 gerichtet war. Diesem Antrag hat die belangte Behörde im Ergebnis insofern entsprochen, als sie den Umsatzsteuerbescheid 2018 vom mit Bescheid vom gemäß § 299 BAO aufgehoben und mit weiterem Bescheid vom selben Tage die Umsatzsteuer 2018 neu festgesetzt hat, sodass sich eine Gutschrift i.H.v. € 1.286,01 (Vorsteuer) ergibt. Über den Wiederaufnahmeantrag betreffend Umsatzsteuer hat die belangte Behörde nicht abgesprochen, sodass dieser nicht beschwerdegegenständlich ist.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Sachverhalt

Die ***Bf*** (FN ***XXXXX***) wurde mit Erklärung vom errichtet. Ihr Geschäftszweig bestand in der Vermittlung von Wetten, insbesondere Sportwetten, sowie im Handel mit Waren aller Art. Geschäftsführer war zunächst ***GFalt***. Alleinige Gesellschafterin der ***Bf*** war und ist bis heute die ***YGmbH*** (FN ***YYYYY***), deren Geschäftsführer ursprünglich ebenfalls ***GFalt*** war. Gesellschafter der ***YGmbH*** waren zunächst u.a. ***DN1*** und ***DN2*** die seit auch in einem Dienstverhältnis zur ***Bf*** standen.

Nachdem Anfang des Jahres 2017 absehbar wurde, dass die ***Bf*** ihren Betrieb nicht aufrechterhalten wird können, da sie über keine Bewilligung nach § 3 Wiener Wettengesetz verfügte und eine solche in Ermangelung eines Bonitätsnachweises i.S.d. § 12 Wiener Wettengesetz auch nicht erlangen konnte, kamen ***GFalt***, ***DN1*** und ***DN2*** überein, einen "Strohmann" zu suchen, der formell die Geschäftsführung der ***Bf*** und der ***YGmbH*** sowie die Geschäftsanteile an der ***YGmbH*** übernimmt, während sich an der Geschäftsführung und an der wirtschaftlichen Berechtigung im Innenverhältnis faktisch nichts ändern sollte. Diese Vorgangsweise wurde u.a. auch deswegen eingeschlagen, da ***DN1*** und ***DN2*** im Fall der sich abzeichnenden Insolvenz der ***Bf*** Insolvenzentgelt gegenüber der IEF Service GmbH geltend machen wollten und befürchteten, dass es hierbei aufgrund ihres Naheverhältnisses zur Alleingesellschafterin ***YGmbH*** zu Schwierigkeiten kommen könnte. Dieser "Strohmann" wurde schließlich in ***GFneu*** gefunden, der Ende Februar/Anfang März 2017 sämtliche Geschäftsanteile an der ***YGmbH*** übernahm und Geschäftsführer sowohl der ***YGmbH*** (ab ) als auch der ***Bf*** (ab ) wurde. ***GFalt*** erhielt am von ***GFneu*** eine umfassende Generalvollmacht für die ***Bf***. Für das Geschäftskonto der ***Bf*** blieben bis zu dessen Schließung am ausschließlich ***GFalt***, ***DN1*** und ***DN2*** zeichnungsberechtigt. Ab einschließlich März 2017 bis einschließlich Oktober 2017 gelangten die Bruttogehälter an ***DN1*** und ***DN2*** in doppelter Höhe zur Auszahlung. ***DN1*** erhielt demnach nun monatlich € 5.580,84 brutto (€ 3.313,56 netto) anstatt bisher € 2.790,42 brutto (€ 1.903,22 netto), ***DN2*** € 5.810,56 brutto (€ 3.446,80 netto) anstatt bisher € 2.905,28 brutto (€ 1.964,35 netto). Ab einschließlich November 2017 gelangten keine Gehälter mehr zur Auszahlung.

