Familienbeihilfenanspruch - frühestmöglicher Beginn einer Lehrausbildung nach Beendigung des Präsenzdienstes
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin BE in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Dr. Axel-Hans Werner Wirtschaftstreuhand GmbH, Steuerberatungsgesellschaft, Faberstraße 20-22 Top F 20.21, 5020 Salzburg, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Salzburg-Land (nunmehr Finanzamt Österreich) vom betreffend Rückforderung zu Unrecht bezogener Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträge für die Zeiträume Juli bis Oktober 2014 sowie August 2015, SVNr. ***4***, zu Recht erkannt:
I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.
Der angefochtene Bescheid wird - ersatzlos - aufgehoben.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) zulässig.
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang
Mit Bescheid vom forderte das Finanzamt vom Beschwerdeführer (kurz Bf) Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag für seinen Sohn ***1*** für die Zeiträume Juli 2014 bis Oktober 2014 und August 2015 zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Sohn in der Zeit von bis Zivildienst geleistet habe. Ab bis laufend sei er Angestellter bei der Firma ***2*** und befinde sich nicht mehr in Berufsausbildung. Daher sei die Familienbeihilfe zurückzufordern.
Dagegen brachte der Bf mit Schriftsatz vom Beschwerde ein und führte darin aus, dass nach mehreren erfolglosen Bewerbungen als Kfz-Techniker-Lehrling sein Sohn nun als Praktikant bei der Firma ***2*** beschäftigt sei. Ein Lehrverhältnis laut BAG sei infolge fehlender Berechtigung der Firma ***2*** vorläufig noch nicht vereinbart worden. Das Lehrverhältnis werde sofort nach Erteilung der notwendigen Berechtigungen durch die Wirtschaftskammer Salzburg begründet. Der Lehrvertrag werde umgehend übermittelt.
Mit Beschwerdevorentscheidung vom wurde die Beschwerde vom Finanzamt als unbegründet abgewiesen. In der Begründung wurde im Wesentlichen unter Hinweis auf die Bestimmung des § 2 Abs. 1 lit. e FLAG ausgeführt, dass um die Familienbeihilfe zwischen Matura und Präsenzdienst einerseits und zwischen Präsenzdienst und Beginn einer Berufsausbildung zu erhalten, der Gesetzgeber den frühestmöglichen Zeitpunkt für den Beginn der Ausbildung verlange. Dies sei im vorliegenden Fall nicht gegeben, da zwischen Präsenzdienst und den Beginn der weiteren Berufsausbildung über mehrere Monate ein Arbeitsverhältnis eingegangen worden sei.
In der Folge beantragte der Bf fristgerecht mittels Vorlageantrag vom , dass die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vorgelegt werde, sowie die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung.
Das Finanzamt legte am die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht vor.
Am versandte das Bundesfinanzgericht einen Vorhalt an den Bf mit folgendem Inhalt:
1.Ab welchen Zeitpunkt hat sich Ihr Sohn aktiv auf Lehrstellen beworben? Wo hat er sich beworben und wie viele Bewerbungen hat er insgesamt abgegeben?
2.Bitte stellen Sie die Gründe für die erfolglos gebliebenen Bewerbungen im Detail dar.
3.Hat sich Ihr Sohn auch während seiner Anstellung bei der Firma ***2*** im Zeitraum - weiterhin auf Lehrstellen in anderen Betrieben beworben?
4.War Ihr Sohn beim AMS als lehrstellen-/arbeitssuchend gemeldet? Hat er die dafür erforderlichen Erwartungen des AMS erfüllt, die Kontakttermine eingehalten und kooperatives Verhalten gezeigt?
In Beantwortung dieses Vorhaltes legte der Bf mittels E-Mail vom Unterlagen über insgesamt fünf Bewerbungen seines Sohns um eine Lehrstelle als Kfz-Mechaniker im Zeitraum Jänner bis März 2015 vor. In dieser E-Mail führte er weiters aus, dass eine der Bewerbungen letztlich zur Lehrstelle bei der ***2*** geführt habe. Die Beschäftigung sei zunächst als Praktikum begonnen worden, da die Ausbildungsberechtigung noch nicht vorgelegen sei. Aufgrund dieser Zusage und dem Beginn des Arbeitsverhältnisses mit habe sich sein Sohn nicht beim AMS als arbeitssuchend gemeldet und auch keine weiteren Bewerbungen abgegeben.
Mit Schriftsatz vom zog der Bf den Antrag auf Abhaltung einer mündlichen Verhandlung zurück.
