Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 25.10.2022, RV/3100222/2022

Kind der Lebensgefährtin, das im Familenhaushalt in der Slowakei lebt, ist "Pflegekind" gem. § 2 Abs. 3 lit d FLAG 1967

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***,LandX, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom , Ordnungs-begriff 12xx, betreffend Abweisung des Antrages v. auf Gewährung einer Ausgleichs-/Differenzzahlung zur Familienbeihilfe für das Kind M, geb. 12/2010, für den Zeitraum ab Feber 2021 zu Recht erkannt:

Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.

Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach
Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensablauf:

1. Mit Formblatt Beih38 hat Herr A (= Beschwerdeführer, Bf) am für das leibliche Kind seiner Lebensgefährtin B, nämlich deren Sohn M geb. 12/2010, sowie für das gemeinsame Kind C, geb. 09/2019, ab die Ausgleichs- bzw. Differenzzahlung zur Familienbeihilfe (FB) beantragt.
Sämtliche Beteiligte sind slowakische Staatsbürger.

Angegeben wurde, dass es sich bei dem Sohn um das "Stiefkind" des Bf handle, das bei ihm, der Kindesmutter und der Tochter an der Adresse in "SK, XY1" wohne. Der Bf finanziere die überwiegenden monatlichen Unterhaltskosten. Sie würden alle zusammen an dieser Adresse als Familie leben und M in ihrer Obhut haben.
Der Bf sei beim inländischen Dienstgeber Fa. X-GmbH in A-Ort1 seit bis laufend beschäftigt. Die Lebensgefährtin sei in der Slowakei nicht berufstätig und habe keine Einkünfte.

2. An Unterlagen wurden ua. vorgelegt - soweit verständlich, da überwiegend in slowakischer Sprache abgefasst mit wenigen Anmerkungen in deutscher Sprache:

a) Arbeitsvertrag mit der Fa. X-GmbH, wonach der Bf als Arbeiter im Baugewerbe (Schaler) ab ein unbefristetes Arbeitsverhältnis begonnen hat;
b) Geburtsurkunde des M, geb. 12/2010, woraus hervorgeht, dass es sich
beim Kindesvater (KV) um M, geb. 10/1982 handelt. Laut Angaben des Bf auf dem Datenblatt v. sei der KV an unbekannter Adresse aufhältig, habe keinen Kontakt zum Sohn und bezahle keine Alimente;
c) Bestätigung über den FB-Anspruch der B in der Slowakei für Tochter C im Zeitraum 09/2019 bis und für den Sohn M im Zeitraum
12/2010 bis samt Aufstellung über den Bezug bis inklusive Juni 2020;
d) Slowakische Meldebestätigung dahin, dass der Bf seit , B seit
, Tochter C seit Geburt 09/2019 und der mj. M seit
gemeinsam an der Adresse in SK,XY1, mit Wohnsitz gemeldet sind;
e) Schulbesuchsbestätigung für 2020/2021 des M.

3. Im Akt erliegt daneben der Abweisungsbescheid des Finanzamtes vom zu einem vorhergehenden FB-Antrag des Bf, woraus in der Begründung ua. betreffend das Kind M hervorgeht:
Der Kontakt des Bf zu diesem Kind besteht "nur an den Wochenenden"; er könne Pflegeaufgaben nicht überwiegend erfüllen, weshalb es sich lt. FA nicht um ein "Pflegekind" iSd § 2 Abs. 3 lit d FLAG handle.

4. Das Finanzamt hat mit Bescheid vom , Ordnungsbegriff 12xx, den gegenständlichen Antrag des Bf (v. ) für M ab Feber 2021 abgewiesen und nach Aufzählung der vom Kindesbegriff im FLAG 1967 umfassten Kinder, für die Familienbeihilfe zusteht - darunter Stief- und Pflegekinder - , ausgeführt:
"Es trifft nichts davon zu. Da Sie nicht der leibliche Kindesvater sind, war spruchgemäß zu entscheiden."

5. In der dagegen rechtzeitig erhobenen Beschwerde wird um nochmalige Überprüfung ersucht und eingewendet:
Der Bf lebe mit seiner Partnerin und den beiden, in ihrer Obhut und Erziehung befindlichen Kindern als Familie im gemeinsamen Haushalt, wozu die Meldebestätigung vorliege. Zum Sohn habe kein Sorgerechtsverfahren stattgefunden und gebe es kein Gerichtsurteil, da der Kindsvater in die USA geflohen sei.

