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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 11.10.2022, RV/3100524/2022

Eigenantrag auf erhöhte Familienbeihilfe: Mangels zweifelsfreiem Nachweis der VOR dem 21. Lebensjahr eingetretenen Erwerbsunfähigkeit steht weder der Grund- noch der Erhöhungsbetrag zu

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***Ri*** in der
Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Mag. Markus Franz Ganzer, Anichstraße 13, 6020 Innsbruck, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom , Ordnungsbegriff Nr1, betreffend Abweisung der Anträge auf Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe ab Jänner 2015 zu Recht erkannt:

Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach
Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensablauf:

1. Mit Anträgen, eingegangen am , hat Frau ***Bf1*** (= Beschwerde-führerin, Bf), geb. 04/1971, die Gewährung der Familienbeihilfe (FB) für sich sowie des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung "ab Jänner 2015" beantragt (Eigenantrag).

2. Beigeschlossen waren ein Bescheid des Bundessozialamtes vom , wonach der Bf auf ihren Antrag v. gemäß Verbrechensopfergesetz "zwecks Aufarbeitung der 1982 erlittenen psychischen Gesundheitsschädigungen die Übernahme der entstehenden Kosten für eine psychotherapeutische Krankenbehandlung …." bewilligt wird, sowie ein Schreiben der ÖGK vom über die Zuerkennung von Rehabilitationsgeld ab .

3. Auf Anforderung des Finanzamtes wurde daraufhin in dem vom Sozialministeriumservice (SMS) "mit Untersuchung" erstellten Sachverständigengutachten vom 13.1./ durch den Gutachter DrA, FA f. Psychiatrie, ua. Folgendes bescheinigt:

" … Anamnese:
schwere und langandauernde traumatisierende Erfahrungen in der Kindheit, 2011 Discusprolaps in der HWS, damals auch deutliche Verschlechterung der Psychopathologie mit vorübergehendem Alkoholmißbrauch, seither durchgehend in psychiatrischer und psychotherapeutischer Behandlung, mehrere vollstationäre psychiatrische Behandlungen; 2014 Magenbypass-Op, …. bezieht seit 2015 Reha-Geld, war bis 2013 regelmäßig berufstätig, vorübergehend auch selbständig
Derzeitige Beschwerden:
subdepressive Stimmungslage …
….
Zusammenfassung relevanter Befunde … :
Befundbericht Univ-Klinik für Allgemeine Psychiatrie,
Ort1 () …
Ärztlicher Entlassungsbericht,
XY () …
Befundbericht
DrB, Ort1 () …

Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:
1 Posttraumatische Belastungsstörung … Pos.Nr.
GdB 60 %
2 Wirbelsäule Funktionseinschränkungen mittleren Grades … Pos.Nr.
GdB 40 %
3 Magenbypass … Pos.Nr.
GdB 10 %
4 Funktionseinschränkungen einzelner Finger … Pos.Nr. GdB 10 %
5 Arterielle Hypertonie … Pos.Nr. GdB 10 %

Gesamtgrad der Behinderung 70 v.H.
Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:
Wechselseitige Leidensbeeinflussung zwischen Leiden 1 und 2; GdB erhöht sich dadurch um eine Stufe auf 70 v.H., …
….
Der festgestellte Grad der Behinderung wird voraussichtlich mehr als 3 Jahre andauern: ja
GdB liegt vor seit: 09/2015
….
Frau … ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen:
JA
Die Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, ist nicht vor vollendetem 18. Lebensjahr eingetreten.
Die Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, ist nicht vor vollendetem 21. Lebensjahr eingetreten.
Anmerkung bzw Begründung …: Antragstellerin war bis 2013 erwerbsfähig.
X Dauerzustand
Gutachten erstellt am von
DrA
Gutachten vidiert am von
DrC".

