Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 19.10.2022, RV/2100751/2021

Familienbonus Plus und Unterhaltsabsetzbetrag für ein in der Schweiz lebendes Kind (ESt 2019)

Rechtssätze


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Stammrechtssätze
RV/2100751/2021-RS1
Für in der Schweiz lebende Kinder kommen bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen auch nach dem EUGH-Urteil vom , C-328/20 zufolge § 124b Z 410 lit b EStG bei der Einkommensteuerveranlagung 2019 der Unterhaltsabsetzbetrag und der Familienbonus Plus in indexierter Höhe zum Tragen.
RV/2100751/2021-RS2
Bei Geltendmachung eines Ausgleichsanspruchs nach § 4 Abs. 2 FLAG 1967 durch die in der Schweiz lebende Kinderzulagenbezieherin (Kindesmutter) steht dem Unterhalt leistenden Kindesvater in Österreich bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen nach der durch BGBl I Nr. 135/2022 geschaffenen Rechtslage im Jahr 2019 der Familienbonus Plus zu.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht (BFG) hat durch die Richterin***Ri*** in der Beschwerdesache des DI ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Hofer Leitinger Steuerberatung GmbH, Geidorfgürtel 20, 8010 Graz, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des ***FA*** vom betreffend Einkommensteuer 2019 zur Steuernummer ***BF1StNr1*** zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.

Der angefochtene Bescheid wird abgeändert.

Die Bemessungsgrundlage und die Höhe der festgesetzten Abgabe sind dem als Beilage angeschlossenen Berechnungsblatt zu entnehmen und bilden einen Bestandteil des Spruches dieses Erkenntnisses.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Zu Spruchpunkt I:

Strittig ist im anhängigen Verfahren betreffend die Einkommensteuer 2019 die Zuerkennung eines Familienbonus Plus nach § 33 Abs. 3a EStG 1988 (FABO+) für die bei der Ex-Gattin in der Schweiz lebende Tochter des Beschwerdeführers (Bf).

Das ***FA*** (FA) verwehrte den Ansatz des Absetzbetrages, weil für die Tochter im Verfahrenszeitraum weder Familienbeihilfe (FB) noch eine Ausgleichs-/Differenzzahlung nach dem Familienlastenausgleichgesetz 1967 (FLAG) bezogen wurde.

Der - steuerlich vertretene - Bf vertritt den Standpunkt, dass der Abzug eines FABO+ lediglich einen grundsätzlichen Anspruch auf Familienbeihilfe bzw. Ausgleichs-/Differenzzahlung nach dem FLAG erfordere und diese Voraussetzung in seinem Fall erfüllt sei.

Die Zuerkennung des Unterhaltsabsetzbetrages nach § 33 Abs. 4 EStG 1988 (UAB) für die Tochter unterblieb im abgabenbehördlichen Verfahren offenbar aufgrund eines technischen Fehlers (Nichterfassung der Beilage L1k) und ist im Verfahren vor dem BFG nicht mehr strittig.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

I. Sachverhalt/Beweiswürdigung:

Auf Basis des finanzgerichtlichen Ermittlungsergebnisses (Auswertung der Vorlageunterlagen sowie von BFG-Recherchen in den Datenbanken der Abgabenbehörde und des ZMR) legt das BFG der gegenständlichen Entscheidung folgenden als erwiesen erachteten Sachverhalt zugrunde:

Der seit Sept. 2014 geschiedene Bf, ein österreichischer Staatsbürger, ist beim FA langjährig als unbeschränkt Steuerpflichtiger mit inländischen Einkünften steuerlich erfasst.

In der Einkommensteuerklärung 2019 wies er den Familienbeihilfenbezug für ein Kind aus und beantragte - unter Anführung des Namens und der Sozialversicherungsnummer seiner seit der Scheidung bei der Ex-Gattin/Kindesmutter in der Schweiz lebenden Tochter Y. (geb. 2004, österreichische Staatsbürgerin) und Verweis auf die vollständige Erfüllung seiner Unterhaltspflichten - jeweils im Höchstausmaß einen FABO+ und einen UAB.