6. Zum Nachweis wurden - neben teils bereits vorliegenden Unterlagen - die Formulare E 411 und E 401 beigebracht. Darin wird von den zuständigen slowakischen Stellen am ua. bestätigt, dass der Bf, die Lebensgefährtin und die beiden Kinder an der gemeinsamen Wohnadresse in der Slowakei gemeldet bzw. aufhältig sind; dass die Kindesmutter B seit bis laufend keine berufliche Tätigkeit ausübt; dass sie für den Sohn M im Jahr 2020 gesamt € 399,20 und im Jahr 2021 monatlich € 25,50 an slowakischen Familienleistungen bezogen hat.

7. Vom Bf wurde zugleich die Familienbeihilfe für seine zwei Kinder D und E "abgemeldet" und vom Finanzamt eingestellt, da diese nicht mit dem Bf, sondern mit deren Mutter im Haushalt leben (siehe Schreiben des Bf v. ; Datenblatt zur Überprüfung des FB-Anspruchs).

8. Mit Beschwerdevorentscheidung vom hat das Finanzamt die Beschwerde als unbegründet abgewiesen und in der Begründung - nach Darlegung der Bestimmungen gemäß § 2 Abs. 1 und Abs. 3 FLAG 1967 - ausgeführt:
Im Antragsformular Beih38 sei der Familienstand des Bf mit "ledig" sowie das Verwandt-schaftsverhältnis zu M mit "Stiefkind" angegeben, das bei ihm als "Stiefvater" und der Mutter wohne. Mangels Verehelichung mit der Kindesmutter handle es sich nicht um das Stiefkind des Bf bzw. um kein Kind iSd FLAG. Aus diesem Grund könne auch der Umstand des gemeinsamen Zusammenlebens in einem Haushalt nicht berücksichtigt werden.

9. Mit dem als Vorlageantrag zu wertenden Schreiben vom , eingelangt , wurde mit bisheriger Argumentation (samt bislang bereits vorhandenen Unterlagen E401, E411 etc.) um nochmalige Überprüfung des FB-Anspruches ersucht.

10. Nach Vorlage der Beschwerde hat das Bundesfinanzgericht (BFG) Einsicht genommen in das Zentrale Melderegister (ZMR), woraus hervorgeht, dass der Bf seit Dezember 2013 bis dato mit monatsweise Unterbrechungen im Inland an verschiedensten Adressen (teils Gastbetrieben) mit Nebenwohnsitz gemeldet war/ist.

II. Sachverhalt:

Im Beschwerdefall ist an Sachverhalt davon auszugehen, dass der Bf seit Jänner 2021 als Arbeiter (Baugewerbe) im Inland im Rahmen eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses beschäftigt ist und daraus Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit bezieht (siehe vorgelegter Arbeitsvertrag mit X-GmbH; E 411 Pkt. 4.).
Er ist lt. Melderegisterabfrage (ZMR) bereits seit Dezember 2013 mit Unterbrechungen mit Nebenwohnsitz an verschiedensten Adressen (ua. Hotels) im Inland gemeldet, insofern das BFG von einer schon längeren Berufstätigkeit im Inland, ua. im Gastgewerbe, ausgeht.

Spätestens seit ca. 2017 besteht die Lebensgemeinschaft mit B, mit der der Bf ab Mai 2017 sowie der gemeinsamen Tochter C seit Geburt 09/2019 im gemeinsamen Haushalt an der Adresse in XY1, in der Slowakei zusammen lebt. Dort wohnt seit auch der leibliche mj. Sohn der Lebensgefährtin, M geb. 12/2010 (lt. slowakischer Meldebestätigung; E 401).
Der Bf, die Lebensgefährtin/KM und die beiden mj. Kinder sind Staatsbürger der Slowakei.
Der Bf hält sich jeweils an den Wochenenden am gemeinsamen Familienwohnsitz in der Slowakei auf (lt. Feststellung bzw. Bescheidbegründung des FA im Bescheid v. ).
Von der Lebensgefährtin wird seit bis laufend keine berufliche Tätigkeit ausgeübt, sie bezieht keine Einkünfte (E 411 v. ). Sie hat für den Sohn bis April 2020 mtl. € 49,90 und ab Mai 2020 € 24,95, dh. 2020 gesamt € 399,20, und von 01-06/2021 mtl. € 25,50 an slowakischen Familienleistungen bezogen (vorgelegte slowak. Bestätigungen/Aufstellungen zu Familienleistungen; E 411 Pkt. 6.).

