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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 26.07.2022, RV/5100069/2019

Ist der Ausgleichsanspruch eines Handelsvertreters eine Lieferung oder sonstige Leistung?

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch PZP Steuerberatung GmbH, Am Burgfried 14, 4910 Ried im Innkreis, über die Beschwerde vom gegen den Umsatzsteuerbescheid 2016 des ***FA*** vom , Steuernummer ***BF1StNr1***, zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.

Der angefochtene Bescheid wird abgeändert.

Die Bemessungsgrundlagen und die Höhe der festgesetzten Abgabe sind dem Ende der Entscheidungsgründe dem als Beilage angeschlossenen Berechnungsblatt zu entnehmen und bilden einen Bestandteil des Spruches dieses Erkenntnisses.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Sachverhalt:

Der an den Beschwerdeführer (Bf) ergangene Umsatzsteuerbescheid 2016 datiert vom und führte zu einer Umsatzsteuernachforderung von 5.062,59 €.

Im Bescheid wurde begründend ausgeführt, dass der Verkauf des Kundenstocks gemäß § 3 Abs. 7 UStG 1994 umsatzsteuerpflichtig sei.

Innerhalb verlängerter Rechtsmittelfrist erhob der Bf durch seine steuerliche Vertreterin am Beschwerde gegen diesen Bescheid sowie gegen den Säumniszuschlagsbescheid vom .

Der Bescheid werde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts angefochten, weil die belangte Behörde den abgerechneten Anspruch nach § 89b dt. HGB als im Inland umsatzsteuerpflichtige Lieferung gemäß § 3 Abs. 7 UStG behandelt habe.

Beantragt werde, die Umsatzsteuer 2016 erklärungsgemäß zu veranlagen.

Weiters werde eine Entscheidung durch den gesamten Senat sowie die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt.

Der Bf habe mit Rechnung vom seinen Ausgleichsanspruch gemäß § 89b dt. HGB mit 31.529,83 € an seine Vertragspartnerin, die ***1*** GmbH, abgerechnet. Nach Meinung der steuerlichen Vertretung handle es sich um eine sonstige Leistung mit Übergang der Steuerschuld auf den Leistungsempfänger (reverse charge).

Die Vertragspartnerin habe diese Rechnung als (innergemeinschaftliche) sonstige Leistung verbucht, in Deutschland Umsatzsteuer abgeführt und gleichzeitig den Vorsteuerabzug vorgenommen.

Das Mail der Vertragspartnerin vom , in welchem dieser Sachverhalt nochmals schriftlich zusammengefasst worden sei, werde in der Anlage übermittelt.

Rechtlich wurde dazu ausgeführt, dass im Urteil C-242/08 (Swiss Re Germany Holding) der EuGH entschieden habe, dass die Übertragung von Lebensrückversicherungsverträgen eine sonstige Leistung und keine Lieferung darstelle.

Mit Schreiben vom habe das deutsche BMF klargestellt, dass die Übertragung von immateriellen Wirtschaftsgütern ebenfalls eine sonstige Leistung darstelle.

Die Vertragspartnerin des Bf habe daher folgerichtig die Verbuchung/Versteuerung als sonstige Leistung vorgenommen.

Das BFG Linz habe am , RV/5100368/2016, entschieden, dass es sich bei der Veräußerung eines "Patientenstocks" um eine Leistung und keine Lieferung handle (die nachfolgende Aufhebung durch den VwGH sei auf Verfahrensmängel zurückzuführen gewesen).

Die Rechnungslegung ohne Umsatzsteuerausweis durch den Bf sei daher richtig. Andernfalls würde es zu einer Doppelbesteuerung kommen, da dieser Umsatz in Übereinstimmung mit den deutschen und europarechtlichen Vorschriften in Deutschland bereits der Umsatzsteuer unterworfen worden sei. Durch den angefochtenen Umsatzsteuerbescheid sei nochmals (österreichische) Umsatzsteuer vorgeschrieben worden, wodurch eine Doppelbesteuerung eingetreten sei.

Der Umsatzsteuerbescheid 2016 sei somit mit Rechtswidrigkeit behaftet.

Das Vorbringen einer weiteren Begründung werde vorbehalten.

