Schätzung eines Telekomunternehmens aus dem Drittland
Revision (Amtsrevision) beim VwGH anhängig zur Zahl Ra 2022/15/0087. Mit Erk. v. wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufgehoben. Fortgesetztes Verfahren mit Erkenntnis zur Zahl RV/2100394/2023 erledigt.
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***Ri*** in der Beschwerdesache
***Bf1***, ***Bf1-Adr***,
über die Beschwerde vom gegen die Bescheide des Finanzamtes Graz-Stadt vom , betreffend Umsatzsteuer 2010 - 2015 und Verspätungszuschlag für die Umsatzsteuer 2010 - 2015 zu Recht erkannt:
I. Die Bescheide vom betreffend Umsatzsteuer 2010 und 2011 sowie betreffend Verspätungszuschlag für die Umsatzsteuer 2010 - 2015 werden
- ersatzlos - aufgehoben.
II. Im Übrigen (hinsichtlich Umsatzsteuer 2012 - 2015) wird die Beschwerde gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.
III. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
I. Bisheriger Verfahrensgang
Die Beschwerdeführerin ist ein Telekommunikationsunternehmen aus den USA. Wollten die US-Kunden der Bf. in Österreich mit ihrem Mobiltelefon telefonieren, musste die Bf. dafür Leistungen österreichischer Telekommunikationsunternehmen in Anspruch nehmen. Diese erbrachten sogenannte "Roamingleistungen" und verrechneten der Bf. die entsprechenden Roaminggebühren unter Ausweis österreichischer Umsatzsteuer.
Für die Streitjahre 2010 und 2011 reichet die Bf. Vorsteuer-Erstattungsanträge für das gesamte Kalenderjahr ein und das Finanzamt erstattete die in den Rechnungen österreichischer Mobilfunkunternehmer für Roaminggebühren ausgewiesenen Beträge an Umsatzsteuer.
Die in weiterer Folge vom Finanzamt verfügte Wiederaufnahme der Erstattungsverfahren wurde vom BFG mit Erkenntnis vom , RV/2101381/2019 aufgehoben (Revision wurde keine eingebracht), sodass nunmehr feststeht, dass für die Jahre 2010 und 2011 rechtskräftige Erstattungsbescheide vorliegen.
Mit den Bescheiden vom (Vorsteuererstattung 2012 und 2013), vom (Vorsteuererstattung 2014) und vom (Vorsteuererstattung 2015) wies das Finanzamt die jeweiligen Erstattungsanträge wegen des Vorliegens von Umsätzen ab.
Laut Erkenntnis des verlagern sich die strittigen Umsätze der Bf. nach der mit dem Unionsrecht in Einklang stehenden Verordnung BGBl. II Nr. 383/2003 idF BGBl. II Nr. 221/2009 in das Inland. Daher ist die Anwendung des Erstattungsverfahrens ausgeschlossen und stattdessen ist eine Veranlagung der im Inland erzielten Umsätze vorzunehmen.
Das Finanzamt hat dazu die Höhe der Umsätze der Bf. im Inland mittels Gewinnaufschlagmethode (Eingangsleistungen plus x% Gewinnaufschlag) ermittelt und diese Schätzung anhand von Vergleichen mit (veröffentlichten) Roaminggebühren anderer Unternehmer verprobt.
Im Vorlageantrag vom wurde (nur) bestritten, dass die Bf. überhaupt Telekommunikationsdienstleistungen in Österreich ausführt, da eine Nutzung bzw. Auswertung nur dann im Inland erfolge, wenn der Leistungsempfänger im Inland ansässig sei.
Per Mail vom wurden von der (nunmehr ehemaligen) steuerlichen Vertretung ergänzende Schriftsätze angekündigt, die allerdings niemals einlangten. Zur mündlichen Verhandlung in der Sache RV/2101381/2019 ist kein Vertreter der Bf. erschienen.
Auch nach Zustellung des Erkenntnisses vom , RV/2101381/2019, in dem die grundsätzliche Verpflichtung zur Versteuerung von Umsätzen in Österreich festgestellt wurde, wurden seitens der Bf. keine weiteren Einwendungen gemacht.