Die abgabenbehördliche Beihilfen-Datenbank FABIAN weist für Y. letztmalig im Okt. 2015 einen Bezug von Familienleistungen in Österreich aus. 2019 bezog demnach niemand Familienbeihilfe nach dem FLAG für das Kind.

Das BFG geht aufgrund des weiteren Verfahrensergebnisses von der Richtigkeit der abgabenbehördlichen Daten aus.

Nach einer abgabenbehördlichen Überprüfung der Anspruchsvoraussetzungen im Zuge der Veranlagung 2014 (Beischaffung der Alimentationsvereinbarung aus dem Scheidungsvergleich und von Zahlungsnachweisen), wurde in den Einkommensteuer (ESt)-Bescheiden 2015 - 2018 des Bf antragsgemäß jeweils ein UAB nach § 33 Abs. 4 Z 3 EStG 1988 und ein Kinderfreibetrag (KFB) für ein nicht haushaltszuhöriges Kind (§ 106a Abs. 2 EStG 1988) berücksichtigt.

Der im Sept 2014 im Zuge eines Scheidungsvergleiches nach § 55a EheG getroffenen Alimentationsvereinbarung zufolge, hat der Bf aufgrund seiner Einkommensverhältnisse für seine Tochter einen "Unterhalt in Höhe der Luxusgrenze" von monatlich 915,- € zu leisten. Im Zuge des anhängigen Verfahrens wies er für das Jahr 2019 die Erfüllung seiner Unterhaltsverpflichtungen durch monatliche Zahlungen von 980,- € nach.

Das BFG geht davon aus, dass er damit seinen Alimentationsverpflichtungen aus dem Jahr 2014 zur Gänze nachkam und der Anstieg der monatlichen Unterhaltsleistungen gegenüber dem Wert vom Sept. 2014 (+ 7%) durch den Zeitablauf bzw. das zunehmende Alter des Kindes bedingt ist.

Der Dienstgeber des Bf berücksichtigte laut Lohnzettel im Jahr 2019 einen FABO+ von 2.280,- € (= monatlich 190,- €). Dies entspricht dem nach § 3 der Familienbonus PlusAbsetzbeträge-EUAnpassungsverordnung, BGBl II Nr. 257/2018 (nachfolgend FABO+ AnpassungsVO) maßgeblichen Betrag für die Schweiz im Jahr 2019.

Der vom Dienstgeber an die Abgabenbehörde übermittelte Lohnzettel liegt dem angefochtenen Bescheid zugrunde.

Der UAB fand mangels Erfassung der Erklärungsbeilage L1k im ESt-Bescheid 2019 vom keine Berücksichtigung. Insofern beantragte das FA im BFG-Vorlagebericht eine stattgebende Erledigung.

Auf dem Abgabenkonto der Kindesmutter scheint als letzte Veranlagung jene für das Jahr 2013 auf. Der Eingang einer ESt-Erklärung 2019 oder eines Antrages auf FABO+ für 2019 ist nicht dokumentiert. Einkünfte der Ex-Gattin, welche einer Besteuerung in Österreich im Jahr 2019 unterlagen, wurden im Verfahren nicht bekannt.

Am brachte die Kindesmutter, eine Schweizer Staatsbürgerin, mittels Formular Beih 38 beim FA einen Antrag auf Zuerkennung einer "Differenzzahlung" betreffend die Tochter Y. für den Zeitraum 2016 - 2020 ein. Eine Verständigung des BFG gem. § 265 Abs. 6 BAO unterblieb.

Nach den Antragsdaten lebt Y. ständig im Haushalt der alleinerziehenden Kindesmutter in der Schweiz und besucht dort voraussichtlich bis 6/2024 ein Gymnasium. Die Kindesmutter trägt demnach die überwiegenden Unterhaltskosten für das Kind.

Eine Verzichtserklärung der Kindesmutter auf den Anspruch auf Ausgleichszahlung nach § 2a Abs. 1 iVm § 4 Abs. 2 FLAG 1967 enthält der Antrag nicht.

