TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 26.07.2022, RV/7101808/2022

Nachsicht: Bei der Ermessensentscheidung ist auf das steuerliche Verhalten des Nachsichtswerbers Bedacht zu nehmen

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter ***R*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Nachsicht gemäß § 236 BAO, Steuernummer ***BF1StNr1*** zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Mit Bescheid vom forderte das Finanzamt vom nunmehrigen Beschwerdeführer (in der Folge kurz Bf. genannt) Familienbeihilfe und Kindergeld für den Zeitraum Februar 2020 bis März 2021 in Höhe von insgesamt € 3.276,60 (FB € 2.459,00, KG € 817,60) zurück.

Mit Schriftsatz vom brachte der nunmehrige Beschwerdeführer (in der Folge kurz Bf. genannt) folgendes Nachsichtsansuchen ein:

"Mit Schreiben vom wurde mir, ***Bf1***, VersNR. ***1***, mitgeteilt, dass der Bezug der Familienbeihilfe bis inkl. März 2021 verlängert wird.

Nun wurde die Familienbeihilfe von Februar 2020 bis März 2021 eingefordert.

Ich bitte um Nachsicht und um Gewährung der Familienbeihilfe bis zum März 2021, wie im September 2020 mitgeteilt."

*****

Mit Bescheid vom wies das Finanzamt das Nachsichtsansuchen wie folgt ab:

"Wer gemäß 26 Abs. 1 FLAG (Familienlastenausgleichsgesetz) Familienbeihilfe zu Unrecht bezogen hat, hat die entsprechenden Beträge zurückzuzahlen. Laut dem Bescheid über die Rückforderung zu Unrecht bezogener Beträge von Familienbeihilfe (FB) und Kinderabsetzbetrag (KG) vom wird ein Gesamtbetrag in Höhe von € 3.276,60 rückgefordert. Für die Familienbeihilfe und den Kinderabsetzbetrag Februar 2020 bis März 2021 wurde mit dem Schreiben vom eine Nachsicht beantragt. Festgestellt wird, dass das Arbeitsmarktservice (AMS) auf Grund einer Lohnpfändung am € 141,30 und am € 161,30 auf das Abgabenkonto ***BF1StNr1*** überwiesen hat, daher hat sich der Rückstand auf 2.974,00 verringert.

Gemäß 236 Abs. 1 BAO (Bundesabgabenordnung) können fällige Abgabenschuldigkeiten auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre. Liegt Unbilligkeit nach der Lage des Falles nicht vor, fehlt die gesetzliche Voraussetzung für eine Abgabennachsicht und das Ansuchen ist aus Rechtsgründen (keine Ermessensentscheidung) abzuweisen. Die Unbilligkeit im Sinne des 236 Abs. 1 BAO kann persönlich oder sachlich bedingt sein.

Eine "persönliche" Unbilligkeit liegt nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes insbesondere dann vor, wenn die Einhebung der Abgaben die Existenzgrundlage des Nachsichtswerbers gefährdet. Allerdings bedarf es zur Bewilligung einer Nachsicht nicht unbedingt der Gefährdung des Nahrungsstandes, der Existenzgefährdung, besonderer finanzieller Schwierigkeiten und Notlagen, sondern es genügt, dass die Abstattung der Abgabenschuld mit wirtschaftlichen Auswirkungen verbunden wäre, die außergewöhnlich sind, so etwa, wenn die Abstattung trotz zumutbarer Sorgfalt nur durch Veräußerung von Vermögenschaften möglich wäre und diese Veräußerung einer Verschleuderung gleich käme. Einbußen an vermögenswerten Interessen, die mit Abgabenleistungen allgemein verbunden sind und die jeden gleich berühren, stellen eine Unbilligkeit nicht dar. Im Antrag wurde eine persönliche Unbilligkeit jedoch nicht vorgebracht.

Eine "sachliche" Unbilligkeit wäre anzunehmen, wenn im Einzelfall bei Anwendung des Gesetzes aus anderen als aus persönlichen Gründen ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintritt. Jedenfalls muss es zu einem atypischen Vermögenseingriff kommen.

