Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 11.10.2022, RV/2100696/2022

Arbeitnehmerveranlagung: pauschaler Mehrbetrag bei behindertem Kind vermindert um das Pflegegeld und zusätzliche Berücksichtigung des Entgeltes für den Besuch der Behindertenwerkstätte

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin *** in der Beschwerdesache des Beschwerdeführers, Adresse, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2021 Steuernummer XXX zu Recht erkannt:

I. Der angefochtene Bescheid wird gemäß § 279 BAO abgeändert.

Die Bemessungsgrundlagen und die Höhe der festgesetzten Abgabe sind dem Ende der Entscheidungsgründe dem als Beilage angeschlossenen Berechnungsblatt zu entnehmen und bilden einen Bestandteil des Spruches dieses Erkenntnisses.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

In der Erklärung zur Arbeitnehmerveranlagung 2021 beantragte der Beschwerdeführer (kurz Bf.) den pauschalen Betrag für Mehraufwendungen aus dem Titel der Behinderung für ein behindertes Kind, für das 12 Monate erhöhte Familienbeihilfe bezogen wurde. Der Bf. gab an, dass der Pflegegeldbezug für seinen Sohn monatlich € 23.640,- betragen habe.

Mit Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2021 wurde die Veranlagung antragsgemäß durchgeführt. Der Pauschalbetrag wurde auf Grund der Gegenrechnung mit dem Pflegegeldbezug nicht berücksichtigt.

Dagegen erhob der Bf. fristgerecht Beschwerde und führte begründend aus, dass die Beilage L1k, welche er mit dem Formular L1 im Postwege übermittelt habe, bei der Berechnung der Arbeitnehmerveranlagung nicht berücksichtigt worden sei.

Mit Beschwerdevorentscheidung wurde der Beschwerde vollinhaltlich stattgegeben. Im Erstbescheid sei irrtümlich ein Pflegegeld von monatlich € 23.640,- anstatt richtigerweise € 236,40 berücksichtigt worden.

Mit Eingabe vom erhob der Bf. "Einspruch gegen den Bescheid vom ". Der Bf. führte darin aus, dass der Freibetrag für behinderte Kinder mit erhöhter Familienbeihilfe und Pflegegeld nicht richtig berechnet worden sei, da die Pflegerefundierung in Höhe von € 92,- nicht mit einberechnet worden sei. Es sei - wie aus der beigelegten Erklärung ersichtlich - ein monatliches Pflegegeld in Höhe von € 144,40 bezogen worden und zu berücksichtigen. Ergänzend legte der Bf. dazu zwei Anweisungsbelege (01/2021 und 12/2021) über das durch den Sohn erhaltene Pflegegeld von monatlich € 236,40 sowie einen Kontoauszug des Bf. vor, welcher eine Pflegerefundierung an die Bezirkshauptmannschaft X. in Höhe von € 92,- am , bestätige.

Mit Schreiben vom wurde der Bf. von der Abgabenbehörde aufgefordert eine Bestätigung der Pensionsversicherungsanstalt über die Höhe des im Jahr 2021 für seinen Sohn ausbezahlten Pflegegeldes sowie eine Bestätigung der Bezirkshauptmannschaft X. über die Rechtsgrundlage und die Höhe der vorgebrachten Pflegerefundierung im Jahr 2021 vorzulegen, welche der Bf. mit Vorhaltsbeantwortung vom der Abgabenbehörde vorlegte.

Die Abgabenbehörde legte den elektronischen Verwaltungsakt am dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor und beantragte das erhaltene Pflegegeld ungekürzt dem beantragten pauschalen Freibetrag für ein behindertes Kind, für das erhöhte Familienbeihilfe bezogen wird, gegenzurechnen und die Beiträge für den Besuch der Behindertenwerkstätte in Höhe von € 1.104,- für das Jahr 2021 als außergewöhnliche Belastungen anzuerkennen.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Sachverhalt

Der Sohn des Bf. wurde am xxx geboren. Im streitgegenständlichen Jahr 2021 wurde für den Sohn von der Abgabenbehörde erhöhte Familienbeihilfe gewährt.

Der Sohn des Bf. erhielt im Jahr 2021 ein Pflegegeld in Höhe von monatlich € 236,40.

Für den Besuch bei der Tagesstätte der Lebenshilfe in X. wurde vom Bf. ein Kostenbeitrag von monatlich € 92,- und somit jährlich € 1.104,- bezahlt.

Beweiswürdigung

Gemäß § 167 Abs 2 BAO hat die Abgabenbehörde unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Abgabenverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht.

Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus dem vorgelegten Verwaltungsakt, den Bescheiden, den angeführten Ergänzungsvorhalt, dem Abgabeninformationssystem der Finanzverwaltung sowie den Internetrecherchen des Bundesfinanzgerichtes.

Aus den Belegen der Pensionsversicherungsanstalt ist eindeutig ersichtlich, dass das Pflegegeld in Höhe von € 236,40 zur Anweisung an den Sohn gebracht wurde. Die Höhe ergibt sich auch aus dem Schreiben der Pensionsversicherunganstalt über die Leistungshöhe für das Jahr 2021 vom .

