Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 03.11.2022, RV/6100509/2018

Keine Berufsausbildung iSd FLAG bei einmal wöchentlichem Berufsschulbesuch ohne praktische Lehre

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin BE in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Abweisungsbescheid des Finanzamtes Salzburg-Land (nunmehr Finanzamt Österreich) vom betreffend Familienbeihilfe ab September 2017, SVNr ***5*** zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Mit Antrag vom 29.12.2107 beantragte die Beschwerdeführerin (Bf) für Ihre Tochter ***1***, geb. ***2***, die Familienbeihilfe samt Erhöhungsbetrag ab September 2017.

Mit Bescheid vom wies das Finanzamt den Antrag mit der Begründung, die Tochter befinde sich nicht in Berufsausbildung, ab. Sie sei seit als Angestellte bei der ***3*** in Beschäftigung. Der Schulbesuch einmal pro Woche stelle keine Berufsausbildung im Sinne des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 dar.

Mit Schriftsatz vom brachte die Bf gegen diesen Abweisungsbescheid Beschwerde ein. Begründend führte sie aus, ihre Tochter habe am eine Lehre als Betriebsdienstleistungskauffrau im ***3*** begonnen. Im Mai 2016 habe der Lehrausbildner angefragt, ob es möglich wäre, dass ihre Tochter die Lehrausbildung zur Betriebsdienstleistungskauffrau auf Ausbildung zur Bürokauffrau ändere, da ein Mitarbeiter krankheitsbedingt berufsunfähig geworden sei. Nur so habe der Tochter der Verbleib im Betrieb nach ihrer Ausbildung zugesichert werden können. Unter der Bedingung, ihre Berufsausbildung fertig zu absolvieren, sei sie als Sachbearbeiterin unbefristet eingestellt worden. Diesbezüglich sei eine verkürzte Arbeitszeit - von Montag bis Donnerstag - festgelegt worden, um die Berufsschule am Freitag weiterhin besuchen zu können. Die Ausübung ihres Berufes sei ihr freitags nicht möglich. Diese Regelung und dass ***1*** freitags ihren Beruf nicht ausüben könne, sei auch für die Berufsschule, Wirtschafts- und Arbeiterkammer kein Problem gewesen. Es habe nur ein Antrag auf außerordentlichen Schulbesuch gestellt werden müssen, da somit der praktische, nicht jedoch der Schul-Ausbildungsteil beendet gewesen sei. Dem sei zugestimmt worden, da der praktische Teil der Ausbildung bereits ausreichend absolviert worden sei. Die schulische Ausbildung sei somit noch bis Anfang Juli 2018 laufend absoviert worden und werde mit einer entsprechenden Lehrabschlussprüfung abgeschlossen.
Die Tochter habe dies als Chance genommen, eine Lehrausbildung abzuschließen. Aus gesundheitlichen Gründen - sie habe eine Exostosenerkrankung und werde immer wieder operiert - wisse man nicht, wie lange sie eine Beruf ausüben könne (bereits Lähmungen im rechten Hand- und Ellenbogengelenk).
Der Antrag auf Weitergewährung der (erhöhten) Familienbeihilfe vom 18. bis zum 19. Lebensjahr sei gestellt worden, da ihre Tochter noch in Berufsausbildung sei. Auch sei telefonisch mitgeteilt worden, dass ein Antrag möglich sei.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies das Finanzamt die Beschwerde als unbegründet ab. Die Tochter ***1*** sei seit Angestellte bei der ***3*** mit 32 Stunden und besuche einmal in der Woche die Landesberufsschule. Es sei nicht die volle Zeit des Kindes für den Schulbesuch "beansprucht" und der monatliche Verdienst betrage 1.569,76 €.

