Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 28.07.2022, RV/5100028/2021

Schlüssigkeit der Gutachten des Sozialministeriumservice

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Freistadt Rohrbach Urfahr vom zu VNR ***1*** betreffend Rückforderung zu Unrecht für den Zeitraum August 2019 bis November 2019 bezogender Beträge an erhöhter Familienbeihilfe samt Kinderabsetzbeträgen in Höhe von insgesamt 1.517,60 € zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Der am ***2*** geborene Beschwerdeführer war ab Arbeiterlehrling, beantragte mit Formblatt Beih 100 am die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe ab Oktober 2017 (Eigenantrag) und berief sich dabei auf das bereits vorliegende Sachverständigengutachten des Bundessozialamtes (nunmehr Sozialministeriumservice) vom .

In diesem Gutachten wurde nach einer am durchgeführten Untersuchung eine Behinderung des Beschwerdeführers im Ausmaß von 50 % bescheinigt und dabei festgestellt:

Anamnese:
2006 wurde ein ADHS diagnostiziert und mit Ritalin, Concerta und Seroquel behandelt. Seit 2013 wurde die medikamentöse Therapie beendet. Seit Mai 2103
[richtig wohl: 2013] ASO in der ***4***, dzt. Berufsvorbereitungsjahr dort. Davor besuchte er die ASO in ***5***. Er ist insgesamt sehr unselbstständig, fürchtet sich im Dunkeln.

Derzeitige Beschwerden: Ängstlichkeit

Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel: keine

Sozialanamnese:

Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe): 2015-05-08 Schulbestätigung, ***6*** Schule, Zentrum für Inklusiv-und Sonderpädagogik

Untersuchungsbefund:
Allgemeinzustand:
Ernährungszustand:
Größe: 188,00 cm Gewicht: 117,00 kg Blutdruck:

Status (Kopf / Fußschema) - Fachstatus:
15 11712 alter adipöser Jugendlicher, HNO bland, Cor, Pulmo unauffällig, Bauch weich, Gen. männl.

Gesamtmobilität - Gangbild: Bewegungsapparat unauffällig

Psycho(patho)logischer Status:
psychomotorische Retardierung

Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:


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Lfd.
Nr.
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:
Begründung der Rahmensätze:
Pos.Nr.
GdB %
1
ADHS und Entwicklungsretardierung
unterer Rahmensatz, da alleinige kognitive Beeinträchtigung
50

Gesamtgrad der Behinderung 50 v. H.

Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:

Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostiziertenGesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung:

Stellungnahme zu Vorgutachten:keine Änderung zum Vorgutachten

Der festgestellte Grad der Behinderung wird voraussichtlich mehr als 3 Jahre andauern:ja

GdB liegt vor seit: 07/2004, Nachuntersuchung: in 5 Jahren

Das Vorliegen einer voraussichtlich dauernden Erwerbsunfähigkeit wurde in diesem Gutachten nicht bescheinigt. Auch finden sich keine näheren Hinweise zum zitierten "Vorgutachten", in dem offensichtlich aufgrund der 2006 diagnostizierten ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung) ab 07/2004 ein Grad der Behinderung von 50 % festgestellt worden war. Dieses Vorgutachten bzw. eine entsprechende Bescheinigung finden sich auch nicht in der Beihilfendatenbank.

Aufgrund des Gutachtens vom wurde dem Antrag des Beschwerdeführers vom entsprochen und ab Oktober 2017 (bis November 2019) erhöhte Familienbeihilfe samt Kinderabsetzbetrag gewährt (Mitteilung über den Bezug der Familienbeihilfe vom ).

Mit Überprüfungsschreiben vom wurde der Beschwerdeführer aufgefordert, das Lehrabschlussprüfungszeugnis vorzulegen.

Der Beschwerdeführer gab dazu am bekannt, dass er aufgrund Kniebeschwerden und Krankenstand einen nicht näher bezeichneten Kurs nicht machen habe können, der aber Voraussetzung für die Lehrabschlussprüfung sei. Nächster Termin wäre voraussichtlich Anfang 2020.