Die Höhe des bezahlten Kostenbeitrages für die Tagesstätte bei der Lebenshilfe ergibt sich aus der Bestätigung des Landes Steiermark, Sozialreferat der Bezirkshauptmannschaft X., vom sowie dem vorgelegten Kontoauszug.

Die gegenständliche Tagesstätte bei der Lebenshilfe ist laut Internetrecherche eine Einrichtung die eine Kreativwerkstätte, Hauswirtschaftsgruppe und basale Gruppe betreibt.

Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchpunkt I. (Abänderung/Stattgabe)

Verfahrensrechtlich ist vorweg auszuführen, dass die Eingabe des Bf. vom - wie von der Abgabenbehörde richtigerweise erkannt - als Vorlageantrag zu werten ist.

Gemäß § 264 Abs 1 zweiter Satz BAO hat der Vorlageantrag die Bezeichnung der Beschwerdevorentscheidung zu enthalten. Fehlt eine solche Bezeichnung, so liegt grundsätzlich ein inhaltlicher Mangel iSd § 85 Abs 2 BAO vor. Als Bezeichnung der Beschwerdevorentscheidung genügt es, dass aus dem gesamten Inhalt der Antragsbeschreibung hervorgeht, wogegen er sich richtet, und das Verwaltungsgericht aufgrund des Antragsvorbringens nicht zweifeln kann, welche Beschwerdevorentscheidung angefochten ist. Mit der Angabe des Datums der Beschwerdevorentscheidung, der Abgabenart und des Abgabenzeitraumes ist die Bezeichnung jedenfalls ausreichend bestimmt und bestimmbar (Ritz/Koran, BAO7, § 264 Rz 4).

Sowohl das Datum der Beschwerdevorentscheidung als auch die Abgabenart und der Zeitraum werden im Schreiben des Bf. genannt und besteht kein Zweifel, dass die Beschwerdevorentscheidung vom angefochten wird. Ein Mängelbehebungsauftrag ist entbehrlich und die Eingabe des Bf. war als Vorlageantrag zu werten.

Strittig ist im gegenständlichen Fall lediglich, ob bei der Berechnung des pauschalen Betrages für Mehraufwendungen in Höhe von € 262,- für ein behindertes Kind, das Pflegegeld in ungekürztem Ausmaß in Höhe von monatlich € 236,40 gegenzurechnen ist oder - wie vom Bf. beantragt - in gekürztem Ausmaß um die monatlichen Kosten für den Besuch der Tagesstätte bei der Lebenshilfe (monatlich € 92,-) in Höhe von € 144,40.

Nach § 34 Abs 1 Satz 1 EStG 1988 sind bei der Ermittlung des Einkommens eines unbeschränkt Steuerpflichtigen nach Abzug der Sonderausgaben außergewöhnliche Belastungen abzuziehen.

Gemäß § 34 Abs 6 fünfter Teilstrich EStG 1988 können Mehraufwendungen aus dem Titel der Behinderung als Aufwendungen ohne Berücksichtigung eines Selbstbehaltes abgezogen werden, wenn die Voraussetzungen des § 35 Abs 1 EStG 1988 vorliegen, soweit sie die Summe pflegebedingter Geldleistungen (Pflegegeld, Pflegezulage, Blindengeld oder Blindenzulage) übersteigen.

Der Bundesminister für Finanzen kann mit Verordnung festlegen, in welchen Fällen und in welcher Höhe Mehraufwendungen aus dem Titel der Behinderung ohne Anrechnung auf einen Freibetrag nach § 35 Abs 3 EStG 1988 und ohne Anrechnung auf eine pflegebedingte Geldleistung zu berücksichtigen sind.

Die in § 34 Abs. 6 EStG 1988 und § 35 Abs. 7 EStG 1988 vom Gesetzgeber normierten Verordnungsermächtigungen berechtigen den Bundesminister für Finanzen die gesetzlichen Bestimmungen § 34 EStG 1988 und § 35 EStG 1988 im Hinblick auf behinderte Personen durch Verordnung näher zu konkretisieren.

Auf der Grundlage dieser Verordnungsermächtigungen wurde die Verordnung des Bundesministers für Finanzen über außergewöhnliche Belastungen, BGBl. Nr. 303/1996 in der Fassung BGBl. II Nr. 430/2010 (folglich kurz VO), erlassen.

Der für den gegenständlichen Fall relevante Inhalt dieser VO ist folgender:

§ 5. (1) Mehraufwendungen des Steuerpflichtigen für unterhaltsberechtigte Personen, für die gemäß § 8 Abs. 4 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 erhöhte Familienbeihilfe gewährt wird, sind ohne Nachweis der tatsächlichen Kosten mit monatlich 262 Euro vermindert um die Summe der pflegebedingten Geldleistungen (Pflegegeld, Pflegezulage oder Blindenzulage) zu berücksichtigen.

(2) Bei Unterbringung in einem Vollinternat vermindert sich der nach Abs. 1 zustehende Pauschbetrag pro Tag des Internatsaufenthaltes um je ein Dreißigstel.