II. Über die Beschwerde wurde erwogen:
1. Sachverhalt und Beweiswürdigung
Der Sachverhalt stellt sich wie im Verfahrensgang bzw. im Erkenntnis des geschildert dar und wird von keiner Partei bestritten.
2. Rechtliche Beurteilung
2.1. Umsatzsteuer 2010 und 2011 - ne bis in idem
Es ist auch im Abgabenverfahren davon auszugehen, dass in derselben Sache nur einmal abzusprechen ist (vgl. zum Grundsatz " ne bis in idem " , , , oder schon , mit Hinweis auf Stoll, BAO-Kommentar I, 960).
Der Sachverhalt als solcher muss dem Spruch nach identifizierbar sein. Durch die spruchmäßige Erfassung des Sachverhaltes und die Subsumtion unter eine bestimmte Rechtsvorschrift wird die Verwaltungssache als solche konkretisiert. Sie ist insoweit bestimmt und von der Rechtskraft des Bescheides erfasst, damit ist über die dadurch umschriebene Sache verbindlich abgesprochen und über die solchermaßen umschriebene und spruchgemäß festgelegte Angelegenheit ein weiterer Abspruch unzulässig (nochmals oder ).
Im Beschwerdefall wurden "Bescheide über die Erstattung von Vorsteuern" für 01-12/2010 und 01-12/2011 erlassen, die in weiterer Folge rechtskräftig wurden. Im Spruch heißt es "Die Erstattung der abziehbaren Vorsteuern gemäß Verordnung des Bundesministers für Finanzen, BGBl.Nr. 279/1995 für den Zeitraum (…) erfolgt mit: (…) "
Die so umschriebene Sache betrifft die gesamten umsatzsteuerlichen Aktivitäten der Bf. in dem bestimmten Zeitraum in Österreich. Durch die Subsumtion des Falles unter das Erstattungsverfahren trifft das Finanzamt nämlich auch Feststellungen zu Umsätzen im Inland: Nur ausländische Unternehmer, die keine Umsätze im Inland erzielen, können das Erstattungsverfahren nach der VO 279/1995 anwenden. Dieses stellt lediglich eine verfahrensrechtliche Besonderheit (Vereinfachung) zum Veranlagungsverfahren gem. § 21 UStG 1994 dar, da der Bundesminister für Finanzen gemäß § 21 Abs 9 UStG 1994 bei nicht im Inland ansässigen Unternehmern durch Verordnung die Erstattung der Vorsteuern abweichend von den Abs. 1 bis 5 sowie den §§ 12 und 20 regeln kann. Die Verordnung ist demnach keine eigenständige, von der Veranlagung unabhängige Form der umsatzsteuerlichen Erfassung, sondern eine verfahrensrechtliche Variante.
Durch die Erlassung von (nunmehr rechtskräftigen) Erstattungsbescheiden für die Jahre 2010 und 2011 ist die "Sache" als die gesamten umsatzsteuerlichen Aktivitäten der Bf. im Inland umschrieben.
Kommt es - wie im Beschwerdefall - dazu, dass das Finanzamt die Umsätze eines Unternehmers falsch beurteilt (statt richtigerweise von Umsätzen der Bf. im Inland auszugehen, hat das Finanzamt fälschlich angenommen, die Bf. habe keine Umsätze im Inland erzielt), so kann diese falsche Beurteilung nur durch eine in der Verfahrensordnung vorgesehene Änderung des Bescheides (zB durch Wiederaufnahme gem. § 303 BAO oder durch Bescheidaufhebung gem. § 299 BAO) korrigiert werden.
Da über die in den Erstattungsbescheiden umschriebene und spruchgemäß festgelegte Angelegenheiten "Umsatzsteuer 2010 und 2011" ein weiterer Abspruch unzulässig ist, waren die Umsatzsteuerbescheide 2010 und 2011 ersatzlos aufzuheben.
2.2. Umsatzsteuer 2012 - 2015
Hinsichtlich der Jahre 2012 - 2015 hat das Finanzamt die Erstattungsanträge mit der Begründung abgewiesen, die Bf. hätte Umsätze im Inland erzielt, welche im Veranlagungsverfahren zu erfassen wäre.
