Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 31.10.2022, RV/5100472/2022

Außergewöhnliche Belastung mit und ohne Selbstbehalt bei mehrfacher Behinderung

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin ***R*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch taxteamhuber Steuerberatung OG, Bahnhofstraße 4, 4840 Vöcklabruck, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2019, Steuernummer ***BF1StNr1***, zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO teilweise Folge gegeben.
Der angefochtene Bescheid wird abgeändert.

Die Bemessungsgrundlagen und die Höhe der festgesetzten Abgabe sind dem als Beilage angeschlossenen Berechnungsblatt zu entnehmen und bilden einen Bestandteil des Spruches dieses Erkenntnisses.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Im Rahmen der Arbeitnehmerveranlagung für das Jahr 2019 beantragte die Beschwerdeführerin die steuerliche Berücksichtigung des pauschalen Freibetrages in Höhe von 164,00 € für eine Behinderung von 40 Prozent, den pauschalen Freibetrag für Diätverpflegung in Höhe von 504,00 € sowie diverse unregelmäßige Hilfsmittel und Kosten der Heilbehandlung iHv insgesamt 6.848,41 € (Außergewöhnliche Belastungen ohne Selbstbehalt).

Mit Schreiben vom ersuchte das Finanzamt um genaue Kostenaufstellung mit Details wie Rechnungen inkl. Zahlungsnachweise, Bezeichnung der Aufwendungen, Einzelpreise und Summe über alle Aufwendungen, ärztliche Verordnungen bzw. Behandlungspläne zu den beantragten Kosten, erhaltene bzw. beantragte Kostenersätze wie z.B. Krankenkasse, Versicherung, Fonds, Land, Sozialministeriumservice, etc. Der Zusammenhang der Aufwendungen mit der Behinderung möge dargestellt werden (z.B.: Arztberichte, Gutachten). Bei stationären Aufenthalten sei eine Haushaltsersparnis von 5,23 € pro Tag abzuziehen. Es könnten nur Kosten ohne Selbstbehalt berücksichtigt werden, die im direkten Zusammenhang mit der Behinderung stehen würden.

Mit Schreiben vom wurden die angeforderten Unterlagen vorgelegt. Sämtliche beantragten Selbstbehalte für Arzt-, Zahnarzt-, Therapie- und Medikamentenkosten würden im Zusammenhang mit den zahlreichen Behinderungen (deg. WS-Schädigung, Kreuzbandläsion, Gonathrose, chron. Bronchitis, Carpaltunnelsyndrom, deg. Rizathrose, Depression, Hypertonos u.v.m.) stehen, die entsprechenden Nachweise seien bereits vorgelegt worden.
In Zusammenhang mit den Ausgaben für Hilfsmittel sowie Kosten der Heilbehandlung wurde folgende Aufstellung samt der diesbezüglichen Belege vorgelegt:


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Dr. ***Arzt1*** (Wahlarzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten)
380,22
Kostenersatz BVA
  1. 191,13
Dipl. Physiotherapeut ***Therapeut1***
  • 622,00
Kostenersatz BVA
  1. 377,91
Dr. ***Arzt1***
45,00
Kostenersatz BVA
  1. 21,19
Dr. ***Arzt2*** (Psychologe)
270,00
Kostenersatz BVA
  1. 120,00
Dr. ***Arzt3*** (Facharzt für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde)
88,20
Kostenersatz BVA
  1. 71,55
Dipl. Physiotherapeut ***Therapeut1***
  • 622,00
Kostenersatz BVA
  1. 377,91
Dr. ***Arzt1***
73,30
Kostenersatz BVA
  1. 27,61
Dr. ***Arzt4*** (Rheumatologe)
  • 180,00
Kostenersatz BVA
  1. 26,01
Dr. ***Arzt5*** (Arzt für Allgemeinmedizin)
  • 110,00
Kostenersatz BVA
  1. 37,36
Dr. ***Arzt2***
  • 180,00
Kostenersatz BVA
  1. 80,00
Dr. ***Arzt2***
  • 90,00
Kostenersatz BVA
  1. 40,00
Dr. ***Arzt3***
  • 88,20
Kostenersatz BVA
  1. 71,55
***Diätologin***
  • 175,00
Dr. ***Arzt6*** (Psychologe und Psychotherapeut)
  • 150,00
Behandlungsbeiträge der BVA
  • 144,83
***Labor***
  • 280,60
***Kurhotel1*** -
  • 2.082,31
Haushaltsersparnis (8 Tage je 5023 €)
  1. 41,84
***Kurhotel2***, Kur inkl Therapiekosten
12-12-2019 - - Selbstbehalt
  • 426,51
Durch Heilbehandlung verursachte Fahrtkosten
div. Fahrtkosten zu Ärzten 3.965 km x 0,42
  • 1.665,30
Kosten Rezeptgebühren und Medikamente lt. Bestätigung
  • 659,00
Summe
  • 6.848,41

