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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 30.11.2022, RV/2101742/2014

Fehlende Rechnungsnummern rechtfertigen eine Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich USt und KSt

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Amaron Steuerberatung GmbH, Am Heumarkt 7/7/91, 1030 Wien, über die Beschwerden vom gegen die Bescheide des Finanzamtes Österreich, vormals des ***FA*** vom betreffend Wiederaufnahme § 303 BAO / KSt 2005 und KSt 2006 sowie USt 2005 und USt 2006 zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerden werden gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Am erließ das Finanzamt nach dem Abschluss einer Betriebsprüfung Wiederaufnahmebescheide gem. § 303 Abs. 4 BAO betreffend die Körperschaftsteuer 2005 und 2006 sowie betreffend Umsatzsteuer 2005 und 2006.
In der Begründung wird auf die Feststellungen der Betriebsprüfung und auf die darüber aufgenommene Niederschrift bzw. den Prüfbericht verwiesen. Unter Hinweis auf § 20 BAO wurde dargelegt, dass im vorliegenden Fall das Interesse der Behörde an der Rechtsrichtigkeit gegenüber der Rechtsbeständigkeit überwiege und die Auswirkungen nicht als geringfügig angesehen werden können.

In den dagegen eingebrachten Rechtsmitteln vom wurde begründend wortgleich ausgeführt, dass gegen sämtliche Prüfungsfeststellungen Rechtsmittel erhoben wurde und aus Sicht der Beschwerdeführerin (Bf.) kein Wiederaufnahmegrund bestehe.

In der Beschwerdevorentscheidung (BVE) vom wurde durch das Finanzamt ausgeführt, dass gem. § 303 Abs 1 lit b BAO ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen wiederaufgenommen werden könne, wenn Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen seien und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anderslautenden Bescheid herbeigeführt hätte. Im Wesentlichen entsprechend im Hinblick auf die amtswegige Wiederaufnahme laute auch der damals geltende § 303 Abs 4 BAO idF BGBl. I Nr. 97/2002.

Da in den abweisenden Beschwerdevorentscheidungen über die Beschwerde vom gegen die Umsatzsteuerbescheide 2005 und 2006 sowie gegen die Körperschaftsteuerbescheide 2005 und 2006 den Feststellungen und rechtlichen Ansichten der Betriebsprüfung gefolgt werde, sei sehr wohl vom Vorliegen neu hervorgekommener Tatsachen und Beweismittel auszugehen. Es handle sich dabei um das Nichtvorliegen einer den Vorschriften des § 131 BAO entsprechenden Buchführung und um die daraus folgende Berechtigung zur Schätzung. Diesbezüglich dürfe auch auf die Ausführungen im Betriebsprüfungsbericht vom sowie auf die Bescheidbegründung vom zu den abweisenden Beschwerdevorentscheidungen (jeweils vom ) verwiesen werden. Diese Tatsache der mangelhaften Buchführung sei erst im Laufe der Betriebsprüfung hervorgekommen und hätte bei Kenntnis zum Zeitpunkt der Erlassung der ursprünglichen Erstbescheide dazu geführt, dass deren Spruch jeweils anders gelautet und den nach der Wiederaufnahme erlassenen Sachbescheiden entsprochen hätte. Die Voraussetzungen für die Wiederaufnahme seien somit gegeben.

Im Vorlageantrag vom wurde Folgendes vorgebracht:

