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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 13.10.2022, RV/3100516/2022

Geschäftsführerhaftung §§ 9, 80 BAO - Ermessensübung (lange verstrichene Zeit)

Beachte

Revision beim VwGH anhängig zur Zahl Ra 2022/13/0116. Zurückweisung mit Beschluss vom .

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***Ri*** in der Beschwerdesache des ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Rechtsanwälte, über die Beschwerde vom gegen den Haftungsbescheid des ***FA*** vom zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird teilweise Folge gegeben. Der angefochtene Bescheid wird abgeändert. Der Beschwerdeführer wird gemäß §§ 9, 80 BAO als Haftungspflichtiger für folgende bei der PS. aushaftenden Abgaben in Höhe von insgesamt EUR 109.246,68 in Anspruch genommen:


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Abgabe
Zeitraum
Betrag
Umsatzsteuer
2001
3.536,74
Aussetzungszinsen
2007
1.330,96
Aussetzungszinsen
2008
568,74
Körperschaftsteuer
01-03/2009
349,60
Körperschaftsteuer
04-06/2009
349,60
Aussetzungszinsen
2009
115,98
Körperschaftsteuer
07-09/2009
349,60
Umsatzsteuer
2000
15.880,82
Umsatzsteuer
2001
10.331,78
Normverbrauchsabgabe
1-12/1999
275,70
Kapitalertragsteuer
1-12/1999
15.129,94
Kapitalertragsteuer
1-12/2000
31.091,76
Kapitalertragsteuer
1-12/2001
26.552,46
Kapitalertragsteuer
1-12/2003
151,20
Anspruchszinsen
2005
545,46
Säumniszuschlag 1
2002
206,63
Säumniszuschlag 1
2007
302,60
Säumniszuschlag 1
2007
621,83
Säumniszuschlag 1
2007
531,05
Säumniszuschlag 1
2007
577,77
Säumniszuschlag 1
2001
317,62
Säumniszuschlag 1
2000
128,84
Summe
109.246,68

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang und Sachverhalt

Der Beschwerdeführer war von bis zu ihrer Auflösung Alleingeschäftsführer der im Firmenbuch zu FN eingetragenen PS. Mit Beschluss vom zu GZ verfügte das Landesgericht X die Konkursabweisung mangels Vermögens und sprach aus, dass die PS aufgelöst ist.

Mit Ersuchen um Ergänzung vom informierte das Finanzamt den Beschwerdeführer von seiner Absicht, ihn als Haftungspflichtigen für uneinbringliche Abgabenschuldigkeiten der PS (im Folgenden: Primärschuldnerin) als Haftungspflichtigen in Anspruch zu nehmen. Das Finanzamt stellte die Haftungsvoraussetzungen dar und forderte den Beschwerdeführer auf, zu diesen Stellung zu nehmen. Der Beschwerdeführer erstattete keine Stellungnahme.

Mit Haftungsbescheid vom nahm das Finanzamt den Beschwerdeführer gemäß §§ 9 und 80 BAO als Haftungspflichtigen für folgende Abgaben in Höhe von insgesamt EUR 181.466,51 in Anspruch:


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Abgabenart
Zeitraum
Betrag
Körperschaftsteuer
2005
29.297,46
Körperschaftsteuer
04-06/2007
437,00
Säumniszuschlag 1
2007
722,21
Körperschaftsteuer
07-09/2007
437,00
Säumniszuschlag 2
2007
361,11
Normverbrauchsabgabe
01-12/2001
1.049,91
Körperschaftsteuer
10-12/2007
439,00
Umsatzsteuer
2001
4.420,93
Aussetzungszinsen
2007
1.663,70
Säumniszuschlag 3
2007
361,11
Körperschaftsteuer
01-03/2008
437,00
Körperschaftsteuer
04-06/2008
437,00
Körperschaftsteuer
07-09/2008
437,00
Körperschaftsteuer
10-12/2008
439,00
Umsatzsteuer
1999
8.052,44
Aussetzungszinsen
2008
710,92
Körperschaftsteuer
01-03/2009
437,00
Körperschaftsteuer
04-06/2009
437,00
Aussetzungszinsen
2009
144,97
Umsatzsteuer
2006
1.259,95
Körperschaftsteuer
07-09/2009
437,00
Umsatzsteuer
2000
19.851,02
Umsatzsteuer
2001
12.914,73
Normverbrauchsabgabe
1-12/1999
344,62
Normverbrauchsabgabe
1-12/2000
740,97
Kapitalertragsteuer
1-12/1999
18.912,43
Kapitalertragsteuer
1-12/2000
38.864,70
Kapitalertragsteuer
1-12/2001
33.190,58
Kapitalertragsteuer
1-12/2003
189,00
Anspruchszinsen
2005
681,83
Säumniszuschlag 1
2002
258,29
Säumniszuschlag 1
2007
378,25
Säumniszuschlag 1
2007
777,29
Säumniszuschlag 1
2007
663,81
Säumniszuschlag 1
2007
722,21
Säumniszuschlag 1
2001
397,02
Säumniszuschlag 1
2000
161,05
Summe
181.466,51

Im Begründungsteil des Haftungsbescheides stellte das Finanzamt die seiner Auffassung nach vorliegenden Haftungsvoraussetzungen dar.

In seiner Beschwerde vom brachte der Beschwerdeführer zunächst vor, er sei im Zusammenhang mit der angekündigten Haftungsinanspruchnahme über Monate hinweg in Kontakt mit dem Finanzamt gestanden, um eine "wirtschaftliche" Gesamtbereinigung aller Abgabenverbindlichkeiten herbeizuführen. Er habe seine Einkommens- und Vermögenssituation dem Finanzamt gegenüber offengelegt. Es sei mit den Finanzamt vereinbart gewesen, dass "allfällige Fristen zur inhaltlichen Äußerung zum geltend gemachten Haftungsanspruch... nicht zu laufen begonnen haben, jedenfalls solange nicht, solange nicht von Seiten des Finanzamtes das Scheitern der Verhandlungen und ... die Einräumung einer neuerlichen Frist zur endgültigen Stellungnahme ... eingeräumt wird". Das Finanzamt habe ohne Angabe von Gründen den außergerichtlich unterbreiteten Vorschlag des Haftungspflichtigen mit Schreiben vom abgelehnt. In diesem Schreiben sei nicht dargestellt, ob und in welchem Umfang das Finanzamt beabsichtige, das über Monate hinweg sistierte Haftungsverfahren fortzusetzen. Der Haftungsbescheid sei insofern "unangekündigt" ergangen. Auch sei der Haftungsbescheid inhaltsleer in Bezug auf das Verschulden des Beschwerdeführers. Weder sei der Insolvenzakt eingesehen worden, noch seien die dem Finanzamt vorliegenden Geschäftsunterlagen - etwa Jahresabschlüsse, Steuererklärungen, Betriebsprüfungsberichte - verwertet worden, noch sei dem Beschwerdeführer Gelegenheit zur inhaltlichen Äußerung gegeben worden. Das Vorhalteverfahren für die Haftungsinanspruchnahme sei noch nicht abgeschlossen. Der Beschwerdeführer habe erwarten dürfen, dass entsprechend den mit dem Finanzamt getroffenen Vereinbarungen nach dem Scheitern aller Bemühungen um eine wirtschaftliche Lösung eine neuerliche Frist zur Darstellung der Entlastungsgründe des Beschwerdeführers eingeräumt werde. Ein Verstoß gegen die qualifizierte Mitwirkungspflicht liege nicht vor. Das Finanzamt habe seine Ermessensübung nicht begründet. Es werde außer Streit gestellt, dass die haftungsgegenständlichen Abgaben bei der Primärschuldnerin uneinbringlich seien.