Mit Schreiben vom ersuchte das Finanzamt um Vorlage des Gutachtens vom Sozialministeriumservice (wie setzt sich Grad der Behinderung zusammen). Es wurde nach dem Zusammenhang zwischen den Aufwendungen für Psychologen und Diätologen mit der Behinderung gefragt, sowie nach dem Zusammenhang mit den Wahlarztkosten (Dr. ***Arzt1***) und der Behinderung. Um die Vorlage der ärztlichen Verordnung bezüglich ***Kurhotel1*** wurde ersucht.

Mit Schreiben vom übermittelte die steuerliche Vertretung der Beschwerdeführerin das Gutachten des Sozialministeriumservice samt den zugrundeliegenden ärztlichen Befunde. Ergänzend wurde vorgebracht, dass u.a. folgende dauerhafte Behinderungen festgestellt worden seien: degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Kreuzbandläsion, div. Arthrosen, Carpaltunnelsyndrom, massive Depressionen, Bluthochdruck.
Die Beschwerdeführerin leide bereits seit Jahren am ganzen Körper an Arthrosen, daher der Zusammenhang mit dem notwendigen Aufwand der diätologischen Beratungen und Laboruntersuchungen.
Die Wahlarztkosten von Dr. ***Arzt1*** stünden in Zusammenhang mit den teilweise massiven Depressionen (auch im Behinderten-Gutachten festgestellt), welche dann zu entsprechenden Schüben der Hauterkrankungen führen würden. Der entsprechende ärztliche Befund werde angeschlossen.
Auf Grund der bereits seit Jahren auftretenden Depressionen, welche durch ein sehr traumatisches Ereignis (Todesfall der Tochter) wesentlich verstärkt worden seien, seien die immer wiederkehrenden psychotherapeutischen Behandlungen erforderlich.
Diesbezüglich müsse auch immer wieder bei der Versicherungsanstalt um Bewilligung angesucht werden (vgl. Beilage).
Die Bestätigung über die verordneten therapeutischen Maßnahmen, wie Aufsuchen von Kureinrichtungen zwischen Weihnachten und Neujahr und das Seminar von Dr. ***Arzt6***, werde ebenfalls übermittelt.
Durch diese Behandlungen und therapeutischen Maßnahmen würden diese depressiven Phasen abgemildert.

Mit Bescheid vom wurde die Einkommensteuer 2019 veranlagt. In Zusammenhang mit den beantragten außergewöhnlichen Belastungen fanden der Freibetrag wegen eigener Behinderung iHv 164,00 €, der Pauschbetrag für Diätverpflegung iHv 504,00 € sowie nachgewiesene Kosten aus der eigenen Behinderung ohne Selbstbehalt iHv 663,18 € Berücksichtigung. Aufwendungen mit Berücksichtigung des Selbstbehaltes wirkten sich nicht aus, weil sie die Höhe des Selbstbehaltes nicht überschritten. Begründend wurde Folgendes ausgeführt: Bezüglich Mehrfachbehinderung sei eine Berücksichtigung von Freibeträgen bzw. Aufwendungen ohne Abzug eines Selbstbehaltes nur dann möglich, wenn der Anteil des jeweiligen Leidens zumindest 25 % betragen würde. In allen anderen Fällen sei ein Selbstbehalt iSd § 34 Abs. 4 EStG 1988 abzuziehen.
Somit seien unter den behinderungsbedingten Aufwendungen nur die Kosten für die Physiotherapie sowie für die Diätologin berücksichtigt worden.