Mit Beschluss des Handelsgerichtes Wien vom , ***ZZZZZ***, wurde das Konkursverfahren über das Vermögen der ***Bf*** eröffnet und Dr. Charlotte Böhm zur Masseverwalterin bestellt. Die belangte Behörde führte eine Außenprüfung bei der nunmehr insolventen ***Bf*** durch, deren Ergebnis darin bestand, dass mit Bescheid vom die Haftung für Lohnsteuer i.H.v. € 5.606,90 ausgesprochen wurde. Gleichzeitig wurden ein Säumniszuschlag (SZ) zur Lohnsteuer i.H.v € 112,14, eine Nachforderung an Dienstgeberbeitrag (DB) i.H.v. € 936,83 und eine Nachforderung an Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag (DZ) i.H.v. 96,08 festgesetzt. Hierbei handelte es sich um die entsprechenden Lohnabgaben für die Dienstnehmer ***DN1*** und ***DN2*** für Februar und März 2018 auf Basis der seit März 2017 erhöhten (verdoppelten) Gehälter. Die jeweiligen Beträge wurden den Lohnkonten vom entnommen, welche die Gehälter und Lohnabgaben von Jänner 2017 bis März 2018 ausweisen. Die festgesetzten Abgaben im Gesamtbetrag von € 6.751,95 wurde von der belangten Behörde abzüglich einer Vorsteuer i.H.v. € 1.286,01, sohin mit einem Betrag von € 5.465,94 (im Rückstandsausweis nicht ganz zutreffend als LSt 01-07/2018 bezeichnet) im Insolvenzverfahren angemeldet und von der Masseverwalterin in der (nachträglichen) Prüfungstagsatzung vom anerkannt. Zum Geschäftsführer ***GFneu***, von dem lediglich eine bulgarische Adresse bekannt ist, konnte die Masseverwalterin im Zuge des Insolvenzverfahrens keinen Kontakt herstellen.

***DN1*** und ***DN2***, die mittlerweile ihre Dienstverhältnisse zur ***Bf*** durch vorzeitigen Austritt gemäß § 25 IO per beendet hatten, beantragten die Zuerkennung von Insolvenzentgelt für die Zeit ab . Nachdem die IEF Service GmbH diese Anträge bescheidmäßig abwies, erhoben sie zu 37 Cgs 65/19b (***DN1***) bzw. 36 Cgs 67/19k (***DN2***) des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien Klagen auf Zahlung von Insolvenzentgelt gegen die IEF Service GmbH. Die Klage des ***DN1*** wurde mit Urteil vom abgewiesen. Das ASG Wien ging davon aus, dass ***DN1*** über die finanziellen Verhältnisse der ***Bf*** genau Bescheid wusste und dennoch in der Absicht, im erwarteten Insolvenzfall Ansprüche gegen die IEF Service GmbH geltend zu machen, seine Tätigkeit bei zugleich verdoppelten Gehalt fortgesetzt und auch nach Einstellung der Gehaltszahlungen noch über acht Monate mit der Beendigung seines Dienstverhältnisses zugewartet hat. Die Geltendmachung von Insolvenzentgelt wurde vom ASG Wien daher als sittenwidrig qualifiziert. Ob ***GFneu*** oder ***GFalt*** über die Verdoppelung des Gehaltes informiert waren, konnte das ASG Wien nicht feststellen. Eine dagegen erhobene Berufung blieb erfolglos. Das Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht übernahm die erstgerichtlichen Feststellungen und teilte auch die rechtliche Beurteilung des Erstgerichtes. ***DN2*** zog seine Klage gegen die IEF Service GmbH am zurück.

Am brachte die Masseverwalterin beim Handelsgericht Wien Anfechtungsklagen gegen ***DN1*** (33 Cg 38/19s) und ***DN2*** (33 Cg 39/19p) ein, mit welchen sie u.a. die Rückzahlung der im Zeitraum März bis Oktober 2017 aufgrund der Verdoppelung der Gehälter erhaltenen zusätzlichen Zahlungen geltend machte. Diese zusätzlichen Zahlungen beliefen sich hinsichtlich ***DN1*** auf € 11.282,82 ([€ 3.313,56 - € 1.903,22] x 8) und hinsichtlich ***DN2*** auf € 11.859,60 ([3.446,80 - € 1.964,35] x 8). Mit Urteil des Handelsgerichtes Wien vom wurde diesen Klagen (die Verfahren wurden zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden) stattgegeben; die Zahlungen wurden den Insolvenzgläubigern gegenüber als unwirksam erkannt und die Beklagten zur Rückzahlung an die Konkursmasse verpflichtet. Das HG Wien ging davon aus, dass sowohl die ***Bf*** als auch die beiden Beklagten es aufgrund ihres Wissens um die finanzielle Situation der ***Bf*** ernstlich für möglich hielten und sich damit abfanden, dass durch die erhöhten Gehaltszahlungen die anderen Gläubiger der ***Bf*** benachteiligt werden und dass diese Zahlungen daher gemäß § 28 IO anfechtbar sind. Dieses Urteil ist in Rechtskraft erwachsen.