Dem Finanzamt lägen sämtliche Bilanzen der Primärschuldnerin vor, die "implizit zu unterstellenden Feststellungen der Behörde, die [Primärschuldnerin] sei zu den jeweiligen Fälligkeitsdaten in der Lage gewesen, die vorgeschriebenen Abgabenschuldigkeiten zu bedienen", sei "schlichtweg aktenwidrig". Dies gelte für alle Abgaben mit Fälligkeit im Zeitraum 2007-2009. Aus der Bilanz zum ergäbe sich ein negatives Eigenkapital von über EUR 850.000,- und aus den Abschlüssen sei ersichtlich, dass in den Jahren 2007-2009 keine operativen Umsätze erzielt worden seien. Die Primärschuldnerin habe in diesem Zeitraum nur mehr über eine Eigentumswohnung verfügt, die über Jahre hinweg nicht verwertet werden habe können. Mit dem im Jahr 2007 vorgenommenen Verkauf des letzten "Assets" seien naturgemäß nur anteilige Hypothekarlasten abgedeckt worden. 2007 bis 2009 seien keine liquiden Mittel mehr verfügbar gewesen. Im Jahr 2007 habe die Primärschuldnerin einen Erlös aus einem Anlagenverkauf erzielt. Zu den im Jahr 2007 liegenden Fälligkeitszeitpunkten der haftungsgegenständlichen Abgaben seien keine liquiden Mittel zu deren Entrichtung vorhanden gewesen.

Die haftungsgegenständlichen Abgaben mit Fälligkeitszeitpunkten in den Jahren 1999 bis 2001 stammten aus im Zuge einer Betriebsprüfung vorgenommenen Schätzungen des Finanzamtes. Diese Vorschreibungen seien im Festsetzungsverfahren, welches zu GZ RV/0713-I/07 rechtskräftig abgeschlossen worden sei, außer Streit gestellt worden. Der Beschwerdeführer akzeptiere diese Prüfungsergebnisse aber keineswegs.

Die Primärschuldnerin habe in der Bilanz zum ein negatives Eigenkapital ausgewiesen und hohe Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten gehabt. Sie habe per ausnahmslos Taxiumsätze getätigt und im selben Umfang Zug um Zug Aufwendungen bezahlt. Sämtliche Erlöse aus Vermietung und Verpachtung seien den Banken zur Besicherung der Immobilieninvestments abgetreten worden.

Hinsichtlich der vorgeschriebenen Umsatzsteuer und Kapitalertragsteuer seien keine effektiv der Primärschuldnerin zugeflossenen Zahlungen zu verzeichnen gewesen. Selbst eine sofortige Liquidation der Primärschuldnerin zum Stichtag , oder hätte in keinem Fall Quotenzahlungen an die unbesicherten Gläubiger erwarten lassen, weshalb dem Beschwerdeführer kein Verschulden vorwerfbar sei. Es sei für ihn nicht absehbar gewesen, dass eine Betriebsprüfung im Nachhinein zu "ohnedies nicht tolerierten Ergebnissen führen" werde. Es sei dem Beschwerdeführer nicht vorwerfbar, dass er in den Jahren 1999 bis 2001 das "laufende Geschäft" der Primärschuldnerin fortgeführt habe, zumal er die mit dem laufenden Taxigeschäft zusammenhängenden Verbindlichkeiten Zug um Zug bedient habe, die Mieterlöse ohnedies der Bank abgetreten waren und ihm die zu berücksichtigenden Abgabenverbindlichkeiten schlechthin nicht bekannt gewesen seien.

Das Finanzamt habe nicht auf die "aktenkundigen Vermögensverhältnisse der [Primärschuldnerin], wie sich diese über Jahrzehnte dargestellt haben, Bezug genommen". Auch habe das Finanzamt im Rahmen der Ermessensübung nicht die persönliche Situation des Beschwerdeführers berücksichtigt, der als Pensionist nach vollständiger Offenlegung aller Vermögens- und Einkommensverhältnisse mit einer ruinösen und uneinbringlichen Forderung konfrontiert werde.

Das Finanzamt wies die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom ab. Der Beschwerdeführer beantragte am die Vorlage seiner Beschwerde an das Bundesfinanzgericht. In der mündlichen Verhandlung am wendete der Beschwerdeführer hinsichtlich aller haftungsgegenständlichen Abgaben Einhebungsverjährung ein. Das am ergangene Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts hob der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom , Ra 2019/13/0066 auf.

