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Bescheidbeschwerde – Senat – Erkenntnis, BFG vom 19.05.2022, RV/7100921/2022

Keine sachliche Unbilligkeit der Einhebung von Aussetzungszinsen im Fall langer Verfahrensdauer

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch ***1***, ***2***, sowie die fachkundigen Laienrichter ***3*** und ***4*** in der Beschwerdesache X, geboren am Datum, Adresse, vertreten durch V, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom , Steuernummer 123, über die Abweisung einer Nachsicht von Abgabenschuldigkeiten nach der am in Abwesenheit des Abgabepflichtigen und seines steuerlichen Vertreters, in Anwesenheit der Vertreterin des Finanzamtes, VFA, und der Schriftführerin S abgehaltenen mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Das Finanzamt setzte mit dem Bescheid vom gegenüber dem Beschwerdeführer (Bf.) im gemäß § 303 Abs. 1 BAO wiederaufgenommenen Verfahren die Einkommensteuer für das Jahr 2010 mit 671.299,10 € sowie mit dem Bescheid vom gleichen Tag Anspruchszinsen in der Höhe von 43.504,28 € fest.

Gegen diesen Bescheid erhob der Bf. durch seine steuerliche Vertreterin das Rechtsmittel der Beschwerde und beantragte die Berichtigung des Bescheides in zwei Punkten.
Des Weiteren wurde die Aussetzung der Einhebung eines Teilbetrages der Einkommensteuer in der Höhe von 445.284,33 € sowie der Anspruchszinsen in der Höhe von 37.676,84 € gemäß § 212a BAO beantragt.

Das Finanzamt bewilligte mit dem Bescheid vom antragsgemäß die Aussetzung der Einhebung.

In der Sache gab das Finanzamt der Beschwerde gegen den Einkommensteuerbescheid 2010 teilweise statt und setzte mit der Beschwerdevorentscheidung vom die Einkommensteuer 2010 mit nunmehr 653.301,40 € fest.

Am gleichen Tag verfügte das Finanzamt den Ablauf der Aussetzung der Einhebung hinsichtlich der Einkommensteuer 2010 und setzte Aussetzungszinsen in der Höhe von 5.601,72 € fest. Der Ablaufbescheid hinsichtlich der ausgesetzten Anspruchszinsen erging am ; die Aussetzungszinsen wurden mit 503,97 € festgesetzt.

Im Vorlageantrag betreffend Einkommensteuer 2010 vom beantragte der steuerliche Vertreter des Bf. unter Punkt 5. die Aussetzung der Einhebung der Einkommensteuer 2010 (427.267,34 €), der Anspruchszinsen 2018 (36.154,01 €) sowie der Aussetzungszinsen (6.105,69 €).

Das Finanzamt bewilligte mit dem Bescheid vom antragsgemäß die Aussetzung der Einhebung.

Nach der Erlassung des Erkenntnisses des , in dem der Einkommensteuerbescheid 2010 wie in der Beschwerdevorentscheidung abgeändert und die Einkommensteuer mit 653.301,40 € festgesetzt wurde, verfügte das Finanzamt mit den Bescheiden vom 07.12. und den Ablauf der Aussetzung der Einhebung und setzte mit den Bescheiden vom und vom Aussetzungszinsen in der Höhe von 22.146,12 € (für die Einkommensteuer von 427.267,34 €) bzw. 2.183,87 € (für Aussetzungszinsen von 5.601,72 € und Anspruchszinsen von 36.657,98 €) fest.

Mit dem Erkenntnis des , wurde die gegen die Bescheide über die Festsetzung von Aussetzungszinsen von der steuerlichen Vertreterin des Bf. eingebrachte Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Auf die Ausführungen im Erkenntnis wird verwiesen.

Mit dem Schriftsatz vom beantragte der Bf. mit folgender Begründung "die Nachsichtvon fälligen Aussetzungszinsen in Höhe von EUR 27.480,57 für den 6 Monate übersteigenden Zeitraum durch Abschreibung wegen sachlicher Unbilligkeit gemäß § 236 BAO":

Nach § 236 BAO können fällige Abgabenschuldigkeiten auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre.

Unser Mandant hat im Hinblick auf die erfolgte Aussetzung der Einhebung aber die ganze Zeit mit einem positiven Ausgang gerechnet. Die nun erfolgte Vorschreibung der Abgabenschulden ist jedenfalls hinsichtlich der Aussetzungszinsen persönlich und sachlich unbillig:

DieBetriebsprüfung wurde Ende 2016 abgeschlossen. Von der in der Folge innerhalb offener Frist eingebrachten Beschwerde bis zum Abschluss des Verfahrens vor dem Bundesfinanzgerichtvergingen fast 5 Jahre.

Eine sachliche Unbilligkeit ist nach ständiger Rechtsprechung des VwGH anzunehmen, wenn im Einzelfall bei Anwendung des Gesetzes ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintritt, sodass es zu einer anormalen Belastungswirkung und verglichen mit anderen Fällen zu einem atypischen Vermögenseingriff kommt. Der im atypischen Vermögenseingriff gelegene offenbare Widerspruch der Rechtsanwendung zu dem vom Gesetzgeber beabsichtigten Ergebnis muss seine Wurzel in einem außergewöhnlichen Geschehensablauf haben, der auf eine vom Steuerpflichtigen nicht beeinflussbare Weise eine nach dem gewöhnlichen Lauf nicht zu erwartende Abgabenschuld ausgelöst hat.

Die vorliegende lange Verfahrensdauer von rund 5 Jahren führt zu einer anormalen Belastungswirkung für unseren Mandanten. Denn wäre das Verfahren innerhalb angemessener Zeit abgeschlossen worden, wären nicht Aussetzungszinsen in Höhe von EUR 30.435,68 angefallen.

Das Verfahrendauerte - gerechnet von der Einbringung der Beschwerde im Februar 2017 bis zum letztlich ergangenen BFG Erkenntnis vom , eingelangt am - fast fünf Jahre.

Gemäß § 284 BAO kann eine Partei wegen Verletzung der Entscheidungspflicht beim Verwaltungsgerichtshof Säumnisbeschwerde erheben, wenn diese nicht innerhalb von 6 Monaten tätig wird. Diese Regelung soll ein faires Verfahren ermöglichen und eine lange Verfahrensdauer vermeiden. Die Frist von 6 Monaten ist gesetzlich geregelt. Wenn die Einhaltung einer solchen Frist grundsätzlich nicht einhaltbar wäre, hätte der Gesetzgeber bereits entsprechende Maßnahmen gesetzt und eine längere Frist in den Gesetzen geregelt. Dies ist aber nicht der Fall, weshalb davon ausgegangen werden kann, dass eine lange Verfahrensdauer wie in diesem Fall ein atypischer Geschehensablauf im Verwaltungsverfahren ist.

Laut den Tätigkeitsberichten von Unabhängigen Finanzsenat und Verwaltungsgerichtshof aus dem Jahr 2011 betrug die durchschnittliche Erledigungsdauer beim Unabhängigen Finanzsenat 29 Monate (gegenüber 19 Monaten im Jahr 2007).

Geht man somit von einer durchschnittlichen Erledigungsdauer aus, hätte es bereits nach weniger als 2,5 Jahren zu einer Entscheidung im Beschwerdeverfahren kommen sollen und nicht erst nach der doppelten Zeitperiode. Das kann aber nicht der Anspruch sein, mit dem ein Bürger Verwaltungsstellen messen sollte. Es kann daher wohl davon ausgegangen werden, dass die "Kosten" für diese überlange Verfahrensdauer nicht dem Verfahrenswerber angelastet werden, hier sollen sechs Monate wohl ausreichen.

Basierend auf der Annahmeeiner angemessenen Verfahrensdauer von 6 Monaten, wären Aussetzungszinsen für maximal diesen Zeitraum gerechtfertigt. Dies entspricht somit Aussetzungszinsen in Höhe von EUR 2.955,11 für 6 Monate und nicht Aussetzungszinsen für fast 60 Monate.

Jedermann hat Anspruch darauf, dass seine Sache in billiger Weise öffentlich und innerhalb einer angemessenen Frist gehört wird, und zwar von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht. Sogar der EUGH bestätigt in diversen Fällen eine Nachsicht bei langer Verfahrensdauer mit der Begründung, dass es dem Abgabepflichtigen nicht zumutbar ist so lange auf eine Entscheidung zu warten und dies einer Unbilligkeit gleichkommt. (, DEURING, Appl 15746/06 - abrufbar www.echr.coe.int)

Durch den Antrag auf Aussetzung der Einhebung der Abgabenschulden liegt es zwar in der Hand des Steuerpflichtigen, ob Aussetzungszinsen ausgelöst werden oder nicht, allerdings hatte X zum Zeitpunkt der Festsetzung der Abgabeschulden nicht die finanziellen Mittel diese gleich zu begleichen. Somit blieb ihm damals nur die Möglichkeit eine Aussetzung der Einhebung zu beantragen.

Jeder Abgabepflichtige kann zwar für sich entscheiden, ob er das Risiko eines Zahlungsaufschubs durch Aussetzung der Einhebung in Kauf nimmt allerdings geschieht dies mit dem Gedanken, dass wenn die Abgabenvorschreibung zu Unrecht besteht, fallen ohnehin keine Aussetzungszinsen an. In gegenständlichen Fall erging die abweisende Entscheidung erst nach fast 5 Jahren.

Mit hier angefochtenen Bescheid vom wies das Finanzamt den Nachsichtsantrag als unbegründet ab.
Gründe für eine persönliche Unbilligkeit seien nicht geltend gemacht worden.
Die Festsetzung der Aussetzungszinsen sei kein außergewöhnlicher Geschehensablauf, der eine nach dem gewöhnlichen Lauf nicht zu erwartende Abgabenschuld ausgelöst habe. Die Einhebung von Aussetzungszinsen sei auch bei langer Verfahrensdauer nicht sachlich unbillig. Vom VwGH sei die sachliche Unbilligkeit eines Berufungsverfahrens selbst bei einer Dauer von beinahe 10 Jahren verneint worden ().

In der Beschwerde vom gegen diesen Bescheid führte der Bf. durch seine steuerliche Vertreterin aus:

1. Sachverhalt…..

2. Antrag zur Abänderung/Aufhebung des Bescheides

Wir beantragen den Bescheid aufzuheben und um Nachsicht von fälligen Aussetzungszinsen iHv EUR 27.480,57 ( = Aussetzungszinsen iHv EUR 30.435,68 abzgl. Aussetzungszinsen bei angemessener Verfahrensdauer EUR 2.955,12).

3. Begründung

Fällige Abgabenschuldigkeiten können gem. § 236 Abs. 1 BAO auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre. Die Unbilligkeit kann persönlicher oder sachlicher Natur sein.

Der Rechtsprechung des VwGH zufolge, ist eine sachliche Unbilligkeit dann anzunehmen, wenn im Einzelfall bei Anwendung des Gesetzes aus anderen als aus persönlichen Gründen ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintritt, sodass es zu einer anormalen Belastungswirkung und verglichen mit anderen Fällen, zu einem atypischen Vermögenseingriff kommt. Der im atypischen Vermögenseingriff gelegene offene Widerspruch der Rechtsanwendung zu den vom Gesetzgeber beabsichtigten Ergebnissen muss seine Wurzel in einem außergewöhnlichen Geschehensablauf haben, der auf eine vom Steuerpflichtigen nicht beeinflussbare Weise eine nach dem gewöhnlichen Lauf nicht zu erwartende Abgabenschuld ausgelöst hat, die zudem auch ihrer Höhe nach unproportional zum auslösenden Sachverhalt ist ().

Die der Jahre 2008 bis 2013 wurde Anfang 2017 mit Vorlage des Berichtes über das Ergebnis der Außenprüfung abgeschlossen. Die darin getroffenen Feststellungen betrafen das Jahr 2010 In diesem Zusammenhang sei darauf hinzuweisen, dass der Abgabenanspruch des Jahres 2010 mit Ablauf des Kalenderjahres, für das die Veranlagung vorgenommen wird, zu laufen beginnt - somit ab 2011. UnserMandant hat daher ob der langen Dauer der Außenprüfung sowie des noch immer laufenden Rechtsmittelverfahrens bis dato keine Rechtssicherheit einer Abgabe, deren Anspruch vor mehr als 10 Jahren entstanden ist!

Das Rechtsmittelverfahren dauerte - gerechnet von der Einbringung der Beschwerde im Februar 2017 bis zum letztlich ergangenen Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom , eingelangt am - fast fünf Jahre.

Den Tätigkeitsberichten vom Unabhängigen Finanzsenat und Verwaltungsgerichtshof aus dem Jahr 2011 zufolge, betrug die durchschnittliche Erledigungsdauer beim Unabhängigen Finanzsenat 29 Monate (gegenüber 19 Monaten im Jahr 2007). Die Verfahrensdauer im gegenständlichen Verfahren dauerte damit doppelt so lange. Sogar der EUGH bestätigt in diversen Fällen eine Nachsicht bei langer Verfahrensdauer mit der Begründung, dass es dem Abgabepflichtigen nicht zumutbar ist so lange auf eine Entscheidung zu warten und dies einer Unbilligkeit gleichkommt (, DEURING, Appl 15746/06 - abrufbar www.echr.coe.int).

Gemäß § 284 BAO kann eine Partei wegen Verletzung der Entscheidungspflicht beim Verwaltungsgerichtshof Säumnisbeschwerde erheben, wenn diese nicht innerhalb von 6 Monaten tätig wird. Diese Regelung soll ein faires Verfahren ermöglichen und eine lange Verfahrensdauer vermeiden. Die Frist von 6 Monaten ist gesetzlich geregelt. Ausgehend von einer angemessenen Verfahrensdauer von 6 Monaten, wären Aussetzungszinsen für maximal diesen Zeitraum gerechtfertigt. Dies entspräche somit Aussetzungszinsen iHv EUR 2.955,12 für 6 Monate und nicht Aussetzungszinsen für fast 60 Monate.

Unser Mandant hatte zum Zeitpunkt des neu ergangenen Einkommensteuerbescheides 2010 Anfang 2017 nicht ausreichend liquide Mittel, um die gesamte Abgabenschuld von damals EUR 557.679,26 zur Gänze zu begleichen. Rund 3 Jahre zuvor hat er die nunmehr verfahrensgegenständlichen Anteile rückgekauft und somit einen Großteil seiner finanziellen Mittel damit gebunden. Eine Begleichung der gesamten Abgabenschuld wäre nur mit einem allfälligen Verkauf von Vermögensgegenständen denkbar gewesen. Sämtliche Beschwerden/Anträge wurden unsererseits stets zeitnah und ohne Verzögerung bei den entsprechenden Behörden/Gerichten eingebracht. Im Vertrauen auf eine zeitnahe Erledigung des Verfahrens (im Hinblick auf die in § 284 BAO gesetzlich festgelegten 6 Monate), hat sich unser Mandant im Jahr 2017 bewusst für eine teilweise Aussetzung der Abgabe (beantragte Aussetzung damals EUR 482.961,17) entschieden. Im gegenständlichen Fall erging die abweisende Entscheidung nicht 6 Monate sondern 60 Monate später. Das Verfahren dauerte also 10-Mal solange als vom Gesetzgeber ursprünglich vorgesehen. Mit festgesetzten Aussetzungszinsen iHv EUR 30.435,68 (rd. 7% der Abgabenschuld) für einen letztendlich (aufgrund einer Beschwerdevorentscheidung zu Gunsten unseres Mandanten reduzierten) ausgesetzten Betrages von EUR 427.267,34 hat unser Mandant bei seiner Entscheidung im Jahr 2017 niemals gerechnet.

4. Für den Fall der Vorlage

Für den Fall der Entscheidung des Bundesfinanzgerichtes über unsere Beschwerde beantragen wir die Entscheidung durch den gesamten Senat und die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesfinanzgericht.

Mit der Beschwerdevorentscheidung vom wies das Finanzamt die Beschwerde unter Verweis auf das Erkenntnis des , ab, wonach es der Abgabepflichtige in der Hand habe, jederzeit die Entstehung der Aussetzungszinsen durch Entrichtung der ausgesetzten Abgaben zu verhindern.
Allein die lange Dauer eines Beschwerdeverfahrens könne eine Nachsicht von Aussetzungszinsen "im Sinne einer Risikoteilung" nicht rechtfertigen, weil sich das Risiko völlig ungleich verteile, da bei Vorliegen der Voraussetzungen auf die Aussetzung der Einhebung ein Rechtsanspruch bestehe und alle Gestaltungsmöglichkeiten, um auf die Zinsen Einfluss zu nehmen, ausschließlich beim Abgabepflichtigen lägen.
Dem Bf. sei mit dem Bescheid vom aufgrund eines Stundungsersuchens vom eine Zahlungserleichterung bis bewilligt worden. Könnten aber Zahlungserleichterungen wirtschaftlich begründeten Härten aus der Abgabeneinhebung abhelfen, so bedürfe es keiner Nachsicht ().

Gegen die Beschwerdevorentscheidung richtet sich - unter wortgleicher Wiederholung des bisherigen Vorbringens - der Vorlageantrag vom gemäß § 264 BAO. Beantragt wurde die Nachsicht fälliger Aussetzungszinsen in der Höhe von 27.480,57 € sowie die Entscheidung durch den gesamten Senat und die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesfinanzgericht.

An der am abgehaltenen mündlichen Verhandlung nahmen weder der Bf. noch sein steuerlicher Vertreter teil. Die Vertreterin des Finanzamtes verwies auf ihre schriftlichen Ausführungen in der Beschwerdevorentscheidung und beantragte die Abweisung der Beschwerde.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Gegenstand des Verfahrens ist die beantragte Teilnachsicht in der Höhe von 27.480,57 € der mit den Bescheiden vom (5.601,72 €), (503,97 €), (22.146,12 €) und (2.183,87 €) festgesetzten Aussetzungszinsen.
Mit dem Bescheid vom bewilligte das Finanzamt die Stundung des gesamten Abgabenrückstandes in der Höhe von 493.857,03 € bis .
Die Abgabenschuld (inklusive der verfahrensgegenständlichen Aussetzungszinsen) wurde am Abgabenkonto des Bf. am zur Gänze entrichtet.

Gemäß § 236 Abs. 1 BAO können fällige Abgabenschuldigkeiten auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre.
Gemäß § 236 Abs. 2
leg. cit. findet Abs. 1 auf bereits entrichtete Abgabenschuldigkeiten sinngemäß Anwendung.

Der Bf. bringt im Nachsichtsansuchen vom vor, "die nun erfolgte Vorschreibung der Abgabenschulden ist jedenfalls hinsichtlich der Aussetzungszinsen persönlich und sachlich unbillig."

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt die Abschreibung von Abgabenschuldigkeiten durch Nachsicht einen hierauf gerichteten Antrag voraus, wobei den Antragsteller eine erhöhte Mitwirkungspflicht trifft. Er hat einwandfrei und unter Ausschluss jeglichen Zweifels das Vorliegen jener Umstände darzutun, auf die die Nachsicht gestützt werden kann (, mit Verweis auf die bei Ritz, BAO6, § 236 Tz 4, angeführte Rechtsprechung).

Eine persönliche Unbilligkeit der Einhebung einer Abgabe liegt vor, wenn die Abgabenbelastung in einem wirtschaftlichen Missverhältnis zwischen der Einhebung der Abgabe und den im Bereich des Abgabepflichtigen entstehenden Nachteilen besteht. Eine solche Unbilligkeit ist stets gegeben, wenn die Einhebung die Existenz des Abgabepflichtigen gefährdet.
Zum Vorliegen einer persönlichen Unbilligkeit hat der Bf. trotz der ihm im Nachsichtsverfahren auferlegten erhöhten Mitwirkungspflicht, abgesehen von der Behauptung, eine solche liege vor, kein Vorbringen erstattet. Angaben zur Einkommens- und Vermögenslage wurden vom Bf. nicht gemacht.
Dass der Bf. im Jahr 2017 im Zuge der Beschwerde gegen die Festsetzung der Einkommensteuer 2010 die Aussetzung der Einhebung der nachgeforderten Abgaben beantragte, weil ihm zu diesem Zeitpunkt die finanziellen Mittel zur Entrichtung der Abgabenschuld fehlten, spielt im Hinblick auf die Entscheidung über die Gewährung einer Nachsicht wegen persönlicher Unbilligkeit keine Rolle, weil bei der Entscheidung über das Ansuchen die Vermögens- und Einkommensverhältnisse zum Zeitpunkt der Entscheidung () bzw. bei der Beschwerdeerledigung die Sach- und Rechtslage im Entscheidungszeitpunkt maßgebend ist ().

Etwaige Härten in der Entrichtung des Abgabenrückstandes wurden vom Finanzamt durch die Gewährung der beantragten Stundung in der Höhe von 493.857,03 € bis abgefedert. Da mittlerweile der gesamte Abgabenrückstand entrichtet wurde, ist vom Senat nicht nachvollziehbar, dass es einer Nachsicht der Aussetzungszinsen in der Höhe von 27.480,57 € bedarf, um eine Existenzgefährdung des Bf. oder seiner Familie abzuwenden.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine sachliche Unbilligkeit anzunehmen, wenn im Einzelfall bei Anwendung des Gesetzes aus anderen als aus persönlichen Gründen ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintritt, sodass es zu einer anormalen Belastungswirkung und verglichen mit anderen Fällen zu einem atypischen Vermögenseingriff kommt. Der im atypischen Vermögenseingriff gelegene offenbare Widerspruch der Rechtsanwendung zu den vom Gesetzgeber beabsichtigten Ergebnissen muss seine Wurzel in einem außergewöhnlichen Geschehensablauf haben, der auf eine vom Steuerpflichtigen nicht beeinflussbare Weise eine nach dem gewöhnlichen Lauf nicht zu erwartende Abgabenschuld ausgelöst hat, die zudem auch ihrer Höhe nach unproportional zum auslösenden Sachverhalt ist. Ein Umstand, der auch bei allen anderen Abgabepflichtigen in der gleichen Lage hätte eintreten können und den der Gesetzgeber daher hätte voraussehen können, vermag nicht zur Annahme der Unbilligkeit zu führen ( mwN).

Der Bf. bringt zur sachlichen Unbilligkeit vor, die lange Verfahrensdauer habe eine anormale Belastungswirkung bewirkt.

Diesem Argument kann der Senat nicht folgen.
Gemäß § 212a Abs. 9 BAO sind im Fall der Aussetzung der Einhebung von Abgaben - bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen - Aussetzungszinsen zu entrichten. Die Höhe der festzusetzenden Zinsen hängt von der Höhe der Bemessungsgrundlage sowie der Dauer der Aussetzung der Einhebung ab. Die Festsetzung von Aussetzungszinsen liegt nicht im Ermessen der Abgabenbehörde.

Die Vorschreibung der gegenständlichen Aussetzungszinsen stellt daher eine Auswirkung der allgemeinen Rechtslage dar, die jeden vom betreffenden Gesetz erfassten Abgabepflichtigen gleichermaßen trifft. Ein außergewöhnlicher Geschehensablauf der durch den Steuerpflichtigen nicht beeinflussbar war und zu einem vom Gesetzgeber nicht beabsichtigten Ergebnis führte, liegt somit nicht vor.

Für den steuerlich vertretenen Bf. konnte kein Zweifel daran bestehen, dass Aussetzungszinsen anfallen werden, wurden doch bereits nach der Erlassung der Beschwerdevorentscheidung im Abgabenverfahren für die beantragte Aussetzung der Einhebung Aussetzungszinsen festgesetzt und laut Vorbringen im Schriftsatz vom der Zahlungsaufschub der Abgabenschuld bewusst in Anspruch genommen, weil deren Entrichtung zu diesem Zeitpunkt nur durch einen allfälligen Verkauf von Vermögensgegenständen möglich gewesen wäre.
Der Bf. hatte daher nach seinem Vorbringen die Möglichkeit, durch Entrichtung der Abgaben das Entstehen von Aussetzungszinsen in beträchtlicher Höhe zu verhindern.

Ohne Relevanz für das Vorliegen einer sachlichen Unbilligkeit der Einhebung der Aussetzungszinsen ist auch, dass der Bf. von einer für ihn positiven Entscheidung im Beschwerdeverfahren betreffend die Einkommensteuer ausgegangen ist. Besteht der Abgabenanspruch zu Unrecht, fallen keine Aussetzungszinsen an. Da im vorliegenden Fall der Abgabenanspruch jedoch zu Recht bestand, war mit der Aussetzung der Einhebung der Abgabenschuld ein Zahlungsaufschub bis zur Erlassung des diesbezüglichen BFG-Erkenntnisses verbunden. Damit kann auch die behauptete lange Dauer des Beschwerdeverfahrens keine sachliche Unbilligkeit in der Einhebung der dadurch angefallenen Aussetzungszinsen begründen.

Dazu ist auf die bereits vom Finanzamt zitierte Rechtsprechung des VwGH zu verweisen, wonach Aussetzungszinsen für die Dauer des Berufungsverfahrens auch nicht deshalb rechtswidrig sind, weil das Berufungsverfahren unangemessen lang gedauert hat (vgl. ). Die Einhebung von Aussetzungszinsen, die durch einen vom Abgabepflichtigen selbst gestellten Antrag auf Aussetzung der Einhebung ausgelöst werden, ist nicht sachlich unbillig ist (z.B. ), zumal es der Abgabepflichtige in der Hand hat, die Entstehung der Aussetzungszinsen jederzeit durch Entrichtung der ausgesetzten Abgaben zu verhindern (vgl. und die dort zitierte Vorjudikatur).

Zur vorgebrachten langen Verfahrensdauer ist festzuhalten, dass nach der Rechtsprechung des VwGH selbst eine Verfahrensdauer von beinahe zehn Jahren für dadurch aufgelaufene Aussetzungszinsen ohne Belang ist (siehe ).

Demnach ist auch die nicht ganz fünfjährige Verfahrensdauer vor dem BFG, der eben auch ein Zahlungsaufschub gegenübersteht, ohne Relevanz. Zudem ist festzuhalten, dass seitens des Bf. keine das Verfahren beschleunigenden Maßnahmen ergriffen wurden. So hat der Bf., obwohl steuerlich vertreten, keinen Fristsetzungsantrag beim Verwaltungsgerichtshof eingebracht. Welche Hindernisse der Einbringung eines solchen Antrages entgegen standen, wird nicht näher ausgeführt.

Das Vorbringen, "jedermann hat Anspruch darauf, dass seine Sache in billiger Weise und innerhalb einer angemessenen Frist gehört wird, …." nimmt offensichtlich Bezug auf Art. 6 Abs. 1 MRK. Dieser lautet:
Jedermann hat Anspruch darauf, dass seine Sache in billiger Weise öffentlich und innerhalb einer angemessenen Frist gehört wird, und zwar von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht, das über zivilrechtliche Ansprüche ("civil rights") und Verpflichtungen oder über die Stichhaltigkeit der gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Anklage zu entscheiden hat. …..
Dem in diesem Zusammenhang vorgebrachten Hinweis, der EuGH (, Deuring) bestätige in diversen Fällen eine Nachsicht im Fall langer Verfahrensdauer, weil diese einer Unbilligkeit gleichkomme, ist entgegen zu halten, dass dieses Urteil vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und nicht vom EuGH gefällt wurde.
Im zitierten Verfahren wurde die Individualbeschwerde eines österreichischen Staatsbürgers wegen des Vorbringens überlanger Verfahrensdauer in einer Verwaltungsstrafsache betreffend die Gewerbeordnung verworfen, weil die lange Verfahrensdauer bereits im Verfahren vor dem österreichischen Verwaltungsgericht durch die Herabsetzung der Strafe auf die Hälfte berücksichtigt worden war. Eine Konventionsverletzung Österreichs nach Art. 6 MRK wurde vom EGMR nicht festgestellt.
Nach herrschender Auffassung (vgl. zB ; ) gehören Abgabenangelegenheiten nicht zu den sogenannten "civil rights" im Sinne des Art. 6 Abs. 1 MRK.
Ein Vergleich des zitierten Verwaltungsstrafverfahrens vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte mit dem vorliegenden Verfahren ist daher nicht möglich.

Gemäß § 212a Abs. 9 BAO sind Aussetzungszinsen für die Dauer des durch die Aussetzung bewirkten Zahlungsaufschubes zu entrichten. Eine Bedachtnahme auf die für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens unbedingt notwendige oder angemessene Zeit kommt nach der dargestellten Rechtslage ebenso wenig in Betracht () wie die beantragte Festsetzung von Aussetzungszinsen für nur sechs Monate unter Hinweis auf § 284 BAO. Selbst wenn ein Beschwerdeverfahren unangemessen lange dauert, sieht das Gesetz die Vorschreibung von Aussetzungszinsen für die gesamte Dauer des Beschwerdeverfahrens vor ().
Im Übrigen ist die Angemessenheit der Verfahrensdauer nicht mit den in § 284 BAO angeführten sechs Monaten festgelegt, sondern sind für die Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer das Verhalten der Behörde, des Pflichtigen und die Komplexität des Falles sowie der Umfang erforderlicher Ermittlungen zu berücksichtigen. Angesichts der Tatsache, dass bereits ein Jahr nach der Vorlage des Falles durch das BFG eine Erörterung der Sach- und Rechtslage stattfand, in deren Folge der Bf. Beschwerdeergänzungen vorbrachte, die wiederum die Amtspartei zu einer Entgegnung veranlasste und die Sache antragsgemäß vor einem Senat in mündlicher Verhandlung verhandelt wurde, kann der Senat im vorliegenden Fall eine unangemessen lange Verfahrensdauer, die das BFG zu verantworten hätte, nicht feststellen.

Mangels Vorliegen einer persönlichen oder sachlichen Unbilligkeit in der Abgabeneinhebung erweist sich der angefochtene Bescheid somit als rechtmäßig.

Zur Zulässigkeit der Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Das gegenständliche Erkenntnis weicht von der oben zitierten, ständigen und einheitlichen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur sachlichen Unbilligkeit selbst im Fall (über-) langer Verfahrensdauer nicht ab.
Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung wurden nicht aufgeworfen, weshalb eine ordentliche Revision nicht zulässig ist.

Beilagen für die Parteien:
Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom in Abl.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 236 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
ECLI
ECLI:AT:BFG:2022:RV.7100921.2022

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at