Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 06.09.2022, RV/5100897/2021

Geltendmachung der Haftung, wenn Einhaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes weder behauptet noch bewiesen wird.

Beachte

Revision beim VwGH anhängig zur Zahl Ra 2022/13/0115. Zurückweisung mit Beschluss v. .

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin ***R*** in der Beschwerdesache Mag. ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Rechtsanwalt ***RA***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom , Steuernummer ***StNrPS***, mit dem die Haftung für Abgabenschuldigkeiten der Firma ***X*** GmbH in Höhe von 5.032,22 € geltend gemacht wurde, zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Mit Schreiben vom hielt das Finanzamt der Beschwerdeführerin im Wesentlichen vor, dass am Konto der Firma ***X*** GmbH (=Primärschulderin) Abgabenbeträge in Höhe von 5.649,34 € aushaften würden. Als nach außen zur Vertretung befugtes Organ sei sie für die Wahrnehmung der abgabenrechtlichen Verpflichtungen zuständig gewesen. In Hinblick darauf, dass die aushaftenden Abgabenschuldigkeiten während ihrer Vertretungsperiode fällig geworden seien, sei davon auszugehen, dass sie ihrer Verpflichtung nicht nachgekommen sei. Bei der Primärschuldnerin seien die Abgaben uneinbringlich, da die Forma infolge Vermögenslosigkeit im Firmenbuch gelöscht worden sei.
Die Beschwerdeführerin werde ersucht, eine Aufstellung vorzulegen, aus der hervorgeht, über welche finanziellen Mittel die Primärschulderin zu den jeweiligen Fälligkeitstagen verfügt habe und wie diese verwendet worden seien. Eine Auflistung sämtlicher Gläubiger der Primärschuldnerin zu den einzelnen Fälligkeitstagen sei ebenfalls vorzulegen. Schließlich wurde die Judikatur in Zusammenhang mit der Gläubigergleichbehandlung dargelegt.

Mit Bescheid vom wurde die Haftung für aushaftende Abgabenschuldigkeiten der Firma ***X*** GmbH im Ausmaß von 5.032,22 € geltend gemacht. Die Haftungsschuld wurde wie folgt aufgeschlüsselt:


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Abgabenart
Zeitraum
Fälligkeit
Betrag
Körperschaftsteuer
04-06/17
125,00
Körperschaftsteuer
10-12/17
125,00
Umsatzsteuer
2016
3.158,22
Körperschaftsteuer
2016
250,00
Körperschaftsteuer
1-3/18
500,00
Körperschaftsteuer
1-3/19
500,00
Körperschaftsteuer
1-3/20
187,00
Körperschaftsteuer
4-6/20
187,00
5.032,22

Die Primärschuldnerin sei mit Eintragung vom infolge Vermögenslosigkeit im Firmenbuch gelöscht worden. Der Forderungsausfall stehe sohin fest. Begründend wurde nach ausführlicher Darlegung der Rechtslage ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin das Ersuchen um Ergänzung (zugestellt am ) keiner Beantwortung zugeführt habe. Das Finanzamt müsse daher davon ausgehen, dass sie die ihr obliegenden Verpflichtungen, die fällig gewordenen Abgaben aus den verwalteten Mitteln zu entrichten, schuldhaft verletzt habe und diese Pflichtverletzung auch ursächlich für den Abgabenausfall sei. Da nicht dargelegt worden sei, in welchem Ausmaß die Abgabenschuldigkeiten bei Einhaltung des Gleichbehandlungsgebotes entrichtet worden wären, bestehe die Haftung zur Gänze. Die Geltendmachung der Haftung stelle die einzige Möglichkeit zur Durchsetzung des Abgabenanspruches dar. Weiters könne auf Grund der Aktenlage nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass die Haftungsschulden auch bei der Beschwerdeführerin uneinbringlich seien.