In der Beschwerde vom wurde ausgeführt, dass bei der Beschwerdeführerin Mehrfachbehinderungen vorliegen würden, deren Anteil teilweise mit weniger als 25 % festgestellt worden sei. Die hierfür entstandenen und geltend gemachten Ausgaben seien nur als außergewöhnliche Belastungen unter Berücksichtigung eines Selbstbehaltes iSd § 34 Abs. 4 EStG 1988 anerkannt worden.
Dagegen richte sich nunmehr die Beschwerde.
Das Maß der Minderung der Erwerbsfähigkeit werde durch einen Bescheid des Sozialministeriumservice unter Anwendung der Einschätzungsverordnung in einer Gesamtschau festgelegt.
Dabei werde ausgehend von einer Leiterkrankung bestimmt, wie hinzutretende minder schwere Behinderungen das Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit beeinflussen würden. Da also das Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit der weiteren Leiden nicht einfach zur stärksten Behinderung addiert würde, bleibe kein Raum, den Grad der Behinderung in noch kleinere Elemente zu zerteilen, welche in der Beurteilung des Gesamtgrades der Behinderung enthalten seien.
Es seien daher alle Aufwendungen in Hinblick auf Leiden, welche im Bescheid des Sozialministeriumservice über das Maß der Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens gesamt 25 % genannt seien, ohne Selbstbehalt als außergewöhnliche Belastung abzugsfähig, auch wenn das einzelne aus der Gesamtschau herausgenommene Leiden für sich allein betracht eine mindestens 25%ige Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht erreichen würde.
Auf das BFG-Erkenntnis vom , RV/5100503/2020, werde ergänzend hingewiesen.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies das Finanzamt die Beschwerde als unbegründet ab. Nach der Verordnung über außergewöhnliche Belastungen seien nur Kosten, die durch eine Behinderung im Ausmaß einer festgestellten Minderung der Erwerbstätigkeit von mindestens 25 % bedingt seien, als Kosten der Heilbehandlung zu qualifizieren und damit ohne Abzug eines Selbstbehaltes zu berücksichtigen.
Sofern Krankheitskosten nicht in Zusammenhang mit einer Behinderung im Ausmaß von mindestens 25 % stehen, würden sie den allgemeinen Bestimmungen des § 34 EStG 1988 unterliegen, sodass der vom Steuerpflichtigen zu tragende Selbstbehalt abzuziehen sei.
Die Feststellung der Behinderung und das Ausmaß der Minderung der Erwerbstätigkeit (Grad der Behinderung) sei bindend vom Sozialministeriumservice zu treffend und werde durch eine amtliche Bescheinigung nachgewiesen.
Aufgrund der Rechtslage würde sich ergeben, dass nur die Kosten des zweitgenannten Leidens bei Vorliegen von Zwangsläufigkeit ohne Anrechnung auf den Selbstbehalt abgezogen werden könnten, weil nur betreffend dieser Gesundheitsbeeinträchtigung eine über 25 % liegende Minderung der Erwerbstätigkeit bescheinigt worden sei.

Im Vorlageantrag vom wurde auf die Begründung zur Beschwerde vom sowie auf die BFG-Erkenntnisse vom , RV/5100503/2020, und vom 24.26.2022, RV/7100918/2022, verwiesen.