Beweiswürdigung

Die Feststellungen zu den gesellschaftsrechtlichen Verhältnissen und Vorgängen in Bezug auf die ***Bf*** und die ***YGmbH*** gründen sich auf das offene Firmenbuch, jene zu den Hintergründen dieser Vorgänge auf die vorliegenden Urteile des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien (37 Cgs 55/19b), des Oberlandesgerichtes Wien (10 Rs 32/20d) und des Handelsgerichtes Wien (33 Cg 38/19s verbunden mit 33 Cg 39/19p) und die damit im Zusammenhang stehenden Urkunden (Klagen der Dienstnehmer ***DN1*** und ***DN2*** gegen die IEF Service GmbH; Beschluss über die Klagsrückziehung zu 36 Cgs 67/19k; Rechtskraftbestätigung des HG Wien zu 33 Cg 38/19s; Anfechtungsklagen der Masseverwalterin zu 33 Cg 38/19s und 33 Cg 39/19p des HG Wien). Dass ***GFneu*** lediglich als Strohmann eingesetzt wurde, u.a. um Schwierigkeiten bei der beabsichtigten Geltendmachung von Insolvenzentgelt im sich abzeichnenden Konkurs der ***Bf*** zu vermeiden, haben die beteiligten Zivilgerichte übereinstimmend festgestellt und wird dies auch von den Parteien des gegenständlichen Beschwerdeverfahrens nicht in Zweifel gezogen. Hinweise darauf, dass die Feststellungen der Zivilgerichte unzutreffend sein könnten, liegen nicht vor, sodass auch für das Bundesfinanzgericht keine Veranlassung besteht, diesbezüglich von einem abweichenden Sachverhalt auszugehen. Die Feststellungen zu den Gehältern der Dienstnehmer ***DN1*** und ***DN2*** ergeben sich zudem auch aus den Lohnkontoblättern vom .

Die Feststellungen zum Insolvenzverfahren ***ZZZZZ*** des HG Wien ergeben sich aus der öffentlich zugänglichen Insolvenzdatei, jene zur Außenprüfung der belangten Behörde und der daraus resultierenden Geltendmachung zusätzlicher Abgaben aus der Niederschrift über die Schlussbesprechung vom , dem Bericht über das Ergebnis der Außenprüfung gemäß § 150 BAO vom sowie aus den Bescheiden betreffend Haftung für LSt sowie Festsetzung von SZ, DB und DZ vom selben Tage, weiters aus der Forderungsanmeldung der belangten Behörde vom , dem Rückstandsausweis vom selben Tage und den (amtswegig abgefragten) Bescheiden vom und betreffend Umsatzsteuer 2018. Dass die von der belangten Behörde angemeldete Forderung anerkannt wurde, ist dem vorliegenden Anmeldungsverzeichnis (ON 8) zu entnehmen.

Die Feststellungen zu den zivilgerichtlichen Verfahren (37 Cgs 65/19b und 36 Cgs 67/19k des ASG Wien bzw. 33 Cg 38/19s und 33 Cg 39/19p des HG Wien) ergeben sich wiederum aus den diesbezüglichen Urteilen und den damit in Zusammenhang stehenden Urkunden (s.o.).

Der festgestellte Sachverhalt ist im Übrigen zwischen den Parteien unstrittig. Strittig ist vielmehr die Rechtsfrage, ob er einen Wiederaufnahmetatbestand verwirklicht.

Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)

Gemäß § 303 Abs. 1 BAO kann ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren wiederaufgenommen werden, wenn
a) der Bescheid durch eine gerichtlich strafbare Tat herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist (Erschleichungstatbestand), oder
b) Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind (Neuerungstatbestand), oder
c) der Bescheid von Vorfragen (§ 116 BAO) abhängig war und nachträglich über die Vorfrage in wesentlichen Punkten anders entschieden worden ist (Vorfragentatbestand)
und die Kenntnis dieser Umstände einen im Spruch anderslautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

Welche gesetzlichen Wiederaufnahmegründe durch einen konkreten Sachverhalt als verwirklicht angesehen und daher als solche herangezogen werden sollen, bestimmt bei der Wiederaufnahme auf Antrag die betreffende Partei (). § 303 Abs. 2 BAO normiert daher, dass der Wiederaufnahmeantrag die Bezeichnung des Verfahrens, dessen Wiederaufnahme beantragt wird, sowie die Bezeichnung der Umstände, auf die der Antrag gestützt wird, zu enthalten hat. Mit der Bezeichnung dieser Umstände wird die "Sache" des Wiederaufnahmeverfahrens festgelegt. Nur über sie darf abgesprochen werden. Eine Wiederaufnahme aus einem anderen (nicht geltend gemachten) Grund ist unzulässig, wobei an die Bezeichnung des Verfahrens und die Umstände keine allzu strengen Anforderungen zu stellen sind. Ausreichend ist, dass aus dem Wiederaufnahmeantrag hervorgeht, welches Verfahren gemeint ist und welche Wiederaufnahmegründe geltend gemacht werden ().

Im vorliegenden Fall hat die Beschwerdeführerin - gestützt auf die vorgelegten zivilgerichtlichen Urteile - den Wiederaufnahmeantrag damit begründet, dass Entgeltsansprüche der Herren ***DN1*** und ***DN2*** seit dem nicht bestehen sollen. Damit hat sie erkennbar den Neuerungstatbestand bzw. den Vorfragentatbestand geltend gemacht, da dieses Vorbringen dahingehend verstanden werden kann, dass das Nichtbestehen von Entgeltsansprüchen erst durch die zivilgerichtlichen Verfahren hervorgekommen sei bzw. die Zivilgerichte über das Bestehen von Entgeltsansprüchen als Vorfrage abgesprochen hätten. Dafür, dass die Bescheide vom auf irgendeine Weise erschlichen worden sein könnten, fehlt im Antragsvorbringen sowie im gesamten sonstigen Akteninhalt jeglicher Hinweis, sodass der Erschleichungstatbestand jedenfalls ausscheidet.

Zum Neuerungstatbestand ist auszuführen, dass der Gegenstand des Verfahrens 37 Cgs 55/19b des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien der von ***DN1*** gegen die IEF Service GmbH geltend gemachte Anspruch auf Auszahlung von Insolvenzentgelt war. Das Gericht hat diesen Anspruch verneint, da der Kläger trotz genauer Kenntnis um die wirtschaftliche Situation der ***Bf*** seine Tätigkeit für diese (bei zugleich verdoppeltem Gehalt) fortgesetzt und nach Einstellung der Gehaltszahlungen noch über acht Monate mit der Beendigung seines Dienstverhältnisses zugewartet hat. Da er dies in der Absicht getan hat, im (erwarteten) Insolvenzfall Ansprüche gegen die IEF Service GmbH geltend zu machen, lag nach Ansicht des ASG Sittenwidrigkeit vor, was den Anspruch auf Insolvenzentgelt ausschließt, zumal nach der Rechtsprechung Vereinbarungen oder Verhaltensweisen, durch die das Risiko im Insolvenzfall missbräuchlich auf den Insolvenz-Entgeltfonds überwälzt werden soll, diesem gegenüber unwirksam sind (). Dies bedeutet aber nicht, dass ein derartig handelnder Arbeitnehmer seine Entgeltansprüche überhaupt (also auch gegenüber seinem Arbeitgeber) verlieren würde. Sie sind lediglich ungesichert, sodass er mit seinen Ansprüchen auf die Insolvenzquote verwiesen ist. Die Tatsache des rechtsmissbräuchlichen Zuwartens mit der Beendigung des Dienstverhältnisses ist daher nicht geeignet, einen im Spruch anderslautenden Bescheid herbeizuführen, da die Entgeltsansprüche des Dienstnehmers ***DN1*** (für ***DN2*** kann nichts anderes gelten) und die daraus resultierenden Lohnabgaben dadurch grundsätzlich nicht berührt werden.