III. Beweiswürdigung:

Obiger Sachverhalt ergibt sich aus dem eingangs dargelegten Akteninhalt, im Wesentlichen aus den vom Bf beigebrachten Unterlagen in Zusammenhalt mit seinen eigenen Angaben, der Feststellung des Finanzamtes sowie der vom BFG durchgeführten Erhebung (ZMR-Abfrage), und ist insoweit unstrittig.

IV. Rechtslage:

A) EU-Recht:

Alle Beteiligten sind slowakische Staatsbürger; die Slowakei ist seit Mitglied der Europäischen Union.

Gemäß Art. 2 Abs. 1 der Verordnung (EG) 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (im Folgenden abgekürzt: VO), die am in Kraft getreten ist, gilt diese Verordnung für Staatsangehörige eines Mitgliedsstaats, Staatenlose und Flüchtlinge mit Wohnort in einem Mitgliedstaat, für die die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, sowie für ihre Familienangehörigen und Hinterbliebenen.

Für Zwecke dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck "Familienangehöriger" jede Person, die in den Rechtsvorschriften, nach denen die Leistungen gewährt werden, als Familienangehöriger bestimmt oder anerkannt oder als Haushaltsangehöriger bezeichnet wird (Art. 1 lit. i Zif. 1 sublit. i der VO).

Personen, für die diese Verordnung gilt, unterliegen den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaates. Welche Rechtsvorschriften dies sind, bestimmt sich nach dem zweiten Titel der Verordnung (§ 11 Abs. 1 der VO).

Vorbehaltlich der (im gegenständlichen Fall nicht zur Anwendung gelangenden) Art. 12 bis 16 der Verordnung unterliegt eine Person, die in einem Mitgliedstaat eine Beschäftigung oder selbständige Erwerbstätigkeit ausübt, den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats (Art. 11 Abs. 3 lit. a der VO).

Aufgrund der nachgewiesenen Beschäftigung des Bf ab Jänner 2021, dh. im entscheidungsrelevanten Zeitraum (= Antrag für den Zeitraum ab Feber 2021) in Österreich (nichtselbständige Erwerbstätigkeit) unterliegt er gemäß Art. 11 Abs. 3 lit. a VO den österreichischen Rechtsvorschriften, die Kindesmutter den slowakischen Rechtsvorschriften.

Art. 68 der VO trifft für den Fall des Zusammentreffens von Ansprüchen auszugsweise (soweit für den gegenständlichen Fall von Relevanz) folgende Prioritätsregeln:

(1) Sind für denselben Zeitraum und für dieselben Familienangehörigen Leistungen nach den Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten zu gewähren, so gelten folgende Prioritätsregeln:
a) Sind Leistungen von mehreren Mitgliedstaaten aus unterschiedlichen Gründen zu gewähren, so gilt folgende Rangfolge:
an erster Stelle stehen die durch eine Beschäftigung oder eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausgelösten Ansprüche, darauf folgen die durch den Bezug einer Rente ausgelösten Ansprüche und schließlich die durch den Wohnort ausgelösten Ansprüche.
b) Sind Leistungen von mehreren Mitgliedstaaten aus denselben Gründen zu gewähren, so richtet sich die Rangfolge nach den folgenden subsidiären Kriterien:
i) bei Ansprüchen, die durch eine Beschäftigung oder eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausgelöst werden: der Wohnort der Kinder, unter der Voraussetzung, dass dort eine solche Tätigkeit ausgeübt wird, und subsidiär gegebenenfalls die nach den widerstreitenden Rechtsvorschriften zu gewährende höchste Leistung.
(2) Bei Zusammentreffen von Ansprüchen werden die Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften gewährt, die nach Absatz 1 Vorrang haben. Ansprüche auf Familienleistungen nach anderen widerstreitenden Rechtsvorschriften werden bis zur Höhe des nach den vorrangig geltenden Rechtsvorschriften vorgesehenen Betrags ausgesetzt; erforderlichenfalls ist ein Unterschiedsbetrag in Höhe des darüber hinausgehenden Betrags der Leistungen zu gewähren.