Das Finanzamt stellte durch eine Abfrage im AJ-WEB (Dienstgeberabfrage) am fest, dass der Beschwerdeführer die Lehre am abgebrochen hatte.

Daraufhin forderte das Finanzamt mit Bescheid vom die für den Zeitraum August 2019 bis November 2019 zu Unrecht bezogenen Beträge an erhöhter Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträgen in Höhe von insgesamt 1.517,60 € zurück und verwies in der Begründung auf die am abgebrochene Berufsausbildung.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde vom . Darin brachte der Beschwerdeführer vor, dass er aufgrund seiner 50 %igen Beeinträchtigung dauernd erwerbsunfähig sei und ihm daher die Familienbeihilfe altersunabhängig zustehe. Die dauernde Erwerbsunfähigkeit sei vor seinem 21. Lebensjahr (vollendet am ***3***) aufgetreten.

Daraufhin forderte das Finanzamt ein neues Gutachten des Sozialministeriumservice an. In diesem Gutachten vom wurde nach der am selben Tag durchgeführten Untersuchung festgestellt:

Anamnese:
Vorgutachten 2015 Dr.
***7*** mit 50% wegen ADHS und Entwicklungsretardierung (damals außer Schulbestätigung keine Befunde), rückwirkend ab 07/2004. Neuantrag nach Ablauf der FLAG und Beschwerdeeinreichung.

Derzeitige Beschwerden:
Habe ADHS. Sei in Wohngemeinschaft mit 13 Jahren gekommen, sei nach ASO-Lehrplan unterrichtet worden, ob er konkret in einer Sonderschule gewesen sei, wisse er nicht. Habe 3 Jahre Malerlehre ohne Abschluss beim *** gemacht. Ab März 19 im Krankenstand gewesen wegen Meniscus, hätte nur noch 3 Monate zum Lehrabschluss gehabt, dann einvernehmliche Kündigung. Im Jänner 20 dann arthroskopiert. Jetzt beim AMS. Neue Befunde gebe es nicht. Fragt dann, wohin er sich wenden solle, weil er früher Ritalin genommen habe, er glaube, er brauche das wieder, fühle sich zunehmend gereizt und unruhig. Auf die Frage, was er zu Hause mache, wie er den Tag verbringe, sagt er, er schreibe Bewerbungsschreiben und mache nach Möglichkeit Sport, gehe laufen. Er habe wegen seines Gewichtes um Kur angesucht.

Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel:
Keine Medikamente, keine Therapien - fallweise Allergietabletten.

Sozialanamnese:
Anamnestisch ASO-Schulabschluss. Wohnt alleine in Whg, die Mutter in der Nebenwohnung.

Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe): Bringt nur alte Befunde aus der frühen Kindheit mit:

11/2011 Dr. ***8***: KinderFA, Kinderpsych.: Keine Diagnose (Frage eines ADHS wird nicht eindeutig bestätigt) - Med.: Ritalin, Seroquel

06/2002 HP-Zentrum ***9***; Krisenübernahme - Entlassung 07/2002 zu den Eltern.

2003 Dr. ***10*** Psychol.: Hyperaktvität, Schlafstörungen

2003 KH ***11***: Aufmerksamkeitsdefizit, Hyperaktivitätssyndrom, Enuresis noct.

Untersuchungsbefund:
Allgemeinzustand: gut.

Ernährungszustand: sehr adipös.

Größe: 189,00 cm Gewicht: 155,00 kg Blutdruck:

Status (Kopf / Fußschema) - Fachstatus:
Sensorium unauffällig, C/P unauffällig, Abdomen unauffällig, WS gerade, Extremitäten frei beweglich.

Gesamtmobilität - Gangbild: Frei, zügig, symm.

Psycho(patho)logischer Status:
unauffällig in Orientierung, Gedankenablauf, Stimmung euthym, wirkt im Antrieb leicht getrieben.

Es ist kein Grad der Behinderung zu ermitteln.