Dasselbe gilt für die Verfahren 33 Cg 38/19s und 33 Cg 39/19p des HG Wien, in denen ***DN1*** und ***DN2*** dazu verurteilt wurden, einen Teil des erhaltenen Entgeltes an die Konkursmasse zurückzuzahlen. Auch hier bestand der entscheidende Grund nicht darin, dass die Entgeltzahlungen nicht gebührt hätten und rechtsgrundlos erfolgt wären, sondern dass sie infolge Kenntnis der Benachteiligungsabsicht gemäß § 28 IO anfechtbar waren. Angefochtenen und für unwirksam erklärt wurden nicht die Dienstverträge, sondern die erhaltenen Zahlungen. Dadurch geht der Anspruch nicht verloren, sondern können ***DN1*** und ***DN2*** nach Erfüllung des Urteiles des HG Wien die wieder aufgelebten Anspüche als Insolvenzforderungen anmelden (§ 41 Abs. 2 IO). Auch aus dem Ergebnis der Verfahren 33 Cg 38/19s und 33 Cg 39/19p des HG Wien kann daher nicht abgeleitet werden, dass ab Jänner 2018 keine Gehaltsansprüche mehr bestehen.

Anders mag allenfalls der "Aufstockungsbetrag" zu beurteilen sein, der von März 2017 bis Oktober 2017 zusätzlich zum bisher bezahlten Gehalt an ***DN1*** und ***DN2*** zur Auszahlung gelangte und bei Verfügbarkeit liquider Mittel wohl auch darüber hinaus zur Auszahlung gelangt wäre. Hier steht im Raum, dass diese Verdoppelung des Gehalts ohne Einbindung der für die ***Bf*** vertretungsbefugten Personen, also des Geschäftsführers ***GFneu*** und des Generalbevollmächtigten ***GFalt*** vorgenommen wurde. Sollten ***DN1*** und ***DN2*** diese Aufstockung tatsächlich eigenmächtig vorgenommen haben, würden mangels wirksamer Vereinbarung Entgeltsansprüche über die bisher bezahlten Beträge von € 2.790,42 brutto/€ 1.903,22 netto (***DN1***) bzw. € 2.905,28 brutto/€ 1.964,35 netto (***DN2***) hinaus nicht bestehen. Da aber die Zivilgerichte derartiges gerade nicht festgestellt haben (das ASG Wien trifft diesbezüglich ausdrücklich eine Negativfeststellung; das HG Wien führt lediglich im Rahmen der Beweiswürdigung aus, dass der Zeuge ***GFalt*** zur Verdoppelung des Gehalts keine entscheidungsrelevante Aussage treffen konnte), kann nicht davon gesprochen werden, dass eine solche Tatsache i.S.d. § 303 Abs. 1 lit. b BAO "hervorgekommen" wäre. Angesichts dieses "non liquet" kann auch nicht gesagt werden, dass die Kenntnis des im Raum stehenden Umstandes - zumal mit Gewissheit () - zu einem anderen Bescheid geführt hätte. Zudem war die Tatsache der faktischen Gehaltsverdoppelung aufgrund der Lohnkontoblätter vom , auf die in der Niederschrift über die Schlussbesprechung vom und im Betriebsprüfungsbericht vom Bezug genommen wird und die daher in die Bescheide vom eingeflossen sind (Bemessungsgrundlage für die festgesetzten Lohnabgaben war das verdoppelte Gehalt der Monate Februar und März 2018), im Zeitpunkt der Bescheiderlassung allen Beteiligten (daher auch der Beschwerdeführerin in Person Masseverwalterin, die an der Schlussbesprechung vom teilgenommen hat) bekannt und damit nicht "neu" im Sinne dieser Gesetzesbestimmung. Sollte hierüber tatsächlich keine wirksame Vereinbarung mit ***GFneu*** oder ***GFalt*** vorliegen, war die (negative) Tatsache des Nichtvorliegens einer Vereinbarung diesen beiden vertretungsbefugten Personen und damit der ***Bf*** ebenfalls bekannt, sodass auch diesbezüglich keine neue Tatsache vorliegt. Zudem bestand im abgeschlossenen Verfahren ausreichend Gelegenheit, die Einvernahme der Herren ***GFneu*** und/oder ***GFalt*** - erforderlichenfalls im Wege der internationalen Amtshilfe - zu diesem Thema zu beantragen und steht dies nach der Rechtsprechung einer Wiederaufnahme ebenfalls entgegen (Ellinger/Sutter/Urtz, BAO, 3. Aufl., Anm. 15 u. E 101 zu § 303).

