Verspätungszuschlag: Nichtabgabe einer UVA (Umsatzsteuervoranmeldung) aufgrund Covid-19-bedingter Mitarbeiterausfälle keine entschuldbare Fehlleistung mangels Vorliegens einer Naturkatastrophe
Revision beim VwGH anhängig zur Zahl Ro 2022/15/0042. Mit Erk. v. wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufgehoben. Fortgesetztes Verfahren mit Beschluss zur Zahl RV/2100006/2024 erledigt.
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Rechtssätze | |
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RV/2100269/2022-RS1 | Die Covid-19-Pandemie stellt abgabenrechtlich keine Naturkatastrophe iSd. § 1 „Abgabenrechtliche Sondermaßnahmen für Opfer von Naturkatastrophen“, BGBl. I Nr. 112/2005, dar. Wahrt ein:e Abgabepflichtige:r die Frist zur Einreichung einer Abgabenerklärung aufgrund Covid-19-bedingter Mitarbeiterausfälle nicht, stellt dies keine entschuldbare Fehlleistung iSd § 135 BAO dar. |
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Ri. in der Beschwerdesache N.N.GmbH, Adr.Bf., vertreten durch X.X. Wirtschaftstreuhand und Steuerberatung GmbH, Adr.StB, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Verspätungszuschlag btr. Umsatzsteuer Zeitraum
10-12/2021, Steuernummer xxx, zu Recht erkannt:
I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) zulässig.
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang
Die N.N.GmbH [= Bf.] ist eine mit Gesellschaftsvertrag vom xx 2021 gegründete Gesellschaft mit dem Geschäftszweig "Beratungstätigkeit im Immobilienbereich, Ankauf und Verkauf von Liegenschaften und Wohnungseigentumsobjekten, Immobilientreuhand" (siehe Firmenbuchauszug zu FNr. yyy).
Mit Erinnerungsschreiben vom wurde die Bf. daran erinnert, dass sie zur Abgabe von vierteljährlichen Umsatzsteuervoranmeldungen verpflichtet sei und aufgrund der vorliegenden Informationen dieser Verpflichtung nicht nachgekommen sei. Die Bf. werde daher ersucht, die Umsatzsteuervoranmeldung für Oktober bis Dezember 2021 bis spätestens nachzureichen. Weiters wies die belangten Behörde darauf hin, dass die Nichtabgabe bzw. verspätete Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen sowie die nicht fristgerechte Steuerentrichtung abgabenrechtliche Konsequenzen auslösen können (Säumniszuschlag gemäß § 217 BAO, Verspätungszuschlag gemäß § 135 BAO, Schätzung der Besteuerungsgrundlagen gemäß § 184 BAO, eventuell auch Einleitung eines Finanzstrafverfahrens).
In der Folge erließ die belangte Behörde mit den - hier nicht gegenständlichen - Bescheid über die Festsetzung von Umsatzsteuer 10-12/2021 und setzte die Umsatzsteuer iHv. 9.000,00 Euro fest. Ebenfalls am erließ die belangte Behörde den streitgegenständlichen Verspätungszuschlagsbescheid btr. Umsatzsteuer 10-12/2021 und setzte diesen iHv. 380,00 Euro, d.s. 4% von 9.000,00 Euro, fest. Zur Begründung wurde - unter Verweis auf die Bestimmung des § 135 BAO - festgehalten, dass die Bf, obwohl eine Verpflichtung zur Einreichung der Voranmeldung(en) bestand, die Voranmeldung(en) nicht bzw. verspätet eingereicht hätte.