4. Laut Schreiben des ausgewiesenen Rechtsvertreters v. war der Bf auf Nachfrage mitgeteilt worden, dass das Finanzamt den Vorgang "abgebrochen habe", weshalb ein neuerlicher Antrag auf Gewährung des FB-Erhöhungsbetrages wg. psychischer Erkrankung gestellt wurde.

5. Dazu wurde ein Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt v. vorgelegt, woraus hervorgeht, dass der Bf aufgrund festgestellter, nunmehr dauernder Arbeitsunfähigkeit anstelle Reha-Geld ab die Invaliditätspension zusteht. In der Bescheidbegründung heißt es ua.:

" … Die Wiederbegutachtung hat ergeben, dass Ihre Arbeitsfähigkeit soweit herabgesunken ist, dass die Ausübung einer am allgemeinen Arbeitsmarkt noch bewerteten Tätigkeit voraussichtlich dauerhaft nicht mehr möglich ist.
Da nunmehr Maßnahmen der Rehabilitation nicht mehr zweckmäßig und zumutbar sind bzw Invalidität voraussichtlich dauerhaft vorliegt, ist das Rehabilitationsgeld mit Ablauf des Kalendermonates, der auf die Zustellung des Bescheides folgt, zu entziehen. ….
Ab besteht Anspruch auf Invaliditätspension. ….
Die Wiederbegutachtung hat ergeben, dass eine Besserung Ihres Gesundheitszustandes und somit Wiederherstellung Ihrer Arbeitsfähigkeit nicht herbeigeführt werden kann.
Damit liegt Invalidität nunmehr dauerhaft vor. ….".

6. Das Finanzamt hat daraufhin mit Bescheid vom , Ordnungsbegriff Nr1, "den Antrag auf Familienbeihilfe v. " für den Zeitraum ab Jänner 2015 als unbegründet abgewiesen.
Begründend wird unter Verweis auf § 6 Abs. 2 lit d Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG), BGBl 1967/376 idgF., ausgeführt, die Berufsunfähigkeit müsse vor dem 21. (bzw. während Berufsausbildung vor dem 25.) Lebensjahr eingetreten sein.

7. In der dagegen rechtzeitig erhobenen Beschwerde wird die Aufhebung des Abweisungsbescheides begehrt und auf eine Internetseite samt oberstgerichtlichen Entscheidungen, insbesondere auf das VwGH-Erkenntnis , Ro 2017/16/0009, verwiesen.

8. Das Finanzamt hat eine nochmalige Begutachtung beim Sozialministeriumservice veranlasst; im diesbezüglich ärztlichen Gutachten "mit Untersuchung" vom wird von DrA, FA f. Psychiatrie, ergänzend auszugsweise Folgendes bescheinigt:

" … Anamnese:
….. seit 11/2021 nun unbefristet in Berufsunfähigkeitspension
Derzeitige Beschwerden:
Flashbacks, leicht gedrückte Stimmungslage …
….
Zusammenfassung relevanter Befunde … :
Ärztlicher Befundbericht
DrB, Ort1 ():
Depressive Störung, Angststörung …

Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:
1 Posttraumatische Belastungsstörung (PTSD) Pos.Nr. GdB 60 %
2 Wirbelsäule Funktionseinschränkungen mittleren Grades … Pos.Nr. GdB 40 %
3 Magenbypass … Pos.Nr. GdB 10 %
4 Funktionseinschränkungen einzelner Finger … Pos.Nr. GdB 10 %
5 Arterielle Hypertonie … Pos.Nr. GdB 10 %
Gesamtgrad der Behinderung
70 v.H.
Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:
Wechselseitige Leidensbeeinflussung zwischen Leiden 1 und 2; GdB erhöht sich daher um eine Stufe auf 70 v.H., …
….
Stellungnahme zu Vorgutachten:
Seit dem letzten Vorgutachten keine relevante Befundveränderung.
GdB liegt vor seit: 09/2015
….
Frau … ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen:
JA
Dies besteht seit :
09/2013

Anmerkung bzw Begründung betreffend die Fähigkeit bzw voraussichtlich dauernde Unfähigkeit sich selbst den Unterhalt zu verschaffen:
Die Antragstellerin war bis 2013 mit Ausnahme einiger kurzzeitiger Phasen der Arbeitslosigkeit praktisch durchgehend erwerbsfähig und vollbeschäftigt berufstätig.