Mit Schreiben vom 22 .Juli 2021 brachte die Beschwerdeführerin gegen den Haftungsbescheid vom das Rechtsmittel der Beschwerde ein. Die Primärschuldnerin übe seit Jahren keinerlei geschäftliche Aktivitäten aus. Dies habe die Beschwerdeführerin auch einem Mitarbeiter des Finanzamtes mitgeteilt, der dies akzeptiert habe und sich darum kümmern wollte, dass keine weiteren Vorschreibungen des Finanzamtes mehr ausgestellt würden. Diese Zusage sei nicht eingehalten worden.
Im Jahr 2020 sei vom ***LG*** von Amts wegen die Löschung durchgeführt worden. Eine solche Löschung sei nur möglich, wenn nach der Veröffentlichung keinerlei Forderungen von wem auch immer dem Firmenbuch mitgeteilt würden. Das Finanzamt habe trotz des öffentlichen Aufrufes des ***LG*** mit keiner Forderungsmeldung reagiert und damit durch schlüssige Handlungen und Vorgangsweisen rechtsverbindlich bestätigt, dass es keinerlei Forderungen geben würde, die der Löschung der Primärschuldnerin entgegenstehen würden.
Dem Ersuchen des Finanzamtes um Ergänzung sei sie nicht nachgekommen, weil das Finanzamt im Rahmen der Löschungsankündigung des ***LG*** keinerlei Forderungen erhoben und daher keine Berechtigung mehr habe, um Ergänzungen zu ersuchen.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies das Finanzamt die Beschwerde als unbegründet ab. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass das Finanzamt nur dann Einwendungen gegen die Löschung aus dem Firmenbuch zu erheben hätte, wenn es der Meinung gewesen sei, dass die Primärschuldnerin nicht vermögenslos wäre, sondern über (bilanzierungsmäßiges) Vermögen verfügen würde.
Die Geltendmachung der Haftung setze voraus, dass eine Abgabenschuld gegenüber der Primärschuldnerin entstanden und dass sie noch nicht erloschen sei. Der Umstand, dass die Primärschuldnerin mittlerweile wegen Vermögenslosigkeit im Firmenbuch gelöscht worden sei, hindere die Haftungsinanspruchnahme der Beschwerdeführerin nicht. Die Haftung des (damaligen) Vertreters nach § 80 BAO könne auch geltend gemacht werden, wenn der Vertretene nicht mehr existiere. Die Abgabenschuld müsse für eine Haftungsinanspruchnahme der Geschäftsführerin gegenüber der Primärschuldnerin nicht einmal geltend gemacht worden sein.
Die Haftung nach § 9 BAO sei eine Ausfallshaftung. Voraussetzung sei die objektive Uneinbringlichkeit der betreffenden Abgaben im Zeitpunkt der Inanspruchnahme des Haftenden. Uneinbringlichkeit liege vor, wenn Vollstreckungsmaßnahmen erfolglos gewesen seien oder voraussichtlich wären.
Die Uneinbringlichkeit bei der Primärschuldnerin ist Haftungsvoraussetzung . Aufgrund der Löschung im Firmenbuch seien die offenen Forderungen der Primärschuldnerin als uneinbringlich anzusehen und die Beschwerdeführerin sei als gesetzliche Vertreterin als Haftungspflichtige in Anspruch zu nehmen.
Da dem Finanzamt gegenüber keine Betriebsaufgabe gemeldet worden sei, wären automatisch Körperschaftsteuervorauszahlungen vorzuschreiben gewesen. Weitere Zusagen seien vom Finanzamt nicht gemacht worden.

Mit Schreiben vom brachte der ausgewiesene Vertreter der Beschwerdeführerin den Antrag auf Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht vor. Die Begründung der Beschwerdevorentscheidung würde nicht dem konkreten Sachverhalt entsprechen. Es werde auf die von den Mitarbeitern des Finanzamtes abgegebene Erklärung bzw. auf die gesetzten Maßnahmen verwiesen.

Mit Bericht vom legte das Finanzamt die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor. Mit Hinweis auf die Begründung der Beschwerdevorentscheidung werde die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses des Bundesfinanzgerichtes vom wurde die gegenständliche Beschwerde der bislang zuständigen Gerichtsabteilung 6037 zum Stichtag abgenommen, da diese Gerichtsabteilung infolge Versetzung des Richters in den Ruhestand unbesetzt ist, und der Gerichtsabteilung 6007 zugeteilt.

Die Firma ***X*** GmbH (Primärschuldnerin) wurde mit Erklärung vom gegründet. Unternehmensgegenstand waren Immobilienberatung und betriebswirtschaftliche Beratung. Für die Veranlagungsjahre 2015 und 2016 wurden Abgabenerklärungen eingereicht, für die Folgejahre (2017 bis 2020) mussten die Bemessungsgrundlagen mangels Einreichung von Abgabenerklärungen im Schätzungsweg festgestellt werden.