Gegen den Verspätungszuschlagsbescheid erhob die Bf. durch ihren steuerlichen Vertreter mit Schreiben vom über FinanzOnline Beschwerde und stellte den Antrag auf Unterbleiben einer Beschwerdevorentscheidung sowie Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht gemäß § 262 Abs. 2 BAO. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Verspätung entschuldbar sei. Gemäß Art 9 des BGBl. I Nr. 2005/112 (abgabenrechtliche Sondermaßnahmen für Opfer von Naturkatastrophen) sei von der Festsetzung von Verspätungszuschlägen (§ 135 BAO) abzusehen, wenn die Verspätung aufgrund von Naturkatastrophen passiert und somit entschuldbar sei und die versäumte Handlung innerhalb von 2 Monaten nach Eintritt der Naturkatastrophe nachgeholt werde. Die Abgabe sei mittlerweile von Amts wegen festgesetzt und seitens des Steuerpflichtigen bezahlt worden, die versäumte Handlung sei somit nachgeholt worden. Die ursprüngliche Verspätung sei aufgrund einer Naturkatastrophe, nämlich der Corona Pandemie erfolgt. Aufgrund der Corona Pandemie sei es sowohl beim Steuerpflichtigen selbst als auch beim für die Buchhaltung und fristgerechte Übermittlung der UVA zuständigen Steuerberater zu massiven Mitarbeiterausfällen aufgrund von Infektionen mit dem Coronavirus und der damit einhergehenden Quarantäne von Mitarbeitern gekommen. Die Corona Pandemie sei im Rechtsbestand der Republik eindeutig als Naturkatastrophe definiert (siehe § 69 Abs. 2a IO). Die Verspätung sei somit eine entschuldbare Fehlleistung.
Die Beschwerde wurde dem Bundesfinanzgericht am ohne vorherige Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung zur Entscheidung vorgelegt. Die belangte Behörde führte im Vorlagebericht unter Punkt "Stellungnahme" aus, dass den Materialien zur Regierungsvorlage betr. BGBl. I Nr. 2005/112 zu entnehmen sei, dass im Jahr 2005 österreichweit außergewöhnliche Hochwasser verursacht durch dauerhafte Regenfälle der Grund für dieses Maßnahmenpaket gewesen sei. Sie würden klar sagen, dass unter den vom Gesetzeswortlaut erwähnten "Katastrophen" ausschließlich Naturkatastrophen, wie insbesondere Hochwasser, Erdrutsch, Vermurung und Lawinen zu verstehen seien. Dies führe nach Ansicht der belangten Behörde dazu, dass unter diese Bestimmung nicht eine Covid 19-Pandemie zu subsumieren sei. Denn auch bei weitester Auslegung des Wortlautes sei eine Pandemie keine Naturkatastrophe, sondern ein durch höherer Gewalt ausgelöster Notstand. Da die Voraussetzungen des § 135 BAO somit vorliegen und die Verspätung nicht entschuldbar sei, werde die Abweisung der Beschwerde beantragt.
II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
1. Sachverhalt
Die mit Gesellschaftsvertrag vom xx 2021 errichtete Bf. war im Beschwerdejahr 2021 zur vierteljährlichen Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen verpflichtet. Die Bf. wurde mit Erinnerungsschreiben der belangten Behörde vom an die Verpflichtung zur Einreichung der gegenständlichen Umsatzsteuervoranmeldung 10-12/2021 erinnert und gleichzeitig auf abgaberechtliche Konsequenzen bei Nichteinreichung (u.a. Verspätungszuschlag nach § 135 BAO) hingewiesen. Da die Bf. die UVA 10-12/2021 nicht eingereicht hat, setzte die belangte Behörde die Umsatzsteuer mit Festsetzungsbescheid vom iHv 9.000,00 Euro fest, und verhängte einen Verspätungszuschlag iHv. 4% der festgesetzten Umsatzsteuer. Gegen den Festsetzungsbescheid vom wurde kein Rechtsmittel eingebracht, die vorgeschriebene Umsatzsteuer wurde laut Bf. entrichtet. Diesbezüglich wird ergänzend ausgeführt, dass laut Abfrage des Bundesfinanzgerichts über FinanzOnline die festgesetzte Umsatzsteuer 10-12/2021 von der Bf. am entrichtet wurde. Es wurde der Antrag gem. § 262 Abs. 2 BAO (Direktvorlage) gestellt.
Dieser Sachverhalt ist unbestritten.
2. Rechtliche Beurteilung
2.1. Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)
Gemäß § 21 Abs. 1 UStG 1994 hat der Unternehmer spätestens am 15. Tag (Fälligkeitstag) des auf einen Kalendermonat (Voranmeldungszeitraum) zweitfolgenden Kalendermonates eine Voranmeldung einzureichen, in der er die für den Voranmeldungszeitraum zu entrichtende Steuer (Vorauszahlung) oder den auf den Voranmeldungszeitraum entfallenden Überschuss selbst zu berechnen hat. Die Voranmeldung gilt als Steuererklärung. Ein vorangemeldeter Überschuss wirkt auf den Tag der Einreichung der Voranmeldung zurück.