"Punkt 1.1 des Berichtes vom enthält zunächst die unwahre Behauptung, dassweder Datenbestände noch die Papierausdrucke vollständig sind und dassAusgangsrechnungen fehlen.
Hierzu halten wir zum wiederholten Male fest, dass in der Buchhaltung keine
Ausgangsrechnungen fehlen, sondern lediglich Ausgangsrechnungsnummern versehentlichnicht vergeben wurden. Dies ist - wie im Verlaufe der Außenprüfung bereits mehrfachdargestellt wurde - dadurch entstanden, dass mehrere Mitarbeiter mit derRechnungsausstellung betraut waren und vereinzelt im Zuge desRechnungsausstellungsprozesses Rechnungen, die ursprünglich separat hätten erstellt werdensollen, zu einer (gemeinsamen) Rechnung zusammengefasst wurden. Dadurch sindgelegentlich ursprünglich (für separate Rechnungen) reservierte Rechnungsnummern nichtmehr benötigt und auch nicht vergeben worden. Keinesfalls ist es jedoch dazu gekommen,dass für Erlöse keine Ausgangsrechnung gelegt wurde. Auch im Zuge der Außenprüfungkonnten keine Feststellungen dahingehend getroffen werden, dass Erlöse erzielt wurden, fürdie keine entsprechende Ausgangsrechnung erstellt wurde. Es konnte lediglich festgestelltwerden, dass vereinzelt Ausgangsrechnungsnummern nicht vergeben wurden.
Unsere Mandantin hat - ihrer Mitwirkungspflicht nachkommend - anhand von
Umsatzbestätigungen nachgewiesen, dass der Jahresumsatz mit ihren Kunden vollständig imRechnungswesen erfasst wurde. In der ursprünglichen Berufung haben wir dieUmsatzbestätigungen sämtlicher Kunden unserer Mandantin sowie die Bestätigung, dass imBerufungszeitraum keine weiteren Kunden bestanden, übermittelt. Weiters haben wir daraufhingewiesen, dass sich anhand der Bankauszüge die vollständige Erfassung der Erlösenachvollziehen lässt.
Die im Betriebsprüfungsbericht getroffene Aussage, dass das Fehlen von
Ausgangsrechnungen aus dem Bericht hervorgehe, ist somit falsch. Ebenso ist es nicht richtig,dass die vorgelegten Papierausdrucke nicht vollständig sind. Das Finanzamt äußert hierlediglich eine nicht begründete und unwahre Behauptung. Offensichtlich wird aus demZusammenfassen von Ausgangsrechnungen und dem damit verbundenen vereinzeltenWegfällen von Ausgangsrechnungsnummern der Schluss gezogen, dass Erlöse nichtverbucht wurden (ohne irgendeinen konkreten Hinweis dafür zu haben).
Auch zu Punkt 1.2.1 ist wiederum klarzustellen, dass keine Ausgangsrechnungen doppelt
vorliegen, sondern lediglich Ausgangsrechnungsnummern doppelt vergeben wurden. Diesaus demselben Grund wie in den Erläuterungen zu Punkt 1.1. beschrieben. Im Übrigen darf indiesem Zusammenhang darauf hingewiesen werden, dass ein Unternehmen, dass - wovondas Finanzamt lt. Betriebsprüfungsbericht anscheinend ausgeht - Erlöse nicht verbucht, wohlkaum Ausgangsrechnungsnummern doppelt vergeben würde. Dieser Umstand ist vielmehr einIndiz dafür, dass lediglich durch das Zusammenfassen von Rechnungen vereinzeltRechnungsnummern nicht benötigt wurden.
In Punkt 1.3. hält das Finanzamt zum Rechnungsbuch unserer Mandantin zunächst fest, dass
es nicht feststellbar sei, ob dieses Buch ursprünglich geführt wurde oder ob es nur für dieabgabenbehördliche Prüfung nachträglich rekonstruiert wurde, widerspricht sich allerdingsbereits zwei Zeilen später selbst, indem plötzlich (und völlig unbegründet) die Aussagegetroffen wird, es sei als sicher anzunehmen, dass "dieser File für die abgabenbehördlichePrüfung nachträglich erstellt wurde".
Während also zunächst die Aussage getroffen wird, dass eine nachträgliche Erstellung nicht
feststellbar sei, wird in der Folge plötzlich doch von einer nachträglichen Rekonstruktionausgegangen. Eine ähnliche Aussage wird auf Seite 5 wiederholt. Der Bericht ist daher inweiten Teilen unlogisch, beinhaltet unwahre bzw. nicht nachvollziehbare Behauptungen undist somit als Bescheidbegründung ungeeignet.
Zu dem Rechnungsbuch möchten wir weiters anmerken, dass diese Form des
Rechnungsbuches für alle Gesellschaften im Unternehmen (für den ganzen Konzern) nachdem gleichen Prinzip geführt wird. Das Rechnungsbuch wurde von Herrn F. D. eigens dafür für den Konzern programmiert/erstellt - bereits bevor die Betriebsprüfung in derösterreichischen Gesellschaft überhaupt stattgefunden hat. Das können neben Herrn D. noch weitere Mitarbeiter des Konzerns (konkret Herr S. und Frau M)bezeugen. Das vollständig geführte Rechnungsbuch kann jederzeit eingesehen werden.
Der Vollständigkeit halber möchten wir darauf hinweisen, dass unsere Mandantin entgegen
der Annahme der Abgabenbehörde kein Speditionsunternehmen betreibt, sondern dasGewerbe "Zusammenbau von industriell gefertigten Abgasanlagen und Türverkleidungen fürKraftfahrzeuge" ausübt.
Zur Schätzung
Aufgrund der Ausführungen im Betriebsprüfungsbericht sieht die Abgabenbehörde die
Voraussetzung für eine Schätzung gemäß § 184 BAO als erfüllt und berechnet für dieBemessungsgrundlage der Umsatzsteuer und Körperschaftsteuer der Jahre 2005 und 2006jeweils einen Sicherheitszuschlag in Höhe von EUR 20.000,00.
Die einzige konkrete und nachvollziehbare Feststellung des Betriebsprüfungsberichtes ist,
dass vereinzelt Ausgangsrechnungsnummern nicht vergeben wurden. Offensichtlich erfolgtdie Schätzung daher aufgrund eines formellen Mangels der Aufzeichnungen. Dieser Mangelist jedoch nicht geeignet, um an der sachlichen Richtigkeit der Buchführung zu zweifeln.
Nicht jeder formelle Mangel einer Buchführung darf als Beweis für ihre materielle
Unrichtigkeit gewertet werden, sondern nur dann, wenn er derart schwerwiegend ist, dass dasErgebnis der Aufschreibungen nicht mehr glaubwürdig erscheint und folglich dieBemessungsgrundlagen nicht ermittelt oder berechnet werden können. Formelle Mängelallein rechtfertigen nicht automatisch eine Schätzung von Besteuerungsgrundlagen gemäß §184 BAO! Im vorliegenden Fall ist die Glaubwürdigung der Aufschreibungen keinesfallsgefährdet, da einerseits die Umstände, weswegen Ausgangsrechnungsnummern nichtvergeben wurden logisch dargestellt wurde und andererseits lediglich das Fehlen von 18Ausgangsrechnungsnummer festgestellt wurde, während in den Jahren 2005 bis 2006insgesamt 397 Ausgangsrechnungsnummer vergeben wurden.
Dass Ausgangsrechnungen, die ursprünglich hätten separat gelegt werden sollen, im Zuge des Prozesses der Rechnungserstellung zusammengefasst wurden und dadurch Ausgangsrechnungsnummern nicht mehr benötigt wurden, stellt keinen Formalmangel dar, der derart schwerwiegend ist, dass er Anlass zum Zweifel an der sachlichen Richtigkeit des Rechnungswesens gibt. Wenn Bücher und Aufzeichnungen nicht richtig geführt wurden, bedeutet das nicht automatisch, dass nun die Fehlerhaftigkeit zu vermuten ist.
In der bisherigen Judikatur war dies bei folgenden Mängeln der Fall:
> Das Fehlen jeglicher Belege ()
> Das Fehlen aufbewahrungspflichtiger Grundbelege ()
> Wiederholte Differenzen zwischen den Eintragungen in den Aufzeichnungen und dem Inhalt der Belege (
> Mehrfache Nichterfassung von Bargeld oder Bankbeständen

