Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 22.11.2022, RV/4100502/2017

Bescheidänderung gemäß § 295a BAO

Entscheidungstext

M NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Mag. P.H. und die Senatsmitglieder Dr.in E.H, Mag. A.M und Mag. H.P in der Beschwerdesache ***Bf1***, Str., Ort, vertreten durch W. GmbH, Str 1, H. über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes St. Veit Wolfsberg (nunmehr: Finanzamt Österreich) vom betreffend Abweisung eines Antrages gemäß § 295a Bundesabgabenordnung (BAO) ***Bf1StNr1*** nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am in Abwesenheit des Beschwerdeführers zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Der Beschwerdeführer (im Folgenden: Bf.) beantragte mit Schriftsatz vom , eingelangt am , die Abänderung des Einkommensteuerbescheides 2014 gemäß § 295a BAO, weil ein Ereignis eingetreten sei, das abgabenrechtlich Wirkung für die Vergangenheit auf den Bestand oder Umfang eines Abgabenanspruches hat.

Begründend wurde ausgeführt, dass der VwGH mit Erkenntnis vom , 2015/13/0020, ausgesprochen hat, dass Pensionsabfindungen, diesfalls die Pensionsabfindung von der Kammer der S.B, dem ermäßigten Steuersatz iHv 6% und nicht der Tarifsteuer unterliegen.

Der Beschwerdeführer erhielt im Jahr 2014 anlässlich seiner Pensionierung von der Kammer der ***1*** eine Teilabfindung seiner Zusatzpension. Gleichzeitig wurde ihm ab die vorzeitige Alterspension zuerkannt. Im Einkommensteuerbescheid 2014 vom wurde die Pensionsabfindung der Tarifbesteuerung unterzogen.

Bescheid:

Mit angefochtenem Bescheid vom wies das Finanzamt den Antrag gemäß § 295a BAO auf Abänderung des Einkommensteuerbescheides 2014 und nachträgliche Anwendung des festen Steuersatzes iHv 6% betreffend die Pensionsabfindung als unbegründet ab.
Das Finanzamt führte aus, dass unter den Ereignisbegriff des § 295a BAO nur sachverhaltsändernde Geschehnisse, nicht jedoch Änderungen in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fallen. Dies treffe auch auf Urteile des EUGH zu (siehe Ritz, Abänderung nach § 295a BAO, SWK 35/2003, 880).
Grundsätzlich würden nach Entstehen des Abgabenanspruches eintretende Ereignisse den Bestand und Umfang des Abgabenanspruches nicht mehr ändern. Das Ereignis müsse nachträglich eintreten, da nur dann die Notwendigkeit der Durchbrechung der Rechtskraft gegeben sein kann. Es handle sich um abgabenrechtlich relevanten Sachverhalte, die nach Bescheiderlassung eintreten und sich auf den Anspruch und Umfang einer Abgabe auswirken.
Es müsse den abgabenrechtlichen Bestimmungen entnommen werden, ob ein nachträglich eingetretenes Ereignis eine abgabenrechtliche Wirkung für die Vergangenheit zukommt. Eine solche Regelung enthalte die mit dem VwGH Erkenntnis angesprochene gesetzliche Bestimmung des § 67 ABs. 4 EStG 1988 jedoch nicht.
Der abgabenrechtlich relevante Sachverhalt muss sich in der Vergangenheit in der Weise auswirken, dass anstelle des zuvor verwirklichten Sachverhaltes ein veränderter Sachverhalt der Besteuerung zugrunde zu legen ist. Hingewiesen wurde auf die Möglichkeiten der Bescheidaufhebung oder Wiederaufnahme des Verfahrens.

Beschwerde:

In der Beschwerde wurde eingewendet, dass die Abweisung zu Unrecht erfolgt sei, weil die Abgabenbehörde im Zuge der Offizialmaxime nicht alle Möglichkeiten ergriffen habe, um einen Zustand der Rechtsrichtigkeit herbeizuführen.
Auf die Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung wurde verzichtet und die unverzügliche Vorlage der Beschwerde an das BFG beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom , Ro 2015/13/0020, klargestellt, dass die Teilabfindung der Zusatzpension von einem Vorsorgewerk einer freiberuflichen Kammer (im konkreten Fall: Rechtsanwaltskammer) die Bestimmung des § 67 Abs. 4 EStG 1988 über die Auflösung von Pensionen anzuwenden ist. Diese Pensionsabfindung ist nicht mit dem Tarif, sondern mit dem festen Steuersatz iHv 6 % zu versteuern.

Im Vorlagebericht erläuterte das Finanzamt die Vorgehensweise und beantragte die Abweisung der Beschwerde.