Mit Bericht vom legte das Finanzamt die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor. Im Wesentlichen wurde darauf hingewiesen, dass vom Bundessozialamt der Gesamtgrad der Behinderung in Höhe von 40 % festgestellt worden sei. Der Gesamtgrad der Behinderung ergäbe sich aus dem Zusammenwirken der Gesundheitsstörung unter Punkt 1 (Degenerative WS Veränderungen vorwiegend im HWS Bereich 20%) mit Punkt 2 (Zust.n. Kreuzbandlösion linkes Knie, Gonarthorse 30%). Die weiteren Gesundheitsstörungen würden nicht im Zusammenhang stehen.
Daraus ergäbe sich, dass nur die auf die Leiden rückführbaren Kosten bei Vorliegen von Zwangsläufigkeit ohne Anrechnung auf den Selbstbehalt abgezogen werden könnten, für welche eine Gesundheitsbeeinträchtigung von über 25% liegende Minderung der Erwerbsfähigkeit bescheinigt worden sei.
Im gegenständlichen Fall würde das auf die Aufwendungen in Höhe von 488,18 € betreffend Dipl. Physiotherapeut ***Therapeut1*** zutreffen. Die Wegstrecke zwischen Wohnort und der Praxis betrage 13 Kilometer. Im streitgegenständlichen Jahr seien 15 Termine besucht worden, weshalb Fahrtkosten in Höhe von 163,80 € (13*2*15*0,42 €) zusätzlich als außergewöhnliche Belastungen ohne Selbstbehalt zu berücksichtigen seien.
Bei den übrigen Aufwendungen konnte kein Zusammenhang mit Gesundheitsbeein- trächtigungen von über 25% liegender Minderung der Erwerbsfähigkeit festgestellt werden. Im Antwortschreiben vom werde ausgeführt, dass die Aufwendungen der diätologischen Beratung und der Laboruntersuchungen im Zusammenhang mit der Arthrose stehen würden. Des Weiteren würden die Aufwendungen von Dr. ***Arzt1***, Dr. ***Arzt2*** und die Kosten der Kureinrichtungen im Zusammenhang mit der Depression stehen. Aus diesem Grund seien diese Kosten als außergewöhnliche Belastungen mit Selbstbehalt zu berücksichtigen.
Es werde sohin beantragt, das Bundesfinanzgericht möge der Beschwerde insoweit stattgeben, als 651,98 € als außergewöhnliche Belastungen ohne Selbstbehalt zu berücksichtigen seien. Im übrigen möge die Beschwerde als unbegründet abgewiesen werden.

Zum Bericht des Finanzamtes wurde seitens der Beschwerdeführerin keine Stellungnahme abgegeben.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Sachverhalt

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt ergibt sich im Wesentlichen aus dem ärztlichen Sachverständigengutachten des Bundessozialamtes, Landesstelle Oberösterreich, vom :
"Ergebnis der durchgeführten Untersuchung


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Lfd.
Nr
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden
PosNr.
GdB%
1
Degenerative WS Veränderungen vorwiegend im HWS Bereich
190
20
2
Zust. N. Kreuzbandläsion linkes Knie, Gonarthrose
124
30
3
Chron. Bronchitis
283
20
4
Carpaltunnelsyndrom rechts, beg. Rizarthrose
sgm581
10
5
Depressio
sgm585
10
6
Hypertonus
sgm323
10

Begründung der Position bzw. der Rahmensätze:
zu 1/ Belastungsabhängiges Beschwerdebild, lediglich endlagige Bewegungseinschränkung, in den Alltagsfunktionen gering beeinträchtigt
zu 2/ Unter der Einstufung der Kreuzbandläsion ist die Gonarthrose mitberücksichtigt, das klin. Bild derzeit noch gering, ausr. Bewegungsumfang
zu 3/ Es finden sich keine Zeichen einer Obstruktion, auskultatorisch weitgehend unauff Bild
zu 4/ Mot. Kraft seitengleich, gute Beweglichkeit der RS
zu 5/ Derzeit remittiertes Zustandsbild
zu 6/ Gut eingestellter Hypertonus mit zufriedenstellender RR Einstellung
Gesamtgrad der Behinderung: 40 v.H.
Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:
Die Ges. MdE ergibt sich aus dem Zusammenwirken der Gesundheitsstörungen unter Punkt 1 und mit Punkt 2, welche additiv zu einer erhöhten Leistungsbeeinträchtigung führen, die weiteren Gesundheitsstörungen stehen nicht im Zusammenhang und somit daraus keine weitere Anhebung der RS."