Begründung: aufgrund fehlender aktueller Befunde konnte kein GdB ermittelt werden, aktuell keine fachärztl. Kontrollen, keine Medikamente, keine Therapien.

Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung: keine.

Stellungnahme zu Vorgutachten:
kein GdB aufgrund fehlender Befunde/Nachweise (jüngster mitgebrachter Befund - 2011).

Herr ***Bf1*** ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen: NEIN

Anmerkung bzw. Begründung betreffend die Fähigkeit bzw. voraussichtlich dauernde Unfähigkeit,sich selbst den Unterhalt zu verschaffen:

Eine Arbeitsunfähigkeit konnte anhand fehlender Befunde und anamnestisch keiner Therapien oderfachärztl. Kontrollen nicht attestiert werden.

Das Finanzamt wies daher die Beschwerde vom mit Beschwerdevorentscheidung vom unter Hinweis auf die beiden vom Sozialministeriumservice erstatteten Gutachten ab; in keinem der beiden Gutachten sei eine voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit festgestellt worden.

Dagegen richtet sich der offenkundig von den Eltern des Beschwerdeführers verfasste, jedoch von diesem unter Angabe seiner damaligen Adresse unterschriebene Vorlageantrag vom . Darin wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer alleine in einer Wohnung lebe. Dieser sei 2013 psychisch erkrankt und stationär psychiatrisch behandelt worden. Er sei von klein auf wegen ADHS behandelt worden und nehme nach wie vor Ritalin. Aufgrund seiner Erkrankung habe er in einer Sonderschule eine besondere Betreuung erhalten. Er gehe momentan einer Tätigkeit für 30 Stunden bei einer Tankstelle nach. Damit das so bleibe, "müssen wir sehr darauf schauen bzw. müssen wir ihn sehr motivieren". Er sei unselbständig, könne nicht "allein in der Fremde wo bleiben". Er sei aggressiv, impulsiv, laut, nervös, extrem "schlafgestört", mit allem überfordert. Seine Wohnung hätten "wir Eltern" herrichten müssen. Er sei sehr (bei näher beschriebenen Tätigkeiten) sehr unselbständig.

Am legte das Finanzamt die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor und beantragte eine Abweisung derselben.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Sachverhalt

Der am ***2*** geborene Beschwerdeführer hat sein 18. Lebensjahr am ***12*** und sein 21. Lebensjahr am ***3*** vollendet. Dass vor dem ***3*** eine voraussichtlich dauernde Unfähigkeit eingetreten wäre, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, wurde in den beiden Gutachten des Sozialministeriumservice vom und nicht festgestellt.

Der Beschwerdeführer hat die am begonnene Lehre am abgebrochen und war laut den im AJ-WEB gespeicherten Daten in der Zeit von bis als Arbeiter bei der ***13*** GmbH beschäftigt, und ist dort seit als Angestellter tätig.

Beweiswürdigung

Der Gesetzgeber hat durch die Bestimmung des (unten zitierten) § 8 Abs. 6 FLAG 1967 die Frage des Grades der Behinderung und auch die damit in der Regel unmittelbar zusammenhängende Frage der voraussichtlich dauernden Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, der eigenständigen Beurteilung der Familienbeihilfenbehörden entzogen und dafür ein qualifiziertes Nachweisverfahren eingeführt, bei dem eine für diese Aufgabenstellung besonders geeignete Institution eingeschaltet wird und der ärztliche Sachverstand die ausschlaggebende Rolle spielt. Die Beihilfenbehörden haben bei ihrer Entscheidung jedenfalls von dieser durch ärztliche Gutachten untermauerten Bescheinigung auszugehen ().

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind die Abgabenbehörde und das Bundesfinanzgericht an die der Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen zugrunde liegenden Gutachten gebunden sind und dürfen diese nur insoweit prüfen, ob sie schlüssig und vollständig sind und im Falle mehrerer Gutachten nicht einander widersprechen (z.B. ; und 2009/16/0310, mwN).

