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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 16.11.2022, RV/3100487/2022

Entscheidung nach § 266 Abs. 4 BAO aufgrund unzureichender Aktenvorlage durch das Finanzamt

Rechtssätze


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Stammrechtssätze
RV/3100487/2022-RS1
Das Finanzamt hat die Akten vollständig und geordnet vorzulegen. Ist ein Bescheid über die Wiederaufnahme des Verfahrens angefochten, müssen sämtliche diesem Bescheid vorangegangenen Verfahrensschritte in der Aktenvorlage enthalten sein.
RV/3100487/2022-RS2
Bei der Ermessensentscheidung, ob das Bundesfinanzgericht wegen unvollständiger Aktenvorlage aufgrund der Behauptungen des Beschwerdeführers entscheidet, ist zu beachten, dass die Unvollständigkeit der Akten bzw. Zweifel über deren Inhalt sich nicht zum Nachteil des Beschwerdeführers auswirken dürfen (vgl. ).

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***Ri*** in der Beschwerdesache der ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch StB, über die Beschwerde vom gegen die Bescheide des ***FA*** vom betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Feststellungsbescheid Gruppenträger 2013 und Feststellungsbescheid Gruppenträger 2013 zu Steuernummer ***BF1StNr1***

  1. zu Recht erkannt: Der Beschwerde gegen den Bescheid über die Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Feststellungsbescheid Gruppenträger 2013 wird gemäß § 266 Abs. 4 BAO Folge gegeben. Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.

  2. beschlossen: Die Beschwerde gegen den Feststellungsbescheid Gruppenträger 2013 wird als gegenstandslos erklärt.

  3. Gegen dieses Erkenntnis bzw. diesen Beschluss ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Mit Vorlagebericht vom legte das Finanzamt dem Bundesfinanzgericht die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht vor. Das Inhaltsverzeichnis zu den vorgelegten Aktenteilen stellt sich wie folgt dar:

Das Bundesfinanzgericht richtete zunächst folgendes formlose Schreiben vom an das Finanzamt: "Unter Hinweis auf die in §§ 266 Abs. 1 und 265 Abs. 2 BAO normierte Verpflichtung des Finanzamtes zur vollständigen Aktenvorlage wird ersucht, die angefochtenen Bescheide, die Beschwerde und die Beschwerdevorentscheidung betreffend Feststellung Gruppenträger umgehend zu übermitteln."

Das Finanzamt übermittelte daraufhin einen Bericht über das Ergebnis der Außenprüfung bei der Beschwerdeführerin vom , den Feststellungsbescheid Gruppenträger 2013 vom , den Bescheid über die Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Feststellungsbescheid Gruppenträger 2013 vom , eine Beschwerde gegen letztere beiden Bescheide vom sowie eine Beschwerdevorentscheidung vom über die Beschwerde vom gegen den Feststellungsbescheid Gruppenträger 2013.

Das Bundesfinanzgericht forderte das Finanzamt mit Beschluss vom unter ausdrücklichem Verweis auf § 266 Abs. 4 BAO auf, binnen drei Wochen die Verwaltungsakten vollständig und geordnet vorzulegen. Die Begründung lautet auszugsweise wie folgt: "Die belangte Behörde hat bisher die die Beschwerde betreffenden Aktenteile weder vollständig noch geordnet dem Bundesfinanzgericht vorgelegt. Die vorgelegten Aktenteile entsprechen großteils nicht dem übermittelten Aktenverzeichnis. Es liegen offensichtliche zeitliche Widersprüche vor (zB. "Stellungnahme Prüfer zur Beschwerde 2016 - " [Position 9] - "Beschwerde - Vorlageantrag … " [Position 5] - "Vorlageantrag - " - "Beschwerde" [Position 17 - der übermittelte Scan ist mit datiert] etc). Relevante Aktenteile (Abgabenerklärung, verwiesene Schriftstücke…) fehlen überhaupt. Der Ablauf des Festsetzungsverfahrens vor dem Finanzamt erschließt sich nicht aus den vorgelegten Aktenteilen."