Nach Abs. 2 Satz 1 leg. cit ist für Unternehmer, deren Umsätze nach § 1 Abs. 1 Z 1 und 2 im vorangegangenen Kalenderjahr 100.000 Euro nicht überstiegen haben, das Kalendervierteljahr der Voranmeldungszeitraum.
§ 135 BAO lautet: "Abgabepflichtigen, die die Frist zur Einreichung einer Abgabenerklärung nicht wahren, kann die Abgabenbehörde einen Zuschlag bis zu 10 Prozent der festgesetzten Abgabe (Verspätungszuschlag) auferlegen, wenn die Verspätung nicht entschuldbar ist; solange die Voraussetzungen für die Selbstberechnung einer Abgabe durch den Abgabepflichtigen ohne abgabenbehördliche Festsetzung gegeben sind, tritt an die Stelle des festgesetzten Betrages der selbst berechnete Betrag. Dies gilt sinngemäß, wenn nach den Abgabenvorschriften die Selbstberechnung einer Abgabe einem abgabenrechtlich Haftungspflichtigen obliegt. Verspätungszuschläge, die den Betrag von 50 Euro nicht erreichen, sind nicht festzusetzen."
Gemäß § 20 BAO müssen sich Entscheidungen, die die Abgabenbehörden nach ihrem Ermessen zu treffen haben (Ermessensentscheidungen), in den Grenzen halten, die das Gesetz dem Ermessen zieht. Innerhalb dieser Grenzen sind Ermessensentscheidungen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen.
Zweck des Verspätungszuschlags ist, den rechtzeitigen Eingang der Abgabenerklärungen und damit die zeitgerechte Festsetzung und Entrichtung der Abgabe sicherzustellen. Die Festsetzung von Verspätungszuschlägen liegt dem Grunde und der Höhe nach im Ermessen. Sie setzt voraus, dass ein Steuerpflichtiger die Frist bzw. Nachfrist zur Einreichung einer Abgabenerklärung nicht einhält und dass dies nicht entschuldbar ist. Der Verspätungszuschlag ist formell akzessorisch; er ist hinsichtlich seiner Bemessungsgrundlage an die bescheidmäßige Festsetzung der Stammabgabe gebunden (Ritz/Koran, BAO7, § 135 Rz 1, 4 und 16 mit der dort jew. angeführten höchstgerichl. Judiaktur).
Die Festsetzung eines Verspätungszuschlages setzt gemäß § 135 BAO wie ausgeführt neben dem im Beschwerdefall unstrittig erfüllten objektiven Kriterium der nicht fristgerecht erfolgten Einreichung einer Abgabenerklärung (im Fall: UVA 10-12/2021) voraus, dass die Verspätung nicht entschuldbar ist.
Im Beschwerdefall ist ausschließlich die Frage der Entschuldbarkeit der Verspätung dem Grunde nach strittig.
Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs ist eine Verspätung nicht entschuldbar, wenn den Steuerpflichtigen daran ein Verschulden trifft; bereits leichte Fahrlässigkeit schließt die Entschuldbarkeit aus ( mwN). Ein Verschulden des Vertreters trifft den Vertretenen ().
Als leicht fahrlässig gilt ein Verhalten, wenn es auf einem Fehler beruht, den gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch macht (vgl. mwN).
Ist hingegen die Verspätung entschuldbar ("entschuldbare Fehlleistung", vgl. ), bleibt kein Raum für eine Ermessensübung gem. § 20 BAO. Diesfalls ist von der Festsetzung eines Verspätungszuschlages abzusehen (vgl. ).
Die Bf. bringt zur Entschuldbarkeit der Verspätung vor, dass gemäß Art. 9 des BGBl. I Nr. 112/2005 (abgabenrechtliche Sondermaßnahmen für Opfer von Naturkatastrophen) von der Festsetzung von Verspätungszuschlägen abzusehen sei, wenn die Verspätung aufgrund von Naturkastastrophen passiert und somit entschuldbar sei und die versäumte Handlung innerhalb von 2 Monaten nach Eintritt der Naturkatastrophe nachgeholt werde. Die Bf. sieht in der Corona-Pandemie eine Naturkatastrophe iSd. Art. 9 des BGBl. I Nr. 112/2005 gegeben, zumal durch § 69 Abs. 2a IO die Corona-Pandemie eindeutig als Naturkatastrophe definiert sei. Aufgrund massiver coronabedingter Mitarbeiterausfälle sowohl bei der Bf. als auch beim Steuerberater liege eine entschuldbare Fehlleistung vor und sei damit die Festsetzung des Verspätungszuschlags rechtswidrig gewesen.