Die Feststellungen zu Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich aus den vorgelegten Verwaltungsakten und dem Vorbringen der Parteien.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Zu Spruchpunkt I. (Abänderung)

Gemäß § 238 Abs 1 BAO verjährt das Recht, fällige Abgaben einzuheben und zwangsweise einzubringen, binnen fünf Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in welchem die Abgabe fällig geworden ist, keinesfalls jedoch früher als das Recht zur Festsetzung der Abgabe. Gemäß § Abs 2 dieser Bestimmung wird die Verjährung durch jede zur Durchsetzung des Anspruches unternommene, nach außen erkennbare Amtshandlung unterbrochen. Hinsichtlich der im folgenden aufgelisteten Abgaben sind zwischen deren Fälligkeit und der ersten Einbringungshandlung (dem Ersuchen um Ergänzung vom ) unstrittig mehr als fünf Jahre verstrichen, sodass Einbringungsverjährung eingetreten ist. Diese Abgaben sind daher aus der Haftungssumme auszuscheiden.


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Abgabe
Zeitraum
Betrag
Fälligkeit
Körperschaftsteuer
2005
29.297,46
Körperschaftsteuer
04-06/2007
437,00
Säumniszuschlag 1
2007
722,21
Körperschaftsteuer
07-09/2007
437,00
Säumniszuschlag 2
2007
361,11
Normverbrauchsabgabe
01-12/2001
1.049,91
Körperschaftsteuer
10-12/2007
439,00
Säumniszuschlag 3
2007
361,11
Körperschaftsteuer
01-03/2008
437,00
Körperschaftsteuer
04-06/2008
437,00
Körperschaftsteuer
07-09/2008
437,00
Körperschaftsteuer
10-12/2008
439,00
Umsatzsteuer
1999
8.052,44
Umsatzsteuer
2006
1.259,95
Normverbrauchsabgabe
1-12/2000
740,97
Summe
44.908,16

Gemäß 238 Abs 3 BAO ist die (Einhebungs-)Verjährung unter anderem gehemmt, solange die Einhebung einer Abgabe ausgesetzt ist. Hinsichtlich der Umsatzsteuer 2000, der Umsatzsteuer 2001 und der Normverbrauchsabgabe 1-12/1999 war die Festsetzungsverjährung (§ 207 BAO) aufgrund diverser Verlängerungshandlungen (§ 209 Abs 1 BAO) im Festsetzungsverfahren im Jahr 2007 noch nicht eingetreten. Hinsichtlich dieser Abgaben war im Zeitraum - (Umsatzsteuer 2000, Normverbrauchsabgabe 1-12/1999) bzw. im Zeitraum - (Umsatzsteuer 2001) die Aussetzung der Einhebung gemäß § 212a BAO verfügt. Daher war die Einhebungsverjährung in diesem Zeitraum gehemmt und wurde durch das Ersuchen um Ergänzung vom unterbrochen. Hinsichtlich der Umsatzsteuer 2000 und 2001 und der Normverbrauchsabgabe 1-12/1999 war die Einhebungsverjährung zum Zeitpunkt der Erlassung des verfahrensgegenständlichen Haftungsbescheides noch nicht eingetreten.

Letzteres gilt auch für die übrigen haftungsgegenständlichen Abgaben, deren Fälligkeitszeitpunkte allesamt im Jahr 2007 liegen. Auch hinsichtlich dieser übrigen Abgaben war der Lauf der Einhebungsverjährungsfrist jeweils aufgrund einer verfügten Aussetzung der Einhebung gemäß § 212a BAO über mehrere Jahre hinweg gehemmt, und zwar hinsichtlich der Aussetzungszinsen 2007 vom -, hinsichtlich des ersten Säumniszuschlages 2002 von - und hinsichtlich der weiteren Abgaben jeweils vom -.

Gemäß § 9 Abs. 1 BAO haften die in den §§ 80 ff. bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können. Die Vertreter einer juristischen Person haben alle Pflichten zu erfüllen, die den Vertretenen obliegen. Insbesondere haben sie dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus Mitteln, welche sie verwalten, entrichtet werden (§ 80 BAO).

