Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 11.07.2022, RV/7102382/2020

Indexierung Familienbonus Plus und Alleinverdienerabsetzbetrag

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, Tschechische Republik, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 1/23 (nunmehr Finanzamt Österreich) vom betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2019 Steuernummer ***BF1StNr1*** zu Recht erkannt:

Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben und der angefochtene Bescheid abgeändert.

Die Bemessungsgrundlagen und die Höhe der festgesetzten Abgabe sind dem als Beilage angeschlossenen Berechnungsblatt zu entnehmen und bilden einen Bestandteil des Spruches dieses Erkenntnisses.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Der in der Tschechischen Republik ansässige Beschwerdeführer (kurz: Bf) hatte laut seiner Einkommensteuererklärung im Jahr 2019 keinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich, war aber bei einem Arbeitgeber (mit Verpflichtung zum Lohnsteuerabzug) in Österreich beschäftigt und beantragte gemäß § 1 Abs 4 EStG im Jahr 2019 als unbeschränkt steuerpflichtig in Österreich behandelt zu werden. Die Einkünfte seiner Ehegattin gab er mit 4.873,00 Euro bekannt. Er machte den Alleinverdienerabsetzbetrag für ein Kind und den ganzen Familienbonus Plus für dieses Kind, nämlich für die am 2000 geborene und in der Tschechischen Republik wohnhafte Tochter T (kurz: To) geltend.

Im Einkommensteuerbescheid 2019 vom wurde der Alleinverdienerabsetzbetrag und der Familienbonus Plus mit nachstehender Begründung nicht angesetzt:
Für die Tochter To sei für das Kalenderjahr 2019 noch keine Familienbeihilfe bezahlt worden. Ein Familienbonus Plus könne daher nicht anerkannt werden.
Der Alleinverdienerabstzbetrag könne ebenfalls nicht berücksichtigt werden, da es keine Kinder gebe, für die der Bf oder seine Ehegattin mindestens 7 Monate den Kinderabsetzbetrag erhalten habe. Dieser werde mit der Familienbeihilfe ausbezahlt.

Die dagegen fristgerecht eingereichte Beschwerde begründete der Bf wie folgt:
Für sein Kind To sei die Familienbeihilfe gemeinsam mit dem Kinderabsetzbetrag beantragt worden und es sei bis heute darüber leider seitens des Finanzamtes nicht entschieden worden. Er beantrage daher die Berücksichtigung der diesbezüglich geltend gemachten Positionen (Familienbonus Plus, Alleinverdienerabsetzbetrag). Aus Vorsicht erhebe er noch eine Eventualbeschwerde betreffend die Höhe der einzelnen steuerlichen Begünstigungen.

Dieser Beschwerde wurde ein Schriftsatz beigelegt und darin die Gewährung des Familienbonus Plus und des Alleinverdienerabsetzbetrages in voller Höhe, dh ohne Indexierung, beantragt.

In der Beschwerdevorentscheidung vom kam es zur Abänderung des Einkommensteuerbescheides und es wurde unter Hinweis auf § 33 Abs 3a Z 2 EStG 1988 und auf die Familienbonus Plus-Absetzbeträge-EU-Verordnung der Familienbonus Plus in Höhe von 309,60 Euro und der Alleinverdienerabsetzbetrag in Höhe von 305,79 Euro gewährt.

Der dagegen fristgerecht eingebrachte Vorlageantrag wurde mit Bericht vom dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Mit Beschluss vom setzte das Bundesfinanzgericht die Entscheidung gemäß § 271 BAO bis zur Erledigung des beim Bundesfinanzgericht zu RV/7101361/2020 anhängigen Verfahrens aus.

Im Rahmen des unter RV/7101361/2020 anhängigen Verfahrens legte das Bundesfinanzgericht mit Beschluss vom , RE/7100001/2020, dem Gerichtshof der Europäischen Union (kurz: EuGH) gemäß Artikel 267 AEUV folgende Frage zur Vorabentscheidung vor:

"Sind Artikel 18 und Artikel 45 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, Artikel 7 Absätze 1 und 2 der Verordnung (EG) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union, Artikel 4, Artikel 5 Buchstabe b, Artikel 7 und Artikel 67 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit sowie Artikel 60 Absatz 1 Satz 2 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit dahin auszulegen, dass sie der Anwendung einer nationalen Regelung entgegenstehen, die vorsieht, dass Familienleistungen für ein Kind, das sich nicht tatsächlich ständig in dem diese Familienleistungen zahlenden Mitgliedstaat, sondern tatsächlich in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union, einer anderen Vertragspartei des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz aufhält, auf Basis der vom Statistischen Amt der Europäische Union veröffentlichten vergleichenden Preisniveaus für den jeweiligen Staat im Verhältnis zu dem die Familienleistungen zahlenden Mitgliedstaat anzupassen sind?"

Der EuGH entschied mit Urteil vom , C-328/20, im Vertragsverletzungsverfahren (die Indexierung nach der unterschiedlichen Kaufkraft in den einzelnen Mitgliedstaaten bzw. Vertragsstaaten wird dort als Anpassungsmechanismus bezeichnet):

"1. Die Republik Österreich hat durch die - auf die Änderung von § 8a des Bundesgesetzes betreffend den Familienlastenausgleich durch Beihilfen vom in der durch das Bundesgesetz, mit dem das Familienlastenausgleichsgesetz 1967, das Einkommensteuergesetz 1988 und das Entwicklungshelfergesetz geändert werden, vom geänderten Fassung und von § 33 des Bundesgesetzes über die Besteuerung des Einkommens natürlicher Personen vom in der durch das Jahressteuergesetz 2018 vom und das Bundesgesetz, mit dem das Familienlastenausgleichsgesetz 1967, das Einkommensteuergesetz 1988 und das Entwicklungshelfergesetz geändert werden, vom geänderten Fassung zurückgehende - Einführung eines Anpassungsmechanismus in Bezug auf die Familienbeihilfe und den Kinderabsetzbetrag für Erwerbstätige, deren Kinder ständig in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, gegen ihre Verpflichtungen aus den Art. 4 und 67 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit sowie aus Art. 7 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union verstoßen.

2. Die Republik Österreich hat durch die - auf die Änderung von § 8a des Bundesgesetzes betreffend den Familienlastenausgleich durch Beihilfen vom in der durch das Bundesgesetz, mit dem das Familienlastenausgleichsgesetz 1967, das Einkommensteuergesetz 1988 und das Entwicklungshelfergesetz geändert werden, vom geänderten Fassung und von § 33 des Bundesgesetzes über die Besteuerung des Einkommens natürlicher Personen vom in der durch das Jahressteuergesetz 2018 vom und das Bundesgesetz, mit dem das Familienlastenausgleichsgesetz 1967, das Einkommensteuergesetz 1988 und das Entwicklungshelfergesetz geändert werden, vom geänderten Fassung zurückgehende - Einführung eines Anpassungsmechanismus in Bezug auf den Familienbonus Plus, den Alleinverdienerabsetzbetrag, den Alleinerzieherabsetzbetrag und den Unterhaltsabsetzbetrag für Wanderarbeitnehmer, deren Kinder ständig in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 492/2011 verstoßen.

3. Die Republik Österreich trägt neben ihren eigenen Kosten die der Europäischen Kommission entstandenen Kosten.

Die Tschechische Republik, das Königreich Dänemark, die Republik Kroatien, die Republik Polen, Rumänien, die Republik Slowenien und die Slowakische Republik sowie das Königreich Norwegen und die EFTA-Überwachungsbehörde tragen ihre eigenen Kosten."

Aufgrund des erließ das Bundesfinanzgericht letztlich mit Erkenntnis vom , RV/7101361/2020, hinsichtlich der Familienbeihilfe und den Kinderabsetzbetrag eine stattgebende Entscheidung und hob den dort angefochtenen Abweisungsbescheid ersatzlos auf.

Mit dem Erkenntnis vom , RV/7101361/2020, wurde jenes Verfahren beendet, das im gegenständlichen Beschwerdeverfahren Anlass zur Aussetzung gemäß § 271 BAO gegeben hat. Demensprechend kann nach der nunmehr erfolgten Beendigung dieses Verfahrens gemäß § 271 Abs 2 BAO das gegenständliche Beschwerdeverfahren von Amts wegen fortgesetzt werden.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Für ein Kind, für das Familienbeihilfe nach dem Familienlastenausgleichsgesetz 1967 gewährt wird und das sich ständig in einem Mitgliedstaat der EU oder Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz aufhält, steht gemäß § 33 Abs 3a EStG 1988 (in der für den Streitzeitraum geltenden Fassung) auf Antrag ein Familienbonus Plus nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen zu:
1. Der Familienbonus Plus beträgt
a) bis zum Ablauf des Monats, in dem das Kind das 18. Lebensjahr vollendet, für jeden Kalendermonat 125 Euro,
b) nach Ablauf des Monats, in dem das Kind das 18. Lebensjahr vollendet, für jeden Kalendermonat 41,68 Euro.
2. Abweichend von Z 1 ist für Kinder, die sich ständig in einem anderen Mitgliedstaat der EU oder Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz aufhalten, die Höhe des Familienbonus Plus sowie der Absetzbeträge gemäß Abs 4 auf Basis der vom Statistischen Amt der Europäischen Union veröffentlichten vergleichenden Preisniveaus für jeden einzelnen Mitgliedstaat der EU, jede Vertragspartei des Europäischen Wirtschaftsraumes und die Schweiz im Verhältnis zu Österreich zu bestimmen:
a) Die Höhe des Familienbonus Plus und der Absetzbeträge gemäß Abs 4 ist ab auf Basis der zum Stichtag zuletzt veröffentlichten Werte anzupassen. ….
b) Der Bundesminister für Finanzen hat die Berechnungsgrundlagen und die Beträge mit Verordnung bis spätestens 30. September nach dem Stichtag gemäß lit a kundzumachen.

Darüber hinaus steht gemäß § 33 Abs 4 Z 1 EStG 1988 der Alleinverdienerabsetzbetrag zu, wenn sich das Kind ständig in einem Mitgliedstaat der EU oder Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz aufhält. Dieser beträgt jährlich bei einem Kind (§ 106 Abs 1) 494 Euro, bei zwei Kindern (§ 106 Abs 1) 669 Euro. Dieser Betrag erhöht sich für das dritte und jedes weitere Kind (§ 106 Abs 1) um jeweils 220,00 Euro jährlich.

Abweichend von Z 1 bis 3 bestimmt sich gemäß § 33 Abs 4 Z. 4 EStG 1988 die Höhe der Absetzbeträge für Kinder, die sich ständig in einem anderen Mitgliedstaat der EU oder Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz aufhalten, nach Abs 3a Z 2. ….

Strittig ist im gegenständlichen Verfahren ausschließlich die Frage, ob der Familienbonus Plus sowie der Alleinverdienerabsetzbetrag für die am 2000 geborene und in der Tschechischen Republik wohnhafte Tochter To dem in Österreich nichtselbständig erwerbstätigen Bf in voller oder indexierter Höhe zustehen (vgl Verfahrensgang).

Zur Beantwortung dieser Frage ist als maßgeblichen Rechtsgrundlage das heranzuziehen, wonach eine Anpassung der Höhe des Familienbonus Plus und des Alleinverdienerabsetzbetrages ("Indexierung") nicht in Betracht kommt (vgl Verfahrensgang).

Die unmittelbare Anwendung und den Vorrang von unionsrechtlichen Bestimmungen haben sowohl die Gerichte als auch die Verwaltungsbehörden der Mitgliedstaaten zu beachten. Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH ist jedes im Rahmen seiner Zuständigkeit angerufene nationale Gericht als Organ eines Mitgliedstaats verpflichtet, in Anwendung des in Art 4 Abs 3 AEUV niedergelegten Grundsatzes der Zusammenarbeit das unmittelbar geltende Unionsrecht uneingeschränkt anzuwenden und die Rechte, die es dem Einzelnen verleiht, zu schützen, indem es jede möglicherweise entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts, gleichgültig ob sie früher oder später als das Unionsrecht ergangen ist, aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lässt ( mwN, ).

Die vom EuGH festgestellte Unionsrechtswidrigkeit des Anpassungsmechanismus in Bezug auf den Familienbonus Plus und den Alleinverdienerabsetzbetrag ist demnach im gegenständlichen Verfahren zu beachten und steht der Anwendung des § 33 Abs 3a Z 2 und Abs 4 Z 4 EStG 1988 entgegen. Der Familienbonus Plus und der Alleinverdienerabsetzbetrag ist jeweils in voller Höhe abzugsfähig ist. Es ist somit statt des Familienbonus Plus in Höhe von 309,60 Euro (=25,80 Euro x 12) laut der Familienbonus Plus-Absetzbeträge-EU-Anpassungsverordnung der Familienbonus Plus mit 500,16 Euro (= 41,68 Euro x 12) anzuerkennen. Der Alleinverdienerabsetzbetrag ist mit 494,00 Euro statt mit 305,79 Euro laut der Familienbonus Plus-Absetzbeträge-EU-Anpassungsverordnung anzusetzen.

Der Beschwerde ist somit stattzugeben und der angefochtene Bescheid abzuändern.

Revision:

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. (Art 133 Abs 4 B-VG)

Im gegenständlichen Fall ist lediglich das zitierte Urteil des EuGH umzusetzen, sodass keine ungelöste Rechtsfrage vorliegt. Eine Revision ist daher nicht zulässig.

Salzburg, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
ECLI
ECLI:AT:BFG:2022:RV.7102382.2020

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at