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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 27.04.2022, RV/7102786/2021

Erhöhte Familienbeihilfe; die Erkrankung an Schizophrenie hat zufolge des Gutachtens des Sozialministeriumservice erst nach dem 21. Lebensjahr zu einer Erwerbsunfähigkeit geführt

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***3*** über die Beschwerde des ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vom , gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom , betreffend die Abweisung eines Antrages auf Gewährung der Familienbeihilfe und des Erhöhungsbetrages ab Februar 2015, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Der Beschwerdeführer (Bf.), geboren am 1991, stellte am einen Eigenantrag auf Zuerkennung der Familienbeihilfe und des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung rückwirkend ab Jänner 2015.

Beigelegt wurde ein "Fachärztlicher Befundbericht der Psychosozialen Dienste Wien" vom . Angeführt in dem Befund wurde ua., dass Herr ***Bf1*** seit 8/2012 in regelmäßiger psychiatrischer Behandlung und sozialarbeiterischer Betreuung stehe.
Bei Herrn ***Bf1*** handle es sich um eine psychische Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis, bei der sich depressive und manische Episoden mit dementsprechender produktiver Symptomatik (depressive Wahnideen mit extrem belastenden Zwangsgedanken bzw. Größenwahn) abwechseln würden. Es gäbe auch eine familiäre Vorbelastung.

Herr ***Bf1*** habe sich im Jahr 2011 in eine ambulante psychiatrische Behandlung begeben. Im Jahr 2012 sei es aufgrund einer Wahnsymptomatik mit emotionaler Instabilität, Ich-Störungen, desorganisierten Verhaltens und Realitätsverlustes zu einem ersten psychiatrischen Spitalsaufenthalt. Danach hätten weitere Aufenthalte zwei im Jahr 2017 und der letzte Aufenthalt sei 18.2. bis erfolgt.

Die Diagnose: Schizoaffektive Störung, ggw. depressiv; Bandscheibenvorfall

Psychopatologischer Status:
Aktuell manifestiere sich das Krankheitsbild durch eine inadäquate, teile depressive Stimmungslage, fehlende Affizierbarkeit und Affektschwingung, Konzentrationsstörungen, Merkfähigkeits- und Gedächtnisstörungen. Anrieb sei reduziert, Schlafstörungen präsent. Die Belastbarkeit, Stress- und Frustrationstoleranz sind deutlich herabgesetzt. Keine SMG. Zum Zeitpunkt der Untersuchung bestehe kein Hinweis auf eine akute Selbst- und Fremdgefährdung. Impulskontrolle sei erhalten.

Der Antrag wurde vom Finanzamt mit Bescheid vom unter Verweis auf die maßgeblichen Bestimmungen (§§ 8 Abs. 5 ff und 10 Familienlastenausgleichsgesetz 1967, kurz: FLAG 1967) mit der Begründung abgewiesen, dass der Bf. zur Untersuchung beim Bundessozialamt nicht erschienen sei und dem Finanzamt kein Gutachten ausgestellt werden habe können.

Gegen den Abweisungsbescheid wurde vom Bf. Beschwerde erhoben und zusammengefasst vorgebracht, dass er keinen Termin für die Untersuchung erhalten habe. Nach mehreren Monaten habe er zum Finanzamt und zum Sozialministerium Kontakt aufgenommen und es habe sich herausgestellt, dass die Einladung an die Adresse ***8*** geschickt worden sei, wo er seit ca. 10 Jahren nicht mehr gemeldet sei. Somit sei es ihm nicht möglich gewesen zum Termin beim Sozialministeriumservice zu erscheinen (Beweis: Meldezettel). Er ersuche daher um erneute ärztliche Untersuchung seitens des Sozialministeriumservice um ein Gutachten für das Finanzamt erstellen zu lassen.

Der Bf. wurde in der Folge am von Dr.in ***1*** ***7*** untersucht (als Begleitperson anwesend Mutter der Kinder des Bf.) und am folgendes Gutachten erstellt:

Anamnese:
Es liegt ein Vorgutachten von Dr.
***4*** (08/2011), in welchem ein GdB von 50 v. H. beiparanoider Schizophrenie sowie EU ab 04/2011 bestätigt wurde, vor.

Im weiteren Krankheitsverlauf sei es laut Angaben des Antragstellers sowie der ho. anwesenden Lebensgefährtin trotz durchgängiger ambulanter FÄ-psychiatr. Behandlungüber den PSD seit 2012 immer wieder zu depressiven sowie manisch- psychotischenEpisoden gekommen. Stat. Aufenthalte seien in diesem Zusammenhang 2011 und 2012 amOWS erfolgt. Weiters sei der Antragsteller 2017 und 2019 auf der Psychiatrie derKrankenanstalt ***9*** aufgenommen gewesen. Im Frühjahr 2020 sei ein stat. Reha Aufenthalt an der Privatklinik ***10*** erfolgt.

Derzeitige Beschwerden:
Der Antragsteller berichtet über eine zunehmende Chronifizierung seiner psychischen
Beschwerden seit seinem stat.-psychiatr. Aufenthalt am Krankenhaus ***9*** imFrühjahr 2019. Er leide seither an Freudlosigkeit, innerer Leere, Ideenlosigkeit sowieverminderter Belastbarkeit und Konzentrationsstörung. Bis 2019 habe der Antragstellerzwar immer wieder an depressiven und manischen Phasen gelitten, er habe sichintermittierend jedoch immer wieder stabilisieren können. In euphorisch-manischenPhasen habe er Errettungsgedanken und Größenideen. Insb. im Winter neige er eher zudepressiver Stimmungslage. Im Krankheitsverlauf habe der Antragsteller immer wieder instabilen Phasen Arbeitsverhältnisse angenommen, diese hätte er in der Regel jedoch nurfür ca. 3-6 Monate halten können. Seine längste Beschäftigung sei für 1,5 J. bei einemWürstelstand gewesen. Zuletzt sei der Antragsteller als Hilfsgärtner bei der Stadt Wienangestellt gewesen.

Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel:
Regelmäßige FÄ-psychiatr. Kontrollen am PSD 3.
Psychopharmakolog. Med. laut Med.Verordnung PSD ():
Depakine 500mg 1-0-1-0, Pantoloc 20mg 1-0-0-0, Risperdal 2mg 1/2 -0-0-11/2, Aripiprazol
10mg 11/2 -0-0-0, Lendorm 0,25mg 0-0-0-2, Akineton 4mg 1/2 -0-0-0, Temesta 1mg alsBedarfsmed. bei Unruhe/Anspannung.

Sozialanamnese:
Antragsteller seit 11
J. in aufrechter Partnerschaft. 2 Kinder im Alter von 2 und 4 J. imFamilienverband lebend. Zuletzt Anfang 2019 als Hilfsgärtner bei der Stadt Wienbeschäftigt. Diese Tätigkeit wurde im Frühjahr 2018 begonnen und saisonal ausgeübt.Davor diverse Hilfsarbeitsjobs (Verkauf, Gastro, etc.) in einer Dauer von ca. 3-6 Monaten.Längste Berufstätigkeit bei einem Würstelstand für 1,5 J; Lehre zum Koch (integrativ überJugend am Werk) ca. 2012 abgebrochen.

Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):
Entlassungsbrief OWS, 5. Psych. Abteilung ():
Stat. Aufenthalt
-.
D: Paranoide Schizophrenie, Cannabinoidabhängigkeit
M: Zyprexa Velotab 30mg/Tag

Patientenbrief psychiatr. Abteilung Krankenhaus ***9*** ():
Aufenthalt:
-.
D: Paranoide Schizophrenie
M: Risperdal, Depakine
Vorzeitige Entlassung auf Wunsch des Patienten.
Keine akute Selbst- oder Fremdgefährdung fassbar.

Stat. Patientenbrief psychiatr. Abteilung Krankenhaus ***9*** ():
Stat. Aufenthalt -
D: Paranoide Schizophrenie, Cannabisabhängigkeitssyndrom, Verhaltensstörung durch
Sedativa oder Hypnotika-Anhängigkeitssyndrom
M: Depakine 500 1-0-0-2, Risperdal 3mg 1-0-0-1, Pantoloc 40mg 1-0-0-0.
Aufnahme nach UbG bei aggressivem Verhalten der Familie gegenüber bei vorbekannter
paranoider Schizophrenie/schizoaffektiver Störung. Wiederholte Morddrohungen an dieMutter.

Stat. Patientenbrief psychiatr. Abteilung Krankenhaus ***9*** ():
Stat. Aufenthalt -
D: Schizoaffektive Störung gegenwärtig manisch, schädlicher Gebrauch Cannabis,
Anhängigkeit Hypnotika
M: Depakine 500mg 1-0-0-2, Risperdal 3mg 1-0-0-1, Zolpidem 10mg 0-0-0-1

Entlassungsbericht Privatklinik ***10*** ():
D: Schizoaffektive Störung nicht näher bezeichnet.
M: Depakine, Risperdal, Aripiprazol, Temesta
Beratung per liwi Arbeitsassistenz wird empfohlen. Weiterführendes kognitives Training
und Strategien zur Strukturierung werden empfohlen. Bei der Aufnahme teilremittiertesZustandsbild mit Einbußen in Kognition, Affektivität, Gesamtbefinden undAlltagsbewältigung.Gruppentherapien werden mehrfach pausiert, da vermehrte Reize reduziert, verarbeitetund toleriert werden. Überlastung kann der Pat. mit Rückzug gut kompensieren (...) Pat.leidet weiterhin an Entleerungsgefühlen, schwankender Stimmungslage und begrenzterBelastbarkeit bei ho. Durchgehend ausreichender Stabilität.

FÄ-licher Befundbericht PSD 3 ():
Seit 08/2012 in regelmäßiger psychiatr. Behandlung an unserer Einrichtung. Erkrankung
aus dem schizophrenen Formenkreis bei der sich depressive und manische Episoden mitdementsprechender produktiver Symptomatik (depressive Wahnideen mit extrembelastenden Zwangsgedanken bzw. Größenwahn) abwechseln (...) Herr J. schloss nach derVolks- und Mittelschule sowie einem Schulabbruch einen polytechnischen Lehrgang ab.Kochlehre wurde wahrscheinlich aufgrund der ersten Symptome seiner psychiatr.Erkrankung und der mangelnden Belastbarkeit abgebrochen. Ab 2011 ambulante psychiatr.Behandlung. Im Jahr 2012 aufgrund von Wahnsymptomatik mit emotionaler Instabilität,Ich-Störungen, desorganisiertem Verhalten und Realitätsverlust erster psychiatr.Spitalsaufenthalt. Danach weitere Aufenthalte im Jahr 2017 sowie 2019.
D: Schizoaffektive Störung gegenwärtig hypomanisch.
Aktuell gehobene, euphorische Stimmungslage, Stimmungsschwankungen,
Gedankendrängen und Rededrang. Übermäßige Beschäftigung mit Spiritualität undVerschwörungstheorien. Überwertige Ideen über eigene Macht und Einfluss. AusgeprägteSchlafstörungen. Belastbarkeit, Stress und Frustrationstoleranz deutlich herabgesetzt.