Die Haftung nach § 9 BAO ist eine Ausfallshaftung und setzt die objektive Uneinbringlichkeit der betreffenden Abgaben im Zeitpunkt der Inanspruchnahme des Vertreters zur Haftung voraus. Die Uneinbringlichkeit der haftungsgegenständlichen Abgaben ist unstrittig, ebenso unstrittig ist die Geschäftsführereigenschaft des Beschwerdeführers zu den Fälligkeitszeitpunkten der haftungsgegenständlichen Abgaben. Eine weitere Voraussetzung ist eine schuldhafte Pflichtverletzung des Vertreters, zu dessen Aufgaben es gehört, für die Entrichtung der Abgaben Sorge zu tragen. Die Abgabenbehörde kann von einer schuldhaften Pflichtverletzung des Vertreters ausgehen, wenn der Vertreter nicht dartut, dass er ohne eigenes Verschulden gehindert war, dafür zu sorgen, dass die Primärschuldnerin die angefallenen Abgaben entrichtet (Ritz/Koran, BAO, 7.A., Rz 22 zu § 9; ). Ist eine schuldhafte Pflichtverletzung des Vertreters gegeben, dann werden die Verursachung der Uneinbringlichkeit der Abgaben durch die Pflichtverletzung und der Rechtswidrigkeitszusammenhang vermutet ().

Das Beschwerdevorbringen, das Finanzamt habe aus ihm vorliegenden Jahresabschlüssen der Primärschuldnerin ersehen können, dass keine Mittel zur Entrichtung der Abgaben vorhanden gewesen seien, ist nicht geeignet, ein fehlendes Verschulden des Beschwerdeführers an der Nichtentrichtung der haftungsgegenständlichen Abgaben darzustellen. Aus Jahresabschlüssen, Steuererklärungen, Betriebsprüfungsberichten oder Insolvenzakten betreffend die Primärschuldnerin können keine Erkenntnisse zur Liquiditätssituation den jeweiligen Fälligkeitszeitpunkten der haftungsgegenständlichen Abgaben gewonnen werden. Es wäre am Beschwerdeführer gelegen gewesen, entsprechende Beweismittel beizubringen.

Die Beschwerdebehauptung, es seien keine liquiden Mittel vorhanden gewesen, ist im übrigen unschlüssig, zumal der Beschwerdeführer auch angibt, dass im Jahr 2007 eine Eigentumswohnung verkauft wurde und aus dem erzielten Erlös "anteilige Hypothekarlasten", nicht aber Abgabenschuldigkeiten abgedeckt wurden. Diese Vorgehensweise stellt einen Verstoß gegen den abgabenrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz und damit eine Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten dar (Ritz/Koran, BAO, 7.A., Rz 11a zu § 9 mit Judikaturhinweisen). Weiter gibt der Beschwerdeführer an, dass die Primärschuldnerin bereits per ausnahmslos Taxiumsätze getätigt und aus diesen Zug um Zug Aufwendungen bezahlt hat. Sämtliche Erlöse aus Vermietung und Verpachtung seien bereits damals den Banken zur Besicherung der Immobilieninvestments abgetreten worden, was ebenfalls eine Pflichtverletzung im abgabenrechtlichen Sinn darstellt (Ritz/Koran, BAO, 7.A., Rz 11c zu § 9 mit Judikaturhinweisen).

Zusammengefasst ergibt sich schon aus dem Beschwerdevorbringen, dass zu den Fälligkeitszeitpunkten der haftungsgegenständlichen Abgaben sehr wohl liquide Mittel vorhanden waren und andere Gläubiger auch befriedigt wurden. Trotz mehrfacher Hinweise des Finanzamtes (im Ergänzungsersuchen, im Haftungsbescheid und in der Beschwerdevorentscheidung) hat der Beschwerdeführer keinen Nachweis der Gleichbehandlung sämtlicher Gläubiger erbracht, weshalb er für sämtliche Abgaben zur Gänze haftet (). Im übrigen wäre die Kapitalertragsteuer vom Gleichbehandlungsgrundsatz ohnedies ausgenommen ().