Aufwendungen, welche im beschwerdegegenständlichen Zeitraum in unmittelbaren Zusammenhang mit der festgestellten Behinderung stehen, sind daher jene, die mit der Behandlung der in Punkt 1 und 2 aufgezählten Beschwerden in Zusammenhang stehen, also jene Beschwerden, welche die Halswirbelsäule und das Knie (inkl. Arthrose im Knie) betreffen.

Im beschwerdegegenständlichen Zeitraum hat die Beschwerdeführerin zwei Rechnungen des Physiotherapeuten (Rechnung vom , Rechnung vom ) bezahlt. Die Kosten betrugen jeweils 622 €, der Ersatz der Krankenkasse betrug jeweils 377,91 €. 15 Anwendungen wurden im Jahr 2019 konsumiert. Die Fahrtstrecke von der Adresse der Beschwerdeführerin zur Adresse des Physiotherapeuten beträgt lt. Google Maps 12,8 km.

Am hat die Beschwerdeführerin eine ernährungsmedizinische Beratung in Zusammenhang mit Übergewicht, Reizdarm und Arthrosen eingeholt. Die Kosten dafür betrugen 175 €. Die Fahrtstrecke von der Adresse der Beschwerdeführerin zur Adresse der Diätologin beträgt lt. Google Maps 7,9 km.

Daraus ergeben sich folgende Kosten:


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Physiotherapeut 622 x 2
1.244,00 €
Ersatz BVA 377,91 x 2
  1. 755,82 €
Fahrtkosten 15 x 12,8 x 2 x 0,42
161,28 €
Diätologin
175,00 €
Fahrtkosten 7,9 x 2x 0,42
6,63 €
Summe
831,09 €

Die übrigen geltend gemachten Aufwendungen sind in Zusammenhang mit einer Hauterkrankung, Depression, Zahnerkrankung, Nahrungsmittelunverträglichkeit sowie mit orthopädischen Problemen in der Hand angefallen.

Beweiswürdigung

Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus dem Parteienvorbringen, den vorgelegten Dokumenten (Rechnungen und Honorarnoten, ärztliches Gutachten) und Aktenteilen sowie einer Internetabfrage (Google Maps hinsichtlich der Fahrtstrecken).

Grundsätzlich haben die Abgabenbehörden die abgabenrechtlichen Fälle zu erforschen und von Amts wegen die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zu ermitteln, die für die Abgabenpflicht und die Erhebung der Abgaben wesentlich sind (vgl. § 115 Abs. 1 BAO).

Nimmt der Abgabenpflichtige hingegen eine abgabenrechtliche Begünstigung in Anspruch, muss er selbst einwandfrei und unter Ausschluss jeden Zweifels das Vorliegen der Umstände darlegen, auf welche die Begünstigung gestützt werden kann, wobei die Gründe im Einzelnen anzuführen sind (: "Zu diesen Ausführungen ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes der Steuerpflichtige, der eine Begünstigung, somit auch eine Steuerermäßigung wegen außergewöhnlicher Belastung, in Anspruch nimmt, selbst einwandfrei und unter Ausschluss jeden Zweifels das Vorliegen jener Umstände darzulegen hat, auf welche die abgabenrechtliche Begünstigung gestützt werden kann, wobei die Gründe dafür einzeln anzuführen und zumindest glaubhaft zu machen sind [vgl. Hofstätter/Reichel, Die Einkommensteuer III B, Tz 7 zu § 34 Abs. 1, sowie etwa die hg. Erkenntnisse vom , 90/14/0019, und vom , 2001/15/0109].").

Daraus ergibt sich, dass es an der Beschwerdeführerin gelegen ist schlüssig darzulegen, dass die Aufwendungen in Zusammenhang mit Ärzten, Therapeuten etc. mit jenen Erkrankungen in Zusammenhang stehen, welche zu einer vom Sozialministeriumservice festgestellten Behinderung geführt haben. Wie noch darzulegen sein wird, handelt es sich dabei um die degenerativen Veränderungen vorwiegend im Bereich der Halswirbelsäule und um die Beschwerden nach der Kreuzbandläsion im linken Knie samt Gonarthrose (= Arthrose im Knie).