Mit Eintragung des ***LG*** vom 2 .Oktober 2020 wurde die Firma wegen Vermögenslosigkeit im Firmenbuch gelöscht.

Die am geborene Beschwerdeführerin war in der Zeit von bis zur Löschung der Firma Geschäftsführerin der Primärschuldnerin.

Die haftungsgegenständlichen Abgaben wurden in der Zeit zwischen bis fällig. Jedenfalls seit wurden gegenüber dem Finanzamt keine Zahlungen geleistet. Die haftungsgegenständlichen Abgaben sind wegen Vermögenslosigkeit bei der Primärschuldnerin uneinbringlich.

Die Beschwerdeführerin wurde mit Schreiben vom aufgefordert einen Nachweis zu erbringen, dass das Gleichbehandlungsgebot eingehalten wurde, das heißt, dass sämtliche Gläubiger im gleichen Ausmaß befriedigt worden sind. Diesem Ersuchen wurde nicht nachgekommen. Im Haftungsbescheid vom und in der Beschwerdevorentscheidung vom wurde die Beschwerdeführerin neuerlich auch ihre Behauptungs- und Beweispflicht hingewiesen. Es wurde auch nicht dargelegt, in welchem prozentuellen Ausmaß die Verbindlichkeiten des Finanzamtes bedient worden wären, wenn alle Verbindlichkeiten im gleichen Ausmaß befriedigt worden wären.

Die Beschwerdeführerin ist Angestellte mit einem jährlichen Bruttobezug von 3.323,92 € (2021).

2. Beweiswürdigung

Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus den vorgelegten Akten, den Parteienvorbringen, Einsicht in das Firmenbuch und aus dem Abgabeninformationssystem.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes darf der Vertreter bei der Entrichtung von Verbindlichkeiten Abgabenschulden nicht schlechter behandeln als andere Schulden; er hat die Schulden im gleichen Verhältnis zu befriedigen (Gleichbehandlungsgrundsatz). Eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes kann sich nicht nur bei der Tilgung bereits bestehender Verbindlichkeiten, sondern auch bei sogenannten Zug-um-Zug-Geschäften ergeben. ()

Im gegenständlichen Verfahren wurde seitens der Beschwerdeführerin weder behauptet, dass die Primärschuldnerin über keine finanziellen Mittel verfügt habe oder dass sie alle Gläubiger im gleichen Ausmaß befriedigt hätte, noch wurden diesbezügliche Beweise angeboten oder vorgelegt.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)

Die in den Abgabenvorschriften geregelten persönlichen Haftungen werden durch Erlassung von Haftungsbescheiden geltend gemacht. In diesen ist der Haftungspflichtige unter Hinweis auf die gesetzliche Vorschrift, die seine Haftungspflicht begründet, aufzufordern, die Abgabenschuld, für die er haftet, binnen einer Frist von einem Monat zu entrichten.

Gemäß § 9 Abs 1 BAO haften die in den §§ 80 ff BAO bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.

Nach § 80 Abs 1 BAO haben die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen, und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.

Haftung setzt die Schuld eines anderen voraus. Es handelt sich um das Einstehenmüssen für eine fremde Abgabenschuld. Dem Haftenden gegenüber wird die Abgabe nicht festgesetzt, sondern er wird lediglich zur Zahlung einer bereits festgesetzten und fälligen Abgabenschuld mit besonderem Bescheid (Haftungsbescheid) herangezogen. Der Haftungsbescheid wirkt hierbei insoweit konstitutiv, als erst durch seine Erlassung der Haftende zum Gesamtschuldner wird ( zu § 11 BAO; vgl. auch Stoll, BAO-Kommentar, § 9, 115; Ritz, BAO6, § 7 Rz 1).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt die Geltendmachung der Haftung nach § 9 BAO voraus, dass eine uneinbringliche Abgabenforderung gegen den Vertretenen besteht, die als haftungspflichtige in Frage kommende Person zum Personenkreis des §§ 80 ff BAO gehört, eine schuldhafte Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten des Vertreters vorliegt und die Pflichtverletzung für die Uneinbringlichkeit ursächlich war.