Wurden von der Abgabenbehörde bereits solche Sachverständigengutachten eingeholt, erweisen sich diese als schlüssig und vollständig und wendet der Beschwerdeführer nichts Substantiiertes ein, besteht für das Bundesfinanzgericht kein Grund, neuerlich ein Sachverständigengutachten einzuholen (). Durch ein Privatgutachten, Röntgenbilder, chemische Analysen oder Ähnliches könnte allenfalls die Schlüssigkeit der vom Sozialministeriumservice eingeholten Gutachten widerlegt werden (z.B. mwN; ).

Die Beweisregel des § 8 Abs. 6 FLAG 1967 geht als Spezialnorm den allgemeinen Bestimmungen des § 166 BAO betreffend Beweismittel und des § 177 BAO betreffend den Sachverständigenbeweis vor (Lenneis/Wanke, FLAG, § 8 Tz 12 mit Hinweis auf ).

Im vorliegenden Fall wurde im ärztlichen Sachverständigengutachten vom schlüssig begründet, warum keine dauernde Erwerbsunfähigkeit vorliege. Es wurden vom Beschwerdeführer keinerlei aktuelle Befunde vorgelegt, welche die Annahme einer dauernden Erwerbsunfähigkeit rechtfertigten könnten und es wurden bei der am durchgeführten Untersuchung auch keine gesundheitlichen Einschränkungen festgestellt, die einen Grad der Behinderung im Sinne des § 8 Abs. 5 FLAG 1967 oder eine voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, begründen würden. Es ist nicht unschlüssig, wenn die untersuchende Ärztin in diesem Zusammenhang zur Ansicht gelangt ist, dass die vorgelegten alten Befunde aus der frühen Kindheit des Beschwerdeführers für die Feststellung des aktuellen Gesundheitszustandes keine Aussagekraft besitzen. Angesichts fehlender konkreter gesundheitlicher Beeinträchtigungen erfolgen auch keinerlei medizinische (medikamentöse oder therapeutische) Behandlungen des Beschwerdeführers.

Eine voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit war auch im Gutachten vom nicht festgestellt worden. Insofern liegen zur im gegenständlichen Verfahren allein entscheidenden Frage einander nicht widersprechende Gutachten vor. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass in diesem Gutachten ein Grad der Behinderung von 50 % festgestellt worden war, wobei sich die Begründung in einem Verweis auf die im Jahr 2006 (!) diagnostizierte ADHS erschöpft und schon in diesem Gutachten auf die im Jahr 2013 beendete medikamentöse Behandlung hingewiesen worden war. Bei volljährigen Kindern, denen nicht schon aus anderen Gründen als aus dem Titel der Behinderung der Grundbetrag an Familienbeihilfe zusteht, ist der Grad der Behinderung ohne jede Bedeutung, und würde er auch 100 % betragen. Auch bei einer Behinderung von 100 % ist es nicht ausgeschlossen, dass der Betreffend imstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Besteht also keine vor dem 21. Lebensjahr eingetretene dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, steht weder der Grund- noch der Erhöhungsbetrag zu; besteht eine derartige Unfähigkeit, stehen sowohl Grund- als auch Erhöhungsbetrag zu (Lenneis/Wanke, FLAG, § 8 Tz 19 mit Judikaturnachweisen).

Schließlich erscheinen die beiden ärztlichen Sachverständigengutachten auch im Hinblick auf die vom Beschwerdeführer seit ausgeübte Erwerbstätigkeit nicht unschlüssig.

Insgesamt gesehen wurde vom Beschwerdeführer weder eine Unschlüssigkeit der beiden Gutachten des Sozialministeriumservice aufgezeigt, noch wurden neue Befunde vorgelegt, die es geboten hätten, eine Ergänzung der vorliegenden Gutachten einzuholen.