X Dauerzustand
Gutachten erstellt am von
DrA
Gutachten vidiert am von
DrC".

9. Die abweisende Beschwerdevorentscheidung vom wurde vom Finanzamt nach Darlegung der Bestimmungen nach § 8 Abs. 4 und Abs. 6 FLAG 1967 dahin begründet, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der FB nicht vorlägen, da die Erwerbsunfähigkeit bei der Bf auch lt. SMS-Zweitgutachten nicht VOR dem 21. bzw. 25 Lebensjahr eingetreten sei. Der Erhöhungsbetrag wg. erheblicher Behinderung stehe nur bei Anspruch auf den FB-Grundbetrag zu.

10. Im Vorlageantrag v. wurde auf das BFG-Erk. v. , RV/7100591/2020, sowie insbesondere darauf verwiesen, dass sich die Bf seit aufgrund ihrer psychischen Erkrankung in der Invaliditätspension befinde.

II. Sachverhalt:

Die Bf, geb. 04/1971, hat im April 1992 das 21. Lebensjahr vollendet.

Aufgrund ihres Eigenantrages auf Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe wurden durch das Sozialministeriumservice am und am Sachverständigengutachten erstellt: Es wurde der Bf zufolge der vom Gutachter durchgeführten Untersuchungen unter Berücksichtigung der ihm vorliegenden relevanten ärztlichen Befunde, wobei der früheste Befundbericht der Univ-Klinik Ort1 f. Allgemeine Psychiatrie vom datiert, jeweils ein Gesamtgrad der Behinderung (GdB) von 70 % (Hauptleiden: Posttraumatische Belastungsstörung), dieser vorliegend seit September 2015, bescheinigt.

Weiters wurde vom Gutachter eine voraussichtlich dauernde Unfähigkeit der Bf, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen (Erwerbsunfähigkeit), festgestellt, die jedoch erst ab September 2013 und daher NICHT bereits vor Vollendung des 21. Lebensjahres vorgelegen war. Dies insbesondere deshalb, weil die Bf bis 2013 nahezu durchgehend vollbeschäftigt, teils selbständig, berufstätig und damit erwerbsfähig war.

Der Bf wurde aufgrund eines Antrages vom November 2013 die Kostenübernahme für psychotherapeutische Krankenbehandlung wg. psychischer Gesundheitsschädigungen in der Kindheit bewilligt (siehe Bescheid des Bundessozialamtes v. ).
Sie hat ab bis Rehabilitationsgeld, dies zwecks Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit durch Reha-Maßnahmen, erhalten (siehe Schreiben ÖGK v. und PV-Bescheid ).
Die Bf bezieht seit November 2021 die Invaliditätspension, dies nach PV-Wiederbegutachtung wegen nunmehr dauerhaft eingetretener Arbeitsunfähigkeit (lt. PV-Bescheid v. ).

III. Beweiswürdigung:

Obiger Sachverhalt ergibt sich aus dem Akteninhalt, im Wesentlichen anhand der eingangs dargestellten zwei SMS-Sachverständigengutachten sowie den eigenen Angaben der Bf bzw. aus den von ihr beigebrachten Unterlagen, und ist in keinster Weise in Streit gezogen.

IV. Rechtslage:

A) Eigenanspruch:

Betreffend den "Eigenanspruch auf Familienbeihilfe" wird in § 6 Familienlastenausgleichsgesetz (FLAG), BGBl 1967/376 idgF., bestimmt:

(1) Anspruch auf Familienbeihilfe haben auch minderjährige Vollwaisen, wenn
a) sie im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben,
b) ihnen nicht Unterhalt von ihrem Ehegatten oder ihrem früheren Ehegatten zu leisten ist und
c) für sie keiner anderen Person Familienbeihilfe zu gewähren ist.