Da es sich bei der Rückforderung der Familienbeihilfe und des Kinderabsetzbetrages gemäß § 26 Abs. 1 FLAG lediglich um die Auswirkung der allgemeinen Rechtslage handelt, die alle Abgabepflichtigen in gleicher Weise trifft und es dadurch weder zu einer anormalen Belastungswirkung, noch zu einem atypischen Vermögenseingriff kommt, kann in der Einhebung der Familienbeihilfe und des Kinderabsetzbetrages 2020 bis 2021 iHv € 3.276,60 in Form einer Lohnpfändung beim AMS oder einer Zahlungserleichterung in Ratenform und Umbuchung von zukünftigen Einkommensteuergutschriften gemäß § 215 Abs. 1 BAO keine Unbilligkeit im Sinne des 236 BAO erblickt werden.

Insgesamt gesehen liegt daher weder eine persönliche noch eine sachliche Unbilligkeit im Sinne des § 236 BAO vor. Da es somit schon an den tatbestandsmäßigen Voraussetzungen fehlt, bleibt für eine Ermessensentscheidung kein Raum mehr und Ihr Ansuchen um Nachsicht war daher als unbegründet abzuweisen."

Dagegen brachte der Bf. mit Schreiben vom fristgerecht eine Bescheidbeschwerde ein und führte aus:

"Ich bitte sie eindringlich um Nachsicht der Abgabenforderung wegen Unbilligkeit. Ich bin zur Zeit beim Arbeitsmarktservice und wir kommen als Familie mit den Leistungen des AMS, obwohl wir sehr sparsam leben, gerade über die Runden. Ich selbst habe jahrzehntelang gearbeitet und bin jetzt, auf Grund einer körperlichen Beeinträchtigung, beim AMS gemeldet. Meine Frau ist krank und kann keiner Beschäftigung nachgehen.

Die Einhebung der Abgabenschuld stellt uns vor große finanzielle Probleme, da dies die einzige Einkommensmöglichkeit ist. Ich ersuche sie bitte wirklich um Nachsicht. Darüber hinaus wurde meine Tochter Arberesha 2017 unverschuldet in einen Verkehrsunfall verwickelt und leidet noch immer an den Folgen dieses Unfalls.

Uns geht es wirklich nicht gut und jetzt kommen auch noch große finanzielle Probleme und Sorgen auf uns zu.

Ich bitte Sie um Nachsicht der Abgabenschuldigkeit."

*****

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies das Finanzamt die Beschwerde als unbegründet ab und führte aus:

"Wer gemäß § 26 Abs. 1 FLAG (Familienlastenausgleichsgesetz) Familienbeihilfe zu Unrecht bezogen hat, hat die entsprechenden Beträge zurückzuzahlen. Laut dem Rückforderungsbescheid vom wird ein Gesamtbetrag in Höhe von € 3.276,60 an Familienbeihilfe (FB) und Kinderabsetzbetrag (KG) rückgefordert, da für ein volljähriges Kind die Familienbeihilfe nur während der Berufsausbildung bzw. Fortbildung zusteht. Hätten Sie dem Finanzamt rechtzeitig mitgeteilt, dass Ihre Tochter ***T*** die Berufsausbildung am abgebrochen hat, wäre die Auszahlung der Familienbeihilfe und des Kinderabsetzbetrages schon früher eingestellt worden. Es wäre dann zu keiner Rückforderung oder zu einem weit geringeren Rückforderungsbetrag gekommen.

Für die Familienbeihilfe und den Kinderabsetzbetrag Februar 2020 bis März 2021 wurde mit dem Schreiben vom eine Nachsicht beantragt. Festgestellt wird, dass das AMS (Arbeitsmarktservice) auf Grund einer Pfändung am € 141,30, am € 161,30, am € 145,40 und am € 54,60 auf das Abgabenkonto ***BF1StNr1*** überwiesen hat, dadurch hat sich der Rückstand auf € 2.774,00 verringert.

Gemäß § 236 Abs. 1, 2 BAO können fällige, aber auch bereits entrichtete Abgabenschuldigkeiten auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre. Liegt Unbilligkeit nach der Lage des Falles nicht vor, fehlt die gesetzliche Voraussetzung für eine Abgabennachsicht und das Ansuchen ist aus Rechtsgründen (keine Ermessensentscheidung) abzuweisen. Die Unbilligkeit im Sinne des § 236 Abs. 1 BAO kann persönlich oder sachlich bedingt sein.