Dem Antrag angeschlossen sind Bestätigungen des Schweizer Dienstgebers der Ex-Gattin (durchgehende Beschäftigung seit 2016) über den Bezug von Kinderzulage für die Tochter im gesamten Antragszeitraum (2019 mtl. 200,- CHF).

Soweit die Angaben im Antrag vom 3.Jän. 2022 im Verfahrensergebnis Deckung finden (unstrittige Haushaltszugehörigkeit des Kindes bei der Mutter seit der Scheidung; Nachweis für den Bezug v. Kinderzulage in der Schweiz ab 2016, für 2019 ident mit Nachweis des Bf), sieht das BFG keinen Anlass für Zweifel an der Richtigkeit der Antragsdaten der Kindesmutter.

Von der überwiegenden Kostentragung durch die Mutter geht das BFG aufgrund der Haushaltszugehörigkeit des Kindes iVm dem höheren Preisniveau in der Schweiz aus, zumal der Bf keinen FB-Anspruch nach § 2 Abs. 2 FLAG 1967 geltend machte.

II. Rechtslage:

§ 33 Abs. 3a EStG 1988 in der 2019 geltenden Fassung BGBl. I Nr. 83/2018 und 103/2019 lautet, soweit hier von Interesse:

"Für ein Kind, für das Familienbeihilfe nach dem Familienlastenausgleichsgesetz 1967 gewährt wird und das sich ständig in einem Mitgliedstaat der EU oder Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz aufhält, steht auf Antrag ein Familienbonus Plus nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen zu:

1. Der Familienbonus Plus beträgt

a) bis zum Ablauf des Monats, in dem das Kind das 18. Lebensjahr vollendet, für jeden Kalendermonat 125 Euro,

b)…

2. Abweichend von Z 1 ist für Kinder, die sich ständig in einem anderen Mitgliedstaat der EU oder Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz aufhalten, die Höhe des Familienbonus Plus sowie der Absetzbeträge gemäß Abs. 4 auf Basis der vom Statistischen Amt der Europäischen Union veröffentlichten vergleichenden Preisniveaus für jeden einzelnen Mitgliedstaat der EU, jede Vertragspartei des Europäischen Wirtschaftsraumes und die Schweiz im Verhältnis zu Österreich zu bestimmen:

a) Die Höhe des Familienbonus Plus und der Absetzbeträge gemäß Abs. 4 ist ab auf Basis der zum Stichtag zuletzt veröffentlichten Werte anzupassen. Die Höhe ist in der Folge jedes zweite Jahr auf Basis der zum Stichtag 1. Juni des Vorjahres zuletzt veröffentlichten Werte anzupassen.

b) Der Bundesminister für Finanzen hat die Berechnungsgrundlagen und die Beträge mit Verordnung bis spätestens 30. September nach dem Stichtag gemäß lit. a kundzumachen.

3. Der Familienbonus Plus ist in der Veranlagung entsprechend der Antragstellung durch den Steuerpflichtigen wie folgt zu berücksichtigen:

a)….

b) Für ein Kind, für das im jeweiligen Monat ein Unterhaltsabsetzbetrag nach Abs. 4 Z 3 zusteht:

- Beim Familienbeihilfenberechtigten oder vom Steuerpflichtigen, dem für das Kind der Unterhaltsabsetzbetrag zusteht, der nach Z 1 (…) zustehende Betrag oder

- beim Familienbeihilfenberechtigten und dem Steuerpflichtigen, dem für das Kind der Unterhaltsabsetzbetrag zusteht, jeweils die Hälfte des nach Z 1 oder Z 2 zustehenden Betrages.

Für einen Monat, für den kein Unterhaltsabsetzbetrag zusteht, steht dem Unterhaltsverpflichteten kein Familienbonus Plus zu."

Einem Steuerpflichtigen, der für ein Kind den gesetzlichen Unterhalt leistet, das sich ständig in einem EU- oder EWR- Mitgliedstaat oder der Schweiz aufhält, steht ein Unterhaltsabsetzbetrag von 29,20 Euro monatlich zu, wenn das Kind nicht seinem Haushalt zugehört und für das Kind weder ihm noch seinem jeweils von ihm nicht dauernd getrennt lebenden (Ehe-)Partner Familienbeihilfe gewährt wird. Für eine außerhalb Österreichs lebendes Kind kommen die zum FABO+ geltenden Indexierungsbestimmungen auch beim UAB zur Anwendung (vgl. § 33 Abs. 4 Z 3 u. Z 4 EStG 1988 idF BGBl I Nr. 83/2018).