Bei dieser Sachlage ist das Bundesfinanzgericht nach der aufgezeigten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes verpflichtet, die Gutachten als mängelfreie Beweismittel seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)

§ 6 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 (FLAG) normiert auszugweisen (soweit für den gegenständlichen Beschwerdefall von Relevanz):

(1) Anspruch auf Familienbeihilfe haben auch minderjährige Vollwaisen, wenn
a) sie im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben,
b) ihnen nicht Unterhalt von ihrem Ehegatten oder ihrem früheren Ehegatten zu leisten ist und
c) für sie keiner anderen Person Familienbeihilfe zu gewähren ist.

(2) Volljährige Vollwaisen haben Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn auf sie die Voraussetzungen des Abs. 1 lit. a bis c zutreffen und wenn sie ...

a) das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und für einen Beruf ausgebildet werden oder in einem erlernten Beruf in einer Fachschule fortgebildet werden, wenn ihnen durch den Schulbesuch die Ausübung ihres Berufes nicht möglich ist. § 2 Abs. 1 lit. b zweiter bis letzter Satz sind anzuwenden; oder …

d) wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, und deren Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wird, sofern die Vollwaise nicht einen eigenständigen Haushalt führt; dies gilt nicht für Vollwaisen, die Personen im Sinne des § 1 Z 3 und Z 4 des Strafvollzugsgesetzes, BGBl. Nr. 144/1969, sind, sofern die Bestimmungen des Strafvollzugsgesetzes, BGBl. Nr. 144/1969, auf sie Anwendung finden.

(3) Ein zu versteuerndes Einkommen (§ 33 Abs. 1 EStG 1988) einer Vollwaise führt bis zu einem Betrag von 15.000 € in einem Kalenderjahr nicht zum Wegfall der Familienbeihilfe. Übersteigt das zu versteuernde Einkommen (§ 33 Abs. 1 EStG 1988) der Vollwaise in einem Kalenderjahr, das nach dem Kalenderjahr liegt, in dem die Vollwaise das 19. Lebensjahr vollendet hat, den Betrag von 15.000 €, so verringert sich die Familienbeihilfe, die der Vollwaise nach § 8 Abs. 2 einschließlich § 8 Abs. 4 gewährt wird, für dieses Kalenderjahr um den 15.000 € übersteigenden Betrag. § 10 Abs. 2 ist nicht anzuwenden. Bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens (§ 33 Abs. 1 EStG 1988) der Vollwaise bleiben außer Betracht:

a) das zu versteuernde Einkommen, das vor oder nach Zeiträumen erzielt wird, für die Anspruch auf Familienbeihilfe besteht,

b) Entschädigungen aus einem anerkannten Lehrverhältnis,

c) Waisenpensionen und Waisenversorgungsgenüsse,

d) Ausgleichszulagen und Ergänzungszulagen, die aufgrund sozialversicherungs- oder pensionsrechtlicher Vorschriften gewährt werden.

e) Pauschalentschädigungen gemäß § 36 Abs. 1 des Heeresgebührengesetzes 2001, die für den außerordentlichen Zivildienst gemäß § 34b in Verbindung mit § 21 Abs. 1 des Zivildienstgesetzes 1986 oder den Einsatzpräsenzdienst gemäß § 19 Abs. 1 Z 5 des Wehrgesetzes 2001 gewährt werden.

(5) Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und deren Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wird, haben unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 bis 3). Erheblich behinderte Kinder im Sinne des § 2 Abs. 1 lit. c, deren Eltern ihnen nicht überwiegend den Unterhalt leisten und die einen eigenständigen Haushalt führen, haben unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 und 3).

§ 8 FLAG 1967 bestimmt auszugsweise:

(2) Die Familienbeihilfe beträgt monatlich

ab

a) 114 € für jedes Kind ab Beginn des Kalendermonats der Geburt,

b) 121,9 € für jedes Kind ab Beginn des Kalendermonats, in dem es das 3. Lebensjahr vollendet,

c) 141,5 € für jedes Kind ab Beginn des Kalendermonats, in dem es das 10. Lebensjahr vollendet,

d) 165,1 € für jedes Kind ab Beginn des Kalendermonats, in dem es das 19. Lebensjahr vollendet …

(4) Die Familienbeihilfe erhöht sich monatlich für jedes Kind, das erheblich behindert ist, ab und 138,30 €, ab um 150 €, ab um 152,90 €, ab um 155,90 €.