Dies ist für die Kosten in Zusammenhang mit der physiotherapeutischen Behandlung sowie für die Diätberatung ua in Zusammenhand mit Arthrose im Ausmaß von insgesamt 831,09 € gelungen.

Auf die Stellungnahme des Finanzamtes im Vorlageantrag, in welcher darauf hingewiesen wurde, dass sich der Gesamtgrad der Behinderung aus dem Zusammenwirken der Gesundheitsstörung unter Punkt 1 mit Punkt 2 ergibt, dem nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes Vorhaltecharakter zukommt, reagierte die Beschwerdeführerin nicht.

Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchpunkt I.

Gem. § 34 Abs. 1 EStG 1988 sind bei der Ermittlung des Einkommens eines unbeschränkt Steuerpflichtigen außergewöhnliche Belastungen abzuziehen. Die Belastungen müssen außergewöhnlich sein, zwangsläufig erwachsen und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wesentlich beeinträchtigen.

Eine Belastung ist außergewöhnlich, soweit sie höher ist als jene, die der Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommens- und Vermögensverhältnisse erwächst. Bereits im Erkenntnis vom , 349/56, hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass durch Krankheit verursachte Aufwendungen grundsätzlich außergewöhnlich sind. Nach einhelliger Lehre und Rechtsprechung erwachsen Kosten der eigenen Erkrankung aus tatsächlichen Gründen dem Grunde nach zwangsläufig. Die österreichische Lehre und Rechtsprechung versteht Krankheit im Sinne des allgemeinen Sprachverständnisses als eine gesundheitliche Beeinträchtigung, die eine Heilbehandlung bzw. eine Heilbetreuung erfordert.

Das Merkmal der Zwangsläufigkeit muss auch hinsichtlich der Höhe nach gegeben sein (; ). Daher sind Fahrtkosten nur in notwendiger Höhe (kürzest mögliche Strecke) zu berücksichtigen. Die kürzeste Fahrtstrecke zum Physiotherapeuten beträgt 12,8 km (und nicht wie von der Beschwerdeführerin angenommen 14 km), jene zur Diätologin 7,9 km (und nicht 9 km).

Von einer wesentlichen Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ist insofern auszugehen, als die Kosten einen näher geregelten Selbstbehalt übersteigen.

Nach § 34 Abs. 6 EStG 1988 können u.a. Mehraufwendungen aus dem Titel der Behinderung, soweit sie die Summe pflegebedingter Geldleistungen (Pflegegeld, Pflegezulage, Blindengeld oder Blindenzulage) übersteigen, ohne Berücksichtigung des Selbstbehalts abgezogen werden. Der Bundesminister für Finanzen kann mit Verordnung festlegen, in welchen Fällen und in welcher Höhe Mehraufwendungen aus dem Titel der Behinderung ohne Anrechnung auf einen Freibetrag nach § 35 Abs. 3 EStG 1988 und ohne Anrechnung auf eine pflegebedingte Geldleistung zu berücksichtigen sind (§ 34 Abs. 6 letzter Satz EStG 1988).

Gemäß § 1 Abs. 1 der Verordnung des Bundesministers für Finanzen über außergewöhnliche Belastungen, BGBl. II Nr. 430/2010 (im Folgenden: Verordnung), sind die in den §§ 2 bis 4 dieser Verordnung genannten Mehraufwendungen als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen, wenn der Steuerpflichtige Aufwendungen u.a. durch eine eigene körperliche oder geistige Behinderung hat.

Eine Behinderung liegt nach § 1 Abs. 2 der Verordnung vor, wenn das Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung) mindestens 25 % beträgt.

Die Mehraufwendungen gemäß §§ 2 bis 4 der Verordnung sind nicht um eine pflegebedingte Geldleistung (Pflegegeld, Pflegezulage oder Blindenzulage) oder um einen Freibetrag nach § 35 Abs. 3 EStG 1988 zu kürzen (§ 1 Abs. 3 der Verordnung).