FÄ-licher Befundbericht PSD 3 ():
Die letzte Exazerbation (manische Episode) trat vor ca. 2 Mo. auf. Der Pat. stabilisierte sich
vor 2 Wochen wieder. Ansonsten idem zum Vorbefund.

Untersuchungsbefund:
Allgemeinzustand:
altersentsprechend

Ernährungszustand:
Größe: cm Gewicht: kg Blutdruck:
Status (Kopf / Fußschema) - Fachstatus:
Gesamtmobilität - Gangbild:

Psycho(patho)logischer Status:
Wach, bewusstseinsklar, allseits orientiert. Konzentration und Daueraufmerksamkeit reduziert. Auffassung intakt. Realitätsbezug und Krankheitseinsicht zum Untersuchungszeitpunkt gegeben. Affekt flach. Von Größenideen und Errettungsgedanken zum Untersuchungszeitpunkt distanziert. Keine erhöhte psychomotorische Anspannung. Stimmungslage indifferent. Gefühle der inneren Leere, Freudlosigkeit und Ideenlosigkeit. Belastbarkeit, Schlaf gestört. Im Verhalten freundlich und angepasst ohne soziale Auffälligkeiten. Keine akute Selbst- oder Fremdgefährdung fassbar.

Das Finanzamt legte die im Gutachten vom getroffenen Feststellungen (keine Erwerbsunfähigkeit vor dem 21. Lebensjahr) seiner Entscheidung zu Grunde und wies die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom unter Verweis auf die maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen (§§ 6 Abs. 2 lit. d, 6 Abs. 5, 8 Abs. 4 und 5 FLAG1967) mit der Begründung ab, dass der Bf. am die erhöhte Familienbeihilfe beantragt habe. Da er nicht zur Untersuchung beim Sozialministeriumservice erschienen sei, sei sein Antrag auf Familienbeihilfe und erhöhte Familienbeihilfe ab Februar 2015 abgewiesen worden. Im Rahmen der Beschwerde sei ein Sachverständigengutachten eingeholt worden, das einen Grad der Behinderung von 60% und die Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, bescheinige. Das im Rahmen seiner Beschwerde erstellte Gutachten vom habe die dauernde Erwerbsunfähigkeit ab Februar 2019 festgestellt. Die Unfähigkeit sei laut Gutachten nicht vor dem 21. Lebensjahr eingetreten.

Der Bf. stellte am einen Vorlageantrag an das Bundesfinanzgericht und brachte vor, dass die im Gutachten vom getroffenen Feststellungen, wonach die paranoide Schizophrenie nicht vor dem 21. Lebensjahr eingetreten sei, nicht richtig seien. Anfang April 2011 sei es zu einer Auseinandersetzung mit der Polizei gekommen, in deren Verlauf er vom Gerichtssachverständigen Dr. ***5*** psychiatrisch untersucht worden sei. Er habe damals eine Phase gehabt, bei der er auf Polizisten aggressiv reagiert habe. Er sei bereits zu diesem Zeitpunkt, also vor dem 21. Lj., nicht berufstätig gewesen und es sei anlässlich der Untersuchung dieses Vorfalles von Dr. ***5*** diagnostiziert worden, dass er aufgrund einer schizophrenen Psychose nicht schuldfähig sei. Es sei damals eine zykloide Persönlichkeitsstörung attestiert (ICD-10:F34.0) worden. Weiters sei eine Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis diagnostiziert und letztlich eine paranoide Form der schizophrenen Erkrankung dokumentiert worden, wobei die psychotischen Zustände noch geraume Zeit nach diesem Vorfall nachweisbar gewesen seien (ICD-10:F20.0). Wenn man wisse, dass endogene Geisteskrankheiten in der Regel schlechter und nicht besser werden, so sei klar, dass er schon seit diesem Vorfall im Jahre 2011 dauernd außerstande gewesen sei, seinen Unterhalt zu verdienen.

Beweis:

a) beiliegendes psychiatrisches Gutachten vom Dris. ***5***, vorgelegt im Verfahren 401 St 78/lla StA Wien;
b) vorzulegender Behindertenausweis mit dem Grad einer Behinderung von 50%;
c) Einvernahme des Beschwerdeführers
d) S., Mutter, ***Bf1-Adr***
e) R., Mutter der Kinder des Bf., 1200 Wien, Str2
f) Einholung eines rezenten psychiatrischen SV-GA

Es sei ihm bekannt, dass das Finanzamt eigenständig ein Sachverständigengutachten eingeholt habe, das ihm jedoch nicht gezeigt worden sei. In diesem Zusammenhang weise er darauf hin, dass nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH von mehreren Möglichkeiten jene als erwiesen anzunehmen sei, die gegenüber allen anderen Möglichkeiten eine überragende Wahrscheinlichkeit für sich habe und alle anderen Möglichkeiten ausschließe oder zumindest weniger wahrscheinlich erscheinen lasse (Verweis auf das Erkenntnis des ).