Zu Art. 9 BGBl. I Nr. 112/2005, Abgabenrechtliche Sondermaßnahmen für Opfer von Naturkatastrophen:
Der von der Bf. genannte und mit in Kraft getretene Art. 9 des BGBl. I Nr. 112/2005 lautet:
"Abgabenrechtliche Sondermaßnahmen für Opfer von Naturkatastrophen
§ 1. Werden als Folge von Katastrophen (insbesondere Hochwasser, Erdrutsch, Vermurung und Lawinen) Zahlungsfristen oder Fristen zur Einreichung von Abgabenerklärungen versäumt, so ist auf Antrag des Abgabepflichtigen (§ 77 BAO) von
1.der Festsetzung von
a)Säumniszuschlägen (§ 217 BAO),
b)Verspätungszuschlägen (§ 135 BAO);
2.der Geltendmachung von Terminverlusten (§ 230 Abs. 5 BAO)
abzusehen, wenn spätestens zwei Monate nach Eintritt der Naturkatastrophe die versäumte Handlung nachgeholt oder ein Ansuchen um Zahlungserleichterungen (§ 212 BAO) oder ein Antrag auf Verlängerung der Frist zur Einreichung der Abgabenerklärung eingebracht wird."
Diese Maßnahmen in Folge der Hochwasserkatastrophe im Sommer 2005 wurden zur Vermeidung oder Beseitigung unbilliger Rechtsfolgen, die als Folge von naturkatastrophenbedingten Fristversäumnissen (bei der Abgabenentrichtung, bei der Einreichung von Abgabenerklärungen) eintreten können, beschlossen (vgl. Ritz, Hochwasserkatastrophe und verfahrensrechtliche Maßnahmen, SWK 2005, Heft 26) und sahen u.a. ein antragsbedingtes Absehen von Verspätungszuschlägen vor.
Im BGBl. I Nr. 112/2005 ist Art. 9 u.a. der Art. 6 über die Änderungen im Einkommensteuergesetz vorangestellt. In § 45 Abs. 5 EStG 1988 wurde dabei im Falle von Katastrophenschäden eine Erstreckung der Einkommen- bzw. Körperschaftsteuervorauszahlungen bis 31. Oktober (statt bisher 30. September) vorgesehen: "Ist ein Steuerpflichtiger von Katastrophenschäden (insbesondere Hochwasser-, Erdrutsch-, Vermurungs- und Lawinenschäden) betroffen, kann ein Antrag auf eine Änderung der Vorauszahlung abweichend von Abs. 3 bis zum 31. Oktober gestellt werden."
Die Gesetzesmaterialien zu dieser Bestimmung stellen klar, dass unter den vom Gesetzeswortlaut erwähnten "Katastrophenschäden" ausschließlich "Naturkatastrophen" zu verstehen sind: "Da die erweiterte Antragsmöglichkeit auf Naturkatastrophenfälle eingeschränkt ist, ist der Antrag nur mit den konkreten Umständen, die das Einkommen des Antragstellers im Zusammenhang mit Naturkatastrophenschäden berühren, zu begründen" (RV 1065 BlgNR 22. GP, S. 5).
Die Diktion und Aufzählung "... Katastrophen (insbesondere Hochwasser, Erdrutsch, Vermurung und Lawinen) ..." in den "Abgabenrechtliche[n] Sondermaßnahmen für Opfer von Naturkatastrophen" und "... Katastrophenschäden (insbesondere Hochwasser-, Erdrutsch-, Vermurungs- und Lawinenschäden) ..." in § 45 Abs. 5 EStG 1988, beide eingeführt durch BGBl. I Nr. 112/2005, decken sich bis auf das ergänzende "...schäden" in § 45 Abs. 5 EStG 1988, weshalb in beiden Fällen unter Katastrophen ausschließlich Naturkatastrophen zu verstehen sind.
Das (deutsche) Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe definiert eine Naturkatastrophe als Naturereignis, das zu einem Schaden führt und das nicht mit den Mitteln der alltäglichen Gefahrenabwehr bewältigt werden kann (vgl. https://www.bbk.bund.de/ haredDocs/ Glossareintraege/DE/N/naturkatastrophe.html, abgerufen am ). Demgegenüber sind Pandemien und Epidemien "zwar natürlichen Ursprungs, aber keine Naturkatastrophen" (vgl. ebd.).