Eine analoge Indexierung wurde mit BGBl I Nr 83/2018 ab 2019 auch beim Kinderabsetzbetrag/KAB (§ 33 Abs. 3 EStG 1988) und bei der Familienbeihilfe (§ 8a und § 53 Abs. 4 FLAG 1967) eingeführt.

Die in Entsprechung des § 33 Abs. 3a Z 2 lit. b und Abs. 4 EStG 1988 ergangene Familienbonus PlusAbsetzbeträge-EUAnpassungsverordnung, BGBl II Nr. 257/2018 (nachfolgend FABO+-AnpassungsVO) weist in § 2 zum Jahr 2019 für die Schweiz einen Anpassungsfaktor von 1,520 aus. Daraus resultieren Monatsbeträge von 190,- € für den FABO+ bzw. von 44,38 € für den UAB (vgl. § 3 der FABO+-AnpassungsVO).

Die parallel aufgrund des § 8a FLAG 1967 und des § 33 Abs. 3 EStG, je idF BGBl. I Nr. 83/2018, ergangene Familienbeihilfe-Kinderabsetzbetrag-EU-Anpassungsverordnung, BGBl II Nr. 318/2018 (nachfolgend FB-AnpassungsVO) legt in § 3 den Familienbeihilfenanspruch für 2019 eines 2004 geborenen Kindes mit Wohnort in der Schweiz mit monatlich 215,08 € + 152,- € (§ 8 Abs. 2 Z 3 lit c u. Abs. 8 FLAG) fest. Zugleich ergibt sich für dieses Kind nach § 4 der Verordnung im Jahr 2019 ein KAB von 88,77 € monatlich.

Nach den Bestimmungen des FLAG haben Personen Anspruch auf Familienbeihilfe, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben und zu deren Haushalt das Kind gehört. Eine Person, zu deren Haushalt das Kind nicht gehört, die jedoch die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend trägt, hat Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn keine andere Person nach dem ersten Satz anspruchsberechtigt ist (vgl. § 2 (1) u. (2) FLAG).

§ 4 FLAG 1967 in der 2019 geltenden Fassung BGBl. Nr. 201/1996 lautet:

"(1) Personen, die Anspruch auf eine gleichartige ausländische Beihilfe haben, haben keinen Anspruch auf Familienbeihilfe.

(2) Österreichische Staatsbürger, die gemäß Abs. 1 oder gemäß § 5 Abs. 5 vom Anspruch auf die Familienbeihilfe ausgeschlossen sind, erhalten eine Ausgleichszahlung, wenn die Höhe der gleichartigen ausländischen Beihilfe, auf die sie oder eine andere Person (§ 5 Abs. 5) Anspruch haben, geringer ist als die Familienbeihilfe, die ihnen nach diesem Bundesgesetz ansonsten zu gewähren wäre. (BFG-Anmerkung: § 5 Abs. 5 zufolge § 52 jetzt § 5 Abs. 4 FLAG)

(3) Die Ausgleichszahlung wird in Höhe des Unterschiedsbetrages zwischen der gleichartigen ausländischen Beihilfe und der Familienbeihilfe, die nach diesem Bundesgesetz zu gewähren wäre, geleistet.

(4) Die Ausgleichszahlung ist jährlich nach Ablauf des Kalenderjahres, wenn aber der Anspruch auf die gleichartige ausländische Beihilfe früher erlischt, nach Erlöschen dieses Anspruches über Antrag zu gewähren.

(5) Die in ausländischer Währung gezahlten gleichartigen ausländischen Beihilfen sind nach den vom Bundesministerium für Finanzen auf Grund des § 4 Abs. 8 des Umsatzsteuergesetzes 1972, BGBl. Nr. 223/1972, in der "Wiener Zeitung" kundgemachten jeweiligen Durchschnittskursen in inländische Währung umzurechnen. (BFG-Anmerkung: Verweisnorm zufolge § 52 FLAG jetzt § 20 Abs. 6 UStG 1994).

