Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 11.07.2022, RV/4100153/2021

Arbeitszimmer einer Orchestermusikerin für Oboe

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter **ER** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2019 Steuernummer ***BF1StNr1*** zu Recht erkannt:

Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.

Der angefochtene Bescheid wird abgeändert.

Die Bemessungsgrundlage und die Höhe der festgesetzten Abgabe sind dem Ende der Entscheidungsgründe zu entnehmen und bilden einen Bestandteil des Spruches dieses Erkenntnisses.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Die Beschwerdeführerin (Bf.) ist am *X-Theater* als Orchestermusikerin für Oboe und als Solo-Englischhornistin angestellt und machte für das Jahr 2019 bei ihren Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit Werbungskosten für ein Arbeitszimmer im Betrag von 611,85 EURO geltend.

Das Finanzamt versagte diesem Begehren die Anerkennung im Wesentlichen mit der Begründung, dass laut Judikatur des Bundesfinanzgerichtes (Hinweis auf Erkenntnis ) der Mittelpunkt der Tätigkeit bei einem Berufsmusiker grundsätzlich außerhalb des Arbeitszimmers liege. Auch habe die Bf. nicht den Nachweis erbracht, dass das Arbeitszimmer in zeitlicher Hinsicht den Mittelpunkt ihrer beruflichen Tätigkeit gebildet habe.

Demgegenüber steht die Bf. auf dem Standpunkt, dass das Arbeitszimmer den Mittelpunkt ihrer beruflichen Tätigkeit bilde. Neben den Auftritten und Orchesterproben im Stadttheater würden zu Hause im Arbeitszimmer regelmäßig neue Musikstücke einstudiert und die für das Einüben, Proben und Aufführen von Musikstücken erforderlichen Rohrblätter (Mundstücke für Oboe und Englischhorn) hergestellt. Die Musikstücke würden für die Orchesterproben eigenständig vorbereitet und einstudiert. In den Orchesterproben im Stadttheater erfolge dann durch den Dirigenten lediglich die Abstimmung der einzelnen Musiker aufeinander. Dann erst erfolge die Aufführung vor Publikum. Das Herstellen der für das Spielen der Instrumente notwendigen Rohrblätter sei arbeitsaufwendig und zeitintensiv. Pro Rohrblatt benötige die Bf. rund 2 Stunden. Die Ausfallsquote sei dabei relativ hoch. Im Durchschnitt verbrauche die Bf. 16 Rohrblätter pro Monat für Üben, Proben und Aufführungen. Im Arbeitszimmer befänden sich ein Arbeitstisch mit Werkzeug und Zubehör, ein Schrank für die Instrumente, ein Regal für Noten, Rohrbaumaschinen (diverse Hobel, mehrere Kilo Rohrholz in Stangen) und weiteres Zubehör für den Rohrbau. Der VwGH habe im Falle eines Orchestermusikers und einer Konzertpianistin ausgesprochen, dass der Mittelpunkt der Tätigkeit nach der Verkehrsauffassung an dem Ort anzunehmen sei, an dem die Musiker die überwiegende Zeit an ihrem Instrument verbringen. Im gegenständlichen Fall betrage das Verhältnis des Stundenausmaßes des Übens und des Rohrbaues (rund 25 Stunden pro Woche) zum Stundenausmaß der Konzerte und Proben im Orchester (rund 15 Stunden pro Woche) rund 63:37 und sei daher jedenfalls der zeitliche Mittelpunkt der Tätigkeit im Arbeitszimmer gegeben.

Nach Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht übermittelte die Bf. noch eine Aufstellung des *X-Theater* über die Dienste der Bf. im Jahr 2015 samt Stundenausmaß.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Gemäß § 16 Abs. 1 EStG 1988 sind Werbungskosten die Aufwendungen oder Ausgaben zur Erwerbung, Sicherung oder Erhaltung der Einnahmen.

Gemäß § 20 Abs. 1 Z 2 lit. d EStG 1988 dürfen bei den einzelnen Einkünften Aufwendungen oder Ausgaben für ein im Wohnungsverband gelegenes Arbeitszimmer und dessen Einrichtung sowie die Einrichtungsgegenstände der Wohnung nicht abgezogen werden. Bildet ein im Wohnungsverband gelegenes Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Tätigkeit des Steuerpflichtigen, sind die darauf entfallenden Aufwendungen und Ausgaben einschließlich der Kosten seiner Einrichtung abzugsfähig.