Mit erklärte die Weltgesundheitsorganisation die damals bestehende Epidemie, die in Wuhan zum ersten Mal bestätigt worden war, zur Pandemie (vgl. BMSGPK, Die COVID-19-Pandemie, Wien 2022, S. 22).
Damit ist festzustellen, dass eine Epidemie bzw. eine Pandemie - wie Covid-19 -, auch bei weitester Auslegung des Wortlautes keine "Naturkatastrophe" darstellt (vgl. Loser/Urtz, Änderungen im Abgabenverfahren aufgrund des 2. COVID-19-Gesetzes, ÖStZ Heft 7/2020, S. 183), und somit auch keine Naturkatastrophe iSd. § 1 "Abgabenrechtliche Sondermaßnahmen für Opfer von Naturkatastrophen", Art 9 BGBl. I Nr. 112/2005.
Die Bestimmung des Art. 9 BGBl. I Nr. 112/2005 wurde zudem nicht mehr geändert bzw. angepasst, so v. a. nicht durch das 2. COVID-19-Gesetz, BGBl. I Nr. 16/2020. Durch dieses Gesetz wurden unter Artikel 13, "Sonderregelungen aufgrund der Maßnahmen zur Bekämpfung von COVID-19", für das Abgabenverfahren umfangreiche Rechtsmittelfristverlängerungen normiert. Damit sollte dem Umstand Rechnung getragen werden, dass die aufgrund von COVID-19 verhängten Maßnahmen die Möglichkeiten der Bevölkerung begrenzen, ihre üblichen Erledigungen durchzuführen und es gewährleistet werden sollte, dass Bürgerinnen und Bürgern aufgrund dieser außerordentlichen Situation keine Rechtsschutznachteile durch Versäumung wichtiger Fristen erleiden (vgl. 397/A XXVII. GP - Selbständiger Antrag, S. 31; 397/A XXVII. GP - Initiativantrag, S. 31).
Hingegen wurden für Zahlungsfristen oder Fristen zur Einreichung von Abgabenerklärungen keine Verlängerungen gesetzlich normiert.
Art. 9 BGBl. I Nr. 112/2005 ist daher im Beschwerdefall nicht geeignet die Verhängung des Verspätungszuschlags als rechtswidrig zu erklären, da Covid-19 nicht als Naturkatastrophe im Sinne dieser Bestimmung anzusehen ist und damit der Tatbestand des Art. 9 BGBl. I Nr. 112/2005 nicht gegeben ist.
Zu § 69 Abs. 2a IO idF BGBl. I Nr. 16/2020:
Zum ebenfalls von der Bf. unter Nennung des § 69 Abs. 2a IO vorgebrachten Argument, die Corona-Pandemie sei im Rechtsbestand der Republik eindeutig als Naturkatastrophe definiert, ist auszuführen:
§ 69 IO regelt das Insolvenzeröffnungsverfahren auf Antrag des Schuldners. § 69 Abs. 2a IO lautete in der ursprünglichen Version idF BGBl. I Nr. 156/2002:
"Bei einer durch eine Naturkatastrophe (Hochwasser, Lawine, Schneedruck, Erdrutsch, Bergsturz, Orkan, Erdbeben oder ähnliche Katastrophe vergleichbarer Tragweite) eingetretenen Zahlungsunfähigkeit verlängert sich die Frist des Abs. 2 auf 120 Tage".
In den Gesetzesmaterialen wird zur verlängerten Antragsfrist u.a. ausgeführt:
"... Es wird daher im Interesse von Unternehmern, die von Naturkatastrophen betroffen sind, die 60-Tage-Frist, innerhalb der der Konkursantrag zu stellen ist, auf 120 Tage verlängert, somit verdoppelt. Damit können nicht notwendige Konkursverfahren verhindert werden.
Voraussetzung der verlängerten Konkursantragsfrist ist nicht nur das Vorliegen einer Naturkatastrophe, sondern dass diese die Insolvenz des Schuldners auslöste..." (AB 1286 BlgNR 21. GP, S. 1).
Die Gesetzesmaterialien stellen damit klar, dass Voraussetzung der verlängerten Antragsfrist nicht nur das Vorliegen einer Naturkatastrophe ist, sondern dass diese die Insolvenz des Schuldners auslöste.