(6) Die Ausgleichszahlung gilt als Familienbeihilfe im Sinne dieses Bundesgesetzes; die Bestimmungen über die Höhe der Familienbeihilfe finden jedoch auf die Ausgleichszahlung keine Anwendung."

(…)

§ 5 Abs. 4 FLAG 1967 idF BGBl. I Nr. 138/2013 lautet: "Kein Anspruch auf Familienbeihilfe besteht für Kinder, für die Anspruch auf eine gleichartige ausländische Beihilfe besteht. Die Gewährung einer Ausgleichszahlung nach § 4 Abs. 2 leg.cit. wird dadurch nicht ausgeschlossen."

Soweit bestehende Staatsverträge die Gewährung von Familienbeihilfe für Kinder vorsehen, die sich ständig in einem anderen Staat aufhalten, ist § 5 Abs. 4 in der Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl. Nr. 201/1996 weiter anzuwenden, bis völkerrechtlich anderes bestimmt ist (vgl. § 50g Abs. 2 FLAG).

§ 53 Abs. 1 FLAG überträgt die österreichischen Staatsbürgern durch das FLAG eingeräumten Rechtspositionen auf Angehörige von EWR-Staaten. Durch BGBl I Nr. 83/2018 wurde dieser Anspruch hinsichtlich der Familienbeihilfe eingeschränkt (§ 53 Abs 4 FLAG).

Bei grenzüberschreitenden Sachverhalten mit Bezug zum übrigen EU-Gebiet steht die Anwendung der vorstehenden Bestimmungen unter dem Vorbehalt der Übereinstimmung mit EU-Recht. Aufgrund zwischenstaatlicher bzw. internationaler Vereinbarungen kommt unionsrechtlichen Bestimmungen in verschiedenen Bereichen auch Bedeutung für Angehörige der EWR-Staaten und der Schweiz zu.

Konkret betrifft dies etwa die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (Grundverordnung) samt der dazu ergangenen Durchführungsverordnung (EG) Nr. 987/2009, deren sachlicher Geltungsbereich auch Familienleistungen umfasst (Art. 3 Abs. 1 lit. j VO (EG) 883/2004).

Soweit in der VO (EG) 883/2004 nicht anders normiert, gelten in deren Anwendungsbereich die Grundsätze der "Gleichbehandlung" und der "Aufhebung des Wohnortprinzips" (Art 4 bzw. Art 7 VO (EG) 883/2004).

Demzufolge haben Personen im Anwendungsbereich der Verordnung die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staates und dürfen Geldleistungen, die nach den Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten oder nach dieser Verordnung zu zahlen sind, nicht aufgrund eines Wohnsitzes der Anspruchsberechtigten in einem anderen Mitgliedsstaates als dem Sitz des zahlungspflichtigen Trägers gekürzt, geändert, zum Ruhen gebracht, entzogen oder beschlagnahmt werden.

Personen, für die diese Verordnung gilt, unterliegen den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Eine Person, die in einem Mitgliedstaat eine Beschäftigung oder selbständige Erwerbstätigkeit ausübt, unterliegt demnach grundsätzlich den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats (vgl. Art. 11 Abs. 3 lit a VO (EG) 883/2004).

Kapitel 8 VO (EG) 883/2004 enthält, soweit für das anhängigen Verfahren von Interesse, folgende Regelungen zu "Familienleistungen" (Hervorhebungen durch das BFG):

Art. 67 "Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen":

"Eine Person hat auch für Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats, als ob die Familienangehörigen in diesem Mitgliedstaat wohnen würden."