(2) Volljährige Vollwaisen haben Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn auf sie die Voraus-setzungen des Abs. 1 lit a bis c zutreffen und wenn sie
...
d) wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderungvoraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, und deren Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder - und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wird, sofern die Vollwaise nicht einen eigenständigen Haushalt führt
....
(5) Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und deren Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder - und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wird, haben unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 bis 3). Erheblich behinderte Kinder im Sinne des § 2 Abs. 1 lit c, deren Eltern ihnen nicht überwiegend den Unterhalt leisten und die einen eigenständigen Haushalt führen, haben unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 und 3).

Nach § 2 Abs. 1 lit c FLAG 1967 besteht Anspruch auf Familienbeihilfe für volljährige Kinder, die wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

B) Erhöhungsbetrag:

Gemäß § 8 Abs. 4 FLAG erhöht sich die Familienbeihilfe für jedes Kind, das erheblich behindert ist.

Gemäß § 8 Abs. 5 FLAG 1967 idgF gilt als erheblich behindert ein Kind, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muss mindestens 50 v.H. betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Nach § 8 Abs. 6 FLAG ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen (nunmehr Sozialministeriumservice) auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.

Gemäß § 8 Abs. 7 FLAG gelten die Abs. 4 bis 6 sinngemäß für Ansprüche nach § 6 FLAG.

Ein "Eigenanspruch" der Bf käme daher nach Obigem dann in Betracht, wenn nach § 6 Abs. 2 lit d FLAG bei ihr vor Vollendung des 21. Lebensjahres aufgrund einer Behinderung eine dauernde Erwerbsunfähigkeit eingetreten wäre. Besteht keine vor dem 21. Lebensjahr eingetretene dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, steht weder der Grund- noch der Erhöhungsbetrag an Familienbeihilfe zu.

Zum Nachweis dieser Voraussetzung ist eine Bescheinigung des Sozialministeriumservice iSd § 8 Abs. 6 FLAG zwingend erforderlich.
Die Abgabenbehörden sowie der UFS, nunmehr das Bundesfinanzgericht, sind an die Feststellungen der im Wege des Bundessozialamtes (nunmehr Sozialministeriumservice/SMS) erstellten Gutachten gebunden (vgl. ua.).

C) Judikatur:

a) Im VwGH-Erkenntnis vom , Ro 2017/16/0009, worauf in der Beschwerde Bezug genommen wird, hatte der VwGH im Wesentlichen darüber zu befinden, ob - neben körperlichen und geistigen Erkrankungen - auch ein psychisches Leiden die gesetzlichen Voraussetzungen für eine "erhebliche Behinderung" erfüllt. Der VwGH hat das angefochtene BFG-Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes mit auszugsweise folgender Begründung aufgehoben:

" 9 …. Das Gericht folgerte aus dem Unterschied des Tatbestandes des § 8 Abs. 5 FLAG ("im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich") zu jenem des § 6 Abs. 2 lit. d FLAG (namentlich dem der "körperlichen oder geistigen Behinderung"), dass eine psychische Erkrankung nicht unter den Tatbestand des § 6 Abs. 2 lit. d FLAG falle.
……
14 Weder den wiedergegebenen Erläuterungen zum Initiativantrag 572/A XVIII. GP noch dem Bericht des Familienausschusses über diesen Antrag, 1217 BlgNR XVIII. GP., ist ein Anhaltspunkt dafür zu entnehmen, dass die in § 8 Abs. 5 FLAG enthaltene Wendung "im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich" eine andere Bedeutung entfalten sollte als jene der körperlichen oder geistigen Behinderung. Vielmehr legen die Materialien nahe, dass der neu gefasste § 8 Abs. 5 FLAG die eingangs der zitierten Erläuterungen genannten Fälle von körperlichen oder geistigen Gebrechen gleichermaßen umfassen sollte.
15 Auch hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner bisherigen Rechtsprechung etwa Fällen einer schizoiden Psychose (Erkenntnis vom , 91/14/0197), einer paranoiden haluzinogenen Schizophrenie (Erkenntnis vom , 96/14/0063), einer schizophrenen Psychose (Erkenntnisse vom , 99/14/0057, und vom , 2001/14/0172), einer schizoaffektiven Erkrankung (Erkenntnis vom , 2005/13/0083), einer schweren, chronisch verlaufenden, psychischen Erkrankung im Sinn einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis (Erkenntnis vom , 2009/16/0130), einer paranoiden Schizophrenie (Erkenntnis vom , 2011/16/0095), einer schizoaffektiven Psychose (Erkenntnis vom , 2009/16/0310) und einer dissozialen Persönlichkeitsstörung mit schizoiden Anteilen (Erkenntnis vom , Ra 2014/16/0010) die Eigenschaft einer geistigen Behinderung nicht abgesprochen.
16 Insbesondere vor dem Hintergrund der bei der Interpretation des § 8 Abs. 5 FLAG zu berücksichtigenden zitierten Materialien zur Novelle BGBl. Nr. 531/1993 ist daher auch dem beim Revisionswerber diagnostizierten schizophrenen Residuum die Eigenschaft einer geistigen Behinderung im Sinn des § 6 Abs. 2 lit. d FLAG nicht abzusprechen. …"

b) Dem BFG-Erkenntnis vom , RV/7100591/2020, lag an Sachverhalt die Beantragung der erhöhten Familienbeihilfe für den Sohn der dortigen Bf wegen psychischer Leiden zugrunde, wozu vom Sozialministerumservice gutachterlich der Eintritt der Erwerbsunfähigkeit erst nach vollendetem 21. Lebensjahr attestiert wurde. Das BFG führt in seiner Begründung ua. aus:

"Bescheinigung des Sozialministeriumservice auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens

Nach § 8 Abs 6 FLAG 1967 ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Sozialministeriumservice (früher Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen) auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen (vgl. 95/13/0134, 2003/14/0105, 2003/13/0123, Ro 2017/16/0009).
Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes hat das ärztliche Zeugnis betreffend das Vorliegen einer Behinderung iSd FLAG Feststellungen über die Art und das Ausmaß des Leidens sowie auch der konkreten Auswirkungen der Behinderung auf die Erwerbsfähigkeit in schlüssiger und damit nachvollziehbarer begründeter Weise zu enthalten und bildet die Grundlage für die Entscheidung, ob die erhöhte Familienbeihilfe zusteht, sofern das Leiden und der Grad der Behinderung einwandfrei daraus hervorgehen und das/die Gutachten nicht unschlüssig sind (vgl.
94/14/0013, 92/15/0215, 96/14/0139, 2002/15/0168).
Wird für eine volljährige Person die Familienbeihilfe und der Erhöhungsbetrag beantragt bzw. stellt eine volljährige Person einen Eigenantrag auf die Familienbeihilfe und den Erhöhungsbetrag, so hat sich das nach dieser Bestimmung abzuführende qualifizierte Nachweisverfahren darauf zu erstrecken, ob diese Person wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder - für den Beschwerdefall nicht relevant - während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außer Stande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen (vgl etwa
2007/15/0019, vgl. auch B 700/07).