Das Fehlen von (wenigen) Ausgangsrechnungsnummern wurde bislang nicht als schwerwiegender Formalmangel angesehen, denn genauso wenig wie die durchgehende (lückenlose) Nummerierung von Ausgangsrechnungen geeignet ist, die sachliche Richtigkeit des Rechnungswesens zu dokumentieren, kann aus dem Zusammenfassen vonRechnungsnummern der Schluss gezogen werden, das Rechnungswesen sei sachlich falsch.
Im Übrigen konnte im Zuge der Außenprüfung keine einzige sachliche und inhaltliche
Unrichtigkeit festgestellt werden. Ergeben sich keine Hinweise auf eine sachlicheUnrichtigkeit bzw. kann durch Nachweise belegt werden, dass die Aufzeichnungen - trotzformeller Mängel - inhaltlich trotzdem richtig sind, sind die ursprünglichen Aufzeichnungenauch weiterhin der Besteuerung zugrunde zu legen.
Eine Schätzung ist daher im vorliegenden Fall rechtswidrig. Insbesondere für die Festsetzung
eines Sicherheitszuschlages fehlt es an jeglicher Grundlage. Denn bei einemSicherheitszuschlag ist davon auszugehen, dass nicht nur nachgewiesenermaßen nichtverbuchte Vorgänge, sondern auch weitere Vorgänge nicht aufgezeichnet wurden. Im Falleunserer Mandantin sind jedoch nicht einmal nachgewiesene nicht verbuchte Vorgängevorhanden. Die Festsetzung eines Sicherheitszuschlages ist im gegenständlichen Fall daherrechtswidrig.
Unsere Mandantin hat auch ihre Mitwirkungspflicht nicht verletzt sondern ganz im Gegenteil,
ausreichende Aufklärungen und Erklärungen gegeben und zur Ermittlung des maßgebendenSachverhaltes beigetragen. Eine Überprüfung der Vollständigkeit und Richtigkeit derBesteuerungsgrundlagen war somit gegeben.
Namens und Auftrags unserer Mandantin beantragen wir daher, den Sicherheitszuschlag von
EUR 20.000,00 jeweils für das Jahr 2005 und 2006 aufzuheben und die Umsatzsteuer 2005und 2006 als auch die Körperschaftsteuer 2005 und 2006 in den bisherigen Höhen (Stand vorder Betriebsprüfung) festzusetzen.
Da gegen sämtliche Prüfungsfeststellungen das Rechtsmittel der Beschwerde (Berufung) bzw
das Rechtsmittel des Vorlageantrages gem. § 243 bzw § 264 BAO erhoben wurde, besteht ausSicht des Berufungswerbers kein Wiederaufnahmegrund hinsichtlich der Umsatzsteuer 2005 und 2006als auch der Körperschaftsteuer 2005 und 2006 und sind die Aussetzungszinsen aus Sicht desBeschwerdewerbers zu Unrecht festgesetzt worden."