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Sachverhalt

Unter Positionen 1, 2 ("Bescheide - Feststellungsbescheid Gruppenträger (Jahr: 2013)" bzw. "Bescheide - Wiederaufnahme § 303 BAO/KSt (Jahr: 2013"), 4 ("Zusatzdokumente Bescheide - Begründung Wiederaufnahme Feststellung GT 2013 v 2022-01-10") und 7 ("Beschwerdevorentscheidung - BVE v 2022-01-10 Wiederaufnahme Feststellung GT 2013 v 2018-02-27 Begründung") des Vorlageberichts ist jeweils eine (dieselbe) Beschwerdevorentscheidung über eine Beschwerde gegen "den Bescheid Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Festellungsbescheid Gruppenträger 2013" hinterlegt.

Unter Position 3 des Vorlageberichts ("Zusatzdokumente Bescheide - Begründung Feststellungsbescheid GT 2013 v. 2022-01-10") ist eine Beschwerdevorentscheidung über die Beschwerde gegen den Feststellungsbescheid Gruppenträger 2013 hinterlegt.

Unter Positionen 5 ("Beschwerde") und 8 ("Vorlageantrag") des Vorlageberichts ist ein Vorlageantrag hinsichtlich der Beschwerdevorentscheidungen über den Feststellungsbescheid Gruppenträger 2013 und über den Bescheid Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Feststellungsbescheid Gruppenträger 2013 hinterlegt.

Unter der Rubrik "Sonstiges" finden sich bei den vorgelegten Aktenteilen eine mit datierte "Stellungnahme Prüfer zur Beschwerde 2016" (Position 9), ein mit "BP Arbeitsbogen SP Lizenzgebühren" (Position 10) tituliertes Konvolut an Schriftstücken, die - soweit sie datiert sind - im Jahr 2016 erstellt wurden, und schließlich ein "Übergabs- u. Pflichtteilsverzichtsvertrag v. " (Position 11).

Am übermittelte das Finanzamt weitere Aktenteile, und zwar einen Bericht über das Ergebnis der Außenprüfung vom , einen Bescheid über die Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Feststellungsbescheid Gruppenträger 2013 vom , einen Feststellungsbescheid Gruppenträger 2013 vom , eine "Beschwerde gegen den Bescheid über die Wiederaufnahme des Verfahrens vom ; Beschwerde gegen den Feststellungsbescheid Gruppenträger 2013 vom und den Körperschaftsteuerbescheid Gruppe 2013 vom in Verbindung mit dem Feststellungsbescheid Gruppenträger 2013 und Körperschaftsteuerbescheid Gruppe 2031 vom " und eine Beschwerdevorentscheidung über die Beschwerde gegen den Feststellungsbescheid Gruppenträger 2013 vom .

Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchpunkt I. (Wiederaufnahme des Verfahrens - Stattgabe)

§ 266 BAO lautet auszugsweise:

"(1) Die Abgabenbehörde hat, soweit nicht anderes angeordnet ist, gleichzeitig mit der Vorlage der Bescheidbeschwerde die Akten (samt Aktenverzeichnis) vorzulegen. Die Abgabenbehörde hat den Parteien (§ 78) eine Ausfertigung des Aktenverzeichnisses zu übermitteln…

(4) Soweit die Abgabenbehörde die Vorlage von Akten… unterlässt, kann das Verwaltungsgericht nach erfolgloser Aufforderung unter Setzung einer angemessenen Nachfrist auf Grund der Behauptungen des Beschwerdeführers erkennen."

Die Vorlage der Akten durch das Finanzamt ist - trotz zweier Aufforderungen zur Nachbesserung - derart lückenhaft, widersprüchlich und offenbar unvollständig, dass eine inhaltliche Beurteilung des Beschwerdebegehrens schlichtweg unmöglich ist. Auch ein Verweis im Vorlagebericht ("Bezug BFG Verfahren RV/3100002/2020…") ist nicht geeignet, eine inhaltliche Beurteilung im gegenständlichen Beschwerdeverfahren zu erlauben. Zwar findet sich in der Finanzdokumentation (Findok) unter dieser Geschäftszahl eine (anonymisierte) Entscheidung, jedoch lassen sich aus dieser Erkenntnisse in Bezug auf das gegenständliche Beschwerdeverfahren nicht gewinnen.

Das Bundesfinanzgericht hat das Finanzamt mit Beschluss (vgl. ) vom zur vollständigen und geordneten Aktenvorlage binnen drei Wochen aufgefordert. Das Finanzamt ist dieser Aufforderung nicht nachgekommen. Daher ist die Entscheidung aufgrund der Behauptungen der Beschwerdeführerin zulässig. Sie ist im gegenständlichen Fall auch geboten, da die Unvollständigkeit der Akten bzw. Zweifel über deren Inhalt sich nicht zum Nachteil der Beschwerdeführerin auswirken dürfen (vgl. , ).