Bindung an die Gutachten des Sozialministeriumservice - keine andere Form der Beweisführung

Nach § 8 Abs 6 FLAG 1967 ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Sozialministeriumservice (früher Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen) auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.
Eine andere Form der Beweisführung ist nicht zugelassen (vgl.
2007/15/0019). Gegen die Einschränkung der Beweisführung des Grades der Behinderung oder der voraussichtlichen dauerhaften Unfähigkeit, sich selbst den Erwerb zu verschaffen, hat der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis vom , B 700/07, keine verfassungsrechtlichen Bedenken gesehen (vgl. 2009/16/0307).
Die Abgabenbehörde und das Bundesfinanzgericht dürfen die Gutachten nur insoweit prüfen, ob diese schlüssig und vollständig sind und im Fall mehrerer Gutachten nicht einander widersprechen (vgl.
2011/16/0063, 2010/16/0068, Ro 2014/16/0053, Erkenntnisse VwGH jeweils vom , 2009/16/0307 und 2009/16/0310, vgl. auch die von Lenneis/Wanke (Hrsg.), FLAG, 2. Aufl. 2020, § 8 zitierte Rechtsprechung).
…..
Beibringung eigener Beweismittel

Der Antragsteller hat die Möglichkeit, Unvollständigkeiten und Unschlüssigkeiten eines Gutachtens im Rahmen des Verfahrens der Behörde aufzuzeigen oder einem Gutachten (etwa durch Beibringung eines eigenen Gutachtens) auf gleicher fachlicher Ebene entgegenzutreten (vgl. Ra 2016/04/0057).
In einem Fall, bei dem Jahrzehnte zurückliegende Sachverhaltselemente entscheidungsrelevant sind, liegt es am Antragsteller, das Vorliegen dieses Umstandes klar und ohne Möglichkeit eines Zweifels nachzuweisen (vgl. , vgl. auch Lenneis/Wanke (Hrsg.), FLAG, 2. Aufl. 2020, § 8 Rz 32).

Voraussetzung für den Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe bei volljährigen "Kindern"

Voraussetzung für den Erhöhungsbetrag ist, dass der Grundbetrag an Familienbeihilfe zusteht (vgl Lenneis/Wanke (Hrsg.), FLAG, 2. Aufl. 2020, Rz 5 zu § 8). Dies bedeutet, dass bei volljährigen Kindern, denen nicht schon aus anderen Gründen als aus dem Titel der Behinderung der Grundbetrag an Familienbeihilfe zusteht, der Grad der Behinderung ohne jede Bedeutung ist, und würde er auch 100 % betragen. Besteht also keine vor dem 21. (25.) Lebensjahr eingetretene voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, steht weder Grund- noch Erhöhungsbetrag zu. Besteht eine derartige Unterhaltsunfähigkeit, stehen sowohl Grund- als auch Erhöhungsbetrag zu (vgl , vgl. weiters Lenneis/Wanke (Hrsg.), FLAG, 2. Aufl. 2020, § 8 Rz 5 und 19 ff).
….
§ 2 Abs 1 lit c FLAG 1967 regelt weiters, unter welchen Voraussetzungen bei Behinderungen der Grundbetrag an FB gewährt werden kann: Dieser steht für volljährige Kinder zu, die wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Hierbei ist auch eine Behinderung im psychischen Bereich als geistige Behinderung iSd obigen Bestimmungen anzusehen ().
Für die Verlängerung der Frist bis zum 25. Lebensjahr ist entscheidend, dass eine Berufsausbildung iSd § 2 Abs 1 lit b oder lit h vorliegt. …".

Da lt. BFG die wesentliche Behinderung des Sohnes der Bf (lt. SMS) erst nach dem 21. Lebensjahr eingetreten ist und der Sohn sich vor dem 25. Lebensjahr auch nicht in Berufsausbildung befunden hat, habe das FA zu Recht den Antrag auf den FB-Grundbetrag sowie den Erhöhungsbetrag abgewiesen.

V. Erwägungen:

Gegenständlich wurde in beiden von Seiten des Sozialministeriumservice erstellten Sachverständigengutachten bescheinigt, dass bei der Bf ein Gesamtgrad der Behinderung (GdB) von 70 % und zwar - gestützt auf den frühest dem Gutachter vorliegenden relevanten Befund - rückwirkend seit September 2015 vorliegt. Damit annähernd übereinstimmend ist in diesem Zusammenhalt auch nicht zu übersehen, dass der Bf ab Juni 2015 Rehabilitationsgeld, dies zum Zweck einer allenfalls noch möglich erscheinenden Besserung ihres Gesundheits-zustandes, gewährt wurde.