Art. 68"Prioritätsregeln bei Zusammentreffen von Ansprüchen":

"(1) Sind für denselben Zeitraum und für dieselben Familienangehörigen Leistungen nach den Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten zu gewähren, so gelten folgende Prioritätsregeln:

a) Sind Leistungen von mehreren Mitgliedstaaten aus unterschiedlichen Gründen zu gewähren, so gilt folgende Rangfolge: an erster Stelle stehen die durch eine Beschäftigung oder eine selbständige Erwerbstätigkeit ausgelösten Ansprüche, darauf folgen die durch den Bezug einer Rente ausgelösten Ansprüche und schließlich die durch den Wohnort ausgelösten Ansprüche.

b) Sind Leistungen von mehreren Mitgliedstaaten aus denselben Gründen zu gewähren,so richtet sich die Rangfolge nach folgenden subsidiären Kriterien:

i) bei Ansprüchen, die durch eine Beschäftigung oder eine selbständige Erwerbstätigkeit ausgelöst werden: der Wohnort der Kinder, unter der Voraussetzung, dass dort eine solche Tätigkeit ausgeübt wird, undsubsidiär gegebenenfalls die nach den widerstreitenden Rechtsvorschriften zu gewährende höchste Leistung. Im letztgenannten Fall werden die Kosten für die Leistungen nach in der Durchführungsverordnung festgelegten Kriterien aufgeteilt;

ii) bei Ansprüchen, die durch den Bezug einer Rente ausgelöst werden: der Wohnort der Kinder, unter der Voraussetzung, dass nach diesen Rechtsvorschriften eine Rente geschuldet wird, und subsidiär gegebenenfalls die längste Dauer der nach widerstreitenden Rechtsvorschriften zurückgelegten Versicherungs- oder Wohnzeiten;

iii) bei Ansprüchen, die durch den Wohnort ausgelöst werden: der Wohnort der Kinder.

(2) Bei Zusammentreffen von Ansprüchen werden die Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften gewährt, die nach Abs. 1 Vorrang haben. Ansprüche auf Familienleistungen nach anderen widerstreitenden Rechtsvorschriften werden bis zur Höhe des nach den vorrangig geltenden Rechtsvorschriften vorgesehenen Betrags ausgesetzt; erforderlichenfalls ist ein Unterschiedsbetrag in Höhe des darüber hinausgehenden Betrags der Leistungen zu gewähren. Ein derartiger Unterschiedsbetrag muss jedoch nicht für Kinder gewährt werden, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, wenn der entsprechende Leistungsanspruch ausschließlich durch den Wohnort ausgelöst wird."

Art. 60 Abs. 1 der Durchführungsverordnung (EG) Nr. 987/2009 lautet, soweit für das anhängigen Verfahren von Interesse:

"Die Familienleistungen werden bei dem zuständigen Träger beantragt. Bei der Anwendung von Artikel 67 und 68 der Grundverordnung ist, insbesondere was das Recht einer Person zur Erhebung eines Leistungsanspruchs anbelangt, die Situation der gesamten Familie in einer Weise zu berücksichtigen, als würdenalle beteiligten Personen unter die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaates fallen und dort wohnen. Nimmt eine Person, die berechtigt ist, Anspruch auf die Leistungen zu erheben, dieses Recht nicht wahr, berücksichtigt der zuständige Träger des Mitgliedstaates, dessen Rechtsvorschriften anzuwenden sind, einen Antrag auf Familienleistungen, der von dem anderen Elternteil (..) des Kindes (…) gestellt wird."

Art. 90 VO (EU) 987/2009 regelt die Währungsumrechnung und lautet:

"Bei der Anwendung der Grundverordnung und der Durchführungsverordnung gilt als Wechselkurs zweier Währungen der von der Europäischen Zentralbank veröffentlichte Referenzwechselkurs. Die Verwaltungskommission bestimmt den Bezugszeitpunkt für die Festlegung des Wechselkurses."

Zusammengefasst bedeutet die dargestellte EU-Rechtslage:

Nach der - auch für EWR-Länder und die Schweiz bedeutsamen - VO (EG) 883/2004, hat vorrangig jener Vertragsstaat Familienleistungen zu gewähren, in dem eine anspruchsberechtigte Person eine Erwerbstätigkeit ausübt. Sind die Elternteile eines anspruchsvermittelnden Kindes in verschiedenen Vertragsstaaten beschäftigt, trifft die vorrangige Verpflichtung zur Gewährung von Familienleistungen jenen "Erwerbsstaat", in dessen Gebiet das betreffende Kind wohnt (Art 68 Abs. 1 lit b sublit. i VO (EG) 883/2004).