Wenn bereits im Jahr 2011 bei ihm als 19-Jährigen Schizophrenie attestiert und auch sein Behindertenstatus mit 50% eingestuft worden sei, wobei er seit damals tatsächlich für seinen Unterhalt nicht sorgen habe können, obgleich er zwei mj. Kinder habe, spreche doch alles dafür und habe die größte Wahrscheinlichkeit für sich, dass im Sinne des Gutachtens Dris. ***5*** eben wirklich eine als schwer einzustufende endogene Geisteskrankheit, nämlich Schizophrenie, vorliege, was angesichts des minimalen Ausbildungsniveaus, der Angespanntheit des Arbeitsmarktes und der Konkurrenzsituation am Arbeitsmarkt eine Berufstätigkeit ausschließe, die geeignet wäre, seinen Unterhalt zu sichern.

Nach Anführung der Bestimmungen des § 8 Abs. 5 und 6 FLAG 1967 führte der Bf. weiters aus, dass seine Behinderung mit 50% festgestellt worden sei. Erfahrungsgemäß würden Geisteskrankheiten ärger und nicht besser. Selbst unter Medikamenteneinfluss, der ein Anfallsgeschehen hinauszögere bzw. in seiner Intensität verringere, sei er nicht arbeitsfähig, weil diese Psychopharmaka eine doch so stark sedierende Wirkung hätten, dass ihm jegliche Aktivität und Antriebskraft genommen sei.

Beweis:

a) vorzulegender Behindertenausweis mit dem Grad einer Behinderung von 50%;
b) Einvernahme des Beschwerdeführers
c) S., meine Mutter, 1110 Wien, Str1
d) R., Mutter meiner Kinder, 1200 Wien, Str2
e) Einholung eines rezenten psychiatrischen SV-GA; w.B.v.

Aus all diesen Gründen stelle er an das Finanzamt Österreich den Antrag aufgrund dieses Vorlageantrages die Beschwerde und den Akt dem Bundesfinanzgericht vorzulegen und stelle er an das Bundesfinanzgericht den Antrag, der Beschwerde Folge zu geben und ihm die Familienbeihilfe und die erhöhte Familienbeihilfe ab Antragstellung zu bewilligen.

Weiters beantrage er die Durchführung einer mündlichen Verhandlung."

In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesfinanzgericht am wurde von der Richterin der anwesenden Mutter und der Lebensgefährtin des Bf. der § 8 Abs. 6 FLAG erklärt und ausgeführt, dass anhand des Gutachtens des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesens ersichtlich ist, dass der Beschwerdeführer zwar voraussichtlich dauernd außer Stande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, diese Unfähigkeit aber erst seit Februar 2019 (28 Jahre) bestehe. Begründend wird in dem Gutachten Folgendes ausgeführt: "Trotz dokumentiertem Beginn einer Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis ab 2011 ist aus den vorgelegten Befunden sowie dem anamnestischen Krankheitsverlauf keine durchgängige Unfähigkeit sich selbst den Unterhalt zu verschaffen ableitbar."

Der Bf. führte aus, dass ihm vom Sozialarbeiter im Februar 2020 empfohlen worden sei, einen Eigenantrag auf erhöhte Familienbeihilfe zu stellen. Er habe sich nicht ausgekannt. Er hätte sonst den Antrag früher gestellt. Seine Mutter (sie habe keine Ausbildung) hätte sich auch nicht ausgekannt, sonst hätte sie den Antrag schon früher gestellt.

Die Richterin führt abschließend erläuternd aus, dass das Bundesfinanzgericht an das Sachverständigengutachten des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen gebunden sei und dass das Gutachten nur auf seine Schlüssigkeit und Vollständigkeit zu prüfen sei (§ 8 FLAG).

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Feststellungen:

Der Bf. ist am 1991 geboren und vollendete am ***6***2012 das 21. Lebensjahr.

Laut Anamnese lebt der Bf. seit 11 Jahren in aufrechter Partnerschaft und hat zwei Kinder im Alter von 2 und 4 Jahren. Im Frühjahr 2018 begann der Bf. bei der Stadt Wien als Hilfsgärtner zu arbeiten. Die Arbeit wurde saisonal ausgeübt. Zuletzt war der Bf. dort Anfang 2019 beschäftigt.
Laut Sozialversicherungsauszug vom übte der Bf. davor (seit 2008) diverse Hilfsarbeitsjobs von einer Dauer von ca. 3 - 6 Monaten aus (Verkauf, Gastro, etc.).
Die längste Berufstätigkeit wurde bei einem Würstelstand ausgeübt (1,5 Jahre)
Eine Lehre zum Koch (integrativ über Jugend am Werk) wurde 2012 abgebrochen.

Der Bf. wurde im Zuge des Antrags- und Beschwerdeverfahrens am untersucht und im Gutachten vom , Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen, BASB Landesstelle Wien, von der Sachverständigen Dr.in ***1*** ***7*** der Gesamtgrad der Behinderung mit 60vH rückwirkend ab Februar 2019 festgestellt.
Die Erwerbsunfähigkeit wurde ebenfalls rückwirkend ab Februar 2019 bescheinigt.

Das Bundesfinanzgericht geht aus den nachstehend angeführten Gründen in freier Beweiswürdigung von der Richtigkeit der in den Gutachten getroffenen Feststellungen aus.

Beweiswürdigung:

Die Feststellungen basieren auf dem Gutachten vom August 2011, dem oa. Gutachten vom , der Anamneseerhebung, der Untersuchung des Bf. sowie den vom Bf. im Zuge der Untersuchung vorgelegten Unterlagen:

Entlassungsbrief OWS, 5. Psych. Abteilung (): Stat. Aufenthalt - , D: Paranoide Schizophrenie

Patientenbrief psychiatr. Abteilung Krankenhaus ***9*** (): Aufenthalt: - , D: Paranoide Schizophrenie

Stat. Patientenbrief psychiatr. Abteilung Krankenhaus ***9*** (): Stat. Aufenthalt -, D: Paranoide Schizophrenie

Stat. Patientenbrief psychiatr. Abteilung Krankenhaus ***9*** (): Stat. Aufenthalt -, D: Schizoaffektive Störung

Entlassungsbericht Privatklinik ***10*** ():D: Schizoaffektive Störung nicht näher bezeichnet.

FÄ-licher Befundbericht PSD 3 ()
FÄ-licher Befundbericht PSD 3 ()

In der von den Sachverständigen heranzuziehenden Einschätzungsverordnung wird bei schizophrenen Störungen (Schizophrenie, schizoide Persönlichkeitsstörung, schizoaffektive Erkrankungen, akut psychotische Zustandsbilder) zwischen leichten, mittelschweren und schweren Verlaufsformen unterschieden.

Die Diagnostik von psychischen Erkrankungen stellt komplexe Anforderungen an den untersuchenden Arzt, da psychische Erkrankungen unterschiedliche Ausprägungen, unter-schiedliche Krankheitsverläufe (schleichender Verlauf, Akutphasen) und verschiedene psychische Krankheitsbilder aufweisen.

Für die rückwirkende Beurteilung der Frage, wann eine psychische Erkrankung eingetreten ist und insbesondere wann diese Erkrankung ein Ausmaß erreicht hat, dass eine Erwerbstätigkeit, mit der sich der Patient selbst den Unterhalt verschaffen kann, nicht mehr möglich ist, gestaltet sich daher naturgemäß sehr schwierig und kann immer nur mit hoher Wahrscheinlichkeit und nie mit Sicherheit festgestellt werden (vgl. Lenneis/Wanke, FLAG 2020, 2. Auflage, § 8 Tz 32, vgl. auch ).

Die Gutachter stützen sich in der überwiegenden Zahl der Fälle auf die Erhebung der Anamnese, eine Untersuchung, vorhandene medizinische Unterlagen und Befunde und hier vor allem ältere Befunde. In weiterer Folge werden alle diese Informationen auf der Basis medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnis und ärztlichen Erfahrungswissens bewertet und medizinische Schlussfolgerungen gezogen, dem Gutachten im engeren Sinn.

Im Gutachten vom reihte Dr. ***4***, Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie, die Erkrankung des Bf. (paranoide Schizophrenie) nach Anamneseerhebung, Untersuchung des Bf. und unter Heranziehung der vom Bf. vorgelegten Unterlagen unter die Richtsatzposition mit einem Gesamtgrad der Behinderung von 50 vH. und stellte fest, dass diese rückwirkende Anerkennung ab April 2011 auf Grund der vorgelegten relevanten Befunde möglich sei. Der Untersuchte sei voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Die Erwerbsunfähigkeit wurde rückwirkend ab April 2011 bescheinigt.

Im Gutachten vom reihte Dr.in ***1*** ***7***, Fachärztin für Psychiatrie, die Erkrankung des Bf. - wie schon im Vorgutachten - unter die Richtsatzposition ein. Abweichend zum Vorgutachten, in welchem der Gesamtgrad der Behinderung mit 50 vH festgesetzt wurde, stellte Dr.in ***7*** den Gesamtgrad der Behinderung nunmehr mit 60 vH, rückwirkend ab Februar 2019, fest und begründete dies mit der Progredienz der Erkrankung.

Festgehalten wurde, dass in Zusammenschau der vorgelegten Befunde sowie dem anamnestischen Krankheitsverlauf eine rückwirkende Bestätigung eines GdB von 60 v.H. ab Februar 2019 möglich sei. Inwiefern ein GdB von 50 v.H. seit der Voruntersuchung (August 2011) durchgehend gegeben gewesen sei, sei aus den vorgelegten Befunden nicht ableitbar.

Herr ***Bf1*** sei voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Die Erwerbsunfähigkeit bestehe seit Februar 2019.
Begründend wurde ausgeführt:
"Anmerkung bzw. Begründung betreffend die Fähigkeit bzw. voraussichtliche dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen:
Trotz dokumentiertem Beginn einer Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis ab 2011 sei aus den vorgelegten Befunden sowie dem anamnestischen Krankheitsverlauf keine durchgängige Unfähigkeit sich selbst den Unterhalt zu verschaffen ableitbar."

Das Bundesfinanzgericht geht in freier Beweiswürdigung davon aus, dass die in dem Gutachten vom getroffenen Feststellungen, welche im Zuge des nunmehrigen Antrags- und Beschwerdeverfahrens erstellt wurden (Eintritt der voraussichtlich dauernden Erwerbsunfähigkeit rückwirkend ab Februar 2019, somit nicht vor dem 21. Lebensjahr) mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit den Tatsachen entsprechen.

Die Begründung der Einstufung der Erwerbsunfähigkeit rückwirkend ab Februar 2019 ist nachvollziehbar und schlüssig.

Es ist zwar unstrittig, dass beim Bf. die vorhandenen Krankheitssymptome der Schizophrenie schon vor dem 21. Lebensjahr aufgetreten sind, jedoch ging die Sachverständige nach Anamneseerhebung, Untersuchung des Bf. und unter Berücksichtigung der vorgelegten Befunde und mit entsprechender Begründung davon aus, dass die Erkrankung nicht schon vor dem 21. Lebensjahr ein so hohes Ausmaß erreicht hat, dass die Erwerbsunfähigkeit eingetreten ist (vgl. zB ).

Dass diese Einstufung mit größter Wahrscheinlichkeit den Tatsachen entspricht, lässt sich auch aus dem Umstand herleiten, dass der Bf. auch nach dem 21. Lebensjahr immer wieder eine Beschäftigung, wenn auch mit Unterbrechungen und nicht über lange Zeiträume, ausübte.

Wenn der Bf. im Vorlageantrag vorbringt, dass die im Gutachten vom getroffenen Feststellungen - kein Eintritt der Erwerbsunfähigkeit vor dem 21. Lebensjahr - nicht richtig seien und Dr. ***5*** nach einer Auseinandersetzung mit der Polizei und einer danach durchgeführten psychiatrischen Untersuchung festgestellt habe, dass er an einer schizophrenen Psychose leide und nicht schuldfähig sei und dass endogene Geisteskrankheiten in der Regel schlechter und nicht besser werden und somit klar sei, dass er schon seit diesem Vorfall im Jahre 2011 dauernd außerstande gewesen sei, seinen Unterhalt zu verdienen, so gelingt es ihm damit nicht, eine Unschlüssigkeit des Gutachtens vom , wonach die Erwerbsunfähigkeit erst ab Februar 2019 eingetreten ist, aufzuzeigen.

Gesetzliche Grundlagen:

Gemäß § 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967 haben volljährige Vollwaisen Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn auf sie die Voraussetzungen des Abs. 1 lit. a bis c zutreffen und wenn sie wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außer Stande sind, sich selbst den Unterhalt zu ver-schaffen und sich in keiner Anstaltspflege befinden.

§ 8 Abs. 4 FLAG 1967 legt fest, in welchem Ausmaß sich die Familienbeihilfe bei einem erheb-lich behinderten Kind erhöht.

Gemäß § 8 Abs 5 FLAG 1967 gilt ein Kind als erheblich behindert, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeit-raum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muss mindestens 50 vH betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Gemäß § 8 Abs. 6 FLAG 1967 ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Bundes-amtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.

Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind § 14 Abs 3 des Behindertenein-stellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, in der jeweils geltenden Fassung, und die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) vom , BGBl. II Nr. 261/2010, in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens nach fünf Jahren neu festzustellen, soweit nicht Art und Umfang eine Änderung ausschließen.

In der Einschätzungsverordnung, BGBl. II Nr. 261/2010, geändert durch BGBl. II Nr. 251/2012, ist Folgendes normiert:

"Behinderung

§ 1. Unter Behinderung im Sinne dieser Verordnung ist die Auswirkung einer nicht nur vorüber-gehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beein-trächtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft, insbesondere am allgemeinen Erwerbsleben, zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.

Grad der Behinderung

§ 2. (1) Die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen sind als Grad der Behinderung zu beurteilen. Der Grad der Behinderung wird nach Art und Schwere der funktionellen Einschrän-kungen in festen Sätzen oder Rahmensätzen in der Anlage dieser Verordnung festgelegt. Die Anlage bildet einen Bestandteil dieser Verordnung.

(2) Bei Auswirkungen von Funktionsbeeinträchtigungen, die nicht in der Anlage angeführt sind, ist der Grad der Behinderung in Analogie zu vergleichbaren Funktionsbeeinträchtigungen festzulegen.

(3) Der Grad der Behinderung ist nach durch zehn teilbaren Hundertsätzen festzustellen. Ein um fünf geringerer Grad der Behinderung wird von ihnen mit umfasst. Das Ergebnis der Ein-schätzung innerhalb eines Rahmensatzes ist zu begründen.

Gesamtgrad der Behinderung

§ 3. (1) Eine Einschätzung des Gesamtgrades der Behinderung ist dann vorzunehmen, wenn mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen. Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung sind die einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen nicht zu addieren. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander.

(2) Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung ist zunächst von jener Funktions-beeinträchtigung auszugehen, für die der höchste Wert festgestellt wurde. In der Folge ist zu prüfen, ob und inwieweit dieser durch die weiteren Funktionsbeeinträchtigungen erhöht wird. Gesundheitsschädigungen mit einem Ausmaß von weniger als 20 vH sind außer Betracht zu lassen, sofern eine solche Gesundheitsschädigung im Zusammenwirken mit einer anderen Gesundheitsschädigung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursacht. Bei Über-schneidungen von Funktionsbeeinträchtigungen ist grundsätzlich vom höheren Grad der Behinderung auszugehen.

(3) Eine wechselseitige Beeinflussung der Funktionsbeeinträchtigungen, die geeignet ist, eine Erhöhung des Grades der Behinderungzu bewirken, liegt vor, wenn

- sich eine Funktionsbeeinträchtigung auf eine andere besonders nachteilig auswirkt,

- zwei oder mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen, die gemeinsam zu einer wesentlichen Funktionsbeeinträchtigung führen.

(4) Eine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung ist dann gegeben, wenn das Gesamtbild der Behinderung eine andere Beurteilung gerechtfertigt erscheinen lässt, als die einzelnen Funk-tionsbeeinträchtigungen alleine.

Grundlage der Einschätzung

§ 4. (1) Die Grundlage für die Einschätzung des Grades der Behinderung bildet die Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen, psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung in Form eines ärztlichen Sachverständigengutachtens. Erforderlichenfalls sind Experten aus anderen Fachbereichen - beispielsweise Psychologen - zur ganzheitlichen Beurteilung heran zu ziehen.

(2) Das Gutachten hat neben den persönlichen Daten die Anamnese, den Untersuchungs-befund, die Diagnosen, die Einschätzung des Grades der Behinderung, eine Begründung für die Einschätzung des Grades der Behinderung innerhalb eines Rahmensatzes sowie die Erstellung des Gesamtgrades der Behinderung und dessen Begründung zu enthalten…"

Rechtliche Beurteilung:

Voraussetzung für den Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe:

Voraussetzung für den Erhöhungsbetrag ist, dass der Grundbetrag an Familienbeihilfe zusteht (vgl FLAG Kommentar, Csaszar/Lenneis/Wanke, § 8, Rz 5 ). Das bedeutet, dass bei volljährigen Kindern, denen nicht schon aus anderen Gründen als aus dem Titel der Behinderung der Grundbetrag an Familienbeihilfe zusteht, der Grad der Behinderung ohne jede Bedeutung ist, und würde er auch 100 % betragen.

Besteht keine vor dem 21. (bzw. bei Berufsausbildung vor dem 25. Lebensjahr) eingetretene voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, steht weder Grund- noch Erhöhungsbetrag zu (FLAG Kommentar, Csaszar/Lenneis/Wanke, § 8, Rz 21).

Rückwirkende Einschätzung

Es kommt bei der rückwirkenden Einschätzung des Behinderungsgrades bzw. bei der rückwirkenden Einschätzung, wann die Erwerbsunfähigkeit eingetreten ist, weder auf den Zeitpunkt an, zu dem sich eine Krankheit als solche erstmals geäußert hat noch auf den Zeitpunkt, zu welchem diese Krankheit zu (irgend) einer Behinderung geführt hat.

Maßgeblich ist der Zeitpunkt, zu dem die Behinderung (als Folge der allenfalls schon länger bestehenden Krankheit) eingetreten ist, welche einen Grad von mindestens 50 v.H. erreicht bzw. die voraussichtliche dauernde Erwerbsunfähigkeit nach sich gezogen hat (vgl. , , , vgl. auch das Erkenntnis des , ).

Gutachten - Allgemeines:

Ein Gutachten ist die begründete Darstellung von Erfahrungssätzen und die Ableitung von Schlussfolgerungen für die tatsächliche Beurteilung eines Geschehens oder Zustands auf der Basis des objektiv feststellbaren Sachverhaltes durch einen oder mehrere Sachverständige. Sachverständige haben dabei fundierte und wissenschaftlich belegbare konkrete Aussagen zu treffen und dürfen ihre Beurteilungen und Feststellungen nicht auf Spekulationen, sondern ausschließlich auf die festgestellten Tatsachen, verbunden mit ihrem fachspezifischen Wissen, stützen. Alleine die Möglichkeit, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt ein bestimmter Sach-verhalt vorgelegen sein könnte, reicht dabei keinesfalls aus, diesen Sachverhalt gutachterlich als gegeben anzusehen und zu bestätigen (vgl. z.B. ; ).

Bescheinigung des Sozialministeriumservice:

Nach den Bestimmungen des § 8 Abs 6 FLAG 1967 ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Sachverständigengutachten des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigen nachzuweisen (vgl z.B. ; ; ; ).

Der Verfassungsgerichtshof hat im Erkenntnis , ausgeführt, dass sich aus Wortlaut und Entstehungsgeschichte des § 8 Abs. 6 FLAG ergebe, dass der Gesetzgeber nicht nur die Frage des Grades der Behinderung, sondern (bereits seit 1994) auch die (damit ja in der Regel unmittelbar zusammenhängende) Frage der voraussichtlich dauernden Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, der eigenständigen Beurteilung der Familienbeihilfenbehörden entzogen und dafür ein qualifiziertes Nachweisverfahren eingeführt habe, bei dem eine für diese Aufgabenstellung besonders geeignete Institution eingeschaltet werde und der ärztliche Sachverstand die ausschlaggebende Rolle spiele. Dem dürfte die Überlegung zugrunde liegen, dass die Frage, ob eine behinderte Person voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, nicht schematisch an Hand eines in einem bestimmten Zeitraum erzielten Einkommens, sondern nur unter Berücksichtigung von Art und Grad der Behinderung bzw. der medizinischen Gesamtsituation der betroffenen Person beurteilt werden könne. Damit könne auch berücksichtigt werden, dass gerade von behinderten Personen immer wieder - oft mehrmals - Versuche unternommen werden, sich in das Erwerbsleben einzugliedern, bei denen jedoch die hohe Wahrscheinlichkeit bestehe, dass sie aus medizinischen Gründen auf längere Sicht zum Scheitern verurteilt sein würden. Der Gesetzgeber habe daher mit gutem Grund die Beurteilung der Selbsterhaltungsfähigkeit jener Institution übertragen, die auch zur Beurteilung des Behinderungsgrades berufen sei. Die Beihilfenbehörden hätten bei ihrer Entscheidung jedenfalls von dieser durch ärztliche Gutachten untermauerten Bescheinigung auszugehen und könnten von ihr nur nach entsprechend qualifizierter Auseinandersetzung abgehen.

Das ärztliche Zeugnis betreffend das Vorliegen einer Behinderung iSd FLAG 1967 hat Fest-stellungen über die Art und das Ausmaß des Leidens sowie auch der konkreten Auswirkungen der Behinderung auf die Erwerbsfähigkeit in schlüssiger und damit nachvollziehbarer Weise zu enthalten (vgl. ; ; ).

Das nach dieser Bestimmung abzuführende qualifizierte Nachweisverfahren durch ein ärzt-liches Gutachten (vgl. dazu , und , sowie ) hat sich im Fall, dass ein volljähriger Antragsteller die erhöhte Familienbeihilfe beantragt, darauf zu erstrecken, ob die 50%ige Behinderung oder die Erwerbsunfähigkeit bereits vor Vollendung des 21. Lebensjahres (oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres) eingetreten ist (vgl. etwa ).

Das Gutachten zu einer solchen Sachfrage ist die begründete Darstellung von Erfahrungssätzen und die Ableitung von Schlussfolgerungen für die tatsächliche Beurteilung eines Geschehens oder Zustandes auf der Basis des objektiv feststellbaren Sachverhaltes durch einen oder mehrere Sachverständige. Sachverständige haben dabei fundierte und wissenschaftlich belegbare Aussagen zu treffen und dürfen ihre Beurteilungen und Feststellungen nicht auf Spekulationen, sondern ausschließlich auf die festgestellten Tatsachen verbunden mit ihrem fachspezifischen Wissen stützen. Alleine die Möglichkeit; dass zu einem bestimmten Zeitpunkt ein bestimmter Sachverhalt vorgelegen sein könnte, reicht dabei keinesfalls aus, diesen Sachverhalt gutachterlich als gegeben anzusehen und zu bestätigen (vgl. -I/11).

Anwendung der Richtsatzverordnung

Die Sachverständigen im Sozialministeriumservice haben bei ihrer Einschätzung die Richtsatzverordnung anzuwenden und die Einstufung entsprechend vorzunehmen. Bei der Anwendung der Richtsatzverordnung kann nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes auf Erfahrungswerte einer jahrzehntelangen Praxis zurückgeblickt werden und erfolgt durch die Anwendung der Richtsatzverordnung durch deren klar abgrenzbare Vorgaben bei der Beurteilung von Behinderungen durch Prozentsätze nicht nur eine bundeseinheitliche Voll-ziehung nach objektiven Kriterien, sondern bringt diese insbesondere auch das erforderliche Maß an Rechtssicherheit (vgl zB ).

Bindung der Abgabenbehörde und des Bundesfinanzgerichtes an die Sachverständigengutachten des Sozialministeriumservice:

Die Gutachten unterliegen, wie alle anderen Beweismittel, der freien behördlichen/richter-lichen Beweiswürdigung. Das Finanzamt und das Bundesfinanzgericht sind an die Gutachten des SMS gebunden und dürfen diese nur insoweit prüfen, ob diese vollständig, nachvollziehbar und schlüssig sind und im Fall mehrerer Gutachten oder einer Gutachtensergänzung nicht einander widersprechen (vgl. ; und 2009/16/0310, ). Erforderlichenfalls ist für deren Ergänzung zu sorgen (; ; ).

Eine andere Form der Beweisführung ist nicht zugelassen (vgl. ua.).

Gemäß § 8 Abs. 6 FLAG ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.

Aus den Erkenntnissen des , sowie des VwGH (s Zb , Ra 2017/16/0023) folgt, dass die Abgabenbehörde und das BFG an die Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen zugrundeliegenden Gutachten gebunden sind und diese nur insoweit prüfen dürfen, ob sie schlüssig und vollständig sind und im Falle mehrerer Gutachten nicht einander widersprechen. (s. auch ; , 2009/16/0307 und 2009/16/0310, mwN).) Wurde von der Abgabenbehörde bereits ein solches Gutachten eingeholt, erweist sich dieses als Schlüssig und vollständig und wendet der Bf. nichts Substantiiertes ein, besteht für das BFG kein Grund , neuerlich ein Sachverständigengutachten einzuholen ( ).

Im gegenständlichen Fall wurden im Zuge der Erstellung des Gutachtens alle vorliegenden Befunde berücksichtigt. Weitere Befunde oder Gutachten wurden von der Mutter des Bf. und der Lebensgefährtin nicht in Aussicht gestellt.

Mit dem Vorbringen des Bf., dass wenn er (oder seine Mutter) besser über die Voraussetzungen betreffend die Erstellung eines Gutachten Bescheid gewusst hätte, den Antrag auf erhöhte Familienbeihilfe früher gestellt hätte, gelingt es dem Bf. nicht die Unschlüssigkeit des vorliegenden Gutachtens des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesens wonach die Erwerbsunfähigkeit erst ab Febr. 2019 eingetreten ist, aufzuzeigen.

Zusammenfassend wird somit festgestellt, dass das Bundesfinanzgericht die im Gutachten vom getroffenen Feststellungen, wonach die Erwerbsunfähigkeit erst ab Februar 2019, und somit nicht vor dem 21. Lebensjahr eingetreten ist, als vollständig, nachvollziehbar und schlüssig erachtet.

Die Beschwerde war daher abzuweisen und spruchgemäß zu entscheiden.

Zulässigkeit einer Revision:

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die Lösung der Frage, unter welcher Voraussetzung die erhöhte Familienbeihilfe zusteht, ergibt sich aus den bezughabenden Gesetzesbestimmungen. Bei der Frage, wie hoch der Behinderungsgrad in einem bestimmten Zeitraum war bzw. wann die voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit rückwirkend eingetreten ist, handelt es sich um eine Tatfrage. Das Bundesfinanzgericht ist dabei an das vom Sozialministeriumservice erstellte ärztliche Gutachten (bei Schlüssigkeit) gebunden. Da sohin keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zu beurteilen war, ist eine Revision nicht zulässig.

Wien, am

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