Gegenständlich kommt, ausgelöst durch dessen Beschäftigung/Erwerbstätigkeit in Österreich, eine vom Bf beantragte Gewährung eines Differenzbetrages/Unterschiedsbetrages iSd Art. 68 Abs. 2 der VO in Betracht.

Der Verwaltungsgerichtshof hat ua. im Erkenntnis vom , 2012/16/0054, nach Darstellung der betr. Artikel in der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 und der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 ausgeführt:
"Sowohl die Verordnung Nr. 1408/71 wie auch die Verordnung Nr. 883/2004 stellen sohin zum Begriff des Familienangehörigen auf das die betreffende Leistung gewährende innerstaatliche Recht ab."

B) Innerstaatliches Recht, FLAG 1967, ABGB:

Die Frage danach, ob für den Bf ein Anspruch auf eine Ausgleichs- bzw. Differenzzahlung für das leibliche Kind der Lebensgefährtin besteht, ist daher nach innerstaatlichem Recht, sohin nach den Bestimmungen des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 (FLAG), BGBl 1967/376 idgF, zu beurteilen.

Gem. § 2 Abs. 1 FLAG 1967 haben Anspruch auf Familienbeihilfe Personen, die im Bundes-gebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben,
a) für minderjährige Kinder ….

Nach § 2 Abs. 2 FLAG 1967 hat Anspruch auf Familienbeihilfe für ein im Abs. 1 genanntes Kind die Person, zu deren Haushalt das Kind gehört. Eine Person, zu deren Haushalt das Kind nicht gehört, die jedoch die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend trägt, hat dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn keine andere Person nach dem ersten Satz anspruchsberechtigt ist.

§ 2 Abs. 3 FLAG 1967 lautet:
"Im Sinne dieses Abschnittes sind Kinder einer Person
a) deren Nachkommen
b) deren Wahlkinder und deren Nachkommen
c) deren Stiefkinder
d) deren Pflegekinder (§§ 186 und 186a des ABGB)"

Nachkommen sind alle eigenen/leiblichen Kinder (Kinder, Enkel, Urenkel). Wahlkinder sind alle Adoptivkinder (Annahme an Kindes statt).

Unter Stiefkindern versteht man die aus einer früheren Ehe stammenden Kinder des Ehegatten dieser Person sowie die unehelichen Kinder dieses Ehegatten (Lenneis/Wanke, FLAG-Kommentar, 2. Aufl., § 2 Tz 20 mit Hinweis auf sowie auf Punkt 02.03 Rz 1 DR).

Pflegekinder:
Gemäß § 186 ABGB sind Pflegeeltern Personen, die die Pflege und Erziehung des Kindes ganz oder teilweise besorgen und zu denen eine dem Verhältnis zwischen leiblichen Eltern und Kindern nahe kommende Beziehung besteht oder hergestellt werden soll.

Seit dem KindRÄG 2001 bietet § 186 ABGB zwei Definitionsmerkmale, nämlich erstens die faktische - gänzliche oder partielle - Besorgung von Pflege und Erziehung des Kindes und zweitens das Bestehen oder die beabsichtigte Herstellung einer persönlichen Beziehung zwischen dem Kind und diesen seinen Betreuern, die an Intensität dem Verhältnis zwischen leiblichen Eltern und Kindern nahe kommt (Stabentheiner in Rummel, ABGB, 3. Auflage, § 186 Tz 1).
Eines der maßgebenden Wesensmerkmale des Pflegekindschaftsverhältnisses iSd ABGB ist die eindeutige Lebensschwerpunktverlagerung des Kindes zu den Pflegeeltern, wobei sich diese Verlagerung im Wechsel des Kindes in den Haushalt der Pflegeeltern auf nicht bloß vorübergehende Dauer ausdrückt (siehe in Lenneis/Wanke, aaO, mit Verweis auf Schwimann, ABGB I, 2. Aufl., § 186 Rz 3).
Die Pflegeelterneigenschaft setzt weder einen rechtsgeschäftlichen oder gerichtlichen Begründungsakt voraus, sondern ist bei Vorliegen der Tatbestandsmerkmale kraft Gesetzes gegeben (Stabentheiner, a.a.O., Tz 2).
Dass die Pflegeelterneigenschaft auch einer Einzelperson zukommen kann, wurde von der herrschenden Meinung auch schon zur Rechtslage vor dem KindRÄG vertreten (Stabentheiner, a.a.O., Tz 4b mwN).
Auch der Verwaltungsgerichtshof teilt diese Ansicht. In seinem Erkenntnis vom , 2008/15/0314, führte dieser aus:

"Verbindet der Gesetzgeber - wie hier - nach der Methode der rechtlichen (formalen) Anknüpfung abgabenrechtliche Folgen unmittelbar mit Kategorien und Institutionen anderer Rechtsgebiete, so übernimmt er, wenn sich nichts anderes aus dem Gesamtzusammenhang ergibt, auch den Bedeutungsinhalt, der den Begriffen in der Heimatdisziplin zukommt (vgl.
Erk. , 95/13/0071).
Nach § 186 ABGB sind Pflegeeltern Personen, die die Pflege und Erziehung des Kindes ganz oder teilweise besorgen und zu denen eine dem Verhältnis zwischen leiblichen Eltern und Kindern nahe kommende Beziehung besteht oder hergestellt werden soll. Demnach schreibt das Gesetz zwei Tatbestandsvoraussetzungen der Pflegeelternschaft vor, nämlich die tatsächliche Betreuung und eine bestimmte Qualität der Bindung. Bei Vorliegen beider Komponenten ist die Pflegeelternschaft kraft Gesetzes ohne Notwendigkeit eines rechtsgeschäftlichen oder gerichtlichen Begründungsaktes gegeben (vgl. Barth/Neumayr, in Klang, § 186, Tz. 3).
Auch Einzelpersonen kann die Pflegeelterneigenschaft zuteil werden (
§ 186a Abs. 1 ABGB).
Dass die mit einem leiblichen Elternteil in Lebensgemeinschaft lebende Person bei Übernahme von Betreuungsleistungen und bei Vorliegen einer § 186 ABGB entsprechenden emotionalen Bindung als Pflegeelternteil gilt, entspricht der herrschenden Auffassung (vgl. Klang, a.a.O., Tz. 15)."

Festgehalten wird, dass die Regelungen betr. "Pflegeeltern" bis in § 186 und § 186 a ABGB (worauf in § 2 Abs. 3 FLAG verwiesen wird) getroffen wurden und seither, ab , nach der geltenden Rechtslage nunmehr nahezu gleichlautend in §§ 184 und 185 ABGB zu finden sind.

Im og. Beschwerdefall (VwGH 2008/15/0314) hatte der Beschwerdeführer mit der Kindesmutter einen gemeinsamen Haushalt gegründet und ua. ausgeführt, er habe die Absicht gehabt, eine emotionale Bindung zu den Kindern aufzubauen. Er habe die Kinder wie eigene behandelt. Durch die Aufnahme der Kinder in seinen Haushalt habe er deren Pflege und Erziehung als Pflegeelternteil besorgt. Zwischen den Kindern und ihm habe eine dem Verhältnis zwischen leiblichen Eltern und Kindern sehr nahe kommende Beziehung bestanden; er habe die Aufgaben der Pflege auch selbst erfüllt. Der "Lebensmittelschwerpunkt" der Kinder sei nicht bloß vorübergehend eindeutig zu ihm in seinen Haushalt verlagert worden.