Im Vorlageantrag vom brachte die Bf vor, die Ausbildung zur Bürokauffrau erfolge im dualen Ausbildungssystem, mit einem praktischen Teil der Ausbildung und der Schulzeit.
Der Lehrvertrag sei von ihrer Tochter nach ordnungsgemäßem Abschluss des praktischen Teils der Ausbildung im Mai 2016 im beiderseitigen Einverständnis gekündigt worden, da eine Übernahme als Sachbearbeiterin im selben Betrieb erfolgte.
Die Schulzeit gelte laut Berufsausbildungsgesetz als Lehrzeit und sei diese als außerordentliche Schülerin fortgesetzt worden. Lt. Auskunft der Wirtschaftskammer bzw. gemäß Gesetz sei eine Lehre erst nach Abschluss des praktischen Teils im Lehrbetrieb und der Schulausbildung sowie Ablegung der Lehrabschlussprüfung (erfolgte am ) abgeschlossen.
Der Schulbesuch sei von der Tochter ordnungsgemäß beendet worden. Sie sei als außerordentliche Schülerin in der Landesberufsschule aufgenommen worden. Da der praktische Teil der Lehre bereits abgeschlossen gewesen sei, habe sie den Schulkostenbeitrag selbst übernehmen müssen.
Laut Auskunft des Bundesministerium sei das Einkommen eines Kindes bis zu jenem Jahr irrelevant, in dem es das 19. Lebensjahr vollendet habe.
Es werde die (erhöhte) Familienbeihilfe bis August 2018 beantragt, da die Tochter nach bestandener Lehrabschlussprüfung ihre Lehre am beendet habe.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Die Tochter der Bf, ***1***, geb. ***2***, vollendete im ***4*** das 18. Lebensjahr. Sie leidet an einer Exostosenerkrankung. Bis ***4*** wurde die erhöhte Familienbeihilfe bezogen.

Am begann sie eine Lehre zur Betriebsdienstleistungskauffrau im ***3*** (Lehrzeit - ). Am wurde das Lehrverhältnis einvernehmlich vorzeitig aufgelöst. Die Tochter wurde ab von ihrem bisherigen Lehrberechtigten als Sachbearbeiterin unbefristet angestellt. Ab wurde ihre Arbeitszeit auf 32 Wochenstunden herabgesetzt.

In den Schuljahren 2016/2017 und 2017/2018 besuchte die Tochter einmal wöchentlich - jeweils am Freitag - die Berufsschule (Lehrberuf Bürokauffrau) als außerordentliche Schülerin.

Am legte sie die Lehrabschlussprüfung erfolgreich ab.

2. Beweiswürdigung

Die obigen Sachverhaltsfeststellungen sind aktenkundig. Dagegen sprechende Umstände sind nicht ersichtlich.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)

Gemäß § 2 Abs. 1 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, Anspruch auf Familienbeihilfe

a) für minderjährige Kinder,

b) für volljährige Kinder, die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und die für einen Beruf ausgebildet oder in einem erlernten Beruf in einer Fachschule fortgebildet werden, wenn ihnen durch den Schulbesuch die Ausübung ihres Berufes nicht möglich ist.

h) für volljährige Kinder, die erheblich behindert sind (§ 8 Abs. 5), das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und die für einen Beruf ausgebildet oder in einem erlernten Beruf in einer Fachschule fortgebildet werden, wenn ihnen durch den Schulbesuch die Ausübung ihres Berufes nicht möglich ist; …

Gemäß § 8 Abs. 4 FLAG 1967 erhöht sich die Familienbeihilfe monatlich für jedes Kind, das erheblich behindert ist.

Sowohl nach § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 als auch nach § 2 Abs. 1 lit. h FLAG 1967 ist die Gewährung von Familienbeihilfe (und des Kinderabsetzbetrages) für volljährige Kinder, die das 24. bzw. 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben an die Voraussetzung der Berufsausbildung gebunden.

Unter den im Gesetz nicht definierten Begriff der Berufsausbildung fallen nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes alle Arten schulischer oder kursmäßiger Ausbildungen, in deren Rahmen noch nicht berufstätigen Personen ohne Bezugnahme auf die spezifischen Tätigkeiten an einem konkreten Arbeitsplatz das für das künftige Berufsleben erforderliche Wissen vermittelt wird.

Ob tatsächlich eine Berufsausbildung im Sinne des FLAG vorliegt, kann in der Regel nur im Einzelfall beurteilt werden. Es besteht jedoch kein Zweifel, dass insbesondere die Lehrausbildung in einem gesetzlich anerkannten Lehrverhältnis (auf Grundlage eines Lehrvertrages) eine Berufsausbildung iSd FLAG darstellt (vgl. mwN).

Diese Lehrausbildung steht auf zwei Säulen. Sie umfasst zum einen die praktische Ausbildung im Betrieb (in der Regel 75 bis 80 % der Lehre) und zum anderen die Ausbildung in der Berufsschule (sogenanntes "duales System" der Lehrausbildung).

Zur Qualifikation als Berufsausbildung iSd FLAG kommt es nicht nur auf das "ernste und zielstrebige Bemühen um den Ausbildungserfolg" an, sondern eine Berufsausbildung muss grundsätzlich auch in quantitativer Hinsicht die volle Zeit des Kindes in Anspruch nehmen (vgl. ).