Eine "persönliche" Unbilligkeit liegt nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes insbesondere dann vor, wenn die Einhebung der Abgaben die Existenzgrundlage des Nachsichtswerbers gefährdet. Allerdings bedarf es zur Bewilligung einer Nachsicht nicht unbedingt der Gefährdung des Nahrungsstandes, der Existenzgefährdung, besonderer finanzieller Schwierigkeiten und Notlagen, sondern es genügt, dass die Abstattung der Abgabenschuld mit wirtschaftlichen Auswirkungen verbunden wäre, die außergewöhnlich sind, so etwa, wenn die Abstattung trotz zumutbarer Sorgfalt nur durch Veräußerung von Vermögenschaften möglich wäre und diese Veräußerung einer Verschleuderung gleich käme. Einbußen an vermögenswerten Interessen, die mit Abgabenleistungen allgemein verbunden sind und die jeden gleich berühren, stellen eine Unbilligkeit nicht dar.

Eine "sachliche" Unbilligkeit wäre anzunehmen, wenn im Einzelfall bei Anwendung des Gesetzes aus anderen als aus persönlichen Gründen ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintritt. Jedenfalls muss es zu einem atypischen Vermögenseingriff kommen.

Die Verpflichtung zur Rückzahlung von zu Unrecht bezogener Familienbeihilfe gemäß § 26 FLAG stellt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes () ausschließlich auf objektive Momente ab. Entscheidend ist somit lediglich, dass die Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug der Familienbeihilfe nicht gegeben waren. Damit hat der Gesetzgeber dargelegt, dass er die Gründe, die zur Rückforderung zu Unrecht bezogener Familienbeihilfe geführt haben, ebenso wie deren gutgläubigen Verbrauch im Anwendungsbereich des § 26 Abs. 1 FLAG grundsätzlich als unmaßgeblich erachtet hat. Die Rückforderung zu Unrecht bezogener Familienbeihilfe stellt somit ein vom Gesetzgeber durchaus beabsichtigtes Ergebnis dar, welches nicht eine Unbilligkeit nach der Lage des Falles zu begründen vermag.

In der Beschwerde wird vorgebracht, dass Unbilligkeit vorliegt, da der Bf. derzeit auf Grund einer körperlichen Beeinträchtigung beim Arbeitsmarktservice gemeldet ist und obwohl seine Familie sehr sparsam lebt, mit den Leistungen des AMS gerade über die Runden kommt. Es wird auch erwähnt, dass Frau ***2*** krank ist und keiner Beschäftigung nachgehen kann. Weiters leidet die Tochter ***T*** seit 2017 an den nicht näher erläuterten Folgen eines Verkehrsunfalles. Weitere Angaben zu den Vermögensverhältnissen werden nicht gemacht.

Die Abschreibung von Abgabenschuldigkeiten durch Nachsicht setzt einen hierauf gerichteten Antrag voraus, wobei den Antragsteller eine erhöhte Mitwirkungspflicht trifft. Er hat einwandfrei und unter Ausschluss jeglichen Zweifels das Vorliegen jener Umstände darzutun, auf die die Nachsicht gestützt werden kann ().

Eine Unbilligkeit ist dann nicht gegeben, wenn die finanzielle Situation eines Abgabenschuldners so schlecht ist, dass auch die Gewährung der Nachsicht nicht den geringsten Sanierungseffekt hätte und an der Existenzgefährdung nichts ändert (; ).

Da es sich bei der Rückforderung der Familienbeihilfe und des Kinderabsetzbetrages gemäß § 26 Abs. 1 FLAG lediglich um die Auswirkung der allgemeinen Rechtslage handelt, die alle Abgabepflichtigen in gleicher Weise trifft, sowie das Finanzamt keine Vermögensverschleuderung verlangt und es dadurch weder zu einer anormalen Belastungswirkung, noch zu einem atypischen Vermögenseingriff kommt, kann in der Einhebung der Familienbeihilfe und des Kinderabsetzbetrages Februar 2020 bis März 2021 in Höhe von insgesamt € 3.276,60 mittels Pfändung des pfändbaren Teiles von AMS Leistungen oder mittels Entrichtung durch kleine monatliche Raten bzw. durch Verwendung von zukünftigen Einkommensteuergutschriften keine Unbilligkeit im Sinne des § 236 BAO erblickt werden, möge sie auch vom Abgabepflichtigen als unbillig empfunden werden.