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Sachverhalt

Der oben wiedergegebene Verfahrensgang findet im Akteninhalt Deckung und wird auch von den Verfahrensparteien nicht bestritten. Er wird somit dem Sachverhalt zugrunde gelegt. Ergänzend wird festgehalten, dass die steuerliche Auswirkung des vom Finanzamt verhängten Sicherheitszuschlages dazu führt, dass in den Jahren 2005 und 2006 die Umsatzsteuer um jeweils 4.000,- € erhöht wurde und bei der Körperschaftsteuer der Jahre 2005 und 2006 jeweils zu einer Erhöhung von 5.000,- € führte.

Die Bf. gibt selbst an, zuletzt im Vorlageantrag vom , dass in den betreffenden Jahren 2005 und 2006 insgesamt 397 Ausgangsrechnungsnummern vergeben wurden. Es wurde lediglich das Fehlen von 18 Ausgangsrechnungsnummern festgestellt.

Dieser Umstand kam erst im Zuge der Betriebsprüfung hervor, war der Behörde also bis zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt. Wäre das Fehlen der Ausgangsrechnungsnummern bereits vor der Betriebsprüfung bekannt gewesen, wären die Jahresbescheide 2005 und 2006 hinsichtlich USt und KSt nicht erklärungsgemäß ergangen. Auch wenn die Bf. von "lediglich" 18 fehlenden Rechnungsnummern spricht, so handelt es sich dabei immerhin doch um 4,5% der gesamten vergebenen Ausgangsnummern.

Beweiswürdigung

In freier Beweiswürdigung kommt das BFG zum Ergebnis, dass die Feststellungen der Betriebsprüfung und diesen folgend das Finanzamt, sehr wohl neue Tatsachen darstellen, die zu einer Wiederaufnahme der Verfahren berechtigen.

Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchpunkt I. (Abweisung/Abänderung/Stattgabe)

§ 303 BAO in der vom Finanzamt angewandten Fassung lautet auszugsweise wie folgt:

"(1) Dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens ist stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und

a) der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Tat herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist, oder

b) Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im abgeschlossenen Verfahren ohne grobes Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten, oder

c) der Bescheid von Vorfragen abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der hiefür zuständigen Behörde (Gericht) in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde

und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anderslautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

(4) Eine Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen ist unter den Voraussetzungen des Abs. 1 lit. a und c und in allen Fällen zulässig, in denen Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im Verfahren nicht geltend gemacht worden sind, und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anderslautenden Bescheid herbeigeführt hätte."

Mit dem Finanzverwaltungsgerichtsbarkeitsgesetz 2012 (FVwGG 2012), BGBl. I Nr. 14/2013, wurde die Bestimmung des § 303 BAO geändert und lautet nunmehr auszugsweise wie folgt:

"(1) Ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren kann auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn

a) der Bescheid durch eine gerichtlich strafbare Tat herbeigeführt oder sonst wie erschlichen worden ist, oder
b) Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind, oder
c) der Bescheid von Vorfragen (§ 116) abhängig war und nachträglich über die Vorfrage von der Verwaltungsbehörde bzw. dem Gericht in wesentlichen Punkten anders entschieden worden ist,
und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anderslautenden Bescheid herbeigeführt hätte."