Nach den vom VwGH zu diesem Begriff in ständiger Rechtsprechung entwickelten Kriterien (zB ; u.v.a.) weist jede anzuerkennende Berufsausbildung ein qualitatives und ein quantitatives Element auf. Entscheidend ist sowohl die Art der Ausbildung als auch deren zeitlicher Umfang.

In diesem Zusammenhalt liegt eine Berufsausbildung iSd FLAG nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzgerichtes (BFG) - analog zum Besuch einer AHS oder BHS - generell nur dann vor, wenn ein wöchentlicher Zeitaufwand für Kurse und Vorbereitungen von mindestens 30 Stunden anfällt. Das BFG nimmt bei Schulen für Berufstätige einen erforderlichen wöchentlichen Zeitaufwand von durchschnittlich 20 bis 25 Stunden zuzüglich Hausaufgaben an, dh. insgesamt von mindestens 30 Wochenstunden, um von einer Berufsausbildung iSd FLAG zu sprechen (vgl. ; ).

Keine Berufsausbildung liegt vor, wenn das Lehrverhältnis vorzeitig gelöst und die Berufsschule nur einmal wöchentlich besucht wurde (; ; ; vgl. auch Lenneis in Lenneis/Wanke (Hrsg.), FLAG2, § 2 Rz 35 ff).

Im gegenständlichen Fall steht zunächst fest, dass die von der Tochter am begonnene Lehrausbildung in einem gesetzlich anerkannten Lehrverhältnis an sich eine Berufsausbildung im Sinne des FLAG darstellt. Diese besteht nach dem in Österreich herrschenden dualen System der Lehrausbildung zumindest zu rund 75 % in einer praktischen Ausbildung im Betrieb sowie zu rund 25 % in einer theoretisch-schulischen Ausbildung in der Berufsschule. Wenn nun, wie im vorliegenden Fall, aufgrund der vorzeitigen Beendigung der praktischen Ausbildung im Betrieb mit (einvernehmliche Auflösung des Lehrverhältnisses) infolge der Fortsetzung des Berufsschulbesuchs lediglich ein 25%iger Anteil an der gesamten Lehrausbildung verblieb und diese schulisch-theoretische Ausbildung lediglich an einem Wochentag ganztägig erfolgte, so kann im Hinblick auf die oben dargelegte Judikatur des VwGH nicht mehr davon die Rede sein, dass dadurch - wie laut VwGH erforderlich - in quantitativer Hinsicht die volle Zeit der Tochter der Bf beansprucht wurde.

Eine Berufsausbildung iSd FLAG lag daher nach Beendigung der praktischen Lehrausbildung schon allein mangels Erfüllung der zeitlichen Komponente nicht mehr vor.

Es ist aufgrund der gesundheitlichen Einschränkungen der Tochter nachvollziehbar, dass die Chance auf eine dauerhafte Anstellung im Lehrbetrieb ergriffen und das Lehrverhältnis (Betriebsdienstleistungskauffrau) daher vorzeitig aufgelöst wurde. Dies kann aber an vorstehender Beurteilung nichts ändern. Auch wenn die Tochter der Bf unter der Bedingung, die Berufsausbildung (Bürokauffrau) fertig zu absolvieren, als Sachbearbeiterin angestellt wurde (ab mit auf 32 Wochenstunden herabgesetzter Arbeitszeit für den einmal wöchentlichen Berufsschulbesuch), lag eine Berufsausbildung iSd FLAG nicht mehr vor, da der Berufsschulbesuch nicht die volle Zeit der Tochter in Anspruch nahm und - wie die Bf selbst einräumt - der praktische Teil der Lehrausbildung bereits mit Mai 2016 ausreichend absolviert und beendet war.

Ein Anspruch auf (erhöhte) Familienbeihilfe bestand somit nicht.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die Lösung der Frage, ob "in quantitativer Hinsicht die volle Zeit" der Tochter der Bf in Anspruch genommen wurde und insofern eine Berufsausbildung iSd FLAG vorlag, war anhand der tatsächlichen Umstände in Anwendung der oben angeführten Judikatur des VwGH zu beurteilen. Insofern lag keine strittige Rechtsfrage vor. Eine Revision ist daher nicht zulässig.

Salzburg, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
FLAG
betroffene Normen
ECLI
ECLI:AT:BFG:2022:RV.6100509.2018

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at