Insgesamt gesehen liegt daher weder eine persönliche noch eine sachliche Unbilligkeit im Sinne des § 236 BAO vor. Da es somit schon an den tatbestandsmäßigen Voraussetzungen fehlt, bleibt für eine Ermessensentscheidung kein Raum mehr."

Dagegen brachte der Bf. mit Schreiben vom ein "Rechtsmittel gegen die Beschwerdevorentscheidung vom " (gemeint wohl Vorlageantrag) mit folgendem Inhalt ein:

"Ich bitte sie nochmals um Stundung der Rückforderung der Familienbeihilfe von Februar 2020 bis März 2021.

Für unsere Familie ist diese Pfändung wirklich gefährlich für die Existenz. Die Abstattung durch das AMS hat große finanzielle Auswirkungen für uns. Die gepfändeten Geldbeträge, mögen sie aus ihrer Sicht auch noch so gering sein, sind für uns lebensnotwendig, da wir uns in großen finanziellen Schwierigkeiten befinden. Gerade jetzt wird alles teurer und wir hatten schon bisher große Probleme.

Ich bitte Sie sehr um Nachlass der Rückforderung."

Mit Beschluss vom forderte das Bundesfinanzgericht den Bf. auf, seine wirtschaftlichen Verhältnisse offenzulegen.

Gemäß dem diesbezüglichen Antwortschreiben bezieht der Bf. vom AMS Arbeitsmarktservice Lilienfeld Arbeitslosengeld in Höhe von € 46,36 (Tagessatz). Das Bankkonto weist per ein Guthaben in Höhe von € 1.175,59 aus, resultierend aus der Überweisung des Arbeitslosengeldes. Ferner besteht eine Kreditverbindlichkeit in Höhe von € 8.862,58 bei der Sparkasse Niederösterreich. Dieser Kredit sei wegen der Überziehung des Kontos aufgenommen worden. Die Betriebskosten für die Wohnung betrügen € 456,62. Der Bf. habe Unterhaltspflicht gegenüber seiner Gattin und seiner Tochter.

I. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Gemäß § 236 Abs. 1 BAO können fällige Abgabenschuldigkeiten auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre.

Gemäß § 236 Abs. 2 BAO findet Abs. 1 auf bereits entrichtete Abgabenschuldigkeiten sinngemäß Anwendung.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt Unbilligkeit der Einhebung im Allgemeinen voraus, dass die Einhebung in keinem wirtschaftlich vertretbaren Verhältnis zu jenen Nachteilen steht, die sich aus der Einziehung für den Steuerpflichtigen oder für den Steuergegenstand ergeben. Die Unbilligkeit kann "persönlich" oder "sachlich" bedingt sein.

Eine "persönliche" Unbilligkeit liegt insbesondere dann vor, wenn die Einhebung der Abgaben die Existenzgrundlagen des Nachsichtswerbers gefährdete. Allerdings bedarf es zur Bewilligung einer Nachsicht (aus persönlichen Gründen) nicht unbedingt der Existenzgefährdung oder besonderer finanzieller Schwierigkeiten und Notlagen, sondern es genügt, dass die Abstattung der Abgabenschuld mit wirtschaftlichen Auswirkungen verbunden wäre, die außergewöhnlich sind, so etwa wenn die Abstattung trotz zumutbarer Sorgfalt nur durch Veräußerung von Vermögenschaften möglich wäre und diese Veräußerung einer Verschleuderung gleichkäme. Einbußen an vermögenswerten Interessen, die mit Abgabenleistungen allgemein verbunden sind und die jeden gleich berühren können, stellen eine Unbilligkeit dagegen nicht dar. Jedenfalls muss es zu einer anormalen Belastungswirkung und, verglichen mit ähnlichen Fällen, zu einem atypischen Vermögenseingriff kommen.