Gemäß § 323 Abs. 37 BAO tritt die Bestimmung des § 303 BAO idF BGBl. I Nr. 14/2013, mit in Kraft und ist, soweit sie Beschwerden betrifft, auch auf alle an diesem Tag unerledigten Berufungen und Devolutionsanträge anzuwenden. Bezüglich der Voraussetzungen für eine amtswegige Wiederaufnahme des Verfahrens ist damit gegenüber der bis zum Inkrafttreten des § 303 Abs. 1 BAO idF BGBl. I Nr. 14/2013, anzuwendenden Bestimmung des § 303 Abs. 4 BAO idF vor dem FVwGG 2012 keine Änderung eingetreten. Die zu § 303 Abs. 4 BAO idF vor dem FVwGG 2012 ergangene Rechtsprechung ist auf die im Beschwerdefall anzuwendende Rechtslage daher gleichermaßen anwendbar.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. , , und , mwN) ist das Neuhervorkommen von Tatsachen oder Beweismitteln nur aus der Sicht des jeweiligen Verfahrens derart zu beurteilen, dass es darauf ankommt, ob der Abgabenbehörde im wieder aufzunehmenden Verfahren der Sachverhalt so vollständig bekannt gewesen ist, dass sie schon in diesem Verfahren bei richtiger rechtlicher Subsumtion zu der nunmehr im wieder aufgenommenen Verfahren erlassenen Entscheidung hätte gelangen können. Das "Neuhervorkommen von Tatsachen und Beweismitteln" bezieht sich damit auf den Wissensstand (insbesondere auf Grund der Abgabenerklärungen und der Beilagen) des jeweiligen Veranlagungsjahres. Entscheidend ist, ob der abgabenfestsetzenden Stelle alle rechtserheblichen Sachverhaltselemente bekannt waren.

Das Finanzamt hat die Wiederaufnahmebescheide betreffend Umsatz- und Körperschaftsteuer 2005 und 2006 vom unter Hinweis auf die im Betriebsprüfungsbericht bzw. der Niederschrift über das Ergebnis der abgabenbehördlichen Prüfung angeführten Feststellungen begründet. Aus dem Betriebsprüfungsbericht geht hervor, dass 397 Ausgangsrechnungsnummern vergeben wurden, 18 Rechnungsnummern fehlen.

Die vom Finanzamt im Zuge der Betriebsprüfung festgestellten und im Beschwerdeverfahren (wie u.a.) nicht widerlegten formellen und materiellen Buchführungsmängel stellen ohne Zweifel Tatsachen im Sinne des § 303 BAO dar (vgl. ). Dass diese Umstände dem Finanzamt nicht bereits bei der Erlassung der in den wiederaufzunehmenden Verfahren ergangenen Veranlagungsbescheide bekannt waren bzw. bekannt sein konnten, liegt auf der Hand, sind diese doch aus den eingereichten Erklärungen samt Beilagen in keiner Weise erkennbar. Gegenteiliges wurde schließlich auch von der Bf. nicht eingewendet. Somit sind auch diesbezüglich Tatsachenelemente neu hervorgekommen und lagen daher sowohl hinsichtlich der Umsatz- als auch der Körperschaftsteuerverfahren taugliche Wiederaufnahmegründe vor.

Dass die vom Finanzamt als neu hervorgekommene Umstände gewerteten Sachverhaltselemente geeignet sind, im Spruch anderslautende Bescheide herbeizuführen, ergibt sich indes aus den unten angeführten Gründen.

Die Wiederaufnahme wurde durch das Finanzamt mit der Bedachtnahme auf das Ergebnis der abgabenbehördlichen Prüfung und der sich daraus ergebenden Gesamtauswirkung begründet. Die Ermessensübung durch die Behörde wurde mit dem grundsätzlichen Vorrang des Prinzips der Rechtsrichtigkeit (d.i. Gleichmäßigkeit der Besteuerung) begründet.