II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
1. Sachverhalt
Das Bundesfinanzgericht stellt auf Basis des oben geschilderten Verwaltungsgeschehens und der aktenkundigen Unterlagen folgenden entscheidungswesentlichen Sachverhalt fest:
Der Bf hat seinen Wohnsitz in Österreich. Der im Jahr ***3*** geborene und im gegenständlichen Zeitraum somit bereits volljährige Sohn des Bf schloss im Juni 2014 die Schulausbildung mit Ablegung der Reifeprüfung ab.
In der Zeit von bis leistete er seinen Zivildienst.
Bereits während des Zivildienstes versandte er im Zeitraum Jänner bis März 2015 insgesamt fünf Bewerbungen um eine Lehrstelle als Kfz-Mechaniker. Eine dieser Bewerbungen führte schließlich zum Erfolg. Mit begann er bei der Firma ***2*** zu arbeiten. Die Stelle wurde zunächst als Praktikum geführt, da die ***2*** noch keine Berechtigung zur Ausbildung von Lehrlingen besaß. Ab wurde dann ein Lehrverhältnis begründet.
2. Beweiswürdigung
Die obigen Sachverhaltsfeststellungen sind aktenkundig. Dagegen sprechende Umstände sind nicht ersichtlich.
3. Rechtliche Beurteilung
3.1. Zu Spruchpunkt I. (Stattgabe)
Gemäß § 2 Abs. 1 lit. d FLAG 1967 idgF haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, Anspruch auf Familienbeihilfe für volljährige Kinder, die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, für die Zeit zwischen dem Abschluss der Schulausbildung und dem Beginn einer weiteren Berufsausbildung, wenn die weitere Berufsausbildung zum frühestmöglichen Zeitpunkt nach Abschluss der Schulausbildung begonnen wird.
Gemäß § 2 Abs. 1 lit. e FLAG 1967 idgF haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, Anspruch auf Familienbeihilfe für volljährige Kinder, die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, für die Zeit zwischen der Beendigung des Präsenz- oder Ausbildungs- oder Zivildienstes und dem Beginn oder der Fortsetzung der Berufsausbildung, wenn die Berufsausbildung zum frühestmöglichen Zeitpunkt nach dem Ende des Präsenz- oder Zivildienstes begonnen oder fortgesetzt wird.
Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag August 2015:
Strittig ist im vorliegenden Beschwerdefall, ob der Sohn des Bf seine Ausbildung in Form einer Lehrlingsausbildung zum frühestmöglichen Zeitpunkt nach Abschluss der Schulausbildung begonnen hat.
Der VwGH hat in seinem Erkenntnis vom , 2012/16/0088, zum Ausdruck gebracht, dass nicht eine beliebige Berufsausbildung begonnen werden muss, um den Tatbestand des § 2 Abs. 1 lit. e FLAG 1967 zu erfüllen. Bei der diesem Erkenntnis zu Grunde liegenden Frage, ob ein Studium iSd § 2 Abs. 1 lit. d oder lit. e FLAG 1967 zum frühestmöglichen Zeitpunkt begonnen wird, kommt es nach Ansicht des VwGH auf die vom Kind "ins Auge gefasste", tatsächlich begonnene Ausbildung an. Wie der VwGH in seinem Beschluss vom , Ra 2019/16/0131, weiters klargestellt hat, muss daher nach Abschluss der Schulausbildung nicht mit dem zeitlich nächstmöglichen Studium begonnen werden, um zum "frühestmöglichen Zeitpunkt" iSd § 2 Abs. 1 lit. d FLAG mit der Berufsausbildung zu beginnen. Darin übereinstimmend hat der VwGH auch in seinem Erkenntnis vom , Ra 2020/16/0033, ausgesprochen, dass nach Abschluss der Schulausbildung nicht irgendeine möglichst früh antretbare Berufsausbildung (irgendein Studium) gewählt werden muss, um die Voraussetzung des Beginns der Berufsausbildung zum frühest möglichen Zeitpunkt zu erfüllen.
Die eben angeführte Rsp des VwGH muss auch auf die Lehrlingsausbildung übertragbar sein. Der Sohn des Bf hat zeitnah zur Beendigung seines Zivildienstes die Stelle bei der Firma ***2*** angenommen. Zu diesem Zeitpunkt war bereits klar, dass in diesem Unternehmen ein Lehrverhältnis begonnen wird, sobald die dafür notwendige Berechtigung vorliegt. Dies ist schließlich mit auch so geschehen. Aus diesem Grund hat er sich auf keine weiteren Stellen beworben.