Die Bf. ist im Recht, wenn sie unter Hinweis auf Rechtsprechung des VwGH meint, dass der Mittelpunkt der Tätigkeit von Orchestermusikern nach der Verkehrsauffassung an dem Ort anzunehmen sei, an dem die Musiker die überwiegende Zeit an ihrem Instrument verbringen. Dies brachte der VwGH in seinem Erkenntnis betreffend einen Klarinettisten in einem Symphonieorchester (unter Hinweis auf das Erkenntnis betreffend eine Konzertpianistin) eindeutig zum Ausdruck. Die Tätigkeit des Übens und Probens eines Künstlers erschöpfe sich nämlich nicht im Einstudieren eines bestimmten Stückes oder Programmes für ein konkretes Konzert, sondern erfordere ein regelmäßiges und dauerhaft ausgeübtes Spielen des Instrumentes, um die künstlerischen Fertigkeiten zu erhalten und zu steigern.

Das Gericht sieht keinen Anlass von dieser höchstgerichtlichen Rechtsprechung im gegenständlichen Fall abzugehen. Die Bf. ist ebenfalls Musikerin in einem Symphonieorchester und zwar für die Instrumente Oboe und Englischhorn. Das vom Finanzamt zitierte Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes entspricht dieser Rechtsprechung nicht.

Somit kommt es im gegenständlichen Fall darauf an, ob die Bf. die überwiegende Zeit an ihren Instrumenten in ihrem Arbeitszimmer verbracht hat. Bei dieser Zeitrechnung ist auch zu berücksichtigen, dass die Bf. - wie vorgebracht - ihr Arbeitszimmer auch für das Herstellen von Rohrblättern für ihre Instrumente genutzt hat.

Das Vorbringen der Bf., wonach sie für das Üben und den Rohrblattbau rund 25 Stunden pro Woche im Arbeitszimmer und für Konzerte und Proben im Orchester rund 15 Stunden pro Woche aufgewendet habe, erscheint ausreichend belegt. Das Stundenausmaß für Konzerte und Proben im Theater ist durch eine Bestätigung ihrer Arbeitgeberin nachgewiesen. Der Zeitaufwand im Arbeitszimmer für das Herstellen der Rohrblätter ist im Detail dargelegt und dem Grunde und der Höhe nach glaubhaft. In der Musikliteratur ist bestätigt, dass Oboistinnen und Oboisten die (notwendigen) Mundstücke ihrer Instrumente selbst herstellen und darauf viel Zeit und Sorgfalt verwenden (siehe z.B. Stichwort "Oboe" und Stichwort "Rohrblatt" auf wikipedia unter Anführung von Einzelnachweisen). Es ist auch aktenkundig und unbestritten, dass die Bf. die entsprechenden Materialien und Apparate für den Rohrblattbau besaß (Anlagenverzeichnis etc.). Zudem erscheint es naheliegend, dass der Rohrbau im vorhandenen Arbeitszimmer stattfand, wo schon das Üben auf den Instrumenten von Statten ging.

Bei einem angegebenen Stundenaufwand von rund 2 Stunden für die Herstellung eines Rohrblattes und dem Verbrauch von 16 Rohrblättern pro Monat sowie unter Berücksichtigung, dass es bei der Fertigung der Rohrblätter auch einen Schwund gibt, kann der entsprechende Zeitaufwand mit etwa 8 Stunden pro Woche angenommen werden. Dass die Bf. dann noch etwa 17 Stunden pro Woche mit dem Bespielen ihrer Instrumente im Arbeitszimmer zugebracht hat, erscheint bei einer Musikerin eines Symphonieorchesters plausibel und nachvollziehbar und bedarf keines gesonderten Stundennachweises. Diesbezüglich überzeugt auch die Darstellung der Bf., dass die Musikstücke für die Orchesterproben eigenständig vorbereitet und einstudiert werden und in den Orchesterproben durch den Dirigenten lediglich die Abstimmung und in der Folge dann die Aufführungen erfolgen.

Da somit sachverhaltsmäßig davon auszugehen ist, dass die Bf. für das Bespielen ihrer Instrumente und das Herstellen der Rohrblätter weitaus überwiegend im Arbeitszimmer tätig war, liegt der Mittelpunkt ihrer beruflichen Tätigkeit in diesem Arbeitszimmer. Es ist daher das Begehren der Bf. auf Anerkennung der Aufwendungen für das Arbeitszimmer in Höhe von 611,85 EURO berechtigt.

Der Beschwerde war somit Folge zu geben.

Das Einkommen und die Einkommensteuer für das Jahr 2019 berechnen sich daher wie folgt:

[...]

Unzulässigkeit der Revision:

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Das gegenständliche Erkenntnis fußt auf der einschlägigen Rechtsprechung des VwGH. Darauf aufbauend haben sich nur Sachverhaltsfragen und keine Rechtsfragen mehr gestellt. Die Revision war daher für unzulässig zu erklären.

Klagenfurt am Wörthersee, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2022:RV.4100153.2021

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at