Nach § 20 BAO sind Ermessensentscheidungen innerhalb der Grenzen, die das Gesetz dem Ermessen zieht, nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen. Dabei ist dem Begriff "Billigkeit" die Bedeutung von Angemessenheit in Bezug auf berechtigte Interessen der Partei und dem Begriff "Zweckmäßigkeit" das öffentliche Interesse, insbesondere an der Einhebung der Abgaben, beizumessen (vgl. , mwN). Ziel einer amtswegigen Wiederaufnahme ist es, insgesamt ein rechtmäßiges Ergebnis zu erreichen (vgl. , mwN). Bei der Ermessensübung ist daher grundsätzlich dem Prinzip der Rechtsrichtigkeit (Gleichmäßigkeit der Besteuerung) Vorrang vor jenem der Rechtsbeständigkeit zu geben (vgl. Ritz, BAO, 5. Aufl., § 303 Tz 67, mwN).

Nur im Falle der Geringfügigkeit des hervorgekommenen Änderungsbedarfes hat ein Eingriff in die Rechtskraft eines Bescheides zu unterbleiben. Dabei ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes das Gewicht eines Wiederaufnahmegrundes, der sich auf mehrere Jahre auswirkt, in der Regel nicht je Verfahren, sondern in seiner Gesamtheit zu beurteilen (vgl. , mwN). In diesem Sinne hat der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom , 2006/15/0257, im Rahmen einer Wiederaufnahme vorgenommene Änderungen, die zu einer Steuererhöhung von 1.010,15 € und einer Gewinnerhöhung von 29.234,90 S (Änderung der Einkünfte um mehr als 2 %) führen, als weder absolut noch relativ geringfügig beurteilt.

In zwei VwGH-Erkenntnissen (; ) wird der Gesamtbetrachtungszeitraum einer Betriebsprüfung dahingehend eingeschränkt, dass eine Saldierung von Umsatzsteuer und Einkommensteuer schon aus finanzausgleichsrechtlichen Gründen nicht zulässig ist. In anderen VwGH-Erkenntnissen (Vgl. zB. ) bringt der VwGH zum Ausdruck, dass das Gewicht eines Wiederaufnahmegrundes, der sich auf mehrere Jahre auswirkt, in der Regel nicht je Verfahren, sondern in seiner Gesamtheit zu beurteilen ist. In der zitierten Entscheidung ging es nur um die Umsatzsteuer, nämlich um Vorsteuerkürzungen iZm Bewirtungskosten in den Jahren 1999 bis 2002. Dieses VwGH-Erkenntnis könnte jedoch auch dahingehend ausgelegt werden, dass bei Gleichartigkeit des Wiederaufnahmegrundes (zB. Feststellungen hinsichtlich nicht abzugsfähiger Aufwendungen, die sich sowohl umsatzsteuerlich als auch ertragsteuerlich auswirken) eine Zusammenbetrachtung beider Abgabenarten angebracht ist.

Im Beschwerdefall der Jahre 2005 und 2006 ergab die Betriebsprüfung ein gesamtes Mehrergebnis hinsichtlich der Umsatzsteuer von € 8.000,- und hinsichtlich der Körperschaftsteuer von € 10.000,- und kann vom Bundesfinanzgericht vor diesem Hintergrund die Ermessensübung des Finanzamtes nicht als rechtwidrig erkannt werden, zumal aus der Aktenlage auch keine unter dem Gesichtspunkt einer Unbilligkeit allenfalls zu berücksichtigenden Umstände hervorgehen. Würde man die oben erwähnten fehlenden 4,5 % der gesamten Ausgangsrechnungsnummern auf die kumulierte Umsatzsteuer umlegen, würde sich ein Betrag von rd. € 54.500,- und bei der Körperschaftsteuer von rd. € 16.500,- ergeben. Eine solche Gesamtbetrachtung rechtfertigt daher - auch im Lichte der Judikate VwGH 21,12.1989, 86/14/0180, und - die Wiederaufnahme der Verfahren.

Die Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich Umsatz- und Körperschaftsteuer für die Jahre 2005 und 2006 stellt sich sohin gesamthaft gesehen als rechtmäßig dar und waren die dagegen erhobenen Beschwerden daher als unbegründet abzuweisen.

Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im vorliegenden Fall ist keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zu lösen. Auch die hierzu ergangene Rechtsprechung ist, wie die zahlreichen Judikaturhinweise zeigen, zahlreich und einheitlich. Die ordentliche Revision war daher nicht zuzulassen.

Graz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 303 Abs. 4 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
ECLI
ECLI:AT:BFG:2022:RV.2101742.2014

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at