Durch das 2. COVID-19-Gesetz, BGBl. I Nr. 16/2020, wurde unter Art. 22 "Änderung der Insolvenzordnung" der § 69 Abs. 2a IO geändert und lautet der Text nunmehr wie folgt:
"Bei einer durch eine Naturkatastrophe (Hochwasser, Lawine, Schneedruck, Erdrutsch, Bergsturz, Orkan, Erdbeben Epidemie, Pandemie oder ähnliche Katastrophe vergleichbarer Tragweite) eingetretenen Zahlungsunfähigkeit verlängert sich die Frist des Abs. 2 auf 120 Tage".
Den Gesetzmaterien ist folgende Begründung zu entnehmen: "Mit der Änderung soll klargestellt werden, dass eine Epidemie und eine Pandemie unter den Begriff der Naturkatastrophe fallen" (397/A XXVII. GP - Selbständiger Antrag, S. 39; 397/A XXVII. GP - Initiativantrag, S. 40).
Hintergrund dieser Anpassung in der Insolvenzordnung war, dass durch die Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 Unternehmen in Liquiditätsschwierigkeiten geraten sind und vor diesem Hintergrund auch einige insolvenzrechtliche Änderungen vorgenommen wurden (vgl. Schneider, COVID-19: Änderungen im Insolvenzrecht, ÖJZ Heft 11/2020; Trenker, COVID-19 und das Insolvenzrecht, ecolex Heft 5/2020).
Auswirkung des unterschiedlichen Naturkatastrophenbegriffsdes Art 9. BGBl. I Nr. 112/2005 und des§ 69 Abs. 2a IO idF BGBl. I Nr. 16/2020 auf den Beschwerdefall:
Während Art. 9 BGBl. I Nr. 112/2005 Sonderregelungen zu Zahlungsfristen bzw. Fristen zur Einreichung von Abgabenerklärungen im Abgabenverfahren enthält, betrifft § 69 Abs. 2a IO das Insolvenzverfahren.
Wie oben ersichtlich, wurde im Gegensatz zum Insolvenzverfahren für das Abgabenverfahren keine Änderung der Definition von "Naturkatastrophen" vom Gesetzgeber vorgenommen. Das 2. Covid-19-Gesetz, BGBl. I Nr. 16/2020, enthält zwar eine Erweiterung des Naturkatastrophen"katalogs", allerdings nur für den Bereich des Insolvenzrechts (Art. 22 BGBl. I Nr. 16/2020). Die Änderungen im Insolvenzrecht wurden aufgrund von Liquiditätsschwierigkeiten notwendig, welche wegen der behördlichen (Zwangs)Maßnahmen im Zuge der COVID-19 Pandemie ausgelöst wurden, nicht aber durch eine Zerstörung von Produktionsmitteln oder Vorräten, wie das bei einer Naturkatastrophe (z. B. Hochwasser) der Fall gewesen wäre (vgl. Schneider, a.a.O.; Vock / Bauer, Die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf das Abgabenverfahrensrecht, in AVR 2/2020).
Eine Erweiterung des Naturkatastrophenbegriffs für das Abgabenverfahren, und damit auch auf Art 9 BGBl. I Nr. 112/2005, wurde hingegen nicht vorgenommen, obwohl durch das
2. Covid-19-Gesetz umfangreiche Bestimmungen für das abgabenrechtliche Rechtsmittelverfahren eingeführt wurden (siehe Art. 13 BGBl. I Nr. 16/2020).
Die unterschiedliche Definition im Abgabenverfahren und im Insolvenzrecht, was unter Naturkatastrophe zu verstehen ist, lässt sich zudem nach Ansicht des Bundesfinanzgericht auch dadurch erklären, dass die Fristerstreckung in § 69 Abs. 2a IO ein Verfahren betrifft, zu dem der Schuldner einmalig verpflichtet ist (liegt beim Schuldner materielle Insolvenz vor, hat er bei sonstiger Haftung einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu stellen; vgl. Schneider, COVID-19: Antragspflicht und Eröffnungsverfahren in ZIK Heft 5/2020).
Dagegen handelt es sich bei der Einreichung von Abgabenerklärungen um eine Dauerverpflichtung, die zu den grundlegenden Obliegenheiten des/der Abgabepflichtigen gehört.