Um Aufhebung des Umsatzsteuerbescheides 2016 und erklärungsgemäße Veranlagung werde ersucht.

Da die Umsatzsteuernachzahlung aus dem Umsatzsteuerbescheid 2016 wegfalle, erübrige sich auch der Säumniszuschlag, sodass auch der Säumniszuschlagsbescheid (2017) in der Folge aufzuheben sein werde.

In der o.a., als Beilage angefügten Mail der Vertragspartnerin vom an die steuerliche Vertreterin führte erstere zu der bei ihr eingegangenen Rechnung an:

"Sachkontoblatt 5448, Abfindung Handelsvertreter EU-Länder mit markiertem Steuerschlüssel IGL 19 % und eine Hardcopy des Buchungssatzes mit den Sachkonten 1536 Vorsteuer und 1850 Umsatzsteuer."

Die Gebietsablösung sei nach Rücksprache mit dem Steuerbüro als sonstige Leistung erfasst und - da die Rechnung zwar vom gewesen, die Umsatzsteuervoranmeldung März aber schon abgegeben gewesen sei - in den April gebucht und im April auch in der Umsatzsteuervoranmeldung angegeben worden.

Ebenfalls beigelegt wurde die Rechnung des Bf vom an die ***1*** GmbH in Deutschland, mit welcher er für das bis zum betreute Gebiet 43 die Ablösesumme nach § 89b HGB anhand der ihm zur Verfügung gestellten Unterlagen in Höhe von 31.529,83 € berechnet hatte.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies das Finanzamt die Beschwerde als unbegründet ab.

Der Bf habe mit Rechnung vom seinen Ausgleichsanspruch gemäß § 89b HGB für das Gebiet 43 mit seiner Vertragspartnerin, der Fa. ***1*** GmbH mit Sitz in Deutschland, abgerechnet. Der Bf habe keine Umsatzsteuer ausgewiesen.

Die Vertragspartnerin habe diese Rechnung als (innergemeinschaftliche) sonstige Leistung verbucht, in Deutschland die Umsatzsteuer abgeführt und gleichzeitig den Vorsteuerabzug vorgenommen.

Gemäß den für den gegenständlichen Fall anzuwendenden österreichischen Bestimmungen sei der Verkauf eines Patientenstocks (einer Patientenkartei), eines Kundenstocks oder Firmenwertes als Lieferung zu behandeln. Ein Kundenstock werde dort geliefert, wo der überwiegende Teil der Kunden im Zeitpunkt der Verschaffung der Verfügungsmacht ansässig sei. Der gegenständliche Verkauf des Kundenstocks sei daher gemäß § 3 Abs. 7 UStG in Österreich umsatzsteuerpflichtig.

Am stellte der Bf durch seine steuerliche Vertreterin einen Vorlageantrag.

In der Beschwerdevorentscheidung sei in der rechtlichen Beurteilung des unstrittigen Sachverhalts ausschließlich auf die österreichischen Bestimmungen Bezug genommen worden. Auf die in der Bescheidbeschwerde vorgebrachten unionsrechtlichen Argumente sei nicht eingegangen worden. Unionsrecht sei jedoch von jeder Behörde/Instanz zu berücksichtigen. Daraus ergebe sich, wie auch in der Entscheidung des , ausgeführt, dass die nationalen Vorschriften des Umsatzsteuerrechts derart auszulegen seien, dass diese dem Sinn und Zweck des Gemeinschaftsrechtes entsprächen. Dabei seien auch die Urteile des EuGH zu berücksichtigen.

Auf die EU-rechtlichen Aspekte, wie sie ohnehin bereits in der Bescheidbeschwerde angeführt worden seien, wolle der Bf daher nochmals eingehen.

Mit dem Urteil vom , Swiss Re, C-242/08, habe der EuGH ausgesprochen, dass die entgeltliche Übertragung eines Bestandes an Lebensrückversicherungsverträgen eine Dienstleitung darstelle und keine Lieferung eines Gegenstandes. Diese Entscheidung basiere noch auf der Mehrwertsteuerrichtlinie vom ; die derzeit gültige Mehrwertsteuerrichtlinie vom habe in den entscheidungsgegenständlichen Artikeln jedoch keine relevanten Änderungen erfahren.