Nach § 4 der Verordnung, sind nicht regelmäßig anfallende Aufwendungen für Hilfsmittel (z.B. Rollstuhl, Hörgerät, Blindenhilfsmittel) sowie Kosten der Heilbehandlung im nachgewiesenen Ausmaß zu berücksichtigen.

Voraussetzung für die Abzugsfähigkeit von Kosten der Heilbehandlung nach § 4 der Verordnung ist, dass diese in einem ursächlichen Zusammenhang mit der Behinderung stehen (vgl. Fuchs in Doralt/Kirchmayr/Mayr/Zorn, EStG20, § 35 Tz 17; sowie , und , VwSlg 7950/F).

Die Ermächtigung des Bundesministers für Finanzen zur Festlegung von solchen Fällen, in denen Aufwendungen "ohne Anrechnung auf einen Freibetrag nach § 35 Abs. 3 und ohne Anrechnung auf eine pflegebedingte Geldleistung" zu berücksichtigen sind, verändert die Regelung der §§ 34 und 35 EStG 1988 inhaltlich: Während etwa nach den Vorschriften des § 35 Abs. 1 und 5 EStG 1988 iVm § 34 Abs. 6 EStG 1988 die Geltendmachung der tatsächlichen Kosten aus dem Titel der Behinderung nur "anstelle" des Freibetrags vorgesehen ist, erlaubt die Verordnungsermächtigung des letzten Satzes des § 34 Abs. 6 EStG 1988 demgegenüber die Geltendmachung tatsächlicher Mehraufwendungen aus dem Titel der Behinderung "neben" der Geltendmachung des Freibetrags nach § 35 Abs. 3 EStG 1988. Es handelt sich um eine Norm, mit der "im Kleid einer Verordnungsermächtigung der materielle Gehalt der in den diesbezüglichen Regelungen der §§ 34 und 35 geschaffenen Ansprüche geändert worden ist" (vgl. Fuchs, aaO, § 34 Tz 46/2; sowie nochmals , VwSlg 7950/F, und ).

Betroffen von dieser Beurteilung können nur Kosten sein, die durch jene Behinderung(en) bedingt sind, welche Grundlage für die Feststellung der Minderung der Erwerbsfähigkeit war(en). Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass grundsätzlich nur Aufwendungen, die in Zusammenhang mit jenen Gesundheitsschädigungen stehen, die zur Feststellung einer Behinderung von 40 % führten, ohne Selbstbehalt abzugsfähig sind. Sofern Aufwendungen nicht mit diesen Krankheiten in Zusammenhang stehen, unterliegen sie den allgemeinen Bestimmungen des § 34 EStG - das heißt, Abzugsfähigkeit erst nach Überschreiten des zumutbaren Selbstbehaltes.

Der Nachweis, ob die jeweiligen Kosten durch die Behinderungen bedingt sind, welche Grundlage für die Feststellung der Minderung der Erwerbsfähigkeit waren, sind vom Abgabenpflichtigen zu erbringen.

Bezüglich Mehrfachbehinderungen vertritt das Finanzamt die Ansicht, dass eine Berücksichtigung von Freibeträgen bzw. Aufwendungen ohne Abzug eines Selbstbehalts nur dann möglich, wenn der Anteil des jeweiligen Leidens zumindest 25% beträgt. In allen anderen Fällen ist ein Selbstbehalt im Sinne des § 34 Abs. 4 EStG 1988 abzuziehen.

Die Beschwerdeführerin hingegen verweist auf eine Entscheidung des Bundesfinanzgerichtes vom , RV/5100503/2020, wonach den Grad der Behinderung die Art und Schwere der Funktionsbeeinträchtigung bestimmt. Liegen mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vor, so bestimmt sich deren Gesamtgrad nicht aus der Addition der einzelnen Werte, sondern aufgrund der Auswirkung auf die höchstgradige Funktionsbeeinträchtigung und inwieweit diese dadurch erhöht wird. Es handelt sich daher um eine Gesamtschau, in welcher die einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen zueinander in Beziehung gesetzt werden und im Gesamtgrad der Behinderung untrennbar miteinander verbunden sind.