3.1.1. Zur Vertreterhaftung

Unstrittig ist, dass die Beschwerdeführerin von bis zur Löschung der Primärschuldnerin im Firmenbuch, am 2. Oktober2020, deren Geschäftsführerin war.

Die Haftung nach § 9 BAO stellt nicht die Haftung für einen Schaden dar, welcher dem Abgabengläubiger bei Gesamtbetrachtung der Abgabenschulden mehrerer Abgabenschuldner entstanden ist, sondern der Tatbestand des § 9 BAO stellt darauf ab, dass Abgabenschulden eines Abgabepflichtigen bei diesem nicht eingebracht werden können.

Als Geschäftsführerin der Primärschuldnerin war die Beschwerdeführerin im haftungsrelevanten Zeitraum ( bis ) ihr abgabenrechtlicher Vertreter.

3.1.2. aushaftende Abgabenschuldigkeiten gegenüber der Primärschuldnerin

Die haftungsgegenständlichen Abgaben haften am Abgabenkonto der Primärschuldnerin unbestritten unberichtigt aus.

3.1.3. Zur Uneinbringlichkeit

Die Haftung nach § 9 BAO ist eine Ausfallshaftung (). Sie darf nur dann geltend gemacht werden, wenn der Ausfall nicht nur beim Erstschuldner, sondern auch bei mit ihm verbundenen Gesamtschuldnern sowie bei außerhalb des § 9 BAO Haftenden eindeutig feststeht (vgl. Ritz, BAO6, § 9 Tz 4 und 7, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes). Eine Entrichtung durch Dritte - allenfalls auch durch Überrechnung von Guthaben (§ 215 Abs. 4 BAO) - würde dazu führen, dass insoweit die Abgabenschuldigkeit erfüllt wäre; eine derartige Zahlung wäre auch noch im Beschwerdeverfahren über einen Haftungsbescheid zu berücksichtigen ().

Im gegenständlichen Fall steht die Uneinbringlichkeit bei der Primärschuldnerin unbestritten fest, da laut Beschluss des ***LG*** vom 2. Oktober 2021die Primärschuldnerin wegen Vermögenslosigkeit gelöscht wurde.

Die Beschwerdeführerin vertritt die Ansicht, dass das Finanzamt keine Berechtigung zur Erlassung eines Haftungsbescheides habe, weil es im Rahmen der Löschung mit keiner Forderungsanmeldung reagiert habe. Dem ist entgegenzuhalten, dass die Löschung der Gesellschaft im Firmenbuch ein eindeutiger Hinweis für die Uneinbringlichkeit der haftungsgegenständlichen Abgaben bei der Primärschuldnerin ist. Die Abgaben wurden vor der Löschung aus dem Firmenbuchgegenüber der Primärschuldnerin rechtskräftig festgesetzt. Sollte das Beschwerdevorbringen (es sollten keine Vorschreibungen mehr durchgeführt werden, weil die Gesellschaft seit Jahren keine geschäftlichen Aktivitäten ausgeübt habe) so zu verstehen sein, dass die Abgabenforderungen zu Unrecht festgesetzt worden seien, so muss dem entgegengehalten werden, dass die Höhe der Abgabenschulden der Primärschuldnerin deren aktenkundigen Abgabenbescheiden, die zu Abgabennachforderungen durch die belangte Behörde führten, zu entnehmen sind.
"Nach § 248 BAO kann der nach Abgabenvorschriften Haftungspflichtige unbeschadet der Einbringung einer Bescheidbeschwerde gegen seine Heranziehung zur Haftung innerhalb der für die Einbringung der Bescheidbeschwerde gegen den Haftungsbescheid offenstehenden Frist auch gegen den Bescheid über den Abgabenanspruch Bescheidbeschwerde einbringen.
Geht einem Haftungsbescheid (nach § 9 BAO) ein Abgabenbescheid - oder betreffend Lohnsteuer oder Kapitalertragsteuer ein Haftungsbescheid - voran, so ist die Behörde daran gebunden und hat sich in der Entscheidung über die Heranziehung zur Haftung grundsätzlich an den Abgabenbescheid zu halten
."( )

Zusammengefasst bedeutet dies, dass die Löschung der Primärschuldnerin im Firmenbuch Indiz für die Uneinbringlichkeit der Abgabenschuldigkeiten bei ihr ist, darüber hinaus keine Rolle in Zusammenhang mit der Einbringung der rechtskräftig festgesetzten Abgaben der Primärschuldnerin bei der Beschwerdeführerin hat.

3.1.4. Zur Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten

Für die Haftung relevant ist die Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten (zB Entrichtungspflicht in § 80 Abs 1 letzter Satz, aus der das Gleichbehandlungsgebot abgeleitet wird, Einbehaltungs- und Abfuhrpflicht gem § 78 Abs. 3 EStG 1988 für Lohnsteuer oder gem § 95 Abs. 2 Satz 2 EStG 1988 für Kapitalertragsteuer).

Den Vertreter trifft die Verpflichtung zur rechtzeitigen Entrichtung bzw. Abfuhr von Abgabenverbindlichkeiten. Der Zeitpunkt, für den zu beurteilen ist, ob den Vertreter die Gleichbehandlungpflicht erfüllt hat, bestimmt sich danach, wann die Abgabe nach den abgabenrechtlichen Vorschriften zu entrichten gewesen wäre. Bei Selbstbemessungsabgaben ist maßgebend, wann die Abgabe bei ordnungsgemäßer Selbstberechnung zu entrichten oder abzuführen gewesen wäre ().

Aufgabe des Geschäftsführers ist es, im Verwaltungsverfahren allfällige Gründe aufzuzeigen, die ihn daran gehindert haben, die Abgabenschulden am oder nach dem Fälligkeitstag zu begleichen. Er hat darzustellen, dass ab dem Zeitpunkt, an welchem die von der Haftungsinanspruchnahme erfassten Abgaben fällig geworden sind, keine Geldmittel der Gesellschaft mehr vorhanden waren. Es hat nicht die Abgabenbehörde das Ausreichen der Mittel zur Abgabenentrichtung nachzuweisen, sondern der zur Haftung herangezogenen Geschäftsführer das Fehlen ausreichender Mittel.

Der Vertreter haftet nicht für sämtliche Abgabenschulden des Vertretenen in voller Höhe, sondern nur im Umfang der Kausalität zwischen seiner schuldhaften Pflichtverletzung und dem Entgang der Abgaben. Reichten die liquiden Mittel nicht zur Begleichung sämtlicher Schulden aus und haftet der Vertreter nur deswegen, weil er die Abgabenforderungen nicht wenigstens anteilig befriedigt und den Abgabengläubiger somit benachteiligt hat, dann erstreckt sich die Haftung des Vertreters auch nur auf den Betrag, um den der Abgabengläubiger bei gleichmäßiger Befriedigung aller Forderungen mehr erlangt hätte, als er infolge des pflichtwidrigen Verhaltens des Vertreters tatsächlich erhalten hat. Der Nachweis, welcher Betrag bei Gleichbehandlung sämtlicher Gläubiger an die Abgabenbehörde zu entrichten gewesen wäre, obliegt allerdings dem Vertreter. Weist er nach, welcher Betrag bei anteilsmäßiger Befriedigung der Forderungen an die Abgabenbehörde abzuführen gewesen wäre, dann haftet er nur für die Differenz zwischen diesem und dem tatsächlich bezahlten Betrag. Tritt der Vertreter diesen Nachweis nicht an, dann kann ihm die uneinbringliche Abgabe allerdings zur Gänze vorgeschrieben werden ().

Im gegenständlichen Haftungsverfahren hat die Beschwerdeführerin keine Angaben über die finanziellen Mittel der Primärschuldnerin während des haftungsgegenständlichen Zeitraumes gemacht. Es wurde keine Aufstellung bzw. Berechnung vorgelegt, aus der ersichtlich wäre, in welchem Ausmaß das Finanzamt bei gleichmäßiger Behandlung aller Gläubiger befriedigt worden wäre. Es wurden diesbezüglich nicht einmal bloße Behauptungen aufgestellt.

Wie nunmehr bereits ausführlich dargelegt wurde, hat die Beschwerdeführerin keine Angaben über allfällige liquiden Mittel der Primärschuldnerin gemacht. Darüber hinaus hat sie keinen Nachweis erbracht, in welcher Höhe die Abgabenverbindlichkeiten bei gleichmäßiger Befriedigung aller Forderungen zu bedienen gewesen wären. Das Finanzamt hat daher entsprechend der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes agiert, indem es die Haftung für die aushaftenden Abgabenverbindlichkeiten in voller Höhe ausgesprochen hat.

Von einer Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten ist daher insgesamt hinsichtlich der haftungsgegenständlichen Abgaben auszugehen.

3.1.5. Verschulden

Nach ständiger Rechtsprechung hat der Vertreter darzutun, aus welchen Gründen ihm die Erfüllung abgabenrechtlicher Pflichten unmöglich war, widrigenfalls angenommen wird, dass die Pflichtverletzung schuldhaft war (; ; ; vgl. Ritz, BAO6, § 9 Tz 22).

Als schuldhaft im Sinne des § 9 Abs. 1 BAO gilt jede Form des Verschuldens. Leichte Fahrlässigkeit genügt.

Dass die Beschwerdeführerin ihre abgabenrechtlichen Pflichten, nämlich die pünktliche und vollständige Entrichtung bzw. Abfuhr der Abgabenverbindlichkeiten der Primärschuldnerin aus deren vorhandenen Mitteln, schuldhaft verletzt hat, wurde bereits ausführlich dargelegt.

3.1.6. Kausalzusammenhang

Im Haftungsverfahren nach § 9 BAO hat der Vertreter darzulegen, aus welchen Gründen ihm die Erfüllung der abgabenrechtlichen Pflichten unmöglich war, widrigenfalls angenommen wird, dass die Pflichtverletzung schuldhaft gewesen ist. Bei schuldhafter Pflichtverletzung spricht die Vermutung für eine Kausalität zwischen Pflichtverletzung und dem Abgabenausfall (, mit Verweis auf ).

Infolge der schuldhaften Pflichtverletzung durch die Beschwerdeführerin konnte die Abgabenbehörde daher auch davon ausgehen, dass die Pflichtverletzung Ursache für die Uneinbringlichkeit der haftungsgegenständlichen Abgaben war.

3.1.7. Ermessen

Die Heranziehung zur Haftung gemäß § 224 BAO ist in das Ermessen (§ 20) der Abgabenbehörde gestellt, wobei die Ermessensentscheidung innerhalb der vom Gesetz gezogenen Grenzen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen ist (; vgl. Fischerlehner in Fischerlehner/Brennsteiner, Abgabenverfahren³, § 224 Anm. 11).

Unter Billigkeit versteht die ständige Rechtsprechung die "Angemessenheit in Bezug auf berechtigte Interessen der Partei", unter Zweckmäßigkeit das öffentliche Interesse, insbesondere an der Einbringung der Abgaben (Ritz, BAO6, § 20 Tz 7).

Von der Beschwerdeführerin wurde nichts dahingehend vorgebracht, weshalb die Haftung wegen ihrer persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse nicht geltend gemacht werden dürfe.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes darf die Haftung nicht nur bis zur Höhe der aktuellen Einkünfte und des aktuellen Vermögens des Haftungspflichtigen geltend gemacht werden, sondern auch darüber hinaus. Eine Vermögenslosigkeit oder das Fehlen von Einkünften des Haftungspflichtigen steht in keinem Zusammenhang mit der Geltendmachung der Haftung (). Eine allfällige derzeitige Uneinbringlichkeit schließt nicht aus, dass künftig erzielte Einkünfte oder künftig neu hervorgekommenes Vermögen zur Einbringlichkeit der Haftungsschuld führen.

Die Beschwerdeführerin ist 62 Jahre alt und verfügt über ein jährliches Bruttoeinkommen von 46.535,00 €, sodass mit einer Entrichtung der Haftungsschuld jedenfalls gerechnet werden kann.

Da der Abgabenausfall auf ein Verschulden der Beschwerdeführerin zurückzuführen ist, ist den Zweckmäßigkeitsgründen der Vorrang einzuräumen. In Hinblick auf die Uneinbringlichkeit bei der Primärschuldnerin ist die Geltendmachung der Haftung die einzige Möglichkeit, für die Einbringlichkeit der gegenständlichen Abgaben zu sorgen.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Im gegenständlichen Fall sind die zu klärenden Rechtsfragen durch die zitierte ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes einheitlich entschieden, sodass eine ordentliche Revision nicht zulässig ist.

Aus den dargelegten Gründen war spruchgemäß zu entscheiden.

Linz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 9 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 80 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise








ECLI
ECLI:AT:BFG:2022:RV.5100897.2021

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at