Eine Unbilligkeit der Abgabeneinhebung kann gegeben sein, wenn bei Anwendung des Gesetzes im Einzelfall ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintritt. Die Abgabennachsicht bzw. Entlassung aus der Gesamtschuld soll der Abgabenbehörde die Möglichkeit eröffnen, eine infolge der besonderen Umstände des Einzelfalles eingetretene besonders harte Auswirkung der Abgabenvorschriften, die der Gesetzgeber, wäre sie vorhersehbar gewesen, vermieden hätte, zu mildern (vgl. hiezu beispielsweise Zl. 85/17/0121, und vom , Zl. 88/17/0218, sowie die dort zitierten Belegstellen).

Im Nachsichtsverfahren liegt das Hauptgewicht der Behauptungs- und Beweislast beim Nachsichtswerber. Ihm obliegt es im Sinne seiner Mitwirkungspflicht, einwandfrei und unter Ausschluss jeglichen Zweifels das Vorliegen jener Umstände darzutun, auf welche die Nachsicht gestützt werden kann. Wenn das Antragsvorbringen des Nachsichtswerbers nicht die gebotene Deutlichkeit und Zweifelsfreiheit aufweist, so kann nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes () eine mangelnde Ermittlungstätigkeit der Abgabenbehörde nicht als Verletzung von Verfahrensvorschriften vorgeworfen werden.

Die Verpflichtung zur Rückzahlung von zu Unrecht bezogener Familienbeihilfe gemäß § 26 FLAG stellt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes () ausschließlich auf objektive Momente ab. Entscheidend ist somit lediglich, dass die Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug der Familienbeihilfe nicht gegeben waren. Damit hat der Gesetzgeber nach Ansicht des BFG bereits dargetan, dass er die Gründe, die zur Rückforderung zu Unrecht bezogener Familienbeihilfe geführt haben, ebenso wie deren gutgläubigen Verbrauch im Anwendungsbereich des § 26 Abs. 1 FLAG grundsätzlich als unmaßgeblich erachtet hat, soweit der unrechtmäßige Bezug nicht ausschließlich durch eine unrichtige Auszahlung durch "eine in § 46 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 genannte Gebietskörperschaft oder gemeinnützige Krankenanstalt" verursacht worden ist. Die Rückforderung zu Unrecht bezogener Familienbeihilfe stellt somit nach Ansicht des BFG ein vom Gesetzgeber durchaus beabsichtigtes Ergebnis dar, welches nicht eine Unbilligkeit nach der Lage des Falles zu begründen vermag, selbst wenn der unrechtmäßige Bezug der Familienbeihilfe ausschließlich durch ein Versehen eines Bediensteten des Finanzamtes verursacht worden wäre.

Soferne der Bf. mit dem Vorbringen, dass mit Schreiben vom dem Bf. mitgeteilt worden sei, dass der Bezug der Familienbeihilfe verlängert werde, eine Verletzung des Rechtsgrundsatzes von Treu und Glauben behauptet, ist dazu zu bemerken, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes () das im Art. 18 Abs. 1 B-VG normierte Legalitätsgebot stärker ist als der Grundsatz von Treu und Glauben; der Grundsatz von Treu und Glauben kann sich aber etwa in jenem Bereich auswirken, in welchem es auf Fragen der Billigkeit ankommt. Treu und Glauben ist demnach eine allgemeine, ungeschriebene Rechtsmaxime, die auch im öffentlichen Recht, somit auch im Steuerrecht - nach Maßgabe des eben Gesagten - zu beachten ist. Gemeint ist damit, dass jeder, der am Rechtsleben teilnimmt, zu seinem Wort und zu seinem Verhalten zu stehen hat und sich nicht ohne triftigen Grund in Widerspruch zu dem setzen darf, was er früher vertreten hat und worauf andere vertraut haben. Auch unrichtige Auskünfte im Einzelfall können einen gewissen Vertrauens- und Dispositionsschutz auslösen sowie bei der dessen ungeachtet gebotenen Anwendung des Gesetzes eine Unbilligkeit im Sinne des § 236 Abs. 1 BAO nach der Lage des Falles und damit die Nachsicht von Abgabenschuldigkeiten zur Folge haben.