Es war dem Sohn des Bf nicht zumutbar eine geeignete Stelle mit einer fixen Zusage für ein Lehrverhältnis aufzugeben, damit er eine andere Lehrstelle annehmen kann, nur um die gesetzliche Voraussetzung des Beginns der Berufsausbildung zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu erfüllen. Aufgrund der Tatsache, dass die Stelle bei der ***2*** in weniger als zwei Monaten nach dem Zivildienst begonnen wurde und bereits bei der Einstellung klar war, dass eine Lehrlingsausbildungsberechtigung folgen wird, hat der Sohn des Bf seine Ausbildung daher zum frühestmöglichen Zeitpunkt begonnen. Die Familienbeihilfe und der Kinderabsetzbetrag stehen für August 2015 zu.
Familienbeihilfe und der Kinderabsetzbetrag Juli 2014 bis Oktober 2014:
Nicht erfasst werden von § 2 Abs. 1 lit. e FLAG 1967 nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut Zeiten vor dem Ende des Präsenzdienstes. Insoweit ist zu prüfen, ob ein Anspruch auf Familienbeihilfe auf den Tatbestand des § 2 Abs 1 lit d FLAG 1967 gestützt werden kann. § 2 Abs. 1 lit. d FLAG 1967 erfasst "die Zeit zwischen dem Abschluss der Schulausbildung und dem Beginn einer weiteren Berufsausbildung". Erfolgt nach dem Abschluss der Schulausbildung keine weitere Berufsausbildung, wird der Zeitraum zwischen dem Abschluss der Schulausbildung und dem Beginn eines Präsenz- oder Zivildienstes davon ausdrücklich nicht erfasst (vgl ). Wird - wie im Beschwerdefall - nach dem Ende eines Präsenz- oder Zivildienstes allerdings frühestmöglich mit einer weiteren Berufsausbildung begonnen, erfasst der Wortlaut des § 2 Abs. 1 lit. d FLAG 1967 grundsätzlich den gesamten Zeitraum, der zwischen dem Ende der Schulausbildung und dem Beginn der weiteren Berufsausbildung liegt, somit sowohl die Zeit zwischen der Beendigung des Präsenz- oder Zivildienstes und dem Beginn der Berufsausbildung, als auch die Zeit zwischen dem Abschluss der Schulausbildung und dem Beginn des Präsenz- oder Zivildienstes. Im Falle der Ableistung eines Präsenz- oder Zivildienstes wird § 2 Abs. 1 lit. d FLAG 1967 durch die lex specialis des § 2 Abs. 1 lit. e FLAG 1967 insoweit derogiert als die Zeit zwischen der Beendigung des Präsenz- oder Zivildienstes und dem Beginn der Berufsausbildung betroffen ist. Im Übrigen bleibt die Anwendbarkeit des § 2 Abs. 1 lit. d FLAG 1967 (als lex generalis) jedoch unberührt, sodass dieser für die Zeit zwischen dem Abschluss der Schulausbildung und dem Beginn eines Präsenz- oder Zivildienstes grundsätzlich anwendbar bleibt. Wird die weitere Berufsausbildung - wie im Beschwerdefall - gemäß § 2 Abs. 1 lit. e FLAG 1967 "zum frühestmöglichen Zeitpunkt" nach Abschluss eines verpflichtend zu absolvierenden Präsenz- oder Zivildienstes begonnen, besteht auf der Grundlage des § 2 Abs. 1 lit. d FLAG 1967 somit auch für die Zeit zwischen dem Abschluss der Schulausbildung und dem Beginn des Präsenz- oder Zivildienstes Familienbeihilfe zu, wenn ein früherer Beginn der Berufsausbildung infolge des Präsenz- oder Zivildienstes nicht möglich war (; ; vgl. auch Lenneis in Lenneis/Wanke, FLAG2, § 2 Rz 120).
Im Beschwerdefall besteht daher gemäß § 2 Abs. 1 lit. d FLAG 1967 auch für die Zeit zwischen dem Ende der Schulausbildung und dem Beginn des Präsenzdienstes, somit für die Monate Juli bis Oktober 2014 ein Anspruch auf Familienbeihilfe.
3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Hinsichtlich der Frage, ob § 2 Abs. 1 lit. d FLAG 1967 einen Familienbeihilfenanspruch für die Zeit zwischen dem Abschluss der Schulausbildung und dem Beginn eines Präsenz- oder Zivildienstes vermittelt, wenn nach dem Ende des Präsenz- oder Zivildienstes zum frühestmöglichen Zeitpunkt eine weitere Berufsausbildung begonnen wird, liegt eine Rechtsprechung des VwGH nicht vor. Es ist daher gemäß § 25a Abs. 1 VwGG spruchgemäß zu entscheiden.
Salzburg, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer FLAG |
betroffene Normen | § 2 Abs. 1 lit. e FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 § 2 Abs. 1 lit. d FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2022:RV.6100316.2016 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at