(3) Zusätzlich zum (gegebenenfalls verminderten) Pauschbetrag nach Abs. 1 sind auch Aufwendungen gemäß § 4 sowie das Entgelt für die Unterrichtserteilung in einer Sonder- oder Pflegeschule oder für die Tätigkeit in einer Behindertenwerkstätte im nachgewiesenen Ausmaß zu berücksichtigen.

Der Aufbau der VO stellt sich wie folgt dar: die §§ 1 bis 4 der VO finden Anwendung auf den sich aus § 1 Abs 1 der VO ergebenden Personenkreis, der § 5 der VO hingegen auf den sich aus § 5 Abs 1 der VO ergebenden Personenkreis.

Zu dem in § 1 Abs 1 der VO genannten Personenkreis zählen - unter der Voraussetzung eines Anspruches auf Kinderabsetzbetrag oder Unterhaltsabsetzbetrag - Personen mit einem Kind, für das keine erhöhte Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs 4 FLAG 1967 gewährt wird (3. Teilstrich).

§ 5 Abs 1 der VO erfasst den Personenkreis mit einer unterhaltsberechtigten Person, für die gemäß § 8 Abs 4 FLAG 1967 erhöhte Familienbeihilfe gewährt wird.

Für den Sohn des Bf. ist - im Hinblick auf die Gewährung erhöhter Familienbeihilfe - unzweifelhaft § 5 der VO anwendbar.

Aus § 5 Abs 1 und 3 der VO ergibt sich die Regelung, dass die Summe der pflegebedingten Geldleistungen (Pflegegeld, Pflegezulage oder Blindenzulage) zwar vom Pauschbetrag nach § 5 Abs 1 der VO in Abzug zu bringen ist, nicht aber vom "Entgelt für die Unterrichtserteilung in einer Sonder- oder Pflegeschule oder für die Tätigkeit in einer Behindertenwerkstätte" und auch nicht von jenen Aufwendungen, für deren Erfassung sich § 5 Abs 3 der VO der Technik der Bezugnahme auf § 4 der VO ("Aufwendungen gemäß § 4") bedient.

Das Entgelt für die Unterrichtserteilung in einer Sonder- oder Pflegeschule oder für die Tätigkeit in einer Behindertenwerkstätte ist im Sinne der Aufwendungen nach § 5 Abs 3 der VO nicht um pflegedingte Geldleistungen und um einen Freibetrag nach § 35 Abs 3 zu kürzen ().

Der Betrag für Mehraufwendungen im Sinne des § 34 Abs. 6 EStG 1988 iVm § 5 Abs. 1 der VO in Höhe von monatlich € 262,- war um das Pflegegeld in Höhe von monatlich € 236,40 zu kürzen. Für das Jahr 2021 ergibt sich ein abzugsfähiger Betrag in Höhe von € 307,20.

Neben dem pauschalen Betrag von € 262,- ist im nachgewiesenen Ausmaß das Entgelt für die Unterrichtserteilung in einer Sonder- oder Pflegeschule oder für die Tätigkeit in einer Behindertenwerkstätte im Sinne des § 5 Abs 3 der VO zu berücksichtigen. Als Entgelt für die Tätigkeit in einer Behindertenwerkstätte gelten auch Kostenbeiträge an das Land für den Besuch einer Behindertenschule oder einer Behindertenwerkstätte aufgrund (landes)gesetzlicher Regelungen (Wanke in Wiesner/Grabner/Knechtl/Wanke, EStG § 35 Rz 17).

Das Entgelt für den Besuch bei der Tagesstätte der Lebenshilfe in Höhe von monatlich € 92,- und somit im Jahr 2021 gesamt € 1.104,- ist ungekürzt um das Pflegegeld und auch ohne Abzug eines Selbstbehaltes als außergewöhnliche Belastung im Sinne des § 34 Abs. 6 EStG 1988 iVm § 5 Abs. 3 der VO zu berücksichtigen.

Die außergewöhnliche Belastung berechnet sich wie folgt:


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Pauschalbetrag gem. § 5 Abs 1 VO BGBl 1996/303 (€ 262 × 12) im Jahr 2021
€ 3.144,00
abzüglich Pflegegeld im Jahr 2021 (€ 236,40 × 12)
€ 2.836,80
Mehraufwendungen abzüglich Pflegegeld gemäß § 5 Abs 1 VO BGBl 1996/303im Jahr 2021
€ 307,20
zuzüglich Aufwendungen für den Behindertenwerkstättenbesuch gemäß § 5 Abs 3 VO BGBl 1996/303 (€ 92,- x 12)
€ 1.104,00
außergewöhnliche Belastung ohne Selbstbehalt für das Jahr 2021
€ 1.411,20

Beilage: Berechnungsblatt Einkommensteuer 2021

Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im gegenständlichen Fall wurde von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht abgewichen bzw. ergeben sich die Rechtsfolgen unmittelbar und eindeutig aus den gesetzlichen Bestimmungen, weshalb eine Revision nicht zuzulassen war.

Graz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2022:RV.2100696.2022

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at