Im Verfahren vor dem BFG legte der Bf. den Bescheid über die Zuerkennung der Zusatzpension ab , die Teilabfindung der Zusatzpension, die bezugnehmende Satzung der Kammer für 2018 vor und verwies auf das Beschwerdevorbringen. Der Auszug aus dem Fachjournal der ***1*** im Jahr 2017 wurde vorgelegt, in welchem das VwGH Erkenntnis vom , Zl. Ro 2015/13/0020, besprochen wird.

Der Beschwerdeführer teilte nach Erhalt der Ladung zur mündlichen Verhandlung mit, dass er an der mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen werde.

In der mündlichen Verhandlung trug der Vorsitzende des Senates den Sachverhalt anhand des Antrages auf Bescheidaufhebung gemäß § 295a BAO, des Einkommensteuerbescheides 2014, des angefochtenen Abweisungsbescheides, des VwGH-Erkenntnisses, und anhand der Beschwerde sowie des Vorlageantrages, vor.

Der Amtsvertreter führte aus, dass die geänderte bzw. klarstellende Rechtsprechung durch den VwGH kein rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 295a BAO darstelle, der Sachverhalt sich nicht geändert habe, und die Änderung des Einkommensteuerbescheides daher nicht möglich gewesen sei.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Sachverhalt

Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom , Ro 2015/13/0020, klargestellt, dass bei Teilabfindung von Zusatzpensionen von einem Vorsorgewerk einer freiberuflichen Kammer, die Bestimmung des § 67 Abs. 4 EStG 1988 über die Auflösung von Pensionen anzuwenden ist. Daher ist die Pensionsabfindung nicht mit dem Tarif, sondern mit dem festen Steuersatz iHv 6 % zu versteuern.

Strittig ist die Frage, ob das Erkenntnis des VwGH ein rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 295a BAO darstellt, welches zu einem geänderten Sachverhalt bei der Veranlagung zur Einkommensteuer 2014 führt.

Der Beschwerdeführer beantragte die Abänderung des Bescheides entsprechend der Bestimmung des § 295a BAO und bringt im ergänzenden Schriftsatz vor, dass das Finanzamt nicht alle Möglichkeiten im Sinne einer Offizialmaxime ergriffen hat, um den Zustand der Rechtsrichtigkeit herbeizuführen.

Beweiswürdigung

Der vorliegende Sachverhalt ergibt sich aus dem Antrag, dem angefochtenen Bescheid, dem Beschwerdeschriftsatz und Vorlagebericht des Finanzamtes. Der Bf. verzichtete ausdrücklich auf Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung und beantragte die Vorlage der Beschwerde an das BFG sowie die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung im Senat.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 295a Abs. 1 BAO kann ein Bescheid auf Antrag der Partei (§ 78 ) oder von Amts wegen insoweit geändert werden, als ein Ereignis eintritt, dass abgabenrechtliche Wirkung für die Vergangenheit auf den Bestand oder Umfang eines Abgabenanspruches hat.

§ 67 Abs. 4 EStG 1988 lautet in der für das Streitjahr 2014 maßgeblichen Fassung auszugsweise (und insoweit auch in der derzeit geltenden Fassung):
"(4) Die Lohnsteuer von Abfertigungen der Witwer- oder Witwenpensionen, die auf Grund bundes- oder landesgesetzlicher Vorschriften aus dem Grunde der Wiederverehelichung geleistet werden, wird so berechnet, daß (...). Diese Bestimmungen sind auch anzuwenden

- auf die Ablösung von Pensionen des unmittelbar Anspruchsberechtigten auf Grund bundes- oder landesgesetzlicher Vorschriften oder auf Grund von Satzungen der Versorgungs- und Unterstützungseinrichtungen der Kammern der selbständig Erwerbstätigen sowie

- auf Abfindungen im Sinne des § 269 ASVG und vergleichbare Abfindungen im Rahmen der gesetzlichen Pensionsversicherung oder auf Grund von Satzungen der Versorgungs- und Unterstützungseinrichtungen der Kammern der selbständig Erwerbstätigen."

Gemäß § 5 Abs. 6 der Satzung der Vorsorgeeinrichtung der Kammer ist die Alterspension durch Auszahlung von höchstens 50% des Guthabens auf dem Pensionskonto des Anwartschaftsberechtigten teilabzufinden, wenn der Anwartschaftsberechtigte dies zugleich mit dem Antrag auf Zuerkennung der Alterspension beantragt.

Die Kammer gewährte mit Bescheid vom dem Bf. eine Teilabfindung seiner Zusatzpension und ab eine monatliche Zusatzpension (Bescheid der Kammer der ***1*** vom ).

Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)

Gemäß § 295a BAO kann ein Bescheid auf Antrag der Partei (§ 78) oder von Amts wegen insoweit abgeändert werden, als ein Ereignis eintritt, das abgabenrechtliche Wirkungen für die Vergangenheit auf den Bestand oder den Umfang eines Abgabenanspruches hat.

Es handelt sich um einen Verfahrenstitel, der zur Durchbrechung der (materiellen) Rechtskraft von Bescheiden dient. Eine Abänderung gem. § 295a ist aber lediglich eingeschränkt zulässig, woraus sich eine Teilrechtskraft des zu ändernden Bescheides ergibt. Der nach § 295a abändernde Bescheid hat somit nur die Wirkung einer Berichtigung. Er tritt nicht an die Stelle des Bescheides, sondern korrigiert ihn nur im angesprochenen Teilbereich. Der nicht abgeänderte Teilbescheid verbleibt in Rechtskraft und der Änderungsbescheid ist daher nur hinsichtlich der Abänderung mit Berufung anfechtbar (vgl. Ritz, BAO7, § 295a, Tz 42).

Vorbild für die mit AbgÄG 2003 in die BAO eingefügte neue Regelung ist die deutsche Abgabenordnung (AO). Unter einem Ereignis iSd § 175 Abs. 1 Z 2 AO ist jeder rechtlich relevante Vorgang zu verstehen. Dazu gehören Tatsachen des Lebenssachverhalts, aber auch rechtliche Vorgänge, wie die Einwirkung auf oder durch Rechtsgeschäfte, Rechtsverhältnisse, Gerichtsentscheidungen in einer Rechtssache, Verwaltungsakte. Dem Ereignisbegriff unterfallen nur sachverhaltsändernde Geschehnisse, nicht jedoch Änderungen der Rechtsprechung, was auch für Urteile des EuGH gilt (s. Ritz, Abänderung nach § 295a BAO, SWK 35/2003, 880).

Da § 295a eine rein verfahrensrechtliche Bestimmung ist, nimmt sie keinen Einfluss auf den Bestand materieller Abgabengesetze. Es muss somit den materiellen Abgabengesetzen entnommen werden, ob einem nachträglich eingetreten Ereignis eine abgabenrechtliche Wirkung für die Vergangenheit zukommt. Grundsätzlich verändern nach Entstehen des Abgabenanspruches eingetretene Ereignisse den Bestand und Umfang des Abgabenanspruches nicht mehr. Es ist daher eine Frage des Inhaltes bzw. der Auslegung der Abgabenvorschriften, welchen Ereignissen bezogen auf den Zeitpunkt des Entstehens des Abgabenanspruches Rückwirkung zukommen kann. Das sachverhaltsändernde Ereignis muss nachträglich eintreten, da nur dann die Notwendigkeit zur Durchbrechung der Rechtskraft besteht.

Der abgabenrelevante Sachverhalt muss sich in die Vergangenheit in der Weise auswirken, dass anstelle des zuvorverwirklichten Sachverhaltes nunmehr ein veränderter Sachverhalt der Besteuerung zu Grunde zu legen ist. Umstände, welche bereits bei Erlassung ursprünglicher Bescheide vom Finanzamt berücksichtigt wurden, können keine Bescheidänderung iSd § 295a begründen, da insoweit kein rückwirkendes Ereignis vorliegt (s. mwN). Es muss sich weiters um neu eingetretene Umstände handeln. Ein Ereignis, das nur mangels Kenntnis nicht bereits bei Erlassung des ursprünglichen Abgabenbescheides berücksichtigt werden konnte, rechtfertigt nach seinem Hervorkommen ggf. eine Bescheidaufhebung oder eine Wiederaufnahme des Verfahrens (§ 303 BAO), nicht jedoch eine Bescheidänderung gem. § 295a BAO.

Die klarstellende Rechtsprechung des VwGH führte zu keinem geänderten Sachverhalt und stellt daher kein rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 295a BAO dar. Es ist festzuhalten, dass es sich bei einem rückwirkenden Ereignis um sachverhaltsbezogene Tatsachen handelt, welche dazu führen, dass sich ein geänderter Sachverhalt auf die Vergangenheit und auf den Bestand und Umfang eines Abgabenanspruches auswirkt. Die Voraussetzungen der Berücksichtigung eines rückwirkenden Ereignisses sind daher nicht gegeben.

Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Dies trifft auf den vorliegenden Sachverhalt nicht zu, sodass spruchgemäß zu entscheiden war (; Ritz, BAO7, Rz 27).

Klagenfurt am Wörthersee, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 295a BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2022:RV.4100502.2017

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at