Die Beschwerdebehauptung, das Haftungsverfahren sei mangelhaft geblieben, trifft nicht zu. So finden sich in den vorgelegten Verwaltungsakten keinerlei Hinweise darauf, dass Organe des Finanzamtes mit dem Beschwerdeführer vereinbart hätten, diesem nach einem Scheitern der Verhandlungen neuerlich eine Frist zur Stellungnahme zu den Haftungsvoraussetzungen einzuräumen. Im übrigen hatte der Beschwerdeführer im gesamten Haftungsverfahren jederzeit die Möglichkeit, zu den Haftungsvoraussetzungen Stellung zu nehmen, ohne dass es dafür einer (weiteren) förmlichen, ausdrücklichen Aufforderung seitens des Finanzamtes bedurft hätte. Sowohl der Haftungsvorhalt als auch der Haftungsbescheid und die Beschwerdevorentscheidung entfalten diesbezüglich Vorhaltscharakter.

Entsprechend der im Erkenntnis vom , Ra 2019/13/0066 unter Verweis auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Ra 2021/13/0132 geäußerten Rechtsauffassung ist ein langer Zeitabstand zwischen dem Entstehen der Abgabenschuld oder dem Hervorkommen der Uneinbringlichkeit der Abgaben bei der Primärschuldnerin und der bescheidmäßigen Inanspruchnahme zur Haftung andererseits bei der Ermessensübung zu berücksichtigen.

In der Haftungssumme sind zum Großteil Abgaben enthalten, hinsichtlich derer der Abgabenanspruch eine lange Zeit vor Geltendmachung der Haftung entstanden ist. Nach deren bescheidmäßiger Festsetzung im Februar 2007 wurde hinsichtlich dieser Abgaben auf Antrag der Primärschuldnerin (vertreten durch den Beschwerdeführer als Alleingeschäftsführer) die Aussetzung der Einhebung während eines anhängigen Rechtsmittelverfahrens verfügt. Mit Abschluss des Rechtsmittelverfahrens im Jahr 2013 wurde im Oktober 2013 der Ablauf der Aussetzung der Einhebung verfügt. Die genauen Daten sind folgender Aufstellung zu entnehmen:


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Abgabenart
Zeitraum
Betrag
Entstehung des Abgabenanspruches
Aussetzung der Einhebung aufrecht
USt
2001
4.420,93
-
USt
2000
19.851,02
-
USt
2001
12.914,73
-
NoVA
1-12/1999
344,62
-
KESt
1-12/1999
18.912,43
-
KESt
1-12/2000
38.864,70
-
KESt
1-12/2001
33.190,58
-
KESt
1-12/2003
189,00
-

Es zeigt sich, dass während grob der Hälfte der zwischen Entstehen des Abgabenanspruches und Ergehen des Haftungsbescheides verstrichenen Zeit die Einbringung der Abgaben aufgrund der beantragten und verfügten Aussetzung der Einhebung gehemmt und daher unzulässig war (§ 230 Abs. 6 BAO). Die Zeitspanne, während der die Aussetzung der Einhebung beantragt und verfügt war, hat daher bei der vom Verwaltungsgerichtshof geforderten Ermessensübung außer Betracht zu bleiben. Hinsichtlich der übrigen verstrichenen Zeit, die bei einzelnen Abgaben bis zu acht Jahre beträgt, erscheint eine pauschale Kürzung der Haftungssumme um 20 Prozent angemessen. Die persönlichen Verhältnisse des Haftungspflichtigen können entgegen dem Beschwerdevorbringen bei der Haftungsinanspruchnahme außer Betracht bleiben (zB ).

Zu Spruchpunkt II. (Revisionszulässigkeit)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Das Bundesfinanzgericht war bei der Ermessensübung an die im Erkenntnis vom zu Ra 2021/13/0132 geäußerte Rechtsansicht gebunden. Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung waren in diesem Erkenntnis nicht (mehr) zu lösen. Die Revision ist daher nicht zulässig.

Innsbruck, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 238 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 9 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2022:RV.3100516.2022

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at