Als maßgebend ist aber hier - nach oben dargelegten gesetzlichen Bestimmungen samt bezughabender Rechtsprechung - zu erachten, ob unabhängig vom GdB bereits VOR vollendetem 21. Lebensjahr bei der Bf eine Erwerbsunfähigkeit eingetreten war.
Hinsichtlich der Erwerbsfähigkeit wird in den Gutachten festgestellt, dass die Bf "voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen", womit also zunächst lediglich der aktuelle Zustand zum Zeitpunkt der jeweiligen Untersuchungen in den Jahren 2021 und 2022 beurteilt wird. Im Weiteren wird im Erstgutachten ausdrücklich festgestellt, dass die Erwerbsunfähigkeit NICHT vor dem 21. Lebensjahr eingetreten ist, und wird im Zweitgutachten dazu ergänzt, dass die Erwerbsunfähigkeit (rückwirkend) seit September 2013 besteht. Dies ganz offenkundig deshalb, weil einerseits keine Befunde/Belege vorhanden sind, die eine Erwerbsunfähigkeit vor dem 21. Lj. eindeutig belegen würden, und andererseits, weil nach den Feststellungen des Gutachters die Bf bis ins Jahr 2013 nahezu durchgehend vollbeschäftigt berufstätig und damit offensichtlich bis zu ihrem 42. Lebensjahr erwerbsfähig war.

Die Gutachten sind nach dem Dafürhalten des BFG, insbesondere im Hinblick auf die langjährige Erwerbstätigkeit der Bf und auch auf die von ihr beigebrachten Unterlagen betr. Rehageld und Invaliditätspension (erst ab ), durchaus als schlüssig zu befinden und ergibt sich kein Anhaltspunkt, die dortigen Feststellungen als nicht nachvollziehbar oder widersprüchlich in Zweifel zu ziehen.

Festzuhalten ist, dass im Zuge des Verfahrens durch die Bf ein gegenteiliges bzw. dem widersprechendes Vorbringen auch nicht ansatzweise erstattet, geschweige denn durch Beibringung zB früherer ärztlicher Befunde etc. belegt wurde; das Vorhandensein etwaig diesbezüglicher Nachweise oder auch eine Unschlüssigkeit der Gutachten wurde nicht einmal behauptet.

In diesem Zusammenhalt gilt darauf hinzuweisen, dass nach der Judikatur des VwGH ua bei Begünstigungsvorschriften und in Fällen, in denen die Ermittlungsmöglichkeiten der Behörde eingeschränkt sind, erhöhte Mitwirkungspflichten der Partei bestehen. Die Ermittlungs-möglichkeiten der Behörde sind dann massiv eingeschränkt, wenn Sachverhalte zu beurteilen sind, die teilweise Jahrzehnte zurückliegen. Auch der Sachverständige kann aufgrund seines medizinischen Fachwissens ohne Probleme grundsätzlich nur den aktuellen Gesundheits-zustand des Erkrankten beurteilen. Hierauf kommt es aber nur an, wenn der derzeitige Behinderungsgrad oder eine dauernde Erwerbsunfähigkeit zeitnah zum relevanten Zeitpunkt festzustellen ist. In allen übrigen Fällen kann der Sachverständige nur aufgrund von Indizien, insbesondere anhand von vorliegenden Befunden, Rückschlüsse darauf ziehen, zu welchem Zeitpunkt eine Behinderung oder dauernde Erwerbsunfähigkeit eingetreten ist. Dies ist insbesondere zB bei psychischen Krankheiten problematisch, da diese häufig einen schleichenden Verlauf nehmen. Somit ist es primär an den Berufungswerbern, allenfalls den vertretenden Sachwaltern, gelegen, den behaupteten Sachverhalt, nämlich ihre bereits vor der Vollendung des 21. Lebensjahres eingetretene dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, klar und ohne Möglichkeit eines Zweifels nachzuweisen (zB ; siehe in: Lenneis/Wanke, FLAG-Kommentar, Rz 32 zu § 8 mit weiterer UFS-Judikatur).