Der Vollständigkeit halber ist zum Neuerungstatbestand noch festzuhalten, dass Anhaltspunkte dafür, dass schon ursprünglich (also bei Beginn der Dienstverhältnisse im Oktober 2011) keine wirksame Vereinbarung über die Gehälter der Herren ***DN1*** und ***DN2*** zustande gekommen wäre und Entgeltsansprüche aus diesem Grunde nicht bestehen, jedenfalls nicht ersichtlich sind. Dass die Gehälter seit November 2017 faktisch nicht mehr zur Auszahlung gelangten, steht der Festsetzung von Lohnabgaben nicht entgegen. Dies erhellt schon aus § 3 Abs 1 IESG, wonach das Insolvenzentgelt, dessen Berechtigung naturgemäß voraussetzt, dass Gehaltsansprüche offen geblieben sind, netto gebührt, während die gesetzlichen Abzüge von der betreffenden öffentlich-rechtlichen Körperschaft im Insolvenzverfahren geltend zu machen sind. Die - allenfalls auf den Insolvenz-Entgeltfonds übergegangenen - offenen Gehaltsforderungen und die daraus resultierenden Lohnabgaben sind daher unabhängig voneinander geltend zu machen und auf die Insolvenzquote verwiesen, wodurch letztlich auch die von § 78 Abs. 3 EStG 1988 geforderte verhältnismäßige Gleichbehandlung von Arbeitslohn und Lohnsteuer gewährleistet ist (s. auch OLG Wien, , 10 Rs 140/13a, SVSlg 64.278, und LStR 2002, Rz. 1198).

Zum Vorfragentatbestand (§ 303 Abs. 1 lit. c BAO) ist auszuführen, dass dieser nur dann verwirklicht sein kann, wenn die Abgabenbehörde an die Entscheidung der "Hauptfragenbehörde" gebunden gewesen wäre, wenn diese bereits bei Erlassung des Abgabenbescheides vorgelegen wäre. Da eine Bindung der Abgabenbehörde an Urteile der Zivilgerichte wegen der dort geltenden Parteienmaxime nicht besteht (§ 116 Abs. 2 zweiter Satz BAO), können zivilgerichtliche Entscheidungen - und damit auch die hier ins Treffen geführten Urteile des ASG Wien zu 37 Cgs 65/19b und des HG Wien zu 33 Cg 38/19s und 33 Cg 39/19p - den Vorfragentatbestand keinesfalls verwirklichen (; , 2002/13/0167). Darüber hinaus haben die Zivilgerichte als Hauptfrage gerade nicht über die Entgeltsansprüche der Herren ***DN1*** und ***DN2***, sondern über den Anspruch des ***DN1*** auf Insolvenzentgelt bzw. über die Anfechtbarkeit erhaltener Gehaltszahlungen entschieden. Letztlich liegt ein Urteil über den Anspruch des ***DN2*** auf Insolvenzentgelt infolge Klagsrückziehung nicht vor und betrifft das Urteil des HG Wien zu 33 Cg 38/19s und 33 Cg 39/19p nicht die hier gegenständlichen Abgabenzeiträume, sodass eine Vorfragenentscheidung auch aus diesen Gründen nicht gegeben ist.

Da sohin kein Wiederaufnahmegrund vorliegt, war die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Eine solche Rechtsfrage war im vorliegenden Fall nicht zu lösen. Die Voraussetzungen einer Wiederaufnahme nach dem Neuerungstatbestand und dem Vorfragentatbestand sind durch die zitierte Rechtsprechung des VwGH, von der das Bundesfinanzgericht nicht abgewichen ist, hinreichend geklärt. Ob diese Voraussetzungen im konkreten Fall vorliegen, hängt maßgeblich von den Umständen des Einzelfalles bzw. von Tatsachenfragen und damit nicht von Rechtsfragen von grundlegender Bedeutung ab.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 303 Abs. 1 lit. b BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 303 Abs. 1 lit. c BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2022:RV.7102317.2021

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at