Insofern liegt noch keine rechtskräftige Erledigung der Sache Umsatzsteuer 2012 - 2015 vor, sodass der Grundsatz "ne bis in idem" einer Veranlagung nicht im Wege steht.
§ 1 der Verordnung des Bundesministers für Finanzen über die Verlagerung des Ortes der sonstigen Leistung bei Telekommunikationsdiensten sowie Rundfunk- und Fernsehdienstleistungen, BGBl. II Nr. 383/2003 idF BGBl. II Nr. 221/2009, bestimmt:
"Liegt bei einer in § 3a Abs. 14 Z 12 und 13 des Umsatzsteuergesetzes 1994, BGBl. Nr. 663, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 52/2009, bezeichneten Leistung der Ort der Leistung gemäß § 3a des Umsatzsteuergesetzes 1994 außerhalb des Gemeinschaftsgebietes, so wird die Leistung im Inland ausgeführt, wenn sie dort genutzt oder ausgewertet wird. "
Der , "SK Telecom Co. Ltd" entschieden, dass in Sachverhaltskonstellationen wie sie im Beschwerdefall gegeben sind, die Leistung im Inland erbracht wird. Im Tenor heißt es dazu:
"Art. 59a Abs. 1 Buchst, b der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem in der durch die Richtlinie 2008/8/EG des Rates vom mit Wirkung vom geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass Roamingleistungen, die von einem in einem Drittland ansässigen Mobilfunkbetreiber an seine Kunden, die ebenfalls in diesem Drittland ansässig sind bzw. dort ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben, erbracht werden und die es diesen Kunden ermöglichen, das nationale Mobilfunknetz des Mitgliedstaats, in dem sie sich vorübergehend aufhalten, zu nutzen, als Dienstleistungen anzusehen sind, deren "tatsächliche Nutzung oder Auswertung" im Sinne dieser Bestimmung im Gebiet dieses Mitgliedstaats erfolgt, so dass dieser den Ort der Roamingleistungen so behandeln kann, als läge er in seinem Gebiet, wenn dadurch eine Nichtbesteuerung der Roamingleistungen in der Union vermieden wird und ohne dass es hierbei darauf ankommt, welcher steuerlichen Behandlung die Roamingleistungen nach dem nationalen Steuerrecht des Drittlands unterliegen "
Damit ist höchstgerichtlich klargestellt, dass sich die entsprechenden Umsätze der Bf. nach der mit dem Unionsrecht in Einklang stehenden Verordnung BGBl. II Nr. 383/2003 idF BGBl. II Nr. 221/2009 in das Inland verlagern.
Soweit die Abgabenbehörde die Grundlagen für die Abgabenerhebung nicht ermitteln oder berechnen kann, hat sie diese zu schätzen. Dabei sind alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung sind (§ 184 Abs 1 BAO).
Im Beschwerdefall hat die Bf. keine Umsätze bekannt gegeben. Das Finanzamt musste daher eine Schätzung vornehmen.
Ziel der Schätzung ist, den wahren Besteuerungsgrundlagen möglichst nahe zu kommen. Jeder Schätzung ist eine gewisse Ungenauigkeit immanent. Wer zur Schätzung Anlass gibt und bei der Ermittlung der materiellen Wahrheit nicht entsprechend mitwirkt, muss die mit jeder Schätzung verbundene Ungewissheit hinnehmen.
Die Wahl der Schätzungsmethode steht der Abgabenbehörde grundsätzlich frei. Es ist jene Methode (allenfalls mehrere Methoden kombiniert) zu wählen, die im Einzelfall zur Erreichung des Zieles, den tatsächlichen Gegebenheiten (der tatsächlichen Besteuerungsgrundlage) möglichst nahe zu kommen, am geeignetsten erscheint ( unter Verweis auf Ritz, BAO3, § 184 Tz 3 und 12).