In gegenständlichen Fall sind die beiden unterschiedlichen Rechtsauffassungen insofern nicht von Relevanz, als im ärztlichen Sachverständigengutachten des Bundessozialamtes vom im Rahmen der Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass sich das Gesamtausmaß der Behinderung aus dem Zusammenwirken der Gesundheitsstörung unter Punkt 1 und 2 ergibt, während die weiteren Gesundheitsstörungen damit nicht im Zusammenhang stehen und daraus somit keine Erhöhung der Leistungsbeeinträchtigung führen.

Die Feststellung, ob und in welchem Ausmaß eine Person behindert ist, ist nicht von der Abgabenbehörde, sondern bindend von einer anderen Stelle (Sozialministeriumservice) zu treffen. Diese Feststellung ist für die Abgabenbehörde - und auch für das Bundesfinanzgericht - bindend. Daraus ergibt sich, dass das Bundesfinanzgericht nunmehr auch an die Feststellung gebunden ist, dass sich das Gesamtausmaß der Behinderung (nur) aus dem Zusammenwirken der Gesundheitsstörung unter Punkt 1 und 2 ergibt. Aufwendungen, die in Zusammenhang mit Gesundheitsbeeinträchtigungen lt. Punkt 3 bis 6 stehen, fallen demnach nicht unter den Anwendungsbereich des § 4 der Verordnung.

Von den geltend gemachten Aufwendungen beziehen sich keine ausdrücklich auf Beschwerden in der Halswirbelsäule. Dies hat zur Folge, dass die in der Entscheidung des , geäußerte Rechtsansicht mangels Sachverhaltsidentität für den gegenständlichen Fall keine Auswirkung hat, da die relevanten Aufwendungen ohnehin mit einer Behinderung in Zusammenhang stehen, die über 25 % liegt, nämlich mit der Position 2 des ärztlichen Sachverständigengutachtens (30 %). Relevant sind demnach Aufwendungen, die in Zusammenhang mit Beschwerden nach der Kreuzbandläsion im linken Knie samt Gonarthrose (= Arthrose im Knie) stehen. Wie bereits im Sachverhalt dargestellt wurde, sind dies die Kosten in Zusammenhang mit der physiotherapeutischen Behandlung sowie für die Diätberatung, die laut Honorarrechnung der Diätologin (auch) in Zusammenhang mit Arthrose notwendig war, während bei den übrigen diätologischen Untersuchungen und Laborauswertungen dieser Nachweis nicht erbracht wurde.

Daher werden Kosten im Ausmaß von insgesamt 831,09 € (vgl. Darstellung unter Punkt 1. Sachverhalt) ohne Anrechnung auf den Selbstbehalt berücksichtigt, während alle anderen geltend gemachten Aufwendungen grundsätzlich nur unter Berücksichtigung des Selbstbehaltes abzugsfähig wären.

Alle anderen geltend gemachten Aufwendungen wären unter Anrechnung des Selbstbehaltes aber nur insofern abzugsfähig, als sie außergewöhnlich und zwangsläufig sind, sowie die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wesentlich beeinträchtigen, wobei diese Voraussetzungen des § § 34 Abs. 1 EStG 1988 kumulativ vorliegen müssen.

Die Belastung beeinträchtigt die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wesentlich, soweit sie einen vom steuerpflichtigen von seinem Einkommen vor Abzug der außergewöhnlichen Belastungen zu berechnenden Selbstbehalt übersteigt. Aus dem angefochtenen Einkommensteuerbescheid vom ist ersichtlich, dass die geltend gemachten Aufwendungen den Selbstbehalt nicht übersteigen (Aufwendungen vor Abzug des Selbstbehaltes 6.185,23 €; Selbstbehalt 6.185,23 €). Eine Auseinandersetzung mit der Frage, inwieweit bei diesen Aufwendungen die gesetzlichen Voraussetzungen für deren Abzugsfähigkeit überhaupt vorliegen würden, ist somit entbehrlich.

Zu Spruchpunkt II.

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Da die gegenständliche Entscheidung Deckung in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes findet, ist eine ordentliche Revision nicht zulässig.

Linz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2022:RV.5100472.2022

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at