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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 09.08.2022, RV/5101432/2020

Keine Werbungskosten für doppelte Haushaltsführung und Familienheimfahrten, wenn der Wohnsitz in Polen nicht aufgegeben wird, obwohl keine Unzumutbarkeit der Wohnsitzverlegung gegeben ist.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Braunau Ried Schärding vom betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2018 Steuernummer **000** zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

In der Erklärung zur Arbeitnehmerveranlagung 2018 machte die Abgabepflichtige Werbungskosten für doppelte Haushaltsführung in Höhe von 2.040 € und für Familienheimfahrten in Höhe von 3.672 € geltend.

Die Abgabenbehörde erließ am den Einkommensteuerbescheid für 2018 ohne die beantragten Werbungskosten für doppelte Haushaltsführung und Familienheimfahrten und führte begründend aus:
Laut Auszug des zentralen Melderegisters wohne die Abgabepflichtige mit ihrem Gatten bereits seit am Beschäftigungsort in Österreich. Ihr Gatte sei ebenfalls seit diesem Zeitpunkt in der gleichen Firma tätig. Es weitere Prüfung der Unzumutbarkeit der Wohnsitzverlegung erübrige sich daher.

In der Beschwerde vom gegen den Einkommensteuerbescheid für 2018 führte die Beschwerdeführerin (Bf.) aus, dass vom Finanzamt die beantragten Aufwendungen für die doppelte Haushaltsführung und die Familienheimfahrten wegen Zumutbarkeit der Verlegung des Familienwohnsitzes nicht berücksichtigt worden seien. Das Finanzamt habe jedoch nicht alle Umstände zur Kenntnis genommen. In Österreich werde die zweite Wohnung wegen Ausübung der unselbständigen Erwerbstätigkeit beibehalten, in Polen bestehe der Mittelpunkt der Lebensinteressen der Familienangehörigen. Jedes Wochenende müsse sie zwischen Polen und Österreich pendeln, um die Kinder zu betreuen. Die Kinder würden an Werktagen am Familienwohnsitz ohne Eltern leben. Sie und ihr Gatte würden sich das Obsorgerecht für beide Kinder teilen. In Polen müsse sie die Wohnung, die ihr gehöre, unterhalten. Wegen der Kinder könne sie den Mittelpunkt der Lebensinteressen nicht nach Österreich verlegen.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Begründend führte das Finanzamt aus:

Familienheimfahrten eines Arbeitnehmers von der Wohnung am Arbeitsort zum Familienwohnsitz seien nur Werbungskosten, wenn die Voraussetzungen einer beruflich veranlassten doppelten Haushaltsführung vorliegen würden. Dies sei insbesondere dann der Fall, wenn der Ehegatte des Steuerpflichtigen am Ort des Familienwohnsitzes eine Erwerbstätigkeit ausübe. Weitere Gründe würden bei pflegebedürftigen Angehörigen, die nicht mit übersiedeln können, vorliegen, die die Verlegung des Familienwohnsitzes an den Beschäftigungsort unzumutbar erscheinen ließen. Weiters sei keine private Veranlassung zu unterstellen, wenn im gemeinsamen Haushalt am Familienwohnsitz unterhaltsberechtigte und betreuungsbedürftige Kinder wohnen würden. Da diese Voraussetzungen nicht vorliegen würden (die Kinder seien bereits volljährig), könnten die Kosten für den zweiten Haushalt am Beschäftigungsort sowie die Familienheimfahrten nur vorübergehend geltend gemacht werden, wobei ein Zeitraum von zwei Jahren ausreichend erscheine. Da die Bf. bereits seit November 2012 bei der Firma "**HL**" beschäftigt sei, seien die beantragten Werbungskosten im Jahr 2018 nicht mehr zu berücksichtigen.

Am brachte der Bf. neuerlich einen Schriftsatz über FINANZ ONLINE ein. Dieser wurde vom Finanzamt zutreffend als Vorlageantrag gewertet. Die Bf. führte darin aus, dass die Aufwendungen sehr wohl begründet seien. Ihre Mutter sei in Polen bei ihr gemeldet und brauche Betreuung. Ihr Gatte arbeite auch seit 2012 in Österreich. Sie müsse aber ihren Haushalt in Polen unterhalten. Dort leben auch ihre Tochter und ihr Sohn, die von ihr und ihrem Gatten finanziert werden würden.

Mit Vorlagebericht vom legte das Finanzamt die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht (BFG) zur Entscheidung vor. Es wurde die Abweisung der Beschwerde beantragt.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Die Bf. hat ihren Familienwohnsitz in Polen, wo sie auch eine Wohnung besitzt. Dort leben (laut Meldebestätigung in polnischer Sprache) ihre Kinder. Die Kinder sind in den Jahren 1994, 1997 und 1999 geboren, waren also im Streitjahr 2018 24 Jahre, 21 Jahre und 19 Jahre alt.

Die Bf. ist seit 2012 in Österreich bei der Firma "**HL**" beschäftigt.

Ihr Ehegatte ist ebenfalls seit 2012 in Österreich bei der gleichen Firma beschäftigt.

In Österreich hat die Bf. eine Wohnung angemietet.

In den Einkommensteuerbescheiden wurden für die Jahre 2016 und 2017 die beantragten Kosten der doppelten Haushaltsführung sowie Familienheimfahrten als Werbungskosten nicht berücksichtigt.

2. Beweiswürdigung

Der Sachverhalt geht aus den vorgelegten Akten der Abgabenbehörde und den eingereichten Unterlagen der Bf. hervor.

3. Rechtslage

Gemäß § 16 Abs. 1 EStG 1988 sind Werbungskosten Ausgaben oder Aufwendungen, die getätigt werden, um Einnahmen zu erwerben, zu erhalten oder zu sichern. Gemäß § 20 Abs. 1 EStG 1988 dürfen bei den einzelnen Einkünften ua Wohnungs- und Haushaltskosten nicht abgezogen werden. Lediglich unvermeidbare Mehraufwendungen, die dem Abgabepflichtigen dadurch erwachsen, dass er am Beschäftigungsort wohnen muss und ihm die Verlegung des (Familien)Wohnsitzes an den Beschäftigungsort ebenso wenig zugemutet werden kann wie die tägliche Rückkehr zum (Familien)Wohnsitz, sind als beruflich bzw. betrieblich bedingte Mehraufwendungen bei jener Einkunftsart abzuziehen, bei der sie erwachsen sind.

4. Erwägungen

Strittig ist die Anerkennung der Aufwendungen für die doppelte Haushaltsführung und der Familienheimfahrten als Werbungskosten für das beschwerdeanhängige Jahr 2018.

Doppelte Haushaltsführung:

Der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) hat wiederholt erkannt, dass die Beibehaltung eines (Familien)Wohnsitzes aus der Sicht der Erwerbstätigkeit, die in unüblich weiter Entfernung von diesem Wohnsitz ausgeübt wird, nicht durch die Erwerbstätigkeit, sondern durch Umstände veranlasst ist, die außerhalb der Erwerbstätigkeit liegen. Der Grund, warum Aufwendungen dennoch als Werbungskosten bei den aus der Erwerbstätigkeit erzielten Einkünften Berücksichtigung finden, liegt darin, dass derartige Aufwendungen solange als durch die Einkunftserzielung veranlasst gelten, als dem Steuerpflichtigen eine Wohnsitzverlegung in übliche Entfernung vom Ort der Erwerbstätigkeit nicht zugemutet werden kann. Die Unzumutbarkeit der Verlegung des ständigen Wohnsitzes an den Ort der Beschäftigung kann die verschiedensten Ursachen haben und sich auch aus Umständen der privaten Lebensführung ergeben (vgl. ).

Damit Aufwendungen der doppelten Haushaltsführung berücksichtigt werden können, muss also ein Familienwohnsitz bestehen. Ein Familienwohnsitz liegt vor, wo ein Arbeitnehmer seine engsten persönlichen Beziehungen (Familie, Freundeskreis) und einen eigenen Hausstand hat.

Liegt ein Familienwohnsitz vor, können Kosten der doppelten Haushaltsführung in Abzug gebracht werden, wenn zwei Unzumutbarkeitsvoraussetzungen erfüllt sind:

1. Die tägliche Rückkehr von der Arbeitsstätte an den Familienwohnsitz muss für den betroffenen Arbeitnehmer unzumutbar sein. Der Verwaltungsgerichtshof hat die tägliche Rückkehr bei einer Wegstrecke von 130 Kilometern und einer Fahrzeit von 70 Minuten für unzumutbar erklärt. Im Streitfall ist der Familienwohnsitz vom Beschäftigungsort soweit entfernt, dass eine tägliche Rückkehr zweifelsfrei nicht zugemutet werden kann.

2. Die Verlegung des Familienwohnsitzes an den Arbeitsort oder in dessen Nahebereich muss unzumutbar sein. Die Unzumutbarkeit kann ihre Ursachen sowohl in der privaten Lebensführung als auch in der weiteren Erwerbstätigkeit des Arbeitnehmers oder in der Erwerbstätigkeit des Ehepartners haben. Dabei sind die Gesamtumstände des Einzelfalles zu würdigen und auch die Ursache der doppelten Haushaltsführung in Betracht zu ziehen.

Die Rechtsprechung geht grundsätzlich davon aus, dass Arbeitnehmern nach einer gewissen Zeit, die nur im Einzelfall beurteilt werden kann, die Verlegung ihres Wohnsitzes in den Nahebereich ihrer Arbeitsstätte zuzumuten ist. Die Lohnsteuerrichtlinien nennen als Faustregel einen Zeitraum von zwei Jahren bei verheirateten Arbeitnehmern. Für Zeiträume, in denen die Unzumutbarkeit nicht gegeben ist, ist ein Werbungskostenabzug ausgeschlossen. Umstände des Einzelfalles können jedoch auch langfristig die Unzumutbarkeit der Wohnsitzverlegung mit sich bringen. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist eine auf Dauer angelegte doppelte Haushaltsführung in folgenden Fällen gerechtfertigt:

-Steuerlich relevante Einkünfte des Ehepartners am Familienwohnsitz, die verloren gingen.
-Die Erzielung steuerlich relevanter Einkünfte am Familienwohnsitz durch den Arbeitnehmer selbst.
-Fehlende Ausbildungsmöglichkeiten für die Kinder am Arbeitsort.
-Besonders gelagerte Pflegenotwendigkeit naher Angehöriger, deren Mitübersiedlung unzumutbar wäre.

Behält der Arbeitnehmer dagegen den entfernt gelegenen Familienwohnsitz trotz der Zumutbarkeit der Wohnsitzverlegung ausschließlich aus persönlichen Gründen bei (zB gute Wohnlage, Eigenheim, Schulbesuch der Kinder bei ausreichender Schulbesuchsmöglichkeit am Arbeitsort), fallen die Ausgaben für doppelte Haushaltsführung grundsätzlich unter das Abzugsverbot des § 20 Abs. 1 EStG.

Für den vorliegenden Fall ist daher zu beurteilen, ob die Verlegung des Familienwohnsitzes für die Bf. im Streitjahr zumutbar ist oder nicht.

Die Unzumutbarkeit kann ihre Ursachen sowohl in der privaten Lebensführung als auch in der weiteren Erwerbstätigkeit des Steuerpflichtigen oder in der Erwerbstätigkeit des Ehegatten haben (vgl. ). Die Unzumutbarkeit ist aus der Sicht des jeweiligen Streitjahres zu beurteilen (vgl. ).

Zu den einzelnen Beschwerdeeinwendungen stellt das Bundesfinanzgericht fest:

Kinder:

Als Unzumutbarkeitsgründe hat die Bf. angeführt, dass die Kinder am Familienwohnsitz in Polen wohnen und von den Eltern, die sich das gemeinsame Obsorgerecht teilen, finanziell unterstützt werden. So sei das pendeln am Wochenende erforderlich, um die Kinder entsprechend zu betreuen.

Dazu stellt das Bundesfinanzgericht fest, dass alle Kinder im Streitjahr bereits volljährig waren.

Eine finanzielle Unterstützung sowie die Betreuung von erwachsenen Kindern macht die Verlegung des Wohnsitzes steuerlich keineswegs unzumutbar. Eine besondere über die normale Fürsorge hinausgehende Betreuung wurde nicht eingewendet.

Mangelt es an der Unzumutbarkeit, so ist die Entscheidung, den Wohnsitz über Jahre beizubehalten, privat veranlasst. Ist die Beibehaltung des Wohnsitzes privat veranlasst, so fallen die damit verbundenen Ausgaben unter das Abzugsverbot des § 20 Abs. 1 EStG.

Betreuung der Mutter:

Die Bf. hat im Vorlageantrag erstmals unsubstantiiert vorgebracht, dass ihre Mutter in Polen Betreuung braucht.

Die Pflegebedürftigkeit naher Angehöriger ist als Argument für eine Unzumutbarkeit der Wohnsitzverlegung nicht grundsätzlich ungeeignet. Doch setzt der der Verwaltungsgerichtshof das "Bestehen einer besonders gelagerten Pflegenotwendigkeit" voraus bzw. die (ärztlich attestierte) Gefahr für eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes eines Pfleglings im Fall der Wohnsitzverlegung (vgl. bzw. , 2006/15/0024).

Umstände, die ihre Angaben stützen bzw. den Vorgaben der Rechtsprechung genügen, hat die Bf. im Verfahren weder vor der Abgabenbehörde noch vor dem Bundesfinanzgericht dargetan. Eine bloße Betreuung von Angehörigen löst noch keine Unzumutbarkeit einer Wohnsitzverlegung aus.

Wirtschaftliche Nachteile durch eine Verlegung des Familienwohnsitzes nach Österreich:

In der Beschwerde wurde vorgebracht, dass die Bf. am Familienwohnsitz eine Wohnung unterhalten müsse. Nach Lehre und Rechtsprechung stellt ein bloßer wirtschaftlicher Nachteil für sich alleine noch keinen Grund für die Anerkennung der Aufwendungen im Zusammenhang mit einer doppelten Haushaltsführung als Werbungskosten dar (vgl. ).

Familienheimfahrten:

Familienheimfahrten sind die Fahrten zwischen Berufs- und Familienwohnsitz, also zwischen zwei Wohnungen. Es liegt sohin ein Sachverhalt vor, der grundsätzlich in den Bereich der privaten Lebensführung zu verweisen wäre. Steuerlich absetzbar werden diese Kosten allerdings dann, wenn die Voraussetzungen einer beruflich veranlassten doppelten Haushaltsführung vorliegen (und nur insoweit, als den Steuerpflichtigen ein Mehraufwand trifft und die durch § 20 Abs. 1 Z. 2 lit. e EStG gesetzte Begrenzung mit dem höchsten Pendlerpauschale nicht überschritten wird).

Aufwendungen für Familienheimfahrten sind unter denselben Voraussetzungen anzuerkennen oder nicht anzuerkennen, wie jene der doppelten Haushaltsführung (vgl. Doralt, EStG13, § 16 Rz 220 Familienheimfahrten sowie Rz 200/14).

Da die Aufwendungen für eine doppelte Haushaltsführung nicht anerkannt werden, können die Kosten für Fahrten zwischen Familienwohnsitz und Unterkunft am Arbeitsort ebenfalls als Werbungskosten nicht berücksichtigt werden.

Gesamtbild:

Schon für die Jahre 2016 und 2017 wurden die Aufwendungen für die doppelte Haushaltsführung bzw. für Familienheimfahrten von der Abgabenbehörde nicht anerkannt.

In Würdigung des Gesamtbildes der Verhältnisse war der Bf. auch im streitgegenständlichen Jahr die Verlegung des Familienwohnsitzes an den Beschäftigungsort aus den oben angeführten Gründen zuzumuten. Eine berufliche Veranlassung der doppelten Haushaltsführung liegt damit im konkreten Fall nicht vor. Das Bundesfinanzgericht kommt bei einer Zusammenschau aller Umstände zum Schluss, dass die geltend gemachten Aufwendungen und Ausgaben für die doppelte Haushaltsführung bzw. für Familienheimfahrten unter das Abzugsverbot des § 20 Abs. 1 EStG (= Zuordnung zur privaten Lebenssphäre) fallen. Die Aufwendungen können somit im Streitjahr nicht berücksichtigt werden. Dem Beschwerdebegehren ist somit ein Erfolg zu versagen.

5. Zur Unzulässigkeit der Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im vorliegenden Fall ergeben sich die Rechtsfolgen unmittelbar aus dem Gesetz und der einschlägigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, diese schlichte Rechtsanwendung berührt keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung. Die ordentliche Revision ist daher nicht zulässig.

Es war spruchgemäß zu entscheiden.

Linz, am

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