(5) Als erheblich behindert gilt ein Kind, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muß mindestens 50 vH betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind § 14 Abs. 3 des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, in der jeweils geltenden Fassung, und die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) vom , BGBl. II Nr. 261/2010, in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens nach fünf Jahren neu festzustellen, soweit nicht Art und Umfang eine Änderung ausschließen.

(6) Der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, ist durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen. Die diesbezüglichen Kosten sind aus Mitteln des Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen zu ersetzen.

Die Bestimmung des § 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967 stellt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes darauf ab, dass der Voll- oder Sozialwaise auf Grund einer zu einem bestimmten Zeitpunkt eingetretenen Behinderung außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Da sich die vorliegenden ärztlichen Gutachten, in denen der Eintritt der dauernden Erwerbsfähigkeit vor Vollendung des 21. Lebensjahres verneint wurde, als schlüssig erweisen (siehe oben die Ausführungen zur Beweiswürdigung), waren sie der rechtlichen Beurteilung zugrunde zu legen.

Damit fehlen im gegenständlichen Fall die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967 für die Gewährung der (erhöhten) Familienbeihilfe aufgrund einer vor Vollendung des 21. Lebensjahre eingetretenen voraussichtlich dauernden Erwerbsunfähigkeit.

Für den Zeitraum ab August 2019 fehlte es damit an den Voraussetzungen für die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe, weshalb die von August bis November 2019 vom Finanzamt zu Unrecht gewährten Beträge gemäß § 26 Abs. 1 FLAG 1967 iVm § 33 Abs. 3 EStG 1988 zurückzufordern waren.

Aus § 26 Abs. 1 FLAG ergibt sich eine rein objektive Rückzahlungspflicht desjenigen, der die Familienbeihilfe zu Unrecht bezogen hat. Es kommt nur auf die objektive Rechtswidrigkeit des Bezugs von Familienbeihilfe an, also auf das Fehlen der Anspruchsvoraussetzungen für den Leistungsbezug. Subjektive Momente, wie Verschulden an der (ursprünglichen oder weiteren) Auszahlung der Familienbeihilfe (etwa durch unrichtige Angaben im Zuge einer Überprüfung des Beihilfenbezuges oder Verstoß gegen die Meldepflicht gemäß § 25 FLAG), Gutgläubigkeit des Empfangs der Familienbeihilfe oder die Verwendung derselben sind nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für die Verpflichtung zur Rückerstattung unrechtmäßiger Beihilfenbezüge unerheblich. Entscheidend ist lediglich, ob der Empfänger die Beträge zu Unrecht erhalten hat. Wie der Bezieher die erhaltenen Beträge verwendet hat, ist nicht von Bedeutung; ebenso, ob der Bezieher diese im guten Glauben entgegengenommen hat. Der gutgläubige Verbrauch der Beträge ist rechtlich ohne Bedeutung, weil der Rückforderungsanspruch nach § 26 Abs. 1 FLAG nur auf die objektive Unrechtmäßigkeit des Bezuges der Familienbeihilfe abstellt (Lenneis/Wanke, FLAG, § 26 Rz 12 ff mit zahlreichen Judikaturnachweisen).

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Der Verwaltungsgerichtshof ist als Rechtsinstanz tätig und zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Auch kann einer Rechtsfrage nur dann grundsätzliche Bedeutung zukommen, wenn sie über den konkreten Einzelfall hinaus Bedeutung besitzt. Eine im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung wirft daher nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Allgemeinen keine über den Einzelfall hinausgehende Rechtsfrage iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG auf (z.B. mwN). Die Prüfung der Schlüssigkeit eines Gutachtens des Sozialministeriumservice ist nichts anderes als eine Würdigung dieses Beweises. Eine ordentliche Revision ist daher im gegenständlichen Fall nicht zulässig.

Linz, am

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