Aus folgendem Grund konnte der Bf. nicht davon ausgehen, dass ihm trotz des Schreibens der belangte Behörde vom die Familienbeihilfe und das Kindergeld tatsächlich zusteht:

Am und am ergingen durch die belangte Behörde Mitteilungen über den Bezug der Familienbeihilfe mit folgendem Hinweis:

"Sie werden ersucht, Tatsachen, die bewirken können, dass der Anspruch auf die Beihilfen (z.B. Beendigung der Berufsausbildung oder eigene Einkünfte des Kindes) sowie Änderung der im Antrag angeführten Daten auch im eigenen Interesse (z.B. zur Vermeidung von Rückforderungen) umgehend Ihrem Finanzamt mitzuteilen."

Aufgrund dieser Information musste der Bf. davon in Kenntnis sein, dass der Anspruch auf Familienbeihilfe und das Kindergeld mit dem Abbruch der Berufsausbildung seiner Tochter erloschen ist. Eine diesbezügliche Mitteilung an das Finanzamt erfolgte nicht. Er konnte somit nicht davon ausgehen, dass das Finanzamt bei der Erstellung der Mitteilung vom Kenntnis des Wegfalls des Anspruches aufgrund der Beendigung der Berufsausbildung hatte.

Ein Vertrauen auf eine rechtsunrichtige Beurteilung der Behörde ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes () im Allgemeinen nicht geschützt.

Der Bf. stützt sein Nachsichtsansuchen weiters auf seine finanzielle Situation und begehrt somit die Nachsicht auf persönliche Unbilligkeit.

Eine persönlich bedingte Unbilligkeit liegt im Besonderen dann vor, wenn die Einhebung der Abgaben die Existenzgrundlagen des Nachsichtswerbers gefährdet, wobei es allerdings nicht unbedingt der Gefährdung des "Nahrungsstandes" (bei natürlichen Personen), besonderer finanzieller Schwierigkeiten oder Notlagen bedarf, sondern es genügt, wenn etwa die Abstattung trotz zumutbarer Sorgfalt nur durch Veräußerung von Vermögen möglich wäre und diese Veräußerung einer Verschleuderung gleichkäme.

Laut den Feststellungen über die wirtschaftlichen Verhältnisse des Bf. vom ist der für seine Gattin und Tochter unterhaltspflichtige Bf. derzeit arbeitslos und bezieht vom AMS Lilienfeld Arbeitslosengeld in Höhe von € 46,36 (Tagessatz). Die monatlichen Kosten für die Wohnung wurden mit € 456,62 beziffert. Aufgrund der Pfändung der AMS-Leistungen reduzierte sich der Nachforderungsbetrag in von € 3.276,60 auf nunmehr € 2.513,60. Zuletzt wurden im April 2022 € 96,60, Mai und Juli 2022 je € 40,60 und Juni 2022 € 82,60 überwiesen. Über Vermögen verfügt der Bf. laut Aktenlage nicht. Die Schulden bei der Sparkasse Niederösterreich Mitte West AG werden mit € 9.000,00 (exakter Kontostand per € 8.862,58) beziffert, wobei dieser Kredit zur Deckung des überzogenen Kontos bei dem genannten Kreditinstitut aufgenommen wurde.

Die Überziehung des Kontos lässt darauf schließen, dass die Bezüge des Arbeitslosengeldes nicht ausreichen, die Lebenshaltungskosten des Bf. zu decken. Daher ist davon auszugehen, dass die Einhebung der nachsichtsgegenständlichen Abgaben die ohnedies schwierige wirtschaftliche Lage der Bf. zusätzlich verschlechtern würde. Die Abstattung der Abgabenschuld ist somit mit außergewöhnlichen wirtschaftlichen Auswirkungen verbunden, daher ist nach Ansicht des Unabhängigen Finanzsenates eine Unbilligkeit im Sinne des § 236 BAO darin zu erblicken, sodass im Rahmen des Ermessens nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit zu entscheiden ist.

Aus dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , 89/13/0249, geht hervor, dass es sich um eine sachliche Erwägung handelt, wenn die Abgabenbehörde von dem ihr zustehenden Ermessen zur Abgabennachsicht keinen positiven Gebrauch macht, weil der Abgabepflichtige die ihm obliegenden abgabenrechtlichen Pflichten vernachlässigt hat. Für die Handhabung des Ermessens ist auch das steuerliche Verhalten des Abgabepflichtigen, insbesondere seine Zahlungswilligkeit und die Art, wie es zur Entstehung und zum Anwachsen der Abgabenrückstände gekommen ist, von Bedeutung (vgl. hiezu beispielsweise das Erkenntnis vom , Zl. 15/3387/80, und die dort zitierten Vorerkenntnisse).