Entscheidet das Verwaltungsgericht gemäß § 266 Abs. 4 BAO auf Grund der Behauptungen des Beschwerdeführers, so hat es deren Richtigkeit nicht zu prüfen ().

Angefochten ist die zunächst die Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Feststellung Gruppenträger 2013 mit folgender Begründung: "Mit o.a. Bescheiden wurde das Verfahren hinsichtlich des Feststellungsbescheides Gruppenträger für das Jahr 2013 sowie den abgeleiteten Körperschaftsteuerbescheid Gruppe 2013 wieder aufgenommen. In den o. bezeichneten Bescheiden über die Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Feststellungsbescheid Gruppe 2013 und Körperschaftsteuerbescheid Gruppe 2013 wird vom Finanzamt auf den Bescheid vom verwiesen, der mit Aufhebungsbescheid vom ex lege aufgehoben wurde und dadurch der alte Sachbescheid vom wieder aufgelebt ist. Die Tz 3 des Bp-Berichts vom war sowohl dem steuerlichen Vertreter als auch der vertretenen Klientin bereits zum Zeitpunkt des Bp-Berichts und bei Zustellung der Wiederaufnahmebescheide Feststellungsbescheid Gruppenträger 2013 und Körperschaftsteuerbescheid Gruppe 2013 vom bekannt…".

Zur Beurteilung, ob eine Wiederaufnahme des Verfahrens rechtswidrig war, ist die Kenntnis des Verfahrensablaufes unabdingbar. Das Finanzamt hat keinerlei Aktenteile vorgelegt, die Aufschluss über die vor Erlassung der angefochtenen Bescheide verwirklichten Verfahrensschritte geben. Weder die eingereichten Abgabenerklärungen noch jene Bescheide, durch die das wiederaufgenommene Verfahren abgeschlossen worden war (im Spruch des Bescheides über die Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Feststellungsbescheid Gruppenträger 2013 wird ein "Bescheid vom " genannt), wurden vom Finanzamt vorgelegt.

Entsprechend dem Beschwerdevorbringen ist auf Sachverhaltsebene davon auszugehen, dass die als Wiederaufnahmegrund angezogene(n) Tatsache(n) nicht neu hervorgekommen im Sinn des § 303 Abs. 1 BAO sind. Welche Tatsache(n) das Finanzamt als neu hervorgekommen im Sinn des § 303 Abs. 1 BAO ansieht, ist dem angefochtenen Bescheid über die Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Feststellungsbescheid Gruppenträger 2013 vom ohnehin nicht zu entnehmen. In dessen Begründung wird nach Wiedergabe des Inhaltes der §§ 303 Abs. 1 und 20 BAO auf "die Tz 3 des BP-Berichts vom …" verwiesen. Dort finden sich folgende Ausführungen: "... Im WJ 2012/13 wurden unter dem Titel "Lizenzgebühren" EUR 103.000,67 für Rentenzahlungen im Aufwand verbucht. Im Zuge der Betriebsprüfung wurde festgestellt, dass diese Zahlungen eine außerbetriebliche Versorgungsrente an … darstellen und somit nicht als Betriebsausgaben den Gewinn kürzen…".

Daher war die Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Feststellungsbescheid Gruppenträger für das Jahr 2013 nicht zulässig, der diese aussprechende Bescheid war aufzuheben.

Zu Spruchpunkt II. (Feststellungsbescheid Gruppenträger - Gegenstandsloserklärung)

Gemäß § 261 Abs. 2 BAO ist eine gegen die Sachentscheidung im wiederaufgenommenen Verfahren (§ 307 Abs. 1 BAO) gerichtete Bescheidbeschwerde mit Beschluss als gegenstandslos zu erklären, wenn einer Bescheidbeschwerde gegen einen die Wiederaufnahme des Verfahrens aussprechenden Bescheid entsprochen wird.

Zu Spruchpunkt III. (Revisionszulässigkeit)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Die Zulässigkeit der Entscheidung entsprechend den Beschwerdebehauptungen bei unterlassener Aktenvorlage trotz Aufforderung ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz.

Innsbruck, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 266 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2022:RV.3100487.2022

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at