In der Literatur werde bei der entgeltlichen Übertragung eines Kundenstocks mittlerweile überwiegend (z.B. Lehner, Ein Kundenstock ist kein Gegenstand, SWK 2012, 30; Ruppe/Achatz, UStG, § 3) von einer Leistung ausgegangen.

In der Entscheidung vom , RV/5100368/2016, sei das BFG bei einem Patientenstock unter Anlehnung an die EuGH-Rechtsprechung von einer Leistung ausgegangen und habe in der Folge die Zulässigkeit einer Revision unter Verweis auf die EuGH-Rechtsprechung abgelehnt, weil durch diese die Rechtsfrage als geklärt anzusehen sei.

Sowohl in (MWSt-)richtlinienkonformer Auslegung als auch unter Beachtung der Rechtsprechung des EuGH sei von einer Beurteilung als sonstige Leistung auszugehen.

Sollte sich das Gericht dieser bereits auf europäischer Ebene geklärten Rechtsmeinung nicht anschließen wollen, rege der Bf an, die Rechtsfrage im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens dem EuGH vorzulegen, um nicht die Klärung unionsrechtlicher Fragen in die nächste Instanz zu verschieben und damit zu verzögern.

Die Nicht-Beachtung der unionsrechtlichen Entscheidung bzw. eine Nicht-Vorlage im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens schwäche nicht nur die unionsrechtlich gegebene Rechtsposition des Bf, sondern verhindere auch weiterhin ein gemeinschaftsrechtskonform harmonisiertes Auslegungsergebnis (so habe z.B. Deutschland die Entscheidung des EuGH längst umgesetzt - siehe das beiliegende Schreiben des dBMF an die obersten Finanzbehörden der Länder vom ).

Der Vollständigkeit halber werde noch erwähnt, dass eine aus pragmatischen Gründen angedachte Rechnungsberichtigung 2018 nicht erfolgen habe können, weil das Finanzamt nach telefonischer Anfrage eine (Wieder-)Vergabe der UID-Nummer mangels Umsätze infolge Tätigkeitseinstellung abgelehnt habe.

Die im vorliegenden Fall derzeit gegebene Doppelbesteuerung innerhalb der Unternehmenskette (einmal durch den Leistungserbringer aufgrund der bescheidmäßigen Festsetzung durch das Finanzamt, einmal durch den Leistungsempfänger aufgrund der Rechnungslegung/reverse charge) widerspreche dem Grundsatz der Steuerneutralität, "die ein Grundprinzip des durch das einschlägige Unionsrecht geschaffenen gemeinsamen Mehrwertsteuersystems ist" (EuGH in der Rechtssache C-111/14 vom ).

Dem Vorlageantrag wurde das Schreiben des dBMF vom beigelegt, dem auszugsweise Nachstehendes zu entnehmen ist:

"In seinem Urteil C-242/08 (Swiss Re Germany Holding) vom hat der EuGH ausgeführt, dass die Übertragung von Lebensrückversicherungsverträgen eine sonstige Leistung und keine Lieferung darstellt. Bei diesen Verträgen handle es sich zum einen nicht um körperliche Gegenstände i.S.d. Artikels 5 Abs. 1 der 6. EG-Richtlinie (entspricht Artikel 14 Abs. 1 MwStSystRL). Zum anderen sei die Übertragung von Verträgen als Abtretung eines unkörperlichen Gegenstandes nach Artikel 6 Abs. 1 Unterabs. 2 1. Anstrich der 6. EG-Richtlinie (entspricht Artikel 25 Buchst. a MwStSystRL) und damit als sonstige Leistung zu beurteilen.

Das Urteil hat auch Auswirkungen auf die Übertragung anderer immaterieller Wirtschaftsgüter wie z.B. eines Firmenwerts oder eines Kundenstamms. Die Übertragung solcher immateriellen Wirtschaftsgüter ist ebenfalls eine sonstige Leistung im Sinne des § 3 Abs. 9 Satz 1 UStG.

Unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterungen mit den obersten Finanzbehörden der Länder wird der Umsatzsteuer-Anwendungserlass (…) wie folgt geändert:

Abschnitt 3.1 Abs. 4 Satz 2 wird wie folgt gefasst:

"Als sonstige Leistungen kommen insbesondere in Betracht: (…) Übertragung immaterieller Wirtschaftsgüter wie z.B. Firmenwert, Kundenstamm oder Lebensrückversicherungsverträge (vgl. , (…)"

Im Vorlagebericht vom verwies das Finanzamt u.a. darauf, dass das Gebiet 43 in Österreich liege.

In seiner Stellungnahme verwies es im Wesentlichen auf die Begründung der Beschwerdevorentscheidung und beantragte die Beschwerdeabweisung.

Mit Schreiben vom wurden die Anträge auf Entscheidung durch den Senat sowie auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung zurückgenommen.

Beweiswürdigung:

Der festgestellte, unstrittige Sachverhalt ergibt sich aus den zitierten Aktenteilen sowie dem Vorbringen des Bf bzw. seiner steuerlichen Vertretung.

Rechtslage:

Nach § 89b Abs. 1 HGB kann der Handelsvertreter vom Unternehmer nach Beendigung des Vertragsverhältnisses einen angemessenen, in Z 1 und 2 näher definierten Ausgleich verlangen.

Ebenso gebührt dem Handelsvertreter nach § 24 Abs. 1 des in Österreich geltenden HVG unter den dort genannten Voraussetzungen bei Beendigung des Vertragsverhältnisses ein angemessener Ausgleichsanspruch.

Dieser Ausgleichsanspruch hat den Zweck, den Kundenstamm, den der Handelsvertreter erworben hat und der vom Unternehmer weiterhin genutzt werden kann, nach Beendigung des Handelsvertretervertrages zu vergüten.

Nach der Judikatur des BFH (z.B. BFH , V R 57/97, BStBl. 1999 II S 102) ist der Ausgleichsanspruch nach § 89b HGB Gegenleistung für bereits erbrachte Vermittlungsleistungen des Handelsvertreters. Die Ausgleichszahlung ist Entgelt für erbrachte Vermittlungsleistungen.

Nach § 3 Abs. 7 UStG 1994 wird eine Lieferung dort ausgeführt, wo sich der Gegenstand zur Zeit der Verschaffung der Verfügungsmacht befindet.

Nach § 3a Abs. 1 UStG 1994 sind sonstige Leistungen Leistungen, die nicht in einer Lieferung bestehen.

Nach § 3a Abs. 6 UStG 1994 wird eine sonstige Leistung, die an einen Unternehmer im Sinne des Abs. 5 Z 1 und 2 ausgeführt wird, vorbehaltlich der Abs. 8 bis 16 und Art. 3a an dem Ort ausgeführt, von dem aus der Empfänger sein Unternehmen betreibt. Wird die sonstige Leistung an die Betriebsstätte eines Unternehmers ausgeführt, ist stattdessen der Ort der Betriebsstätte maßgebend.

Vermittlungsleistungen für Unternehmer fallen daher unter die Generalklausel des § 3a Abs. 6 UStG 1994.)

Die Unterscheidung zwischen Lieferungen und sonstigen Leistungen ist insbesondere für die Beurteilung des Leistungsortes von Bedeutung.

§ 3a UStG 1994 grenzt den Begriff der "sonstigen Leistung" negativ gegenüber dem Begriff der "Lieferung" im Sinne des § 3 Abs. 1 UStG ab. Danach stellt jede umsatzsteuerlich relevante Leistung, die keine Lieferung ist, eine sonstige Leistung dar.

Art. 14 der Richtlinie 2006/112/EG des Ratens vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (kurz: MwStSyst-RL) lautet:

(1) Als "Lieferung von Gegenständen" gilt die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen.

(2) Neben dem in Absatz 1 genannten Umsatz gelten folgende Umsätze als Lieferung von Gegenständen:

a) die Übertragung des Eigentums an einem Gegenstand gegen Zahlung einer Entschädigung auf Grund einer behördlichen Anordnung oder kraft Gesetzes;

b) die Übergabe eines Gegenstands auf Grund eines Vertrags, der die Vermietung eines Gegenstands während eines bestimmten Zeitraums oder den Ratenverkauf eines Gegenstands vorsieht, der regelmäßig die Klausel enthält, dass das Eigentum spätestens mit Zahlung der letzten fälligen Rate erworben wird;

c) die Übertragung eines Gegenstands auf Grund eines Vertrags über eine Einkaufs- oder Verkaufskommission.

(3) Die Mitgliedstaaten können die Erbringung bestimmter Bauleistungen als Lieferung von Gegenständen betrachten.

Art. 15 der MwStSyst-RL lautet:

(1) Einem körperlichen Gegenstand gleichgestellt sind Elektrizität, Gas, Wärme, Kälte und ähnliche Sachen.

(2) Die Mitgliedstaaten können als körperlichen Gegenstand betrachten:

a) bestimmte Rechte an Grundstücken;

b) dingliche Rechte, die ihrem Inhaber ein Nutzungsrecht an Grundstücken geben;

c) Anteilrechte und Aktien, deren Besitz rechtlich oder tatsächlich das Eigentums- oder Nutzungsrecht an einem Grundstück oder Grundstücksteil begründet.

Nach Art. 24 Abs. 1 MwStSyst-RL gilt als "Dienstleistung" jeder Umsatz, der keine Lieferung von Gegenständen ist.

Nach Art. 25 lit. a MwStSyst-RL kann eine Dienstleistung auch in der Abtretung eines nicht körperlichen Gegenstandes, gleichgültig, ob in einer Urkunde verbrieft oder nicht, bestehen.

Die MwStSyst-RL verwendet statt des Begriffs "sonstige Leistung" den Begriff "Dienstleistung".

Das UStG 1994 enthält keine Definition des Begriffs "Gegenstand". Aus Art. 14 Abs. 1 MwStSyst-RL geht hervor, dass es sich grundsätzlich um einen körperlichen Gegenstand handeln muss. Allerdings werden in Art. 15 Abs. 1 MwStSyst-RL Elektrizität, Gas, Wärme oder Kälte und ähnliche Sachen den körperlichen Gegenständen gleichgestellt (Pernegger in Melhardt/Tumpel (Hrsg), UStG3, 2021, § 3 Rz 16).

Nach der älteren Rechtsprechung des VwGH waren bestimmte - an sich unkörperliche Sachen - als Gegenstände im Sinne des § 3 Abs. 1 UStG 1994 zu betrachten, wenn sie im Wirtschaftsverkehr wie körperliche Gegenstände behandelt wurden. Demnach konnte ein Kundenstock Gegenstand einer Lieferung sein (z.B. ).

Der Verwaltungsgerichtshof () hielt in seinem Beschluss fest, dass im Hinblick auf das Swiss Re Germany Holding, C-242/08, nahe liege, die Übertragung eines Kundenstocks als sonstige Leistung und nicht als Lieferung zu beurteilen.

Bezugnehmend auf dieses EuGH-Urteil hält auch Pernegger in Melhardt/Tumpel, aaO, Rz 23, die (durch den Bf sowohl in der Beschwerde als auch im Vorlageantrag ins Treffen geführte) am geäußerte Ansicht der deutschen Finanzverwaltung, dass es sich bei der Übertragung immaterieller Wirtschaftsgüter wie z.B. Firmenwert, Kundenstamm oder Lebensrückversicherungsverträge um sonstige Leistungen handle, für zutreffend.

Diese Ansicht teilen auch Bürgler/Spies in Berger/Bürgler/Kanduth-Kristen/Wakounig, UStG-ON 3.02, Stand , rdb.at, § 3 Rz 5, 19 und 203, sowie Lehner, Ein Kundenstock ist kein Gegenstand, SWK 1/2012, 30, und Mayr, Die entgeltliche Übertragung eines Kundenstocks aus umsatzsteuerlicher Sicht, RWP 5/2019, 146.

Auch das Bundesfinanzgericht beurteilte die Überlassung einer Patientenkartei als sonstige Leistung (; ).

Sowohl die Gerichte als auch die Verwaltungsbehörden der Mitgliedstaaten haben die unmittelbare Anwendung und den Vorrang von unionsrechtlichen Bestimmungen zu beachten ().

Erwägungen:

Der Bf erzielte gewerbliche Einkünfte aus der Tätigkeit einer Handelsvermittlung. Ab erhält er Pensionsbezüge der SVA der gewerblichen Wirtschaft.

Strittig ist, ob es sich bei der Abrechnung des Ausgleichsanspruchs des Bf mit seiner in Deutschland ansässigen Vertragspartnerin um eine (innergemeinschaftliche) sonstige Leistung, die in Deutschland der Umsatzsteuerpflicht unterliegt, handelt (Ansicht des Bf) oder um eine in Österreich umsatzsteuersteuerpflichtige Lieferung (Meinung des Finanzamtes).

Nach der Homepage der Vertragspartnerin des Bf (***2***) ist jene im Bereich Bastel- und Kreativmaterial tätig.

Den beiden Parteien des Beschwerdeverfahrens ist beizupflichten, wenn sie sich bei der umsatzsteuerlichen Beurteilung des Ausgleichsanspruchs eines Handelsvertreters an Rechtsprechung und Lehre zur Überlassung eines Patienten- oder Kundenstocks orientieren.

Das Finanzamt legte seiner Entscheidung die zum damaligen Zeitpunkt geltenden Umsatzsteuerrichtlinien (UStR) zugrunde, die einen Auslegungsbedarf zum Umsatzsteuergesetz darstellen und im Interesse einer einheitlichen Auslegung mitgeteilt werden. Über die gesetzlichen Bestimmungen hinausgehende Rechte und Pflichten können aus diesen Richtlinien jedoch nicht abgeleitet werden; diese sind weder für die Partei noch das Bundesfinanzgericht bindend.

Nach den UStR 2000 vom war ein Kundenstock als Gegenstand anzusehen. Dieser wurde dort geliefert, wo der überwiegende Teil der Kunden im Zeitpunkt der Verschaffung der Verfügungsmacht ansässig war (vgl. Rz 342 und 422 UStR).

Mit dem Wartungserlass vom , BMF-010219/0270-IV/4/2019, wurde in die Rz 342 das VwGH-Erkenntnis vom , Ra 2018/15/0078, zum Kundenstock eingearbeitet und dieser in den UStR vom nicht mehr als Gegenstand angesehen. Auch der Ort der Lieferung eines Kundenstocks wurde aus der Rz 422 entfernt.

Ob die Veräußerung eines Kundenstocks eine Lieferung oder sonstige Leistung darstellt, wurde bisher von Rechtsprechung und Lehre kontrovers beantwortet. Die Qualifizierung einer Übertragung von Lebensrückversicherungsverträgen als Dienstleistung () legt nahe, auch die Übertragung anderer immaterieller Wirtschaftsgüter wie z.B. eines Kundenstocks als sonstige Leistung anzusehen.

Dieser Ansicht schloss sich auch der Verwaltungsgerichtshof an.

In unionsrechtskonformer Auslegungen der Bestimmungen des UStG 1994 und im Hinblick auf das o.a. ist daher davon auszugehen, dass der Bf im vorliegenden Fall eine sonstige Leistung (Vermittlungsleistung) für seine deutsche Vertragspartnerin erbracht hat. Nach § 3a Abs. 6 UStG 1994 ist der Leistungsort dort, wo die Leistungsempfängerin ihr Unternehmen betreibt, somit in Deutschland, sodass der in Rechnung gestellte Ausgleichsanspruch in Deutschland und nicht in Österreich umsatzsteuerbar ist.

Die Besteuerung dieses Umsatzes in Österreich erfolgte demnach zu Unrecht, weshalb der Beschwerde antragsgemäß stattzugeben ist.

Anzumerken ist, dass die Beschwerde vom gegen den Säumniszuschlagsbescheid vom dem Bundesfinanzgericht nicht vorgelegt worden ist und diese Beschwerde daher nicht Gegenstand dieses Verfahrens ist.

Revision:

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im gegenständlichen Beschwerdefall liegen keine Rechtsfragen vor, denen grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die im Beschwerdefall zu lösenden Rechtsfragen beschränken sich auf Rechtsfragen, welche bereits in der bisherigen (oben zitierten) Rechtsprechung des EuGH und VwGH beantwortet worden sind.

Linz, am

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Materie
Steuer
betroffene Normen
Verweise




BMF-010219/0270-IV/4/2019
BFH , V R 57/97

ECLI
ECLI:AT:BFG:2022:RV.5100069.2019

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at