Im Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom , RV/7102797/2013, welches - wie im gegenständlichen Fall - eine Nachsicht von Zusammenhang mit zu Unrecht bezogenen Beträgen aus Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag zum Gegenstand hat, wird zum Ermessen ausgeführt:

"Zwar ist der vom Finanzamt in der Begründung des Bescheides vom angeführte Umstand, dass die Bekanntgabe aller sich ändernden Umstände der Behörde nicht wie im Nachsichtsansuchen dargestellt, sondern erst mittels Überprüfungsschreiben durch die Behörde erfolgt sei, nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ( 2004/16/0077) im Rahmen der Ermessensentscheidung als bisheriges steuerliches Verhalten als ein gegen die Nachsichtsgewährung sprechenden Grund zu berücksichtigen, doch erscheint in Hinblick auf die zwar erst auf Überprüfungsschreiben aber dennoch verspätet erfolgte Bekanntgabe diese abgabenrechtliche Pflichtverletzung als nicht so schwerwiegend, um eine gänzliche Abweisung zu begründen."

Entscheidend für die teilweise Stattgabe der Nachsicht im Ermessen des zitierten Falles war, dass die Bekanntgabe des Wegfalls des Anspruchs auf Familienbeihilfe und Kindergeld (wenn auch verspätet) durch den Bf. erfolgte.

Im gegenständlichen Fall hat der Bf. die belangte Behörde nicht über den Wegfall der Anspruchsberechtigung für die Familienbeihilfe und Kindergeld informiert. Er stellte am einen Antrag auf Ausgleichszahlung für seine Tochter Arberesha. Ein Vorhalt der belangten Behörde vom mit dem Ersuchen um Vorlage des Lehrabschlusszeugnisses bzw. Bekanntgabe des Prüfungstermines von Arberesha blieb unbeantwortet. Eine daraufhin erfolgte Sozialversicherungsabfrage des Finanzamtes ergab, dass die Berufsausbildung der Tochter am abgebrochen wurde.

Weiters ergingen wie bereits ausgeführt am und am Mitteilungen über den Bezug der Familienbeihilfe mit folgendem Hinweis:

"Sie werden ersucht, Tatsachen, die bewirken können, dass der Anspruch auf die Beihilfen (z.B. Beendigung der Berufsausbildung oder eigene Einkünfte des Kindes) sowie Änderung der im Antrag angeführten Daten auch im eigenen Interesse (z.B. zur Vermeidung von Rückforderungen umgehend Ihrem Finanzamt mitzuteilen."

Der Umstand, dass der Bf. dem Finanzamt nicht gemeldet hat, dass seine volljährige Tochter ihre Berufsausbildung am abgebrochen hat, obwohl es ihm bewusst gewesen hätte sein müssen, dass die Familienbeihilfe ab diesem Zeitpunkt nicht mehr zusteht, nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes () im Rahmen der Ermessensentscheidung als bisheriges steuerliches Verhalten als ein gegen die Nachsichtsgewährung sprechenden Grund zu berücksichtigen. Obwohl der Bf. über den Wegfall des Anspruches auf Familienbeihilfe und Familiengeld Kenntnis haben musste, hat er dies der belangten Behörde - auch nicht verspätet- mitgeteilt.

Im Rahmen des Ermessens war aufgrund der zitierten Judikatur aufgrund des steuerlichen Verhaltens des Bf. im Rahmen der Ermessensübung den Kriterien der Zweckmäßigkeit gegenüber jenen der Billigkeit der Vorrang einzuräumen und damit die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Einer Rechtsfrage kommt grundsätzliche Bedeutung zu, wenn das Erkenntnis von vorhandener Rechtsprechung des VwGH abweicht, diese uneinheitlich ist oder fehlt. Da die Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht erfüllt sind (siehe die in der Begründung zitierten Entscheidungen), ist eine ordentliche Revision nicht zulässig.

Wien, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 236 Abs. 1, 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 236 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 236 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2022:RV.7101808.2022

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at