Sind die Familienleistungen im "Erwerbsstaat" des anderen Elternteiles höher, besteht dort gegebenenfalls ein Anspruch auf Gewährung des Unterschiedsbetrages (Art 68 Abs. 2 VO (EG) 883/2004).

Stellt der anspruchsberechtigte Elternteil keinen Antrag, genügt auch ein Antrag des anderen Elternteiles (Art. 60 Abs. 1 VO (EG) 987/2009).

Auch nach innerstaatlichem Recht setzt ein Anspruch auf Ausgleichszahlung voraus, dass die "Höhe der gleichartigen ausländischen Beihilfe (…) geringer ist", als die nach dem FLAG zu gewährende (§ 4 Abs. 2 FLAG).

Der EUGH hat mit Urteil vom , C-328/20 (Kommission gegen Österreich) zur Auslegung des Art. 67 VO 883/2004 entschieden, dass die Familienleistungen, die ein Mitgliedstaat (Vertragsstaat) Erwerbstätigen gewährt, deren Familienangehörige in diesem Mitgliedstaat (Vertragsstaat) wohnen, exakt jenen entsprechen müssen, die er Erwerbstätigen gewährt, deren Familienangehörige in einem anderen Mitgliedstaat (Vertragsstaat) wohnen. Kaufkraftunterschiede zwischen den Mitgliedstaaten (Vertragsstaaten) rechtfertigen im Hinblick auf diese Bestimmung nicht, dass ein Mitgliedstaat (Vertragsstaat) dieser zweiten Personengruppe Leistungen in anderer Höhe gewährt als der ersten Personengruppe (Rn. 47).

Im Hinblick auf die Wohnsitzfiktion des Art. 67 VO 883/2004 und die Beiträge von Wanderarbeitnehmern zur Finanzierung der sozialpolitischen Maßnahmen des Aufnahmemitgliedstaats dürfen die Mitgliedstaaten (Vertragsstaaten) gemäß dieser Verordnung die Familienleistungen nicht nach Maßgabe des Wohnstaats der Kinder des Begünstigten anpassen (Rn. 51).

Eine Indexierung von Sozialleistungen für Kinder, die in einem anderen Mitgliedstaat (Vertragsstaat) wohnen als der Arbeitnehmer, an Hand der Kaufkraftunterschiede zwischen den Mitgliedstaaten (Vertragsstaaten) wäre, selbst wenn dies das Sekundärrecht zuließe, was nicht der Fall ist, nach dem Primärrecht der Union (Art. 45 AEUV) ungültig (Rn. 57 unter Hinweis auf , Pinna).

In Entsprechung des EUGH-Urteils entfielen zur Bereinigung der Indexierungsbestimmungen mit BGBl. I Nr. 135/2022 u.a. die Bestimmungen der §§ 33 Abs. 3a Z 2 und 33 Abs. 4 Z 4 EStG sowie § 8a FLAG mit Wirkung ab 2019.

Durch § 124b Z 409 lit b) bzw. Z 410 lit) b und lit c) EStG sowie § 55 Z 56/2. FLAG wird eine rückwirkende Benachteiligung für Kinder mit ständigem Aufenthalt in jenen Ländern, in welchen die österreichischen Familienleistungen ab 2019 aufgrund der Indexierung über der Höhe der in diesen Ländern zustehenden Familienleistungen lagen vermieden, indem die nach der Rechtslage vor dem BGBl. I Nr. 135/2022 geltende (indexierte) Höhe der von der rückwirkenden Aufhebung betroffenen Familienleistungen bis zum als rechtmäßig zuerkannt erklärt wird. Zu diesen Ländern gehört auch die Schweiz.

III. Im anhängigen Verfahren gehen die Eltern des anspruchsvermittelnden Kindes "Beschäftigungen" in der Schweiz und Österreich nach. Für die Gewährung von Familienleistungen ist primär die Schweiz als Wohnsitzstaat des Kindes zuständig (Art 68 Abs. 1 lit. b sublit. i VO (EG) 883/2004).