Für das Bundesfinanzgericht stellt sich in der unterschiedlichen Naturkatastrophendefinition eine im Rahmen des rechtspolitischen Gestaltungsspielraums liegende gewollte Differenzierung des Gesetzgebers zwischen Abgaben- und Zivilverfahren (hier: Insolvenzverfahren) dar. Eine unterschiedliche Beurteilung sieht das Bundesfinanzgericht wegen der verschiedenen Rechtsmaterien aufgrund des Zwecks und den Zielsetzungen der einzelnen Rechtsgebiete als rechtsstaatlich unbedenklich an. Während das Steuerrecht die Entstehung des Steueranspruchs dem Grunde und der Höhe nach normiert, regelt das Insolvenzrecht hingegen dessen Geltendmachung im Insolvenzverfahren (vgl. Kofler in Achatz/Kirchmayr, Körperschaftsteuergesetz: Kommentar, § 23a Rz 1). Zwar genießt das Insolvenzrecht soweit es um die Durchsetzung und die Befriedigung von Abgabenforderungen im Insolvenzverfahren geht Vorrang vor den einschlägigen Normen des Abgabenrechts, der Zeitpunkt der Entstehung des Abgabenanspruches (§ 4 BAO) sowie die Höhe des Abgabenanspruches richten sich jedoch ausschließlich nach abgabenrechtlichen Vorschriften (vgl. Fraberger/Kanduth-Kristen in Aigner/Tumpel, Handbuch der österreichischen Steuerlehre3, Bd. III, Unternehmensbeendigung durch Insolvenz, Seite 646, und die dort angeführte höchstgerichtliche Judikatur).
Für den Beschwerdefall bedeutet dies, dass aus abgabenrechtlicher Sicht der Verhängung des Verspätungszuschlages nicht mit der Argumentation, bei der COVID-Pandemie handle es sich um eine Naturkatstrophe, die eine entschuldbare Fehlleistung iSd. § 135 BAO darstelle, erfolgreich begegnet werden kann.
Zum Ermessen dem Grund nach:
Nach der herrschenden Ansicht gehört es zur Sorgfaltspflicht eines berufsmäßigen Parteienvertreters, organisatorisch dafür vorzusorgen, dass die gesetzlich vorgesehenen Abgabenerklärungen rechtzeitig und richtig eingereicht werden (vgl. Stoll, BAO-Kommentar 1530 f mwN; mwN).
Hinsichtlich der nach den subjektiven Verhältnissen zumutbaren Sorgfalt () ist an einen gerade aus dem Grund seiner hohen Fachkompetenz beigezogenen Parteienvertreter, dessen laufende Tätigkeit typischerweise mit Abgabepflichten, insbesondere mit Erklärungspflichten und mit der Selbstberechnung von Abgaben verbunden ist, ein hoher Maßstab anzulegen. Für einen Parteienvertreter wäre es daher nicht nur zumutbar, sondern geradezu geboten gewesen, auch für Krisenzeiten organisatorische Maßnahmen zu treffen (bspw. Home-Office, mobiles Arbeiten), um trotz coronabedingten Mitarbeiterausfälle bei der Bf. und in der Kanzlei den abgabenrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen, insbesondere, wenn bereits eine Aufforderung der Behörde zur Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldung 10-12/2021 übermittelt wurde. In der Unterlassung der zumutbaren Sorgfalt zur rechtzeitigen Erklärungsabgabe ist daher keine entschuldbare Fehlleistung zu sehen.
Die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen für die Festsetzung des Verspätungszuschlags lagen somit dem Grunde nach vor.
Da die Höhe des Verspätungszuschlages iHv. 4% der Umsatzsteuer-Zahllast nicht angefochten wurde, war auf diese nicht weiter einzugehen.
2.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Da zur Frage, ob die Covid-19-Pandemie abgabenrechtlich als Naturkatastrophe iSd. § 1 Abgabenrechtliche Sondermaßnahmen für Opfer von Naturkatastrophen, BGBl. I Nr. 112/2005, zu definieren ist und damit ein Verschulden nach § 135 BAO dem Grunde nach auszuschließen ist keine Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs vorliegt, war die ordentliche Revision zuzulassen.
Graz, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 69 Abs. 2a IO, Insolvenzordnung, RGBl. Nr. 337/1914 § 20 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 21 Abs. 1 UStG 1994, Umsatzsteuergesetz 1994, BGBl. Nr. 663/1994 § 135 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 45 Abs. 5 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988 |
Verweise | |
Zitiert/besprochen in | Maicovski in BFGjournal 2022, 374 |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2022:RV.2100269.2022 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at