Wenn die Bf in ihrem Vorbringen ebendiese Rechtsprechung (lt. Verweis auf ) sowie Literatur anführt und vermeint, "auf Grund dessen" sei ihrem Begehren vollinhaltlich stattzugeben, so ist diese Ansicht gänzlich verfehlt, da eben von Seiten der Bf (arg.: "liegt es am Beschwerdeführer bzw. Antragsteller") ein klarer und zweifelsfreier Nachweis für eine vor dem 21. Lebensjahr eingetretene Erwerbsunfähigkeit in keinster Weise erbracht wurde.
Im Übrigen befasst sich das bezeichnete VwGH-Erkenntnis (Ro 2017/16/0009) im Wesentlichen mit der Frage der "psychischen Erkrankungen" und ob diese - analog zu § 8 Abs. 5 FLAG - unter den Tatbestand des § 6 Abs. 2 lit d FLAG fallen, was weder von der Abgabenbehörde noch vom BFG je in Streit gezogen war.

Auch in dem BFG-Erkenntnis v. , RV/7100591/2020, worauf sich die Bf - ohne jeglichen näheren Kommentar - im Vorlageantrag beruft, wird gleichlautend zu Obigem in der Begründung dargelegt, dass es in einem Fall, bei dem (gerade bei psychischen Erkrankungen) Jahrzehnte zurückliegende Sachverhaltselemente entscheidungsrelevant sind, am Antragsteller liegt, das Vorliegen dieses Umstandes klar und ohne Möglichkeit eines Zweifels nachzuweisen.

Die abschließende Argumentation der Bf, "vor allem befinde ich mich seit auf Grund meiner psychischen Erkrankung in der Invaliditätspension", geht von vorneherein völlig ins Leere, weil damit seitens der Pensionsversicherungsanstalt die voraussichtlich dauerhafte Arbeitsunfähigkeit der Bf nach Wiederbegutachtung überhaupt erst ab dieser Zeit, ab November 2021, dh. erst viele Jahre nach Beendigung ihrer beruflichen Tätigkeit im Jahr 2013, attestiert wird (siehe PV-Bescheid vom ).

VI. Ergebnis:

Fest steht, dass mittels SMS-Bescheinigungen die erhebliche Behinderung rückwirkend ab September 2015 sowie der Eintritt der voraussichtlich dauernden Erwerbsunfähigkeit der Bf erst ab September 2013 und damit nicht vor dem vollendeten 21. Lj. attestiert wurde.
Wie oben ausgeführt, ist ua. das Bundesfinanzgericht an die Feststellungen der im Wege des Sozialministeriumservice erstellten Gutachten gebunden.

Besteht keine vor dem 21. (25.) Lebensjahr eingetretene voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, steht weder der Grund- noch der Erhöhungsbetrag an Familienbeihilfe zu.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

Unzulässigkeit einer Revision:

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die Lösung der gegenständlichen Rechtsfrage, unter welchen Voraussetzungen die erhöhte Familienbeihilfe zusteht, ergibt sich bereits aus den bezughabenden Gesetzesbestimmungen. Hinsichtlich der Frage, ob noch vor dem 21. Lj. eine "dauernde Erwerbsunfähigkeit" eingetreten war, ist das BFG an die Bescheinigungen (gutachterlichen Feststellungen) des Sozialministeriumservice gebunden. Ein anderweitiger zweifelsfreier Nachweis durch die Bf wurde nicht erbracht. Da sohin keine Rechtsfrage von "grundsätzlicher Bedeutung" zugrunde liegt, ist eine Revision nicht zulässig.

Innsbruck, am

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