Im Verfahrenszeitraum 2019 bezog die Kindesmutter für Y. in der Schweiz eine "Kinderzulage" von 2.400,- CHF.

Unter Anwendung des gemäß § 20 Abs. 6 UStG 1994 iVm Art 90 VO (EG) 987/2009 maßgeblichen EZB-Referenzkurswertes für 2019 von 1,1124 für 1 CHF (vgl. www.oenb.at bzw. BMF-Formular L17b-2019) ergibt sich ein Jahresbetrag von 2.669,76 € für die im Jahr 2019 für Y. bezogenen Schweizer Familienleistungen.

Dem steht ein Familienbeihilfenanspruch nach § 8 Abs. 2 Z 3 lit c und Abs. 8 FLAG in Höhe von 1.798,- € gegenüber. Unter Berücksichtigung eines Kinderabsetzbetrages nach § 33 Abs. 3 EStG (mtl. 58,40 €) beträgt der Jahresbetrag 2.498,80 €.

Aufgewertet nach der FB-AnpassungsVO (Anpassungsfaktor 1,520) entspricht dies einer Familienleistung für 2019 von 3.433,76- € (FB: mtl. 215,08 € + 152,- €; KAB: mtl. 88,77 €).

Unter Berücksichtigung der Indexierung nach § 8a FLAG steht im Jahr 2019 für die Tochter Y. somit ein Ausgleichsanspruch nach § 4 Abs. 2 FLAG zu.

Damit liegen die Voraussetzungen für die Berücksichtigung eines FABO+ im angefochtenen ESt-Bescheid 2019 des Bf vor. Dass die Kindesmutter den Anspruch auf die Ausgleichszahlung hat (Art 67 VO (EU) 883/2004) und diesen mit dem Antrag vom auch geltend machte, ändert daran nichts (vgl. - Tomislaw Trapkowski und , je mwV).

Da der Dienstgeber des Bf bereits beim unterjährigen Lohnsteuerabzug einen FABO+ in indexierter Höhe berücksichtigte, beschränken sich die Änderungen der Bemessungsgrundlagen aufgrund der gegenständlichen Entscheidung im angefochtenen ESt-Bescheid 2019 auf den nachträglichen Ansatz des UAB.

Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im anhängigen Verfahren lagen die genannten Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Revision nicht vor. Soweit nicht Sachverhaltsfragen maßgeblich waren, folgt die Entscheidung dem Wortlaut der verwendeten österreichischen bzw. unionsrechtlichen Normen sowie der angeführten EUGH- und VwGH-Judikatur.

Beilage: 1 Berechnungsblatt

Graz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
FLAG
betroffene Normen
§ 8 Abs. 2 Z 3 lit. c FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
§ 8 Abs. 8 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
§ 8a FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
§ 53 Abs. 4 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
§ 55 Z 56 lit. b FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
§ 2 Familienbonus Plus-Absetzbeträge-EU-Anpassungsverordnung, BGBl. II Nr. 257/2018
§ 3 Familienbonus Plus-Absetzbeträge-EU-Anpassungsverordnung, BGBl. II Nr. 257/2018
§ 3 Familienbeihilfe-Kinderabsetzbetrag-EU-Anpassungsverordnung, BGBl. II Nr. 482/2020
§ 4 Familienbeihilfe-Kinderabsetzbetrag-EU-Anpassungsverordnung, BGBl. II Nr. 482/2020
§ 5 Abs. 4 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
§ 33 Abs. 4 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
§ 33 Abs. 3a EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
§ 33 Abs. 3a Z 2 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
§ 124b Z 409 lit. b EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
§ 124b Z 410 lit. b EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
Art. 7 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1
Art. 67 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1
Art. 68 Abs. 2 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1
Art. 60 Abs. 1 VO 987/2009, ABl. Nr. L 284 vom S. 1
§ 2 Abs. 2 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
§ 4 Abs. 2 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
§ 33 Abs. 3 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
Art. 4 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1
Verweise



ECLI
ECLI:AT:BFG:2022:RV.2100751.2021

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