Zum "Kindesbegriff" wird in den Durchführungsrichtlinien zum Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (DR), Stand September 2010, unter Abschnitt 02.03 noch Folgendes ausgeführt:

"2. Bei Auslegung des Begriffes "Pflegekinder" ist vor allem auf die Erläuterungen zurRegierungsvorlage in 310 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates XIII. GP zu verweisen, worin ausdrücklich festgehalten ist, dass die Neufassung bestehende Härten beseitigen und die Pflegekinder den übrigen Kindern völlig gleichstellen soll. Diese Neufassung verfolgt offenkundig die Absicht, den Kreis der anspruchsvermittelnden Kinder auszuweiten und weitgehend für jedes Kind, für dessen Pflege und Erziehung innerhalb einer Familie gesorgt wird, eine Familienbeihilfe zu gewähren … Wird für einen nahen Familienangehörigen, der kein Kind im Sinne des § 2 Abs. 3 lit a bis c FLAG 1967 ist (zB Geschwister), wie für ein Pflegekind gesorgt, so bestehen keine Bedenken, das Vorliegen der Voraussetzungen nach § 2 Abs. 3 lit d FLAG 1967 anzunehmen …
3. Familienbeihilfe kann auch bei einem nur vorübergehenden Pflegekindschaftsverhältnis
gewährt werden …".
Diesfalls müsse (für einen Zeitraum von zumindest einem Monat) "allerdings eine eindeutige Lebensschwerpunktverlagerung des Kindes zu den Pflegeeltern vorliegen, die sich im Wechsel des Kindes in den Haushalt der Pflegeeltern ausdrückt …".

Der OGH geht in seiner Entscheidung vom , 10 Ob S68/14v, zur Frage der "Stellung als Pflegeelternteil iSd § 184 ABGB" (in Zhg mit Kinderbetreuungsgeld nach KBGG) noch einen Schritt weiter und bezeichnet die mit einem leiblichen Elternteil (ob verheiratet oder nicht) in Lebensgemeinschaft lebenden Personen überhaupt als Stiefelternteile.
Diese fallen bei Erfüllung der Voraussetzungen (nach § 186 bzw. 184 ABGB) unter den Begriff Pflegeeltern (Pkt. 3.1.2 der Begründung). Der Begriff der Pflegeelternschaft umfasst lt. OGH bei Erfüllung der Voraussetzungen (Übernahme von Pflegeleistungen + emotionale Bindung) sohin auch die mit einem leiblichen Elternteil in Lebensgemeinschaft lebenden Personen, mögen diese mit dem leiblichen Elternteil verheiratet oder verpartnert sein oder nicht (Pkt. 3.2). Da fest stehe, dass die Klägerin mit der leiblichen Mutter des Kindes und dem Kind in einem gemeinsamen Haushalt wohnt, dass sie gemeinsam mit der leiblichen Mutter das Kind pflegt und erzieht und sich zwischen der Klägerin und dem Kind eine Beziehung aufgebaut hat, die einem Eltern-Kind-Verhältnis nahe kommt, könne an der rechtlichen Stellung als "Pflegeelternteil" iSd § 184 ABGB nicht gezweifelt werden (Pkt. 3.3).

V. Erwägungen:

Im Gegenstandsfall steht fest, dass das mj. Kind M weder leibliches Kind noch Wahlkind des Bf ist. Wenn er das Kind mehrfach als sein "Stiefkind" bezeichnet hat, so ist dies insofern nicht zutreffend, als er nicht mit der Kindesmutter verehelicht ist.

Nach oben dargelegten gesetzlichen Bestimmungen setzt der Anspruch des Bf auf eine Ausgleichszahlung (bzw. Differenzzahlung) voraus, dass zwischen ihm und dem Kind ein Verhältnis im Sinne des Kindesbegriffes nach § 2 Abs. 3 FLAG 1967 besteht, womit dieses Kind auch "Familienangehöriger" im Sinne des Art. 1 lit. i Zif. 1 sublit. i der Verordnung (EG) 883/2004 ist.
Primär maßgeblich ist sohin, ob es sich bei dem Kind überhaupt um ein solches im Sinne des FLAG handelt und nicht oder allein, ob das Kind im gemeinsamen Haushalt lebt.

Zu prüfen verbleibt daher im gegenständlichen Fall, ob der mj. M allenfalls als "Pflegekind" des Bf im Sinne der zitierten Bestimmungen des ABGB qualifiziert werden kann.

Aufgrund der nachgewiesenen Wohnsitznahme des Kindes im gemeinsamen Haushalt mit der Mutter, dem Bf als deren Lebensgefährten und deren Kind C ist zunächst von einer wohl nicht bloß vorübergehenden Lebensschwerpunktverlagerung dorthin auszugehen, die zur Zeit der Wohnsitzbestätigung im Juni 2021 jedenfalls bereits seit mehreren Monaten besteht. Hinzu kommt, dass im Hinblick auf die gesamt vorhandene Familiensituation, insbesondere auch das 2019 geborene gemeinsame Kind, für das BFG kein Zweifel daran besteht, dass der Bf eine nähere, elternähnliche emotionale Beziehung auch zum Kind M haben wird bzw. zumindest - wie nach § 184 ABGB erforderlich - die Herstellung einer solchen elternähnlichen Beziehung beabsichtigt sein wird, andernfalls die Aufnahme des Kindes in den gemeinsamen Haushalt wohl nicht erfolgt wäre. Damit ist das eine erforderliche Kriterium der "bestimmten Qualität der Bindung", die an Intensität dem Verhältnis zwischen leiblichen Eltern und Kindern annähernd nahe kommt, durchaus als erfüllt zu erachten.
Des Weiteren kann die vom Finanzamt aufgrund der Beschäftigung des Bf in Österreich vormals gezogene Schlussfolgerung (siehe im Abweisungsbescheid v. ), er könne Pflegeaufgaben nicht in überwiegendem Ausmaß erfüllen, nicht aufrecht gehalten werden. Laut Feststellung des Finanzamtes ist zumindest von Aufenthalten bei der Familie an den Wochenenden auszugehen, aus welchem Grund jedenfalls keine durchgängige Abwesenheit vom Familienwohnsitz vorliegt. Es trifft zwar zu, dass der Bf im betreffenden Zeitraum in Österreich unselbständig erwerbstätig war/ist, was jedoch in keiner Weise ausschließt, dass er sich bei Familienheimfahrten - an den Wochenenden und vermutlich ebenso ua. in Urlaubszeiten - tatsächlich auch, wie von ihm eingewendet, der Pflege und Erziehung des Kindes M gewidmet hat. Eine teilweise Besorgung der Pflege und Erziehung des Kindes ist nach dem klaren Wortlaut des § 186 aF bzw. § 184 nF ABGB ausreichend. Auch würde wohl niemand einem leiblichen österreichischen Kindesvater dessen Pflege- und Erziehungsrechte absprechen, nur weil er wochentags im Ausland erwerbstätig ist.

Die nach § 184 ABGB geforderten zwei Definitionsmerkmale für eine Pflegelternschaft, nämlich erstens die faktische, zumindest partielle Besorgung von Pflege und Erziehung des Kindes und zweitens das Bestehen oder die beabsichtigte Herstellung einer persönlichen, elternähnlichen Beziehung zu dem Kind, sind daher nach Ansicht des BFG beim Bf erfüllt.

Bei Erfüllung dieser beiden Kriterien gilt die mit einem leiblichen Elternteil in Lebensgemein-schaft lebende Person nach hA als Pflegeelternteil ().

VI. Ergebnis:

In Anbetracht obiger Sach- und Rechtslage ist das leibliche Kind der Lebensgefährtin, der mj. M, zwar nicht als "Stiefkind", jedoch als "Pflegekind" des Bf iSd § 2 Abs. 3 lit d FLAG 1967 zu betrachten.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Unzulässigkeit einer Revision:

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Als Rechtsfrage war im gegenständlichen Fall zu klären, ob das Verhältnis des Bf zum Kind unter einen der verschiedenen Tatbestände des § 2 Abs. 3 FLAG subsumiert werden kann. Diese Frage wurde bejaht und die Pflegeelternschaft des Bf angenommen. Das BFG stützte sich dabei auch auf die zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (). Da das Erkenntnis nicht von dieser Rechtsprechung abweicht, ist eine ordentliche Revision nicht zulässig.

Innsbruck, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
FLAG
betroffene Normen
VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1
§ 2 Abs. 1 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
§ 2 Abs. 2 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
§ 186 ABGB, Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch, JGS Nr. 946/1811
§ 184 ABGB, Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch, JGS Nr. 946/1811
§ 2 Abs. 3 lit. a bis c FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
§ 2 Abs. 3 lit. d FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
VO 1408/71, ABl. Nr. L 149 vom S. 2
Verweise

DR-FLAG 1967, Durchführungsrichtlinien zum Familienlastenausgleichsgesetz 1967
ECLI
ECLI:AT:BFG:2022:RV.3100222.2022

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at