Im Beschwerdefall erscheint die gewählte Gewinnaufschlag-Methode geeignet zu sein, den tatsächlichen Gegebenheiten nahe zu kommen, da die Bf. außer den Roaminggebühren keine Kosten im Inland hat und die Roaminggebühren unstrittig an ihre Kunden weiterverrechnet. Dass Unternehmer Kosten mit Aufschlag weiterverrechnen liegt in der Natur des Unternehmers, der ja bestrebt ist, Gewinne (Überschüsse) zu erzielen.
Nachdem das Finanzamt die Höhe des Aufschlages auch mit veröffentlichten Kosten anderer Unternehmer verglichen hat, ist es wahrscheinlich, dass es damit den wahren Besteuerungsgrundlagen nahekommt.
Substantiiert vorgetragenen Behauptungen der Bf. (vgl dazu beispielsweise ) konnte das Finanzamt nicht entgegentreten, weil die Bf. trotz Ankündigung keine Einwendungen gemacht hat.
Die Schätzung der Umsätze ist für die Jahre 2012 - 2015 geboten und die Schätzung wurde so vorgenommen, dass sie den wahren Besteuerungsgrundlagen möglichst nahekommt.
Die Beschwerde war daher bezüglich der Umsatzsteuerbescheide 2012 - 2015 anzuweisen.
2.3. Verspätungszuschlag
Der gesetzliche Zweck der Festsetzung von Verspätungszuschlägen besteht darin, den rechtzeitigen Eingang der Abgabenerklärungen und damit die zeitgerechte Festsetzung und die Entrichtung der Abgabe sicherzustellen. Mit Verspätungszuschlägen wird die Säumnis bei Erfüllung der Abgabenerklärungspflicht und die daraus für die Finanzverwaltung/den Fiskus entstehenden Folgen und Risken geahndet ().
Im Beschwerdefall hat die Bf. rechtzeitig Erstattungsanträge eingebracht. Damit hat die Bf. ihre Abgabenerklärungspflicht erfüllt, auch wenn die Abgabenerklärungen der Höhe nach unrichtig waren, weil die Bf. die Minderung der Bemessungsgrundlage und die Umsätze nicht in die Erklärungen aufgenommen hat.
Mit dem Verspätungszuschlag wird jedoch nur die Nichtabgabe der Steuererklärung und nicht die inhaltliche Unrichtigkeit der Erklärung geahndet. Damit besteht bereits dem Grunde nach keine Grundlage für die Verhängung des Verspätungszuschlages.
Im Übrigen liegt die Festsetzung von Verspätungszuschlägen dem Grunde und der Höhe nach im Ermessen (), wobei ein Rechtsirrtum bzw. das Handeln auf Grund einer vertretbaren Rechtsansicht die Annahme eines für das Ermessen wesentlichen Verschuldens ausschließen kann ().
Die Bf. hat nur Erstattungsanträge eingereicht, weil sie die Auffassung vertreten hat, dass die VO 383/2003 idF 221/2009 unionsrechtswidrig sei bzw. es zu keiner Ortsverlagerung käme. Dass es sich dabei um eine vertretbare Rechtsansicht handelt, ergibt sich bereits aus der Tatsache, dass das BFG in der Rechtssache "SK Telecom" deshalb ein Vorabentscheidungsersuchen eingebracht hat.
Mit einem Verspätungszuschlag soll nur das Fehlverhalten, Abgabenerklärungen nicht fristgerecht einzubringen, sanktioniert werden. Keinesfalls soll ein drohender Verspätungszuschlag Abgabepflichtige daran hindern, eine andere Rechtsauffassung als das Finanzamt zu vertreten.
Die Bescheide betr. Verspätungszuschläge waren daher wie im Spruch ersichtlich aufzuheben, weil die Bf. fristgereicht Erklärungen eingereicht hat. Die Erklärungen waren zwar im Nachhinein gesehen unrichtig, jedoch beruhte die Unrichtigkeit auf einer vertretbaren Rechtsauffassung, weshalb die Bf. auch kein für die Verhängung eines Verspätungszuschlages wesentliches Verschulden trifft.
3. Revision
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Im Beschwerdefall sind die Rechtsfragen höchstgerichtlich wie dargestellt geklärt, weshalb keine Rechtsfrage grundlegender Bedeutung vorliegt.
Graz, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